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15 Seiten

Lucyfer

Romane/Serien · Trauriges
Aus der dunklen Wärme empor schwebend, wie ein angsamer Fall in Richtung des schrillen Piepen hinter dem eichen dunklen Rand dieser Welt, das ihn anzog wie ein Magnet, ließ er sich gerne aus Welt der grauenvollen Wirren seiner Alpträume entführen. Am Ende seines immateriellen Aufwärtsfallens in Zeitlupentempo, merkte er mit einem Ruck, daß er in seinem realen Körper angelangt war. Mit einem kurzen Moment wanderten seine geschlossene Augen durch die Dunkelheit suchend nach dem wann und wo des Augenblickes. Einen kurzen Moment später tauchten plötzlich unangenehm die Erinnerung in sein vom Schlaf umnebelten Bewußtsein. Es war Montag Morgens, 6:30 Uhr. Zeit aufzustehen und den Alltag zu beginnen. Zeit aufzustehen ...

Zuerst einmal beendete er mit einem Druck auf den Knopf des Weckers dessen schrilles Piepen. Einen Augenblick ließ er noch die Augen geschlossen, bevor er den Lichtschalter betätigte. Wieder einmal hatte er mehrmals in dieser Nacht davon geträumt, daß ihm die Zähne ausfielen. Seine Hand wischte den Schweiß von seiner Stirn. Er atmete noch einmal tief durch und ließ seine Hand zum Lichtschalter gleiten. Früher hatte er beim einschalten des elektrischen Lichts gerne ,,Es werde Licht'' gesagt. Doch er war still geworden in letzter Zeit. Er sah nach links. Das andere Bett in diesem Zimmer war ordentlich, glatt und unbenutzt. Er strich sich über die grauen Stoppel seines unrasierten Kinns und durch seine schweißnassen Haare. Noch einmal atmete er tief durch und ging nach Nebenan unter die Dusche. Im Gegensatz zu früher sang er kein fröhliches Lied unter der Dusche. Sich die Haare trocknend ging er zum Schrank, hielt kurz inne, und nahm Wäsche heraus.

Zwischen den beiden Kieferschranktüren war ein langer, schmaler Spiegel, der von der Oberkante des Schrankes bis zum Fußboden reichte. Mit einem skeptischen Blick kniff er seine Augen zu faltenumgebenen Sehschlitzen zusammen und musterte sein Spiegelbild.So stand er nun da. Das graumelierte kurte Haar war exakt zum Seitenscheitel gekämmt. Ein weißes steif gebügeltes Hemd, dessen Knöpfe sich hinter einem senkrechten weißen Stoffstreifen verbargen, war mit einer schlichten schwarzen zweireihigen Anzugjacke und einer dazugehörigen schwarze Hose kombiniert. Hinter ihm auf einem Stuhl an seiner, der unordentlichen Seite des halbseitig verwaisten Ehebettes, lag ein weißer Kittel mit einigen bunten Stiften in der Tasche. Vor dem Stuhl stand ein dicker schwarzer Aktenkoffer, neben dem ein weißes Paar Gesundheitsschuhe etwas achlos auf dem Boden platziert worden waren. Er sah noch einmal in den Spiegel und musterte skeptisch sein Spiegelbild. Er war Analytiker, also analysierte er. Aber manchmal ließ er sich auf den Wogen seiner Gedanken und Gefühle davontragen ...

