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Bald

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© schwaen
Das Rasseln des Weckers riß ihn unsanft aus dem Schlaf.
Seine Hand tastete über die andere Betthälfte, aber er fand nicht, was er suchte.
"Anne, bist Du schon auf?"
Mühsam wälzte er sich aus dem Bett, kratzte sich gedankenverloren an seinem Hautausschlag auf den Armen und sah aus dem Fenster.
Gelbe dichte Staubschwaden wehten über die Müllberge, die sich vor jedem Haus auf dem Bürgersteig türmten. Nur schwerlich bahnten sich die ersten Sonnenstrahlen des Tages einen Weg durch das Dämmerlicht. Menschen mit Schutzanzügen und Gasmasken verließen durch Schleusen ihre Wohnungen und stemmten sich gebeugt gegen den Wind.
Mieses Wetter heute.
In der Küche fand er seine Frau.
"Morgen, Schatz." - Küßchen.
"Was sagt der Sender?"
"Ich hab' ihn noch nicht angemacht, bin auch gerade erst auf. Die Kinder schlafen noch. Ich bringe sie nachher zur Schule."
"Ist Wasser da?"
"Nur zum Waschen. Der pH-Anzeiger zeigt einen zu geringen Wert zum trinken an."
Er unterdrückte einen Fluch. Wieder keinen Kaffee.
Beide gingen in die Wohnstube, sie schaltete den Sender ein.

"....Berichten der Umweltschutzkommission geht es der Nordsee so gut wie schon lange nicht mehr. Die Schwermetallbelastung ist im letzten Jahr um 7,2 % zurückgegangen. Wissenschaftler der Universität Kiel wollen es demnächst wagen, wieder Fische in die Nordsee auszusetzen. Die zuständige Landesregierung plant sogar, bestimmte Küstenabschnitte von Unrat zu räumen und wieder als Urlaubsgebiet freizugeben."

Fische in der Nordsee, dachte er. Eine tolle Sache.

"Die seit Jahren geforderte europaweite Absenkung der Emissionsgrenzwerte der fünf wichtigsten Luftschadstoffe wird weiter auf sich warten lassen. Ein Vertreter der Industrie betonte, daß die dafür anfallenden Kosten nur mit Hilfe von Personalabbau auszugleichen wäre."

Das Wetter. Wann kommt das Wetter und die Stromansage? Ich muß gleich los.

"Der deutsche Schauspieler Walter Durre ist gestern im hohen Alter von 49 Jahren an einer Rußstauballergie gestorben."

Sie zog die Augenbrauen hoch.
"Schade, ich hab' ihn immer gerne gesehen."
"Schscht", machte er.

"Das Wetter in Europa heute, 6 Uhr morgens. England, Frankreich, Spantugal heiter, um 46°C. Weiter östlich wärmer und wolkenlos, bis zu 52°C. Skandinavien wolkig, nur 41°C.
Die Wettervorhersage für Deutschland:
Im Westen und Norden im Schnitt 47°C und sehr wolkig, Lichtindex 3. Abends Niederschlag, ca. pH 4,5. Im Süden ganztägiger Niederschlag bei 43°C, Lichtindex 2,5, Niederschläge bei etwa pH 4.
Mit Orkanböen um 140 km/h muß im ganzen Land gerechnet werden.
Der örtliche Luftschadstoffindex für heute:
- Staubbelastung: gelb
- Organische Schadstoffe: orange
- Chlorwasserstoffe: grün
- Schwefeloxide: gelb
- Stickoxide: orange
- Kohlenmonoxid: hellrot
Das Tragen der Gasmasken wird von 9 bis 17 Uhr, örtlich bis 21 Uhr empfohlen.
Schutzanzüge sollten ganztägig angelegt werden, da die Ozonschicht heute nur einen Wert von 23% erreichen wird.
Der Stromhinweis:
lokal wird etwa zwischen 11 und 12 Uhr dreißig Strom vorhanden sein."

"Gut", sagte sie. "Ich werde dann die Sauerstoffanlage und die Wasseraufbereitung anwerfen."
"Tu das, Schatz. Und hol' mir bitte meinen Ersatz-Schutzanzug vom Umweltamt ab."
"Klar, mach ich. Alles Gute, Liebling."

