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Die braunen Glasschüsseln.

Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester · Erinnerungen
© Waldkind
Ich nahm sie an mich.
Ich sagte, ich wolle sie haben, die braunen Glasschüsseln meiner Oma.
Aus denen hatten wir ja schließlich immer am 1. Weihnachtsfeiertag den Obstsalat mit Vanillepudding herausgegesen.
Damals, als meine Oma noch gekocht hat an diesem Weihnachtsfeiertag. Sie stand kraftstrotzend und mit einer, weil Feiertag, weißen! Mantelschürze in ihrer Küche und demzufolge auf einem mit roten Schweißnähten versehenen PVC- Boden. Das wir uns in einem alten Fachwerkhaus befanden, merkten wir nicht. Wir wussten nur, es würde wieder kuschelig werden und wir würden alle zusammen sein. Es würde eine Suppe geben und dann das Traditionsessen, Wild und Rotkraut und große helle "Krombernsklöße", die immer ertwas nach dem Kartoffelmehl schmeckten, welches sie in einer immer etwas zu großen Menge in den selbstgemachten Teig knetete. Niemals wäre ihr ein Kloß im Wasser auseinander gefallen. Obwohl es wahrscheinlich manchmal besser gewesen wäre. Sie waren rießig gewesen und stopften. Wir alle liebten diese Klöße und wir alle wussten, was danach kommen würde. Vanillepudding von Dr. Oetker und einen Obstsalat aus der Dose. Wichtig war, dass in dem diese roten Cocktailkirschen drinnen sein mussten, und die kleinen Träubchen. Meine Schwester und ich hatten nötig, uns um genau das Schüsselchen zu zanken, in welchem mehr von diesen Dingen enthalten waren. Wir hatten es nötig und wir taten das auch.
Jedes Jahr.
Es gab in all den Jahren immer das gleiche Geschirr, das gleiche Besteck und keinen Brimborium. Nur Geselligkeit. Und selbstgemachten Brombeerlikör. Als Kind bekam ich davon natürlich nichts. Aber später dann. Sie konnte den wirklich gut....hui. Sie konnte auch gut diese Rotweinsterne backen, mit diesem rosa Guss, der aus der Rückschau betrachtet, dann doch etwas nach Prinzessin Lillifee Gedächtnissternchen ausgesehen hätte, wäre da nicht auch die wenig zierliche Größe der Plätzchen gewesen. Wir liebten diese Rotweinsterne ausnahmslos auch alle, aber wir konnten nicht viele davon essen.
Sie waren einfach zu groß.
Als sie eigentlich schon keine Lust mehr hatte, zu backen, bat ich sie ein letztes Mal darum. Sie machte dann auch animiert und unterstützt von meinem Opa welche und ich aß davon. Es waren nicht die selben gewesen. So wie sie nicht mehr diese energiegeladene Person war, die einst sogar kräftige Männer im Armdrücken abgezockt hatte. Sie hatte Schmerzen und keine Lust mehr. Auch nicht auf Armdrücken. Nur gestrickt hat sie nach wie vor. Ich weiß nicht, wie viele Sockenpaare sie in ihrem Leben gestrickt hat, aber, dass ich einige davon bekam. Und Schals und Pullis. Solange meine Füße noch wuchsen, mussten die immer anprobiert werden. Manchmal hier in ihrer Küche auf diesem grauen Boden oder auch bei uns zuhause. Ich musste mich setzten, dann zog sie diesen halben Socken, noch mit Nadelspiel versehen, über meinen Fuß und drückte und zog, beurteilte, nahm Augenmaß und dann strickte sie weiter. Natürlich erst, nachdem sie den Socken wieder abgezogen hatte, von meinem Fuß. Ich mochte diese Prozedur genau so sehr, wie ich diese Socken dann mochte. Ich freute mich über jedes Paar, dass durch ihre Hände gegangen war. Flink und ohne Fehlmaschen. Das Klimpern ihres Nadelspiels, gepaart mit dieser ewig gleichen Bewegung der Kopfhaut, zu der nur sie fähig war, begleitete jede dieser gleichmäßigen Maschen eines Sockens.
Wenn man in der Kirche auf der Empore saß, konnte man sie sehen, diese Bewegung. Mann musste nur von oben auf sie hinuntergucken. Sie saß immer am gleichen Platz. Und ihre Brillen rutschten offenbar immer etwas. Wo der normale Durchschnittsmensch die Brille mit der Spitze des Zeigefingers wieder etwas höher schieben würde, entwickelte sie eine Technik, für die es keinen extra Handgriff brauchte. Sie zog in einer ruckartigen Bewegung die Augenbrauen und die Stirne nach oben. Das ist an sich jetzt nichts ungewöhnliches, aber ihre Muskeln, die offenbar wegen dieses Ticks etwas ausgeprägter waren, vollführten diese Bewegung bis an den höchsten Punkt ihres Schädels. Ich bilde mir im nachhinein ein, sie muss die Brille quasi wieder hoch zur Nasenwurzel katapultiert haben.
In der Kirche. Beim Stricken. Beim Klöße rollen. Beim bestreichen ihrer Rotweinsterne.
Die Schüsseln.
Sie kamen also mit mir.
Sie standen mit all den anderen Dingen, die jetzt keiner mehr brauchte aufgebaut auf dem Wohnzimmertisch. Den hatte sie immer hochleiern müssen an Weihnachten, damit man an ihm essen konnte. Es hatte kein extra Esszimmer gegeben in ihrem kleinen Haus. Aber in der Küche einen Holzofen, den sie und mein Großvater immer anschürten, als ob sie den Höllenschlund alleine hätten anheizen müssen.
Es war warm in ihrem Haus.
Es war warm gewesen.
Immer.
Selbst wenn der Ofen aus war.
Solange sie in diesem Haus gewohnt hat war es warm.
Als sie hinausgetragen wurde, war es mit einem Male kalt geworden.
Opa fror dann wohl arg und so zog es auch ihn weiter.
Ich konnte nur noch diese Schüsseln nehmen.
Und die Erinnerungen.
 
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