Er sah sie auf der anderen Seite des Lagerfeuers sitzen. Sie bemerkte ihn und lächelte ihn immer wieder an. Voller Faszination mußte auch er immer wieder zu ihr schauen. Er war ein wenig verwirrt. War es ihre Schönheit, die Art wie sie sich bewegte? Er hatte schon viele schöne Frauen gesehen, aber bei keiner so etwas gefühlt. In seinem Innern zog sich etwas zusammen und dieses etwas zog ihn in ihre Richtung. Jede Zelle seines Körpers fing an zu brennen, wie er es noch erlebt hatte. Neben ihm nahm jemand ein Tablett mit Zuckerwürfeln, und tropfte eine allseits sehr beliebte Flüssigkeit darauf. Er sah sie noch einmal schüchtern an. Wenn eine Frau ihm wirklich den Kopf verdrehte, wurde er immer nervös. Sie grinste plötzlich und setzte sich neben ihn. Er hielt die Luft an. Sie fragte ihn: ,,Hi, wie heißt Du?'' Er atmete durch und sagte ihr seinen Namen. ,,Oh, ein sehr schöner Name - ich heiße Marian.'' Dabei strich sie sich durch ihre langen schwarzen Haare, und eine heiße Welle strich durch seinen Körper und seine Seele. Sie nahm zwei Zuckerwürfel und reichte ihm einen davon. Er schüttelte den Kopf und sagte: ,,Nein Danke! Das Leben ist schön genug - auch ohne bewußtseinserweiternde Substanzen.'' Dabei lächelte er sie verlegen an. Sie nickte nachdenklich, legte die Zuckerwürfel beiseite und griff dann lächelnd nach seiner Hand. Sie gingen ein Stück vom Lagerfeuer weg.Marian und er setzten sich auf das Gras des kleinen Abhangs.Sie sahen stumm auf die Bucht hinab. Auf der anderen Seite sahen sie die Lichter der Skyline von San Francisco, auf der rechten Seite die Golden Gate Bridge. Sie begannen ein Gespräch. Irgendwann sagte sie: ,,Du bist anders als die Anderen. Die können sowas nur erzählen, wenn sie auf Acid sind.'' Er sah zu Marian. Sie sah in seine Augen. Er sah ihre lustigen Sommersprossen, hinab auf ihre wundervollen Lippen, tief in ihre Augen, und versank darin ...

Irgendein Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken. Also band er sich die Kravatte um, ging zur Tür des Schlafzimmers und schloß diese hinter sich zu. Der Flur war eine Art Balkon. An dessen Geländer fassend, sah er hinab in die Halle des großen Studiozimmers unter ihm.Am rechten Ende der Empore, auf der er stand, führte eine Wendeltreppe hinab in das Erdgeschoß und weiter in den Keller .Noch einmal sah Er hinab in die Halle. In der Ecke rechts von Ihm war das Wohnzimmer mit einer geräumigen Sitzgruppe und großen Grünpflanzen. In der Mitte dazwischen stand ein Tisch. Auf seiner Glasplatte, über der Metallkonstruktion des Tisches lagen diverse Fernbedienungen für Ferseher, Videorecorder und die Stereoanlage. Daneben lagen einige Fachzeitschriften. Schon zu Beginn lange hatte er von der Vernetzung der verschiedenen Unterhaltungsgeräte geträumt. Nun besaß er nun genug Geld, um sich diesen Traum auch zu erfüllen. Er hatte den Ton-Ausgang des Video-Recorders an die Stereo-Anlage angeschlossen. Der Fernseher, der keine Lautsprecher besaß, war eigentlich eine große Leinwand. Das Lautsprecherboxen war speziell für den Raum ausgemessen, um ein optimales räumliches Klangbild zu bieten. Er sah noch einmal auf die vielen Fernbedienungen, und die Fachzeitschriften unter der Staubschicht. ,,Wenn Marian noch hier wäre, würde es anders aussehen.'', dachte er sich.

Er kam von der Arbeit nach Hause in seine Studentenbude im wildesten Viertel von San Francisco. Der Dunst von THC-haltigen Substanzen stand in den Straßen, und man trug Blumen in den Haaren. Nicht nur Scott Mackenizies ,,San Francisco'' dröhnte aus den Radios. Er kam um die letzte Ecke und fand Marian vor dem Haupteingang lächelnd in der Sonne in der Sonne stehend.Sein Herz klopfte wie wild als er sie sah. Sie lächelte und gab ihm einen Kuß. Lachend gingen nach oben in sein Zimmer.Es lag in einer dieser neumodischen Wohngemeinschaften unter dem heißen Dach einer Stadtwohnung.Irgendwie begann ein Gespräch: ,,Ich studiere Naturwissenschaften habe mich auf und theoretische Biologie spezialisiert.'' ,,Wie finanzierst Du eigentlich dein Studium ?'' ,,Es gibt hier in der Nähe ein großes Forschungszentrum einer Firma, die Computer entwickeln.'' ,,Und was machst Du dort?'' ,,Ich arbeite als Programmierer. Programme sind so eine Art Kochrezepte und Computer so was wie Töpfe ... ''. ,,Hey, ganz dumm bin ich nicht. Auch wenn ich 'nur' Kunstgeschichte studiere.'' Er erklärte ihr was er für eine Arbeit er machte. Sie erzählte ihm von ihrem Job im Museum. Als sie dabei waren, die Vorteile des Nebenjobs für das Studium abzuschätzen, erzählte er:

