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3 Seiten

Tod, ein Traum

Kurzgeschichten · Experimentelles · Erinnerungen
© Ben Pen
Ich war schuld – am Tode eines Mädchens. Die Leute redeten. Doch nie kam jemand auf mich. Und so vergaß auch ich irgendwann, dass ich einmal der Schuldige gewesen war. Ich wusste nicht länger, was passiert war, nur noch grob, wo sich ihre Leiche befand; die Polizei hatte sie noch nicht gefunden. Dabei war die Spur doch offensichtlich! – Mehrere Male waren sie sehenden und dennoch blinden Auges an ihrer letzten Ruhestätte vorübergegangen. Auf und ab waren sie marschiert, die Spuren unserer Auseinandersetzung (Auseinandersetzung? Hatte es eine Auseinandersetzung gegeben? Hatte ich sie, blond, 1,50m, ermordet, kaltblütig? Vergewaltigt gar? Oder war ich voller Zorn über sie gekommen, es Totschlag, aus einer Laune heraus gewesen? Ich weiß es nicht. Tatsächlich erinnere ich mich an gar nichts mehr.) ignorierend, gekonnt. Nicht einen Blick warfen sie woanders hin als direkt vor ihre Füße; ich lebte in ständiger Angst.
Eines Tages machten meine Kumpels und ich einen Ausflug. Wir fuhren einen geteerten Hang hoch, durch ein Wäldchen. Rechts fiel der Boden ab, links stieg er an. Alles war grün, wucherte voll Kraft. Lianen hingen von den Bäumen und Farne quollen über. An manchen Stellen schien die Straße mit dem sie umgebenden Urwald zu verschmelzen; wir fuhren langsam, staunten, schauten uns alles ganz genau an und sahen dennoch – nichts. Unsere Blicke tangierten den Urwald nur, glitten vorüber, oberflächliche Passanten, die nicht einmal im Ansatze versuchten, das Geheimnis der grünen, sich um und um windenden Schlangen, die sich letzten Endes selbst verschlangen, auch nur einen Spalt breit zu lüften.
Dieses Umstandes gewahr werdend sowie jenen eingedenk, der mich über Kohlen gehen lässt, glühende, meinen Wahrheitsdruck, meinen Alb der Schuld, schaute ich genauer hin – und entdeckte, eingekeilt zwischen zwei Bäume, einen verbeulten, von Farnkraut überwucherten „Jurassic Park“-Jeap! – Er war giftgrün, weshalb er nicht sofort ins Auge fiel, bisher auch niemandem ins Auge gefallen zu sein schien; von der Windschutzscheibe waren nur noch ausgefranste Ränder übrig; Schlingpflanzen rankten sich um seine Reste.
„Hey!“ Ich deutete auf das Wrack. „Schaut mal, da!“ „Hm?“ Sie waren blind wie Fische. Ich bedeutete ihnen, anzuhalten. Da sich das Objekt meiner Neugierde links befand, musste ich, als Beifahrer, um unser Auto, es war ein roter Straßenkreuzer, herumgehen; mit weit ausgreifenden Schritten eilte ich dem Wrack entgegen. Es lag oberhalb der Böschung; um es zu erreichen, musste ich mich an Wurzeln festhalten, meine Finger gleich Harkenzinken in die Erde graben; ein ganz schönes Durcheinander richtete ich unter den Pflanzen an.
Gerade wollte ich mich über die Kante ziehen, als mich, aus einem Loch heraus, eine kalkweiße, pfannkuchenplatte Fratze ansprang. Augen, groß wie Teetassen, glühten mir entgegen. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor ich mich im weit aufgerissenen Maul von Gollum! – Er war dünn, abgezehrt, wie man ihn kannte, und mit nichts anderem als einem Lendenschurz bekleidet. Wie in den „Der Herr der Ringe“-Filmen sah er aus, doch schien sich die Anzahl seiner Zähne verdoppelt zu haben; schmal waren sie geworden, zu kleinen Dolchen.
