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4 Seiten

Tier

Schauriges · Kurzgeschichten
© Herr T.
Das kann einfach nicht wahr sein, dachte ich, und griff nochmals zu dem Brief. Ich war verschlafen, ich hatte mir noch nichtmal einen Kaffee gekocht, weil ich ausnahmsweise mal vor dem Kaffekochen nach der Post geguckt hatte, weil ich ausnahmsweise als erstes nicht in die Küche, sondern zum Klo hin war, und das liegt nunmal näher zur Eingangstür als die Küche. Spare weite Wege, schau einfach mal gleich nach der Post. Irgendwas liegt da immer, ist oft belanglos, meistens ärgerlich – aber immer spannend. Alle Jubeljahre ist ja was Schönes dabei, irgenwann wird bestimmt mal dieser Brief („Bin Ihnen bis zur Haustür gefolgt, weil ich mich von Ihrem Anblick nicht losreißen konnte. Bin 25, Multimillionärin, und wunderschön. Rufen Sie mich an. Bitte.“) drinliegen. Möglich ist alles.

Dieser Brief hingegen gehörte in keine dieser Kategorien. Er war schlicht und ergreifend falsch adressiert. Zufälligerweise Namen und Adresse richtiggeschrieben. In der Adressbuchspalte verrutscht...aber wie kann ich überhaupt ins Adressbuch von so einem Absender gelangen?

„Sehr geehrter Herr T,

Das Tier, nach dem Sie sich unlängst erkundigt haben, ist leider vor geraumer Zeit ausgestorben. Wir können Ihnen jedoch aufgrund glücklicher Umstände, die zu erläutern hier nicht angebracht ist, eine geklonte Version anbieten. Der Klon weist eigentlich die meisten der von Ihnen gewünschten Gebrauchseigenschaften auf, ist zudem sehr viel weniger fütterungsintensiv und riecht besser. Aufgrund einer geringen Hundbeimischung ist die Exkrementendichte allerdings immer noch recht hoch.
Ansonsten können wir Ihnen versichern, dass das Tier keine weiteren Nachteile aufweist. Wir bitten Sie, es recht bald abzuholen, da unsere Lagerkapazitäten nicht unbegrenzt sind.

Mit freundlichem Gruß,

A.K.

Haustierbe- und –verwertung
Postfach 13 24

33345 Überlingen“

Eine feine Sache.
Ich war von ganzem Herzen und zugleich ohne alle Skrupel seit jeher gestandener Tierfeind, gegen Gentechnologie sowieso, auch von ganzem Herzen. Ich habe überhaupt etwas gegen Gefahren. Heutzutage gibt es zwar viele, dennoch oder, besser gesagt, deshalb bieten sich ja auch vielfältige Möglichkeiten, sicher zu leben. Atomschutzbunker, Airbags, Abführmittel, um nur mal ein paar mit A zu nennen.
Mir hätte nie etwas ferner gelegen als mich „nach einem Tier zu erkundigen“. Bei der Haustierverwertung. Was soll das eigentlich sein?

Ich kochte Kaffee. Ich trank ihn. Ich wurde wacher. Die Zeitung interessierte mich an dem Tag nicht so richtig, obwohl ich ein ziemlich neugieriger Mensch bin. Wenn sich in mir Fragen aufbauen, bekomme ich keine Ruhe mehr. Ich begebe mich dann stets auf den Weg nach Antworten. Ich will oft auch Sachen wissen, die ich eigentlich gar nicht wissen will. Aus Neugier. Könnte ja was sein.
Überlingen ist ein kleiner Ort.
Ein unangenehmer Geruch lag in der Luft. Es gibt dort keine Strasse, die Postfach heißt, aber ich war zu überstürzt losgefahren, um das zu registrieren. Ein netter, älterer Herr auf der Straße gab mir dann den Tipp, immer meiner Nase zu folgen. Das klappte einigermaßen und irgendwann stand ich vor einem Geschäft, dessen Schaufenster entfernt an eine Zoohandlung erinnerte. Ich war hier noch nie gewesen. Ich war kein Schlafwandler, und trank zwecks Gefahrenvermeidung nie Alkohol. Ich kannte dieses Geschäft nicht. Aber die hatten meine Adresse, kannten mich, wollten mich.

Ein Käfig mit Mäusen, ein ausgestopftes Krokodil, einige graue Schachteln, ein bunter Blumenstrauß, Flaschen mit unlesbaren Etiketten. Und ein Schild: „Sonderangebote finden Sie bei uns nicht. Aber Sie werden nichts bereuen.“ Soso.

Das Ladeninnere hatte eine freundliche Atmosphäre, schöner Parkettboden, zwei Tische mit Käfigen, deren Inhalt mich nichts weiter anging, viele Kommoden mit Schubladen. Nette Beleuchtung, viele Pflanzen, die nicht sehr echt aussahen. Auch die Verkäuferin sah wirklich freundlich aus, so um die dreißig wie ich, blondgelockt, etwas mollig, dem Leben zugewandt. Wie ich. Nur heute nicht.

Sie begrüßte mich freudestrahlend: „Na, mal wieder im Lande. Wir müssen die Sache unbedingt mal weiterbesprechen, weil bei mir hat sich da inzwischen einiges getan.“ Ah ja.

Ich sagte „Ja...Hallo auch“ und zog den Brief aus der Tasche. „Sehen sie, ich verstehe vor allem nicht...“ Sie unterbrach. „Ach klar, deshalb waren Sie ja überhaupt da gewesen. Sekunnnnnde, bin sofort wieder da.“

Ich hatte den Mund auch noch offen, als sie wiederkam. Ich öffnete ihn noch ein Stück angesichts ihres Begleiters.