,,Ein Computer ist die komplexeste Maschine überhaupt. Kein Mensch auf dem gesamten Planeten weiß bis zum letzten Detail, wie ein Computer insgesamt funktioniert. Deshalb arbeiten wir alle auf veschiedenen Betrachtungsebenen. Es gibt Leute, die sich mit der Physik von Transistoren beschäftigen. Andere bauen aus den Transistoren Bauteile, mit denen sich die einfachen logischen Funktionen, wie ,,und'', ,,oder'' und ,,nicht'' ausführen können. Mit diesen drei Funktionen kann man alles machen. Einige bauen damit Chips. Andere bauen aus den Chips Platinen. Die Platinen werden zu Robotern, Automaten und Computern zusammengebaut. Die Computer werden mit Kabeln zu Netzwerken verbunden. Ich gehöre zu den Leuten die diese Computer programmieren. Andere Menschen arbeiten auf diesem Computer mit den Programmen. Die Computernetze sind wie die Menschen, die sie bedienen, Teil von Unternehmen und anderen Organisationen, die sind Teil einer Stadt, eines Landes und immer so fort.

Und im Prinzip fast genauso ist bei den Menschen. Im Kleinen gibt es Atome und Moleküle. Diese bilden Eiweiße, die sich zu hochkomplexen Zellen formieren. Die Zellen bilden Adern und Organe. Die Organe bilden Lebewesen. Die Lebewesen bilden Lebensgemeinschaften, vom Ameisenstaat bis hin zu Organisationen wie den Vereinten Nationen. Und es gibt sogar Programme. Sie befinden sich in einem chemischen Molekül mit dem Namen DNA. Das DNA ist ein Bauplan für jedes Einweiß-Molekül,das den Körper aufbaut und seine Funktion steuert. So wie man Computer programmieren kann, will ich das DNA der Zellen umprogrammieren. Wir könnten Getreide in der Wüste und in der Tundra anbauen, und wir könnten schwere Krankheiten für immer besiegen !''

Er hielt irgenwann inne und sah sie an, diese Augen, dieses Gesicht. Ihre langen Haare, diese Stimme, die Art, wie sie sich bewegte - Er stand in Flammen. Sie war nicht nur körperlich attraktiv, mit ihr konnte er sich lange und tiefgründig unterhlten. Er fühlte sich wohl in ihrer Nähe und sie es fehlte ein Teil von ihm, wenn sie nicht bei ihm war. Er war wie elektrisiert, wenn sie ihn berührte, und wenn sie sich in den Armen lagen, verloren sie sich in einem Sturm aus Feuer, von dem sie sich davontragen ließen. Diese Nacht öffneten sie ein Tor in eine neue größere Welt ... Während sie am Tag danach in seinem Bett lag und schlief, ging er einkaufen und besorgte Ringe. Gegen Abend fuhren sie hinaus an die Stelle, an der sie sich zum erstenmal begegnet waren. Während sie dem atemberabenden Sonnenuntergang zusahen, fragte er sie sie tief bewegt: ,,Ich kann ohne Dich nicht mehr leben! Willst Du meine Frau werden ?'' Ihr Kopf drehte sich zu ihm, sie strich eine Sträne aus dem Gesicht, sah ihm tief in die Augen, so daß ihre Seelen sich berührten und dagte einfach: ,,Ja.'' und küßte ihn. Danach steckten sie sich die Ringe auf. Die Sonne war ein gigantischer blutroter Feuerball. Alle Wolken glichen einem friedlichen Flammeninferno. Die ersten Sterne kamen hervor. Er nahm sie eng in die Arme und sie küßten sich leidenschaftlich ... Beide waren so tief bewegt, daß sie die ganze Nacht nicht schliefen. Entweder lagen sie im Gras, redeten miteineander und schauten in die Sterne, oder ... In dieser Nacht entstand Lucy.

Er ließ das Geländer los und wandte sich nach rechts. Als er an dem nächsten Zimmer vorbei kam, blieb er stehen. An der Tür stand ,,Architekturbüro LUCY''. Er sah auf die Designertürklinke, zögerte kurz und drückte sie hinunter. Er drückte den eleganten Lichtschalter, und das Licht ging an. Es waren Spezialglühlampen, die das Sonnenlicht nachbildeten. Genau wie bei der Türklinke und dem Lichtschalter war es Lucy nie darum gegangen einfach nur teure und repräsentative Dinge zu benutzen, sondern bei ihr kam es immer auf das zusagende Ambiente und ein Optimum von Form und Funktion an. Er sah im Zimmer umher.