In der alltäglichen Prozedur quälte er sich in seinen Schutzanzug, setzte die Gasmaske auf und verließ das Haus durch die Luftschleuse.
Auf der schleichenden Fahrt zur Arbeit, im allmorgendlichen PKW-Gedränge, vorbei an pflanzenlosen Asphaltplätzen und hochgereckten Betonburgen, dachte er an ein Treffen, daß er im Laufe des Vormittags in seiner Eigenschaft als Stadtratsvorsitzender zu bestreiten hatte.
Diese elenden Umweltschützer. Was wollten die überhaupt? Es ist doch alles in Ordnung.
Ein Blick aus dem Autofenster in den staubverschleierten Himmel überzeugt ihn davon, daß es trotzdem ein schöner Tag werden würde.




 
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Kommentare  

eine traurige zukunftsvision... wenn auch vllt ein bisschen übertrieben in den temperaturen, aber man kann ja nie wissen;)
bei diesem "Diese elenden Umweltschützer" musste ich endgültig grinsen.. es passt so perfekt! ist früher schon öfter vorgekommen, dass ich gehänselt wurde, weil wir unser joghurt selbst machen... oooh^^
gut beschrieben und 5p!
lg darkangel


darkangel (01.07.2007)

das spricht mir aus dem herzen.
die menschen werden all das erst glauben, wenn es tatsächlich eintrifft, und selbst dann halten sie es noch für ok...
ich glaub aber normal warmes wetter von 47 °C in skandinavien ist trotz rasender erwärmung und allem möglichem doch unwahrscheinlich :p

aber auf jeden fall 5 punkte.


Lorenz M. (01.09.2005)

Super geschrieben. Grosses Kompliment. Auch der Schluss ist sehr intelligent gemacht. Alles ganz normal.

volle punktzahl
gruss pascal


Pascal Gut (23.05.2004)

Stimme Susan zu (auch wenn ich mir nicht ganz sicher bin, was eine Praemisse ist). Man kann sich anscheinend an alles gewoehnen. Und ich seh noch mehr in deinen Saetzen
"Diese elenden Umweltschützer. Was wollten die überhaupt? Es ist doch alles in Ordnung."
Das gibt einem das Gefuehl vom heute. Wer sagt denn, dass wir uns erst noch an die Umweltzerstoerung und die Unannehmlichkeiten gewoehnen muessen? Es ist doch schon lange so. Wer im Sommer bei 35 Grad im Schatten durch Berlin, Koeln oder, in meinem Fall, Genf laeuft, ist selber schuld. Man kann ja aufs Land ausweichen...
Und morgen ziehen wir eben einen Schutzanzug an...
Super Einfall, Erstklassig verwirklicht.


Regina Besting (21.04.2004)

Klasse! Und die Länge stimmt genau! Ich finde die Prämisse, dass sich die Menschen an die Umweltzerstörung völlig gewöhnen werden, genial!

Susan (14.02.2004)

Genial gemacht und sehr wirklichkeitsnahe. Wer weiß, wie weit wir noch davon entfernt sind? Vielleicht nur noch einige Jahre!

Stefan Steinmetz (23.01.2002)

Genial. Einfach genial. Das ist genau die Art von Geschichten, die in Science-Fiction-Anthologien stehen müssen. Schön schwermütig, bedrückend und klar geschrieben. Sowas mag ich.

bignose (10.07.2001)

Ein ziemlich schrecklichers Zukunftsazenario... aber gut beschrieben

Lea (24.06.2001)

Die Ausführung gefällt mir. Du hast eine klare Sprache ohne Fettrinden.
Aber sie täuscht nicht über die klischeehafte Darstellungen eines halbausgegorenen Gedankens hinweg.
Leider hebst du den Zeigefinger nach wenigen Sätzen und senkst ihn bis zum Schluss nicht.


Sven Benson (22.05.2001)

Ein durchaus glaubwürdig dargestelltes Schreckensszenario, auf das wir uns "freuen" können, wenn wir so weitermachen, wie wir machen. Traurig, aber wahr. Wir sind daran mitschuld.

Marco Frohberger (23.03.2001)

Bequemere Welt???

ich stell es mir mies vor jeden Morgen Schutzanzüge anzuziehen und nur selten das zu trinken was ich wirklich will


Blood (19.03.2001)

Es möchte nun einmal niemand den ersten Schritt zurück machen. Zurück in eine unbequemere Welt. - Falls unsere Vorstellung vom "Leben" soetwas überhaupt zuläßt.

b.heinrichs (09.03.2001)

wie wahr, kersti....

sammy (04.03.2001)

schöne neue welt

kersti (09.02.2001)

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