Der Begleiter war angeleint und erinnerte auf den ersten Blick an einen Schimpansen. Er, besser gesagt, es besaß zwei Beine, aber nur einen Arm; vielleicht waren es auch zwei Arme und ein Bein. Oder drei Beine. Oder nur lauter Arme. Es war zumindest aus seiner Fortbewegungstechnik nicht zu ermitteln. Das Wesen benutzte alle drei abwechselnd, und der Bewegungsablauf war mit Humpeln nicht zutreffend zu beschreiben. Der Pelz war rötlich-braun, der Kopf absonderlich. Ohne die Schäferhundschnauze wäre sein Gesicht durchaus als das eines sehr, sehr seltenen Affen durchgegangen. So war es einfach unförmig und unmöglich. Aber heute war ja alles möglich.

Langsam drangen die Worte der Verkäuferin zu mir durch: „Ich habe alles versucht. Die ließen sich nicht drücken: 249.-DM. Sie können auch mit Karte zahlen.“

Das reichte. Brief schreiben, Ware liefern, kassieren. So hätten wir’s wohl gerne. Vielleicht kann man auch mal seine Ware anpreisen? Zumindest mit dem Kunden über sie reden? Ihn als Partner, als Menschen behandeln? Ich wurde laut: „Sie schicken mir einen Brief, ohne dass ich Ihnen je meine Adresse gegeben hätte. Bestellen mir Dinge, die ich nie wollte. Locken mich hierher, wollen Geld. Das ist alles eine bodenlose Frechheit. Außerdem glaube ich persönlich nicht, dass es sich bei dem Objekt da um ein echtes Tier handelt.“

„Er heißt Holger“, flüsterte sie. „er mag es nicht, wenn man schreit. Ich habe mir auch schon einen bestellt. Er hat einen wundervollen Charakter. Er entspricht einfach total der Beschreibung im Prospekt.“

Sie sah immer noch freundlich aus. Ein Geschäft für jedermann; hier kann sich jeder um eine Verkäuferstelle bewerben, der die entsprechende Qualifikation aufweist – verrückt zu sein, plemplem, gaga.

„Ich möchte den Chef sprechen“, sagte ich.

„Ich bin mein eigener Chef. Der Kundenkreis ist sehr klein. Wer interessiert sich heutzutage schon noch für eine wirklich seriöse Tierbewertung? Alle denken doch, ausgerechnet ihr Tier sei unbezahlbar, sei jede Tierarztrechnung wert. Ohne Kosten/Nutzen-Analyse, ohne Weiterverwertungsanalyse. Da hat Holger zum Beispiel schon mal 83 %.“

Das klang gut, da fehlten ja nur noch 17. Ich war im Irrenhaus! Und hatte keine Zeugen mitgenommen.

Außerdem war ich neugierig. Ich habe was gegen Tiere, das Holgerding war aber sicherlich kein Tier, und gefährlich sah es auch nicht aus. Im Gegenteil, mehr einsam und schutzbedürftig. Es brauchte jemanden, um ihm über die Straße zu helfen. Ich guckte Holger an. Er guckte traurig zurück. Es war ihm wahrscheinlich zu laut hier.

„Ich habe die Geheimzahl vergessen. Ich kann Ihnen meine Visitenkarte und eine Anzahlung geben, den Rest überweise ich dann.“

Sie lächelte. „Das ist gar kein Problem. Testen Sie ihn einige Tage. Dann werden Sie mit Freuden überweisen.“

Ich verstand gar nicht, wofür die Leine nötig war. Holger trottelte hinter mir her, eigentlich humpelte er gar nicht, sondern stellte sich für seine Möglichkeiten recht geschickt an; der Gute hielt sogar mein Schritttempo. Er musste nur öfter mal. Kenn’ ich von mir selber.

Wir waren fast beim Auto, als mir der Mann entgegenkam. Er sah aus wie ich. Haargenau gleich. Er grinste uns an und sagte: „Sie werden nichts bereuen. Mir hat er auch sehr weitergeholfen.“
 
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Kommentare  

Irgendwann habe ich die Geschichte schon einmal gelesen, aber anscheinend nicht kommentiert. Gefällt mir immer noch außerordentlich gut. Ist mal etwas ganz anderes. Der Schluss hätte vielleicht noch ein wenig mehr ausgefeilt werden können, aber ansonsten hat es mir wirklich sehr gut gefallen. LG Sabine

Sabine Müller (17.11.2007)

geiler, pointierter schreibstil, mister t. hübsch neurotische hauptperson. (bissel geschwätzig vielleicht) und die paranoide einlage am schluß... respekt.

ch.folterkind (13.03.2002)

Anfangs ist der Stil noch komisch, gewöhnt man sich aber schnell dran. Die Idee ist auch nicht schlecht, aber der Schluss ist sehr seltsam. Wirkt ein wenig wie: "Ich hatte keine Lust mehr zu schreiben, also setzte einfach irgendwas hin". Ansonsten gefällts mir.

Julia (12.03.2002)

interessant, der stil selbst ist geil, ich finde die ersten zwei seiten verdammt gut, leider ist der schluss etwas,...,naja, "seltsam". ansonsten vermittelt der txt eine beklemmende stimmung. find ich toll...

astanos (12.03.2002)

Ausgesprochen surrealistisch geschrieben, mit einen ordentlichen Schluck Boshaftigkeit. Der Schluss ist etwas undurchsichtig. Gefällt mir trotzdem.

Stefan Steinmetz (03.03.2002)

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