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5 Seiten

Hausintern

Schauriges · Kurzgeschichten
Er aktivierte durch einen kurzen Druck auf seinen linken Handrücken seinen Security-chip, Entreé- check, „Guten Abend Herr Möhlich“ leierte die männliche Computerstimme, dann war er im Foyer. Müde war er. Kein Wunder. Weil sein Leben ausserhalb seiner Arbeit nicht viel zu bieten hatte fiel es ihm leicht, täglich 2 bis 3 Überstunden zu machen. Sein Chef war dankbar. Und ein Arschloch. Er liess ihn spüren was er von Untergebenen hielt, die sich in ihre Arbeit knieen, und mehr machten als er selber. „Ich werde Sie beim Vorstand lobend erwähnen“, sagte er einmal zu ihm, „denn wer kriecht, kann nicht stolpern!“. Und er hatte sich, ganz er selber, auch noch dafür bedankt. Immerhin hatte er Arbeit. Und konnte sich dieses schicke Appartement in diesem absolut sicheren High-tech- Hochhaus leisten. Das war schon eine Menge wert, mitten im unsicheren Berlin des Jahres 2056.

Das Foyer war fussballfeldgross und menschenleer. Grauer Marmor, Sitzgruppen aus Leder, oppulente Pflanzenkübel, kleinere Geschäfte, die natürlich nachts um 02:16 Uhr stockdunkel waren. Er kam zu den Aufzügen. Sein Appartement lag im 86. Stock, die Lifte 31 - 40, die er benutzen durfte, lagen linkerhand. Er stellte sich vor den Aufzug Numero 31, wartete. „Leider haben die Aufzüge 31 bis 40 zur Zeit eine Fehlfunktion, die Wartungsroboter sind schon aktiviert“, sagte die Computerstimme nach wenigen Augenblicken. Es brauchte eine Weile, bis die Worte in sein Hirn sickerten. „Dann weise mir doch andere Lifte zu ...“, entgegnete er. „Dies ist aus Sicherheitsgründen nicht gestattet. Bitte benutzen Sie die Nottreppen“. Dieses Haus hatte Treppen? Davon hatte er noch nie gehört. „Wo sind denn diese bescheuerten Treppen?“, fragte er lauter, als er wollte. Sein dünnes Stimmchen verlor sich fast in den dunklen Himmeln des Foyers. „Hinter den Liftbereichen!“ war die prompte, gestelzt freundliche Antwort. Auch das noch. Treppen. 86. Stock. Er war ja jetzt schon wie erschlagen. Schleppend machte er sich auf den Weg, durchquerte die Liftschächte. Es waren insgesamt 6 riesige runde Säulen, mit je 10 Aufzügen. Schliesslich wohnten auf 120 Stockwerken verteilt mehr als 6000 Leute in diesem Haus; die mussten bewegt werden. Das Foyer verengte sich zu den Liftbereichen hin, die Liftsäulen 5 und 6 standen in der vermeintlichen Spitze direkt nebeneinander. Und da war eigentlich Ende, hatte er immer gedacht. Er ging um die Säulen herum. Tatsächlich, hier, am Ende des Foyers, einem Punkt, an dem er sich, obwohl er hier schon mehr als 6 Jahre wohnte, noch nie aufgehalten hatte, waren insgesamt 4 Türen, je 2 direkt hinter den Säulen versteckt. Er räusperte sich. „Welche Tür ist es?“, fragte er die Stimme. Und statt einer Antwort öffnete sich die zweite Tür auf der linken Seite. Er stellte sich in den Rahmen, schaute hinein. Ein kahles, enges Betontreppenhaus, ein rostiges Metallgeländer, eine uralte Neonröhre: schmuckloser Gegensatz zum üppigen Foyer.
Er zögerte, da kam ihm eine Idee. „Wie lange brauchen denn die Reparaturroboter noch?“ „Das kann ich leider zur Zeit nicht berechnen“, sagte die Stimme. Er seufzte. Nun denn, was blieb ihm übrig? Er musste auf jeden Fall bald ins Bett. Nacheinander blickte er auf die 3 angebrachten Hinweisschilder: -Sie befinden sich auf der Ebene 0. Zugang zum Foyer. -, links von ihm; - Zugang zu den Subebenen 0 bis 020 und den Notausgängen auf den Subebenen 019 und 020 - , direkt vor ihm; - Aufgang zu den Ebenen 1 bis 120 -, rechts, über seiner Schulter. Ihm wurde jetzt schon ganz schlecht bei dem Gedanken, sich bis in den 86. Stock wuchten zu müssen. Kaum hatte er den Fuss auf die erste Stufe gesetzt, knallte die Tür zum Foyer überlaut zu. Das Geräusch wurde durch das Treppenhaus von Etage zu Etage langsam leiser werdend als Echo weitergetragen, und als er im ersten Stock ankam meinte er, das Geräusch immernoch, weit über ihm, hören zu können.