Er war sehr müde als er von der Arbeit kam. Zuerst holte er sich in der Küche einen Eiskaffee und ging in das Wohnzimmer. Dort zog er eine Schallplatte aus dem großen Regal neben der Stereoanlage, legte die Platte auf den Plattenteller, der sehr teuren Stereo-Anlage, machte es sich auf der schwarzen Ledercouch bequem, und schloß die Augen Es erklang psychedelisch-orchestrale Elektronik-Musik und er dachte an das Gefühl seines ersten größeren Erfolges im Biolabor. Sein Professor sagte damals zu ihm: ,,Sie haben eine große Zukunft vor sich!''. Als die sphärischen wortlosen Chöre der Musik durch seine Seele wallten fühlte er, wie das Vakuum der Einsamkeit seine Gefühle gefror und sich ihm alles vor Schmerz zusammen zog. Da sah er oben auf der Empore noch ein wenig Licht. ,,Lucy'', dachte er. Lucy war alles, was ihm geblieben war. Ohne seine Tochter Lucy wäre sein Heim, dieses Haus, sein Leben ohne Leben. Er ging die Wendeltreppe zur Empore hoch, die Tür zu Lucy«s Zimmer stand ein wenig offen. Er drückte sie vorsichtig auf, und trat ein Stück in das Zimmer. Lucy bemerkte ihn nicht; sie saß an ihrem Computer. Rechts waren Regale mit vielen Büchern. Daneben ein Ständer mit Rollen, in denen sich Landkarten befanden. Rechts daneben war Lucys Schreibtisch. Auf ihm stand der Computerbildschirm, und es lagen viel Papier und einige Bücher darauf.An der Wand neben Lucy war ein Regal, in dem ein Drucker und ein Scanner standen. Links daneben war ein Bücherregal, in dem nicht nur Fachbücher standen. An den Wänden waren große Poster mit Landschaften. Norwegische Fjorde, mehrere Gebirge, der Yellowstone Park, der Grand Canyon und der Kilimandjaro ...

Ihm wurde plötzlich schlecht, alles zog sich in ihm zusammen. Er spürte die grausame Leere und den kalten Frost der Einsamkeit in sich aufkommen. Mit schnellen Schritten verließ er das Zimmer, eilte die Treppe hinunter, durch das Wohnzimmer, rannte durch den Flur zwischen Küche und Bad, und dann durch die Haustür. Vor der Garage drückte er den Knopf der Fernbedienung, und das Garagentor glitt viel zu langsam auf. Er hastete in das Auto. Das satte Türgeräusch des teuren Dienstwagen hörte er heute nicht. Nach ein paar Minuten war er auf dem Highway. Die Stille im Auto zermürbte ihn; sonst war oft jemand mit im Wagen, mit dem er sich unterhalten konnte. Er blickte nach rechts auf das Handy, das Fax und das Laptop mit Internet-Zugang. Er konnte jetzt jeden auf der Welt erreichen, den er wollte. Nur diejenige, mit der er jetzt sprechen wollte, war für ihn nicht erreichbar.

Aber er war auf dem Weg sie zu besuchen. Er nahm die nächste Ausfahrt und nach einer kurzen Strecke hielt er unter großen Nadelbäumen. Er blickte gedankenverloren nach oben, und vor seinem innerem Auge erschien ein Schaubild über den Stoffwechsel und den inneren Aufbau von Tannennadeln nach. Dann öffnete er das reich verzierte Eisentor zwischen zwei grauen Granitpfeilern. Er blickte nach oben in den grauen dicht mit Wolken verhangenen Himmel, und machte sich auf den schwarzen Weg vor sich. Rechts und links drang das Grauen in sein Bewußtsein. Seine Forschungsdisziplin war die Wissenschaft des Lebens, die Biologie. Doch hier sah er die verzweifelten Versuche, das unfaßbare Grauen zu verdrängen. In der einen Reihe sah er ein Steinkreuz mit einem Ring um die Kreuzmitte, wie es die Iren bevorzugen. Etwas weiter sah er ein mit Moos bedeckten Engel aus Granit auf einem Stein mit abgebrochenen Armen. Noch weiter sah er einen Stein aus Marmor mit eingemeißelten Lettern. Lucy. Er stellte sich vor das Grab. Hier lag alles, was ihm jemals wirklich etwas bedeutet hatte. Seine Arbeit war ihm zum täglichen Einerlei geworden, und die ganz großen Taten waren auch ausgeblieben. Und was sind schon ein paar programmierte Mikrorganismen im Vergleich zur Liebe eines Menschen. Er sah auf den Grabstein. Lucy, geboren am ... gestorben am ... Ist das alles was von einem Menschen übrig bleibt ? Die Grenzen des Lebens ?

