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2 Seiten

Das Totenbett

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Die Luft in dem kleinen Zimmer des einfachen Bauernhauses riecht abgestanden und nach Krankheit. Eine abgemagerte Gestalt – nur mehr ein Schatten ihrer selbst – liegt in einem Bett aus Holz. Geschützt durch wärmende Schichten aus Wolldecken.

Die blassblauen Augen blicken in die Ferne, als ob sie etwas sehen würden, dass in der diesseitigen Welt nicht existiert. Vielleicht die Pforten zum Paradies. Oder Geschehnisse längst vergangener Tage. Wer weiß das schon? Niemand ist in der Lage die Brücke zwischen Leben und Tod zu beschreiten, bevor er selbst an der Reihe ist diesen Weg zu gehen.

Der alte Narr, Zeit seines Lebens der festen Überzeugung gewesen, dem Tod von der Schippe springen zu können, musste nun einsehen, dass die Endlichkeit des Lebens auch für ihn galt. Er würde Zeugnis ablegen müssen, über das was er getan und was er hätte tun sollen. Etwas wie Rechenschaft oder gar ein Gewissen hatte ihn nie beschäftigt. Viel zu sehr hatte er an der Verwirklichung seiner Pläne - ohne links oder rechts zu schauen - gearbeitet. Emotionaler Ballast war ihm unwillkommen gewesen. Damit mussten sich die Mildtätigen, die ihre Kraft aus der Nächstenliebe gewannen beschäftigen. Doch nun, im Angesicht des Todes, war er dankbar für die Aufopferungsbereitschaft die ihm entgegengebracht wurde. Die kleinen Gesten der Wertschätzung, wie das liebevolle Kühlen seiner glühend fiebrigen Stirn mit einem kühlen Lappen.

Hatte er auf das falsche Pferd gesetzt? Holten ihn seine Eigennützigkeit und sein Egoismus nun beim letzten Gericht vor dem Schöpfer als beschwerender Beweis wieder ein? In seinen besten Jahren waren dies unverrückbare Grundpfeiler gewesen, die das Fundament seiner Charakterstärke gebildet hatten. Niemand konnte ihm Steine in den Weg legen, weil er nichts hatte was man ihm wegnehmen hätte können. Bekannte, Freunde, auch der engste Kreis der Familie waren bloß ein Mittel zum Zweck gewesen. Bausteine für eine Welt nach seinen Vorstellungen. Wurde ein solcher porös oder konnte seine Last nicht mehr tragen, so musste ein neuer seine Stelle einnehmen. Doch wurde auch sein Körper träger. Sein Geist schwächer. Er selbst zu einem solch unnützen Element, das seine Aufgabe nicht mehr bewältigen konnte. Dennoch, er wurde umsorgt und umhegt. Von guten Seelen die nicht begriffen zu haben schienen, dass er ihnen keinen Gegenwert liefern konnte. Kein Tauschgut hatte. Ein schwächlicher Greis, der jederzeit überginge in die andere Welt und nichts hinterlassen würde als eine leere, leblose, irdische Hülle. Kein Vermögen. Nicht einmal das Bett in dem er seine letzten Tage verbrachte stand in seinem Eigentum. Was versprachen sie sich, diese hochmütigen Samariter? Labten sie sich an seinem Schmerz? An seinem Verdruss? Gewannen sie Freude daraus, einem Menschen Wärme zu schenken, wohlwissend, dass sein Ende mit jedem Augenschlag kommen konnte? Welch grausame Geschöpfe! Hoffnung dort zu entfachen wo es keine mehr gab. Hätte er die Kraft dazu gehabt, würde er allen unverzüglich befehlen den Raum zu verlassen. Doch reichte es nicht zu mehr, als unscheinbar eine Hand zu heben. Das würde keinen vertreiben.

Gänzlich unbemerkt blieb seine Geste jedoch nicht. Eine warme Hand schloss sich liebevoll um die seine. Drückte sie sanft und gab ihm, entgegen all der wilden Gedanken, Halt und Zuversicht. Das Gefühl, nicht allein zu sein in dieser schweren Zeit. Er erwiderte den Druck leicht und genoss die Nähe des Anderen, der schweigend neben ihm saß und nicht in den selben Kategorien zu denken schien wie er selbst. Großherzigkeit und Verständnis konnte er in den haselnussbraunen Augen seines Gegenübers erkennen. Eigenschaften die er mit dem menschlichen Wesen als unvereinbar angesehen hatte.

Bis zu diesem Moment. Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss der Greis ein allerletztes Mal seine Augen. In der süßen Gewissheit, dass er sich geirrt hatte.
 
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Kommentare  

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Hans Müller (10.10.2015)

Einfach schön und berührend und wichtig!

Novalis Breton (08.10.2015)

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