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Die Kinder von Brühl 18/Teil 2/Essensmarken und Stoppelfelder/Episode 15/Johannes 3, Vers 16 und die seltsamen Ostereier

Romane/Serien · Erinnerungen
© rosmarin
Episode 15

Johannes 3, Vers 16 und die seltsamen Ostereier

„Mama! Mama!“ Karlchen stürmte in die Stube. „Mama, guck mal, was ich gefunden habe.“
Aufgeregt kramte Karlchen drei Eier aus seinen Hosentaschen. „Wo ist denn das vierte Ei?“, wunderte er sich. Er fasste wieder in seine Hosentasche. Erschrocken zog er seine Hand zurück. „Zerquetscht“, stellte er fest.
„Du machst aber auch nur Blödsinn“, tadelte Else, „los leck schon deine Finger ab Heinzi.“
Karlchen leckte genüsslich seine eiverschmierten Finger ab. „Bin gleich wieder da“, sagte er. „Vielleicht finde ich noch mehr Eier.“
Weg war er. Im Hof. Eier suchen.
Übermorgen war Ostern. Da mussten die Hühner noch fleißig Eier legen. „Ich wollt‘ ich wär‘ ein Huhn …“, hörte man Karlchens Stimme im ganzen Haus.

Jedes Jahr freuten sich die Kinder auf Ostern. Das war mal ein Fest, das ihnen gefiel. Übermütig liefen sie zum Alten Bach. Sie sprangen leichtfüßig hinüber zu den Wiesen und brachen die ersten Weidenkätzchenzweige von den verknöcherten Weiden ab. In Brühl 18 stellten sie sie dann in eine große Bodenvase im Flur.

„Rosi“, sagte jetzt Else zu Rosi, „lauf mal schnell zu Metzners und bitte um einige Eier. Unsere reichen auf keinen Fall.“
Das war wohl wahr. Wie jedes Jahr wollten sie ja alle während der Bibelstunde am Samstag die Eier bemalen. Um sie dann auf ihren Osterspaziergang am Ostersonntag mitzunehmen.
Wie der Wind flitzte Rosi in die Windhöfe zu Metzners.
Als Marie die Tür öffnete, hatte sie natürlich wieder ihre Lieblinge am Rockzipfel.
Luise, Amalia und Julia flatterten aufgeregt um sie herum. Es war wie immer. Hühner. Hühner. Überall Hühner. Und mittendrin Marie.
„Ich wollte mal fragen“, sagte Rosi zu Marie, „ob deine Hühner genug Eier gelegt haben. Und ob du uns welche abgeben kannst. Zum Bemalen“, fügte sie hinzu. „Weil doch gleich Ostern ist.“

*

„Das Ei gehört bei uns seit dem Mittelalter zu Ostern“, hatte Else gesagt. „Und vor Ostern gab es eine lange Fastenzeit. Und die musste unbedingt eingehalten werden. Zu Ostern war dann Schluss mit dem Fasten. In den Kirchen wurde dann das Essen gesegnet. Auch die Eier. Die besonders“, hatte sie verschmitzt gelacht. „Und in Ägypten
ist das Ei seit Menschengedenken ein Symbol für den Anfang“, hatte sie weiter erzählt. „Christus ist aus dem Grab auferstanden. Und das ist das Zeichen für einen Neubeginn. Das kleine Küken schlüpft aus dem Ei. Das ist auch ein Zeichen für einen Neubeginn. Denn jetzt beginnt das Leben für das Küken. Also ist das Ei ein Symbol. Und es bezieht sich auf verschiedene Bräuche zum Osterfest. Zum Beispiel auf die heidnischen und auf die christlichen. Das Bemalen und schmücken der Eier ist wohl eher ein heidnischer Brauch. Und geht wohl bis ins 12.Jahrhundert zurück.“


*

„Klar habe ich Eier“, sagte Marie. „Meine Süßen sind so fleißig. Sie haben den ganzen Winter ihre Eier abgelegt. Mindestens jeden zweiten Tag ein Ei“, sagte Marie stolz.
‚Als hätte sie selbst die Eier gelegt‘, kicherte Rosi in sich hinein. Zügelte sich aber sofort wieder. So böse durfte sie doch nicht sein. Es war doch Sünde, sich über andere lustig zu machen. Gott würde sie dafür bestrafen. Und sie nicht in den Himmel lassen. In sein Paradies.
„Komm doch rein“, forderte Marie Rosi auf.
„Ich warte lieber hier“, sagte Rosi. „Muss gleich wieder zurück.“
Marie verschwand im Haus und kam kurze Zeit später wieder zurück.
„Hier sind die Eier“, sagte sie. „Morgen zur Bibelstunde bringe ich noch mehr.“
Rosi nahm den Korb mit den Eiern und rannte in Brühl 18.