Ab dem 11. Stock ging ihm das erste Mal die Puste aus, er machte eine Pause. Fett war er geworden, hatte bestimmt 6 Kilo allein in den letzten 3 Monaten zugenommen. Kein Wunder. Er hatte mal eine grosse Liebe, das war schon ewig her. Sie hatte ihn betrogen, und er hatte sich nie wieder getraut, sich jemanden zu öffnen. Er wusste, auch für ihn galt der Spruch, dass Essen der Sex des Alters war. Er schnaufte, spürte das Blut klopfend pulsieren, beruhigte sich nur langsam. Er blickte auf die Uhr. Jetzt war es schon 02:34 Uhr. Über ihm gab plötzlich mit einem Clongclong die Neonröhre ihr letztes
Lebenszeichen von sich. Schwacher Lichtschein von der Etage unter ihm, über ihm absolute Dunkelheit. Seine schlechte Laune und sein abgekämpftes Unwohlfühlen verwandelten sich lichtschnell in die lange nicht gefühlte Urangst vor Dunkelheit. „Computer?“, fragte er halblaut, dann nocheinmal kräftiger. Er lauschte. Nichts. An jedem Zugang zu den Etagen waren kleine Terminals angebracht. Vorsichtshalber stieg er eine Etage hinab, ins Licht, schaute sich den Kasten an der Tür zur 10. Etage genau an. Da, ein Hinweis: „Unser intelligentes Haus- Mensch- Interface steht in den Nottreppen aus Sicherheitsgründen leider nicht zur Verfügung. Bitte benutzen Sie ihr Info- Pad über die Anschlüsse der Ebenen- Zugangs- Terminals.“ Mürrisch kramte er sein Pad aus seiner schwarzen Net- Tasche, stöpselte es in die Anschlussbuchse. Dann gab er ein: - Sitze im Nottreppenhaus 2. Kein Licht -. Das Display leuchtete auf, eine schriftliche Antwort erschien: - Sie haben keine Zugangsberechtigung zur Ebene 10. Bitte benutzen Sie die für Sie freigegebenen Zugangs-Terminals auf den Ebenen 81 bis 90. Danke -. Er war kurz vorm Platzen. Das würde ein Nachspiel haben. Durch den wutbedingten Adrenalinschub fühlte er sich nun auch mutig genug, sich seinen Weg durch die Dunkelheit zu bahnen.

Es war nicht ausschliesslich dunkel. Dann und wann gab es tatsächlich noch eine schwach flackernde Röhre, kleine Gewitterinseln. Ab der 19. Ebene bekam er Seitenstiche, ab der 35. Herzstiche. Er keuchte. Sein Kopf war hochrot. Schliesslich musste er alle 3 Etagen mindestens ein, zwei Minuten verschnaufen. Ab der 50. Ebene war es anscheinend ganz vorbei mit Licht. Das letzte Flackern lag wenigstens 11 Stockwerke zurück. Auf der 59. musste er sich hinsetzen. Er zog sein Jacket aus, knüllte es in seine Tasche, lehnte sich gegen die kühle Betonwand. Jetzt was trinken. Jetzt was essen. Oder duschen. Oder nur endlich ankommen und schlafen können. Oder wenigstens Licht. Er war am Ende. Sein Arzt hatte zwar gesagt, dass er keine Probleme mit dem Herzen befürchten müsse, aber da er sich nicht ausreichend bewege und schlecht ernähre, könne er für nichts garantieren. Und jetzt hatte er eindeutig Herzschmerzen. „ Morgen fang ich mit Sport an!“, schwor er sich mehr als einmal. Er lauschte seinem Atem, der sich nur langsam beruhigte. Diese Dunkelheit schaffte ihn auch. Sein Geist war wie paranoid, ständig in Alarmbereitschaft. Da! Ein Geräusch. Von oben. Oder? Trotz Atemnot zwang er sich zum Luftanhalten, lauschte angestrengt ins Düsterne. Sein Herz klopfte überlaut. Nein, doch nichts. Er gönnte sich weitere 5 Minuten, dann raffte er sich auf.