Lucy kam eines Tages mit einem Atlas, den sie in der Bibliothek gefunden hatte, zu ihm zur Wohnzimmercouch. Sie öffnete ihn, und sagte: ,,Papa eines verstehe ich nicht, sieh mal!''. Sie zeigte ihm eine Landkarte. Es gab den gleichen Ausschnitt einmal in geographischer Darstellung, und einmal in Politischer. Sie fragte: ,,In dem einen Bild, wo man die Berge sieht, sind die Linien Flüsse, in dem anderen Bild sind die Linien nicht da, wo die Flüsse sind, was ist das?'' Langsam erklärte er ihr Grenzen, er zeigte ihr auch, daß die politischen Grenzen sich oft an natürlichen Grenzen, wie Seen, Flüsse und Gebirgszügen orientieren. Später, als sie größer war, erzählte er ihr, von anderen Grenzen. Von den Grenzen zwischen Arm und Reich. Von Grenzen, die Natur geschaffen hatte, wie Ozeane, Wüsten, Schwerkraft. Er erzählte ihr von Menschen, die solche Grenzen unter Einsatz ihres Lebens überschritten hatten. Er zeigte ihr Bilder von Christoph Kolumbus, dessen Ehrgeiz dazu führte, das ein neuer Kontinent entdeckt wurde, von den Erbauern der Pyramiden, die Lucy sehr beeindruckten, von den Gebrüdern Montgolfiere mit ihrem Heißluftballon, von Lindberg, der als erste den Atlantik in einem Flugzeug überquerte, von Admunsen und Scott mit ihrem Wettlauf zum Südpol, von Hillary und seiner Erstbesteigung des höchsten Berges der Erde, dem Mount Everest, er erzählte ihr von Naturwissenschaftlern die immer wieder die Grenze in Richtung kleinsten Teilchen oder Aufbau des gesamten Universums überschritten. Er erzählte ihr von der ersten Mondlandung genau am Tag ihrer Geburt. Wie er im Radio gerade die Worte ,,ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Schritt für die Menschheit'' gehört hatte, als Lucy ihren Urschrei von sich gab. Sie sah ihn immer gebannt an, mit ihren strohblonden Zöpfchen und ihrer Zahnlücke. Nie würde er das Leuchten in Lucys Augen vergessen. Am meisten beeindruckten sie Bauwerke wie Notre Dame, der Eiffelturm, die Pyramiden, das Empire State Building, die Golden Gate Bridge vor ihrer Haustür ...

Als er vor ihrem Grab stand, gefror seine Seele, in ihm konzentrierte sich ein Schmerz und kurz bevor er laut schreien mußte, wandte er sich ab. Lucy hatte einen qualvollen Tod gehabt. Sie magerte immer mehr ab, bekam Flecken auf der Haut und Gelbsucht. Letztendlich starb sie an einer Lungenentzündung. Nie würde er den alptraumhaften Anblick ihres Leidens vergessen. Er fuhr nun in Richtung Institut. Anschließend bog er von der Stadtautobahn in Richtung der gigantischen Tiefgarage. Nach ein paar Sekunden war er im vierten Untergeschoß beim Geschoßbau für Biologie . Er stieg aus, schloß seine Tür ab und aktivierte seine Alarmanlage, und ging noch ein Stück in Richtung Treppenhaus.