Da ich ihn nicht fürchtete, floh er. Er wetzte durch‘s Unterholz, hangaufwärts. Ich folgte ihm. Schließlich stellte ich ihn an einem Baum. Ganz klein hatte er sich gemacht, als wollte er verschmelzen, mit der Erde, mit dem Dreck. Aus einer Laune heraus ergriff ich einen Stock. Wie ein Kind Aas oder einen Kothaufen pikt, bohrte ich meinen Stab, durch den Stoff, versteht sich, in seinen Anus. Eine interessierte Lust hatte von mir Besitz ergriffen. Ich wollte es studieren, dieses Etwas, diesen Wilden. Ein gedankenloses Grinsen spaltete mein Gesicht. Das Wesen schluchzte.
Auf einmal hatte ich eine Vision: Ein Mann baut einen Unfall. Seine Menschlichkeit geht flöten. Alles, was von ihm übrig bleibt, ist seine Gestalt. Doch auch die beginnt sich im Laufe der Jahrzehnte zu verändern; er passt sich an. Wie ein Tier kämpft er um‘s Überleben, bis er letztendlich selbst zu einem geworden ist, einem Tier, meine ich, mit Klauen und Zähnen …
Betroffen, hielt ich inne. Und Gollum, der das Blatt sich wenden fühlte, ergriff seine Gelegenheit: Er fuhr hoch. Die Hände über den Kopf hebend, war er auf einmal doppelt so groß; fauchend stapfte er mir entgegen. Ich erschrak – und wich zurück.
Im nächsten Moment tat ich alles, um von ihm (und meiner eigenen Vergangenheit) so schnell wie möglich fortzukommen; ich rannte – hangabwärts und meine unwissenden Kumpels über den Haufen. „Hey!“, riefen sie, doch ich war längst vorüber; so viel Fahrt hatte ich aufgenommen, ich konnte gar nicht mehr bremsen! – Stolpernd überquerte ich die Straße, am Boden liegende Blätter stoben auf, als mich etwas von Größe und Gewicht eines Medizinballs in den Rücken traf …
Ich stürzte; das Geschoss „Gollum“ riss mich mit sich. Gemeinsam rollten wir den Hang hinab. Äste droschen auf uns ein. Zum Glück war der Boden weich, die Erde laubbedeckt; wir hätten uns böse wehtun können.
Und tatsächlich zeigte sich meine Nemesis nach unserer Rutschpartie, wir waren auf einem Kiesweg ausgerollt, etwas benommen; ich kam hoch, derweil sich mein Verfolger ächzend krümmte. Anschließend gab ich mir, meinen konstitutionellen Vorsprung nutzend, selbst die Sporen.
Allerdings war es nur ein gutes Dutzend Meter, das ich zwischen mich und meinen Häscher bringen konnte; so leicht ließ er sich nicht abschütteln; er folgte mir weiterhin, unsichtbar, ein heißer Hauch in meinem Nacken. Mit letzter Kraft erreichte ich mein Geburtshaus, schlug die Tür, nachdem ich, bibbernd vor Angst, meinen Schlüssel fast nicht mehr rechtzeitig ins Schloss bekommen hatte, meinem Dämon direkt vor der Nase zu, jagte durch die Wohnung, sperrte auch die Hintertür, Gollums Gebrüll noch immer in den Ohren, so schnell ich konnte ab und brach hernach, schwer atmend, mit dem Rücken zur Wand, zusammen.
Ich weinte. Gollum war weg, dennoch drosch die Wirklichkeit mit Hammerschlägen auf mich ein: Ich war schuldig. Mein schlechtes Gewissen würde nie aufhören, mich zu plagen, meine Tat mich verfolgen, bis ans Ende aller Tage …
Ich stand auf. Meine Mutter saß auf der Couch, grüßte mich, als wäre nichts gewesen. Allein mein Bruder sah mich wissend an, doch sagte er nichts. Stattdessen erzählte er mir von unserer Katze; er hielt sie im Arm, an sich gepresst; das Tier schnurrte. „Und?“, fragte er. „Was hast du so getrieben?“
 
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