65. Ebene. Langsam bekam er seinen Rhythmus. Am Geländer mit hochziehen, auf jeder Etage kurze Pause, Schweiss abwischen, weiter. Er hatte zwar immernoch leichte Herzbeschwerden und bekam schlecht Luft, aber er kam zügig weiter. Zwischendurch versuchte er noch einmal, Zugang zu einer anderen Ebene zu bekommen, bekam aber wieder die gleiche Antwort. Noch 23 Etagen. Es war jetzt 03:51. Er schwor sich, morgen das erste Mal in seiner Berufslaufbahn einfach einen Tag frei zu nehmen. Steigen, ziehen, schwitzen, Pause. Hatte er sich jetzt verzählt? Er ertastete das Terminal, stöpselte sich ein. Ja, noch 19 Ebenen bis zu seinem Appartment, zeigte ihm das Display mit gewohnter Abfuhr. Er verstaute gerade das Pad in seiner Tasche, als er ein Geräusch hörte. Oder war es wiederum Einbildung? Er hielt den Atem an. Und erschrak. Tatsächlich, weit über ihm. Ein schlurfendes, schleifendes Geräusch. Wer konnte das sein? „Hallo?“, rief er. Seine Stimme wurde fahl von den Betonwänden zurückgeworfen. Keine Antwort. Und dann Stille. Er beschloss weiterzugehen. Noch 16 Etagen. Noch 14. Das Geräusch setzte wieder ein. Panik kroch in ihm hoch. „Wer ist denn da?“, seine Stimme kippte angstbedingt ins Schrille. Keine Antwort. Plötzlich wieder Stille. Noch 13. 12. 11. Vorsichtig lauschend versuchte er, sich so leise wie möglich zu bewegen. Das Geräusch setzte wieder ein. Er blieb stehen. Die Panik brach durch! Das Geräusch kam eindeutig näher! Und in das fleischige Schleifen und Patschen, das klang, als würde sich etwas Grosses durch das enge Treppenhaus zwängen, mischte sich ein schlürfender, sabbernder Laut. Er wartete, seine Herzbeschwerden steigerten sich zu einem schmerzhaften Ziehen. Es war vielleicht noch 10, 15 Ebenen entfernt. Ob er es bis zu seiner Etage noch schaffte? Er lauschte abermals. Es kam näher! Es, es ... schnüffelte! Die Panik überflutete ihn, löste Fluchtverhalten aus, er rannte einfach los, nach unten, schnell weg von diesem furchteinflössenden Etwas.

Auf der 58. Ebene stolperte, fiel. Er blieb liegen, erbrach sein Abendessen, Sushi, Rotz lief ihm aus der Nase. Er heulte, war völlig überfordert, wie sein wummerndes Herz. Angestrengt lauschte er. Das Geräusch war immernoch zu hören. Und es klang, als wenn es schneller geworden war! Ja, es konnte nur noch 8 Etagen über ihm sein! „Was willst du von mir?!“, schrie er verzweifelt. Da passierte etwas, mit dem er absolut nicht gerechnet hatte. Eine tiefe, bronzene, nur entfernt menschlich klingende Stimme knurrte von oben herab „ich .... hunger!“. Das war zuviel. Er riss sich hoch, schmiss seinen fetten Körper so schnell es ging die Stufen hinab. „Ins Foyer, ich muss zurück ins Foyer, da krieg ich Hilfe!“ war der Gedanke, der ihn auf den Beinen hielt. Ebene 50. 40. 30. 20. Pause. Das Ding über ihm knurrte kehlig. Und es war schneller als er! Noch höchstens 5 oder 6 Etagen entfernt! Weiter. Ebene 10. 9. 8. 7. 6. 5. 4. Ihm fiel nur unbewusst auf, dass hier zumindest wieder Licht war. Ebene 3. 2. 1. 0. Es knurrte wieder, gefährlich nahe! Er nestelte nach seinem Pad, stöpselte es zitternd in 3 Anläufen ein. – Sie haben keine Zugangsberechtigung von den Nottrepen zum Foyer. Bitte benutzen Sie die Notausgänge auf den Subebenen 019 und 020. Danke. - , flimmerte es über das Display. Ungläubig starrte er sein Pad an. Das Schleifen war höchstens noch 3 oder 4 Etagen entfernt. Er riss das Pad heraus, setzte zum Endspurt an. Die Herzschmerzen wurden stärker, sein linker Arm war taub. „ ich ... hunger“, knurrte es wieder, höchstens noch 2 Etagen über ihm, als er auf der Subebene 015 ankam. Nur nicht umsehen! 016. 017. „ich .... auch hunger“. Und unter ihm, höchstens 2 Etagen entfernt, zwängte sich schnell etwas schlürfend die Treppen hoch!
 
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Kommentare  

hihi...
ooh der letzte kommentar liegt ja eine weile zurück...
ich find die story echt witzig;) runter gehts plötzlich ganz schön schnell und dann auf den letzten meterchen so was:)

lg darkangel


darkangel (11.08.2007)

Wer frißt jetzt wen????
Also: auch im Berlin des Jahres 2056 dürften die Sicherheitsbestimmungen und der TÜV davor sein, dass die Bewohner eines Hochhauses entweder in den xxx-ten Stock klettern oder ausgesperrt bleiben müssen. Schon allein zur Evakuierung Verletzter ist ein Notfallan- und Abtransportsystem Vorgabe bei Gebäudeabnahme. Also etwas unglaubwürdig. Auch wird nicht näher darauf eingegangen, weshalb unser Protagonist die Aufzüge 1 bis 30 nicht benutzen kann, nicht einmal im Notfall. Und wer ist das Monster im Treppenhaus? Da es der menschlichen Sprache mächtig ist, spekuliere ich mal: Vermutlich einer der Bewohner, der vor Jahren mal in eine ähnliche Situation wie unser Protagonist geraten und im Treppenhaus elendiglich gestorben ist. Und so sucht er nun als Geist noch verzweifelt nach seinem Appartment und verspeist mangels anderer Ernährung seine Leidensgenossen...Als Karikatur unserer technikgläubigen Gesellschaft nicht übel!
5 Punkte


Heike Sanda (20.06.2002)

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