Der nächste Tag war ein Samstag. Und am Samstag war Bibelstunde. Die Bibelstunde der Siebentagesadventisten. (Anhang)

Else hatte schon alles vorbereitet für diesen ganz besonderen Tag. Der Tisch war festlich gedeckt. Mit dem alten Blümchenservice. Das war noch von den Urgroßeltern. Seit Richards vierzigstem Geburtstag hatte es Else nicht mehr aus dem Schrank geholt.
In der Mitte des Tisches, direkt unter der blauen Lampe mit den gelben Blumen, duftete ein wunderschöner, glänzender Osterzopf auf einem Kuchenteller. Genau unter dem Fliegenfänger. Mit den toten und noch zappelnden Fliegen. Und ausnahmsweise stand neben dem Osterzopf ein großer Krug mit Milch. Allerdings verdünnt mit Wasser.
„Berti und Gitti brauchen ja auch noch etwas richtige Milch“, hatte Else gesagt.
Gitti schlief friedlich in ihrem Stubenwagen. Auf den hatte ja vor langer Zeit Karl die schönen Schmetterlinge und Blumen gemalt.
„Ach ja“, seufzte Rosi, „wo mag der Kerl nur sein?“
„Sinniere nicht immer“, tadelte Else. „Beeil dich lieber. Hast du die Farben gefunden?“
„Hab ich“, sagte Rosi, „ich rühr sie gleich an.
„A, B, C, die Katze lief im Schnee“, sang Bertraud auf der Fensterbank in der Küche. „Und als sie wieder raus kam, hatt‘ sie weiße Stiefel an,
ojemine, ojemine, die Katze lief im Schnee.“
„Berti!“, rief Rosi, „lauf mal in den Hof. Jutti und Heinzi sollen reinkommen. Metzners kommen gleich. Und sag Richard auch Bescheid. Der ist bestimmt im Schuppen.“
Bertraud hüpfte aufgeregt in die Stube. „Der heißt Papi“, sagte sie, „und der kommt sowieso nicht. Merk dir das endlich.“
„Und du merk dir, was ich gesagt habe.“ Rosi gab Bertraud einen kleinen Klapps auf den Po. „Und nun ab mit dir. Du vorlautes Ding.“
„Selber vorlautes Ding.“
Schnell hüpfte Bertraud in den Hof.
Da klingelte es an der Tür.
„ Ach du liebe Zeit“, sagte Else, „ich bin doch noch gar nicht fertig. Pünktlich wie die Maurer.“
„Ich mach schon auf.“ Rosi eilte in den Flur. Vor der Tür standen Herr Metzner und Marie. „Pünktlich wie die Maurer“, lachte Rosi.
„Eher wie die Sattlermeister“, ging Herr Metzner auf Rosis scherzhaften Ton ein. „Seid gegrüßt.“
Metzners hatten sich zur Feier des Tages schick angezogen. Wie immer.
Herr Metzner steckte in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug. Dazu trug er eine graue Krawatte und graue Halbschuhe.
Marie hatte sich in ein langes, graues, mit rosa Blumen besticktes Kleid gehüllt. Darüber trug sie einen dunkelblauen Samtumhang. Der wurde mit einer großen rosa Schleife aus Seide zusammengehalten.
Auf Maries Kopf prangte eine Haube, die ihren schon leicht ergrauten Haarknoten versteckte. Die Haube war auch aus dunkelblauem Samt. Und die Halbschuhe aus blau gefärbtem Leder.
‚Wie aus einem Bilderbuch‘, amüsierte sich Rosi. ‚Das passt ja. Else würde sich nie so kleiden.‘
Else hatte ein einfach geschnittenes rotes Kleid an. Das stand ihr besonders gut. Zu den dunkeln, dicken Haaren, die wie ein Kranz um ihren Kopf lagen.
„Kommt nur herein“, rief Else aus der Stube. „Gitti ist aufgewacht. Ich muss sie aus dem Wagen nehmen.“
Else nahm Margitta aus dem Stubenwagen. Dann setzte sie sich auf den roten Samthocker vor das Harmonium. Mit der kleinen Margitta auf dem Schoß. Das Kunststück, so zu spielen, hatte sie schon öfter vollbracht.
‚Das kann bestimmt nur Else‘, dachte Rosi.
Jutta, Karlchen und Bertraud kamen angerannt. Sie begrüßten Metzners und setzten sich dann auf ihren Platz.
„Papi will nicht kommen“, sagte Bertraud. „Er hat zu tun.“
„Wer nicht will, der hat“, sagte Else ungerührt.
So setzte sich Herr Metzner auf Richards Stuhl.
Marie packte ihre Geschenke aus. Frische Eier. Ein Päckchen Kakao. Ein Päckchen Bohnenkaffee. „Vom Schwarzmarkt“, lachte sie. „Und hier ist noch ein schöner Marmorkuchen.“ Marie nahm den schönen Marmorkuchen aus ihrem Korb. Vorsichtig befreite sie ihn von dem Geschirrtuch, in das sie ihn eingewickelt hatte. „Selbst gebacken“, sagte sie, „nicht vom Schwarzmarkt.“
Rosi holte den Stuhl aus der Küche. „Du kannst meinen Stuhl haben“, sagte sie zu Marie. „Der ist bequemer.“
Naja, Holzstuhl war Holzstuhl. Aber der aus der Küche war doch schon etwas wackeliger.
„So“, sagte Else, bevor wir mit dem Essen und Trinken und dem Eier bemalen beginnen, singen wir die ersten drei Strophen und die letzte von Großer Gott, wir loben dich.“

Else spielte die ersten Akkorde auf dem Harmonium. Dann stimmte sie an. Die anderen fielen ein. Alle sangen inbrünstig:

Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke …

Nachdem alle die ersten drei Strophen gesungen hatte, sagte Else:
„Und nun noch den Schluss.“

Herr, erbarm, erbarme dich.
Lass uns deine Güte schauen;
Deine Treue zeige sich,
wie wir fest auf dich vertrauen.
Auf dich hoffen wir allein;
lass uns nicht verloren sein.