Kurz nachdem er seine Doktorarbeit veröffentlicht hatte, bekam er vom Lehrstuhl für Genetik und Molekularbiologie dieser Universität eine Einladung zu einem vertraulichen Gespräch. Im Kopf des Schreibens war das Siegel der Universität. Es zeigte Prometheus wie er einem Menschen das Feuer übergab. Prometheus war für Ihn schon immer eine faszinierende Figur innerhalb der griechischen Mythologie. Prometheus war ein halb Mensch halb Gott, jemand der den Göttern das Feuer des Olymps stahl und es den Menschen schenkte. Es kannte ein Gedicht mit Namen ,,Prometheus'', das ein deutscher Dichter geschrieben hatte. Es zeigt das Aufbegehren des jungen Genies gegen übergeordnete, eingrenzende Dinge. Dieses Gedicht war ihm zum Symbol des Natur- und Ingenieurwissenschaflichen Streben und Schaffen geworden.Er mocht es sehr und es wurde ein Sinnbild für seine gesamte Arbeits- und Lebensphilosophie. Nichts muß bleiben wie es ist. Alles ist irgendwie irgendwann möglich. Es war sein Job, die Grenzen des Machbaren zu überschreiten.

Er hielt vor einer unscheinbaren Tür,und sah sich vorsichtig um. Als er sich sicher war, daß niemand ihn sah, öffnete er die Tür. Es gab einige Leute, die sehr daran ein Interesse hatten, daß dieser Eingang geheim blieb. Er trat ein, betätigte den Lichtschalter und verschloß die Tür hinter sich. Links über ihm war eine Videokamera angebracht. Vor ihm war eine zweite Tür. Er holte eine Karte heraus, die einer Scheckkarte ähnelte, und einen Sicherheitsschlüssel. Er gab die Karte in den Schlitz, gab die achtstellige Geheimnummer ein, steckte den Schlüssel in das Schloß und drehte ihn herum. Nachdem das Schloß einen Klicklaut von sich gab, öffnete Peter die Tür. Hinter der Tür ging das Licht an, und Er nahm die Karte an sich und ging hinein. In einem anderem Schlitz auf der anderen Seite wartete seine Karte. Er holte eine Halterung für die Ausweiskarte, auf der sein Name und ein Paßphoto war, und klemmte sich sich damit die Ausweiskarte ans Revers seines grauen Anzugs. Er sah sich kurz um. Links neben ihm war eine Treppe, doch er bestellte den Aufzug, dessen Tür sich vor ihm öffnete. Die Tür öffnete sich. Er trat ein, und nachdem die Tür zugegangen war, fuhr der Aufzug los. Der Aufzug hielt, die Tür ging auf, Ihm gegenüber war eine elegante Glastür. Er wußte, daß sie aus schußfestem Sicherheitsglas bestand. Links oben hing wieder eine Videokamera. Er ging durch die Glastür auf den Flur und betrat eine andere Welt. Direkt rechts hinter dem Eingang saß eine Schreibkraft vor ihrem großen Bildschirm des Textverarbeitungssystems und dem kleinen Bildschirm der Telefonanlage. Alles war sehr sauber und stilvoll aber dezent eingerichtet. Der Boden des Flures klang ein klein wenig hohl unter seinen Füßen. Hier lagen einige Kilometer Glasfaserkabel verteilt Die Wände des Flures waren größtenteils durchsichtig. Deshalb sah Er rechts und links des Flures die dahinter liegenden Laboratorien und Büros. Durch dicke Glasscheiben, die den Gefahrensymbolaufkleber "Biohazard" trugen, sah er in hermetisch abgeriegelte Biolabore mit vielen Glasapparaturen und all solchen Dingen, mit denen die Kleinstlebewesen ,,bearbeitet´´ wurden. Links hinter der Scheibe war sein ganzer Stolz. Dort stand eine Computeranlage, für die der ein oder andere Mitarbeiter des Universitäts-Rechenzentrums lange Jahre auf Sex verzichten würden. Früher entstanden die Entwürfe für neue Lebewesen auf dem Reißbrett. Heute entstanden sie in der virtuellen Realität. Er ging an der Zentraleinheit deines Super-Computers vorbei, die auch als Sitzgruppe diente, bis zum Ende des Ganges. Er schloß die Tür zu seinem Büro auf und sah nach links. Dort lag der Konferenzraum.

