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3 Seiten

Die Eine, die Andere und Er

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Part I. Er, die Eine und die Andere

Er hat ein gutes Gedächtnis. Nummern sind seine Spezialität. Er kann sich fast jede Nummer merken. Jede wichtige jedenfalls. Im Moment kämpfen in seinem Kopf zwei um alles. Alles, was er tun will. Telefonieren. In seinem Kopf ruft es an. Mit dem kleinen Finger der linken Hand zeigt er der Uhr das Besetztzeichen. Er schaut auf die Zeiger. Er hat genügend Zeit. Er will ihre Stimme hören. Weiß noch nicht, was er sagen wird. Die andere Nummer ist sicherer. Da weiß er alles. Da ist nie besetzt. Meistens. Noch nicht. Er hat Zeit. Er wartet, daß der Schweiß in den Händflächen verschwunden ist. Das Telefon. Niemand wartet. Eine vielleicht. Die andere Nummer vielleicht auch. Hat er Glück, trifft er die richtige mit seinem Klingeln. Er wird alles sagen. Nein. Eine im Kopf. Eine im Herz. Herznummer. Schweiß. Hämmerndes Besetztzeichen, fühlbar am Hals mit einem Finger. Keinen Schweiß bitte. Nicht fester zudrücken, bitte! Finger am Hals ist wie Finger im Hals Herz im Hals. WAS WäHLEN? Nummer im Kopf Nummer im Herz Schweiß - die Hände trocknen nie! Es wird ihm aus den Fingern gleiten. Der Hörer. Die Finger verhaken sich in der Wählscheibe, altes Telefon, alte Leier, die alte Geschichte. Er wählt. ES wählt ihm das Pulsieren. Nein, er wird sich den Finger nicht brechen und zu Ende wählen können müssen, das ist ziemlich wahrscheinlich. Zu spät. Das Trommeln im Hals gibt ihm den Takt für das Freizeichen,. Lange. Zu lange. Herzton gleichbleibend.
Eigentlich stumm. Seit Tagen dasselbe. Wie heißt dieser Ton, ist er älter, witziger oder eine Pflicht? Die verschwitzten Hände legen auf. Er hat gewählt. Auf die andere Nummer hat er plötzlich keine Lust mehr. Herztod. Bis zum nächsten Sinuston.

Part II. Die Kälte und Er

Stehen. Fahren. Ja, es ist Kalt. So kalt, daß man nicht vor die Tür will, das Haus nicht verlassen. Auf gar keinen Fall einen Flecken Haut dieser Kälte aussetzen.

Doch sitzen. Zeit für das Zittern unterm Sonnengeflecht. Dort arbeitet etwas. Vielleicht hat sich das Herz jetzt dorthin verpflanzt? Mir ist nicht schlecht. Die Kälte, sie ist schlecht. Sie macht alles Denken unmöglich. Mein Herz ist unter die Bauchdecke gerutscht, jetzt merke ich es deutlich. Es vibriert. Schauerlich. Mir ist schlecht. Wohin ich will, weiß vielleicht der Straßenbahnfahrer. Er muß es wissen, er fährt mich schließlich hin. Durch diese Kälte. Sie jedenfalls weiß nichts. Sie weiß nicht, daß ich komme. Das wissen nur ich und der Fahrer, aber wahrscheinlich hat er mich gar nicht bemerkt und vergessen, wo er hin soll! Mir zittern die Knie. Die Kälte. Ich bin ein potentieller Betrüger. Der Betrüger fährt durch die Nacht. Ich sitze auf einem kalten Stuhl in der Straßenbahn und stelle mir vor: Ein Betrüger sitzt auf einem kalten Stuhl in einer Straßenbahn und fährt durch die Nacht.
Wen betrügt er? Die Verkehrsgesellschaft? Macht ihn das zum Betrüger, dieses Zittern, das Herz, das hinter den Nabel gerutscht ist? Fahren. Warten. Zittern. Der Betrüger, das bin ich! Ich sehe es deutlich in der Scheibe gegenüber. Jeder könnte es sehen, der in diese Scheibe schaute. Dieser trügerische Blick. Seitenverkehrt noch dazu! Mich fröstelt. Das bin ich. Der Fahrer biegt um die Ecke, unter sich einen Stuhl, an dem eine Straßenbahn angebracht ist. Ich biege mit ihm. Ein kleiner verschworener Trupp, sich blind verstehend. Und taub. Ich biege in die Straße ein, in der ich bald ohne Straßenbahn stehen werde - um zum Betrug zu schreiten. Fröstelnd. Die Kälte.

Ich bin nicht das erste Mal in dieser Gegend. Nichts triebe mich hierher. In diese Kälte, die einen krank macht. Nur der Betrug. Ich bin ein Serienbetrüger. Ich töte Vertrauen. In der Kälte denke ich an Bauch. Nicht meinen. An Brüste. An Augen. An Unsicherheit, zaghafte Hände und an schlaflose Zimmer. Keine Namen, das ist Verwirrung. An Wärme nun. Langsam. Laufen. An Wärme denken. An alles denken. An Vergessen denken. Nach vorn schauen. An jetzt denken. Die Fahrt hierher vergessen. Die Kälte. Das Vergessen nicht vergessen. Ich zittere vor Lachen. Ich bin ein Schelm, ein Betrüger, der mit heißem Herzen betrügt. Kaltblütig. Ich laufe, höre das Klacken der Absätze, denn ich habe neue Schuhe an, am Hacken jeweils ein Metall. Zum Schutz vor meinen O-Beinen. Ich werde langsam. Es ist kalt. Jaja! Spät, aber noch nicht zu spät. Ich betrüge unangemeldet, aber nur wenn ich Zeit habe.

Der Betrüger nähert sich dem Ort des Vergessens. Er ist schwermütig. Das darf er nicht sein, will er erfolgreich betrügen. Er hofft, daß niemand die Tür öffnet, niemand da ist. SIE. Er lärmt mit seinen Absätzen die Holztreppe hinauf. Er sah ihr Auto vor dem Haus stehen. Er weiß, daß sie öffnen wird. Er wird es genießen.

Ich stehe vor der Tür und vergesse einen Namen. Auch - was mich hierher trieb.


Part III. \
 
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Kommentare  

Schöne ehrliche Geschichte. Sie erinnert mich an ein dunkles Viertel mit orangem Auto vorm Haus.

Bumba (15.07.2015)

Warum auch immer, Teil 2 (Part III - VIII) auf einer anderen Seite...

Jasper F. (16.08.2002)

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