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Das schöne Mädchen

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
© Nemo
Es ist Samstag Nacht und der Baß von Eddie Vedders Gitarrenakkorden durchfährt meinen Körper. Während ich geistig den Text mitsinge, vergesse ich die Umwelt; die volle Tanzfläche, die Haare die mir im Gesicht kleben und die Hiebe der Ellbogen in meinen Rippen.
Eddie beruhigt sich ein wenig und murmelt ins Mikrofon:

"Is something wrong?" She said. Of course there is.
"You're still alive." She said. Oh, and do I deserve to be?
Is that the question? And if so, if so, who answers? Who answers!

Ich bewege mich langsamer, immer dem Rhythmus des Schlagzeugs folgend.
Mit geschlossenen Augen hebe ich den Kopf und, diesmal laut mitsingend, warte ich auf
den Höhepunkt des Liedes.

I... Oh, I'm still alive.
Hey I... Oh, I'm still alive.
Hey I... But, I'm still alive.
Yeah I... Ooh, I'm still alive.

Ich tanze mich in einen Rausch. Hypnotisiert folge ich den Pfaden des Gitarrensolos.
Wie bei einem Geysir strömt der Schweiß aus meinen Poren.
Als die letzten Töne des Liedes sich verflüchtigen, bleibe ich erschöpft, aber glücklich, stehen. Ich hole kurz Luft und warte auf die ersten Takte des nächsten Liedes.
Als ich Melissa Etheridges "Like the way I do" erkenne, dränge ich mich durch die weibliche Menge, die auf die Tanzfläche stürmt. Ich gehe zu meinem angestammtem Platz an der Theke, und bestelle mir ein Flens. Ich lasse den Verschluß plöppen, und setze an. Aus dem Augenwinkel registriert mein angeschlagener Sehnerv ein Lächeln. Ich verschlucke mich, und das Bier läuft entlang meines Kinnbartes, runter auf mein T-Shirt. Ich wische verzweifelt mit dem Handrücken über den feuchten Fleck, was allerdings nicht wirklich viel bringt.
Ich schaue mich um auf der Suche nach dem Lächeln. Und dort sehe ich es, besser gesagt, sie. In einem Top, mit dem vielversprechenden Aufdruck "Schlampe", und einer siebziger-Jahre-Schlaghose. Sie hat langes, braunes, lockiges Haar und ein Gesicht, so süß wie Türkischer Honig. Sie trägt keinen BH und ich kann die Form ihrer Brüste erkennen. Ich trinke hektisch noch einen Schluck Bier, um die aufkommenden Gefühle zu betäuben.
Sie unterhält sich mit ihren Freundinnen und ich kann nicht anders, als sie anzustarren.
Sie schaut in meine Richtung und ich tu so, als würde ich das Geschehen auf der Tanzfläche
verfolgen. Ich lächele zaghaft, wohl wissend, daß ich wahrscheinlich nicht sehr attraktiv wirke, mit meinen langen verschwitzten Haaren und dem Bierfleck auf der Brust.
Ich könnte einfach zu ihr gehen und sie fragen ob sie was trinken möchte.
Unsere Blicke treffen sich. Ich schmelze dahin, schaue aber schüchtern nach unten.
Ich lese zum tausendsten Mal das Etikett meiner Pils Flasche.
Als ich wieder hoch schaue, sehe ich sie lachen. Hoffentlich nicht über mich.
Als ich mir gerade ein neues Bier bestellen möchte, spielt der DJ "Mr. Jones" von den Counting Crowes. Ich entscheide mich dafür, nichts zu trinken und lieber tanzen zu gehen. Als ich einen verstohlenen Blick in Richtung des schönen Mädchens werfe, sehe ich, daß sie schon auf der Tanzfläche steht.
Ich platziere mich strategisch geschickt in ihrer Nähe und behalte sie im Auge.
Sie hat ein gutes Rhythmus-Gefühl und ihre Bewegungen steigern mein Verlangen danach, sie mit nach Hause zu nehmen. Ich sehe, wie ihre Brustwarzen gegen den Stoff ihres Tops gedrückt werden, als wollten sie aus der Gefangenschaft entfliehen und die Bekanntschaft meiner Zunge machen. Während ich tanze, mache ich mir Gedanken, wie ich sie ansprechen könnte. Ich konnte noch nie gut auf Menschen zugehen, besonders nicht wenn sie weiblich sind. Noch erschwerend dazu kommt, daß ihre Freundinnen bei ihr stehen.
Was ist, wenn ich mich getäuscht habe und ihr noch nicht mal aufgefallen bin?
Die Weiber würden dann kichernd mit dem Finger auf mich zeigen und ich würde mir so richtig scheiße vorkommen. Ich entscheide mich dazu, sie noch etwas zu beobachten. Ich könnte mich woanders hinstellen, um zu sehen, ob sie nach mir sucht. Ich warte bis zum Ende des Liedes, besorge mir noch ein Bier und stelle mich in die Nähe des Zigaretten-Automaten. Ich sehe sie einen suchenden Blick durch die Räumlichkeit werfen. Ich würde sie so gerne ansprechen, aber ich traue mich nicht. Ich bestelle mir noch ein Bier und werde, langsam aber sicher, ziemlich breit. Von Mut antrinken kann nicht die Rede sein, weil ich mit jedem Schluck noch unsicherer werde. Ich verfluche meine Feigheit und wechsle von Bier zu Vodka-Lemon. Ich halte mich an meinem Glas fest und plötzlich verliere ich sie aus den Augen. Ich durchsuche hektisch den Raum und sehe nur noch wie sie, die Jacke anziehend, durch den Eingang verschwindet. Ich stelle mein leeres Glas auf die Theke und fluche. Der Typ neben mir schaut mich mit glasigen Augen an. Ich lasse mich auf einen der Barhocker fallen. Na ja, der nächste Samstag kommt bestimmt.
 
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Kommentare  

Och.... wie schade! Ich hätts ihm so gegönnt... Klasse Situationsbeschreibung, sehr lebendige Personen und erfrischende Metaphorik. Ich war mit auf der Tanzfläche (auch wenn ich nicht so sehr auf Rock stehe, aber nach ein paar Bier geht das auch.. *grins) und hab die beiden beobachtet und eigentlich nur drauf gewartet, daß er sie endlich anspricht. Naja, muß ich halt bis zum nächsten Samstag warten!

Trainspotterin (25.04.2003)

verdammt.. wer kennt das nicht.. :)
die geschichte gefällt mir.. hat irgenwas endgültiges.. ;)


ringo (17.02.2002)

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