Er hatte das Einladungsschreiben angenommen und fuhr mit der Straßenbahn zur Universität. Nachdem er eine Weile auf dem Flur gestanden und gewartet hatte, öffnete sich die Tür und der Dekan rief ihn herein. Sie stellten sich kurz vor. Der Dekan sah in eine Akte, in der sämtliche Qualifikationen enthalten waren. Der Dekan wußte sogar von seinen Nebentätigkeiten als Programmierer. ,,Sie haben ein interessantes Qualifikationsprofil. Wir suchen im Moment jemanden wie sie und haben ein interessantes Angebot für sie. Wir bieten ihnen eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Lehrstuhl für Genetik und Molekularbiogie an. Sobald eine Professur an diesem Lehrstuhl frei wird, erhalten sie diese. Selbstverständlich erhalten sie die höchstmögliche Besoldungsstufe, einen Dienstwagen, eigene Sekretärin, und diverse Prämien für Drittmittelforschungsaufträge ...'' Der Dekan hielt kurz die Luft an. ,,... Womit wir beim Thema wären: Sind sie bereit für die Regierung der Vereinigten Staaten zu arbeiten?'' Er schluckte. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Dekan lächelte väterlich, stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Stumm bot er ihm eine Tasse Kaffe an. Der Dekan sah ihn ruhig an und fragte ,,Nun haben sie wenigstens Interesse?'' ,,Ja.'' antwortete er zögernd. ,,Also dann stelle ich Ihnen jetzt ein paar Leute vor. Ich weise sie ausdrücklich darauf hin, daß alles was sie jetzt sehen und hören der absoluten Geheimhaltung unterliegt.'' Sie gingen hinaus auf den Flur und seltsamerweise in die Männertoilette. Dort ging der Dekan zur letzten Tür, schloß sie auf, und sagte: ,,Wenn Sie mir bitte folgen.'' Hinter der Tür war eine ganz normale Kloschüssel. Der Raum war jedoch etwas größer als eine normale Klozelle, leer und links war eine Tür. Der Dekan schloß auch diese auf, sie gingen durch eine Art Sicherheitsschleuse, dann eine Treppe hinauf. Vorbei an der Pforte zum Institut. Als er durch die Glasfenster die Ausstattung des Instituts sah und diese mit normalen Universitätsstandards verglich, bekam er ein strahlendes Leuchten in seinen Augen. Dem Dekan entging dies nicht, und er lächelte zufrieden. Sie würden ihn bekommen. Am Ende des Ganges war das Büro des Institutsleiters und der Konferenzraum. Dort stellten sich im der Institutsleiter und ein Mann vom Pentagon vor. Nach einem Intensiven Gespräch unterschrieb Er zwei Verträge. Einen für das Pentagon und einen Arbeitsvertrag für die Universität. Als er das Gebäude verließ, ging er nicht zur Straßenbahn, sondern zum Taxistand. Er hatte nämlich einen Scheck über 1.000 Dollar in der Hand. Als er im Taxi saß, dachte er über seine neue Arbeit nach. Er sollte Viren und Bakterien genetisch analysieren und sie gegebenenfalls umprogrammieren oder ein Gegenmittel entwickeln ...

Er setzte sich an seinen Schreibtisch und sortierte die Post. Dann schaltete er sein Terminal ein, und laß die elektronische Post. Eine kodierte Mitteilung vom Pentagon war auch dabei.

Damals war er gerade zum Institutsleiter gemacht worden. Er hatte ein Projekt abgeschlossen, das sie ,,Lucifer'' nannten. Sie hatten von einer ähnlichen Stelle wie ihnen, die auch dem Pentagon zugehörig war ein Virus bekommen, das bei Affen zu einer tödlichen Immunschwäche führte. Seltsamerweise sollten sie es für den Gebrauch am Menschen umprogrammieren. Dieses war ihnen gelungen. Aber es war ihnen so gut gelungen, daß sie für den Virus kein Gegenmittel entwickeln konnten. Eines Morgens laß er seine elektronische Post und erschrak. In ca. einer Stunde wollte eine Abordnung des Pentagons in seinem Instituts sein. Über die Sprechanlage informierte das gesamte Institut, forderte alle Wissenschaftler auf, ihre Labore auf Vordermann zu bringen. Die Sekretärinnen wies er an, den Konferenzraum herzurichten. Nach ein paar Minuten waren dort alle Stühle zurechtgerückt, neue Tischdecken, neue Aschenbecher, Tassen, Kekse, Gläser, Säfte und einige Kannen Kaffe kamen auf dem Tisch. Er hörte einen Hubschrauber landen, und kurz darauf konnte er den Männern vom Pentagon die Hände schütteln. Einer von Ihnen packte ein Overheadprojektor aus, während ein anderer den Raum verdunkelte. Der Mann am Overhead begann vorzutragen. Er schilderte die dritte-Welt-Problematik. Er sagte das alle Maßnahmen dieses Problem zu lösen, durch das massive Bevölkerungswachstum zum Scheitern verurteilt seien. Er zählte auf, wieviel Kredite die USA in die dritte Welt gepumpt hatten. Dann erzählte er, daß das Pentagon von höchster Stelle Anweisung habe, dieses Problem mit Hilfe von ,,Lucifer'' im Rahmen einer verdeckten Operation in den Griff zu bekommen. Nach einer kurzen aber heftigen Diskussion nahmen die Männer vom Pentagon eine Probe von Lucifer mit und verschwanden.