Zufrieden legte Else den samtenen Schutz wieder über die Tasten. Dann klappte sie den Deckel des Harmoniums wieder zu. Sie rückte die kleine Margitta, die immer wieder ihre Händchen nach dem Deckel ausstreckte, auf ihrem Schoß zurecht und sagte: „Amen.“ Dann schlug sie die Bibel, die auf dem Harmonium lag auf.
„Johannes 3, Vers 16“, sagte sie zu Marie und Herrn Metzner. „Emil“, wandte sie sich an Herrn Metzner, „lies du bitte diesen Bibeltext.“
Willig suchten Metzners die besagte Bibelstelle in ihren Bibeln.
„Denn also hat Gott die Welt geliebt“, las Herr Metzner, „dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“
„Ewiges Leben. Ewiges Leben“, plapperte Bertraud.
„Ich will kein ewiges Leben“, murrte Karlchen. „Mir knurrt der Magen. Ich habe Hunger.“
„Und mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen“, sagte Jutta, „Mama dürfen wir endlich essen?“
„Na gut“, lenkte Else ein, „aber erst beten.“ Else sah Rosi streng an. „Sprich du das Tischgebet“, sagte sie.
„Na gut“, gehorchte Rosi widerwillig. Immer sollte sie beten. „Lieber Gott, wir danken dir für Speise und Trank. Und für die schönen Geschenke. Lieber Gott, bitte lass uns in dein Paradies. Wenn du schon deinen eingeborenen Sohn für uns geopfert hast. Aber zum Glück ist er ja auferstanden. Auch wenn er schon tot war.“ Stolz sah Rosi Else an. Als diese keine Notiz von ihr nahm, sagte sie nachdrücklich: „Und nun nimmt er unsere Sünden mit. Der Jesus. Der von den Toten auferstandene.“
Das hatte gesessen.
„Das sieht dir ähnlich“, sagte Else ärgerlich. „Du glaubst wohl, weil Jesus unsere Sünden vergeben hat, kannst du wieder vorlaut und ungehorsam sein? Und alles in Frage stellen?“
„Nein, nein“, stotterte Rosi, „ich wollte doch nur … .“
„Ich weiß schon, was du wolltest“, unterbrach Else Rosi, „aber wir lassen uns den schönen Tag nicht von deinem dummen Gerede verderben. Ihr könnte essen Kinder“, beendete sie das unangenehme Gespräch.
Rosi verschränkte, wie immer, wenn sie sich missverstanden fühlte, ihre Arme bockig über der Brust. Sie würde jetzt eine Weile gar nichts mehr sagen. Aber, wie sie Else kannte, würde sie ihr Schweigen sowieso ignorieren. Und so war es dann auch. Als wäre nichts geschehen, wiederholte Else: „Ihr könnt essen Kinder.“

Sofort stürzten sich alle hungrig auf die Köstlichkeiten.
Nachdem der erste Hunger gestillt war, nahm Else den Topf mit den gekochten Eiern vom Ofen. Vorsichtig schreckte sie sie mit kaltem Wasser ab. Dann stellte den Topf auf den Tisch.
„So, jetzt könnt ihr euch austoben nach Herzenslust“, sagte sie. „Lasst eurer Fantasie freien Lauf.“
Das ließen sich die Kinder nicht zweimal sagen. In verschiedenen Schüsseln hatte Rosi schon alles vorbereitet. Sie hatte die Farben angerührt. Und sogar Zwiebelschalen gekocht. Damit die Eier eine schöne gelbe oder braune Farbe bekommen sollten.
Rosi, Jutta, Bertraud und Karlchen tauchten die Eier in die Farbschüsseln. Mit einem Löffel nahmen sie sie dann heraus und legten sie auf Richards Zeitung zum Trocknen. Danach wollten sie sie mit ihren Fingernägeln verzieren.
„Guckt mal, guckt mal, wie mein Ei aussieht!“, schrie Karlchen plötzlich los. „Das sind ja seltsame Ostereier.“
Überrascht hielt Karlchen sein Ei in die Höhe. Auf der Seite, auf der das Ei auf der Zeitung gelegen hatte, war ein schönes schwarzes Buchstabenmuster entstanden.
Das war eine Freude. Jetzt legten die Kinder alle Eier auf die Zeitung. Bis von der Zeitung nur noch feuchte Fetzen übrig waren.
„Wenn das der Papi sieht“, sagte Else.

***

Fortsetzung folgt
 
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