Nach einem Monat kamen sie noch mal und berichteten von ihrer Aktion der ,,Initial-Infizierung'' im Herzen Afrikas. Diesmal wurde ein Film mit dem Vermerk ,,höchste
Geheimhaltungsstufe'' gezeigt. Am Anfang sah man einen Flugzeugträger vor der Pazifikküste Afrikas. Dann sah man ein Dorf mitten in der Steppe. Plötzlich flogen über ihm Kampfbomber hinweg und ließen ein Nervengas herab, das die Einwohner betäubte. Nach kurzer Zeit kamen einige Hubschrauber. Er erschauerte, solche Bilder kannte er aus Vietnam-Dokumentationen. Am anderen Ende seiner Seele verhallten ungehört seine Erinnerungen an Anti-Vietnam-Demonstrationen viele Jahre früher. Aus den Hubschraubers sprangen medizinische Offiziere mit Schutzanzügen. Sie hatten Spezialspritzen mit denen sie den Einwohner des Dorfes ein mit Lucifer infiziertes Serum injizierten. Nach kurzer Zeit war alles vorüber. Die Bewohner würden später von nichts gewußt haben. Der Mann vom Pentagon sagte nach Ende des Films:
,,Unserer Abteilung ist bakannt, daß dieses ein risikoreiches Unterfangen ist, weil wir nicht wissen können, wie sich der Virus verbreitet. Deshalb sind Ihre Geldmittel-Zuteilungen zur Findung und Verbesserung eines Gegenmittels gegen das Virus verdoppelt worden. Wir wünschen uns viel Erfolg. ...''

Als weiteres las Er eine e-mail eines seiner Mitarbeiter, der ihn bat, zu ihm in das Labor zu kommen.


Er hätte darauf auch früher kommen können, Lucy wurde immer kränker und nun wurde es bedrohlich. Er kam in das Zimmer der Intensivstation. Unter einer gewaltigen Maschinerie lag Lucy und sah ihn mit großen Augen und eingefallenen Wangen an.
,,Ich habe den Arzt gefragt ob ich Dir eine Blutprobe entnehmen darf. Ich werde Sie einem Kollegen im Institut geben. Er wird den Erreger mit Sicherheit finden''
versicherte er ihr, fest seinen Worten glaubend. ,,Bitte hilf mir Vater! Diese Qualen.''

Nun war es zu spät, aber er ging trotzdem zu seinem Mitarbeiter. Er schüttelte die Hand seines Mitarbeiters. ,,Nun Adam lassen Sie mal sehen, was sie gefunden haben.'' Adam trug vor: ,,Ich habe in Ihrer Blutprobe eine ganze Armada von
bisher bekannten, und teilweise eher harmlosen Krankheitserregern gefunden. Bei einer näheren Analyse fand ich jedoch dieses hier.'' Adam zeigte ihm Bilder aus dem Rasterelektronen-Mikroskop, die coloriert waren. Auf den linken Photos waren kleine blaue Viren zu erkennen, die denen auf den rechten Photos bis auf das kleinste Molekül glichen. Adam ging zu einem weißen Kasten an der Wand, der in der Medizin zur Ansicht von Röntgenbildern dienten, schaltete ihn ein und klemmte zwei Bilder mit merwürdigen Rechteckmustern an. Es handelte sich um den genetischen Fingerabdruck der DNA zweier Zellen. Adam sagte: ,,Links sehen sie den Gencode des Virus aus dem Projekt Lucifer, der das Krankheitsbild erzeugt, das die unwissende Außenwelt mittlerweile AIDS nennt. Rechts sehen sie ein Virus aus ihrer Blutprobe.'' Ihm wurde heiß. ,,Beide sind völlig identisch!'' Ihm wurde kalt, sein Herz setzte aus, er hielt den Atem an. Ein paar Sekunden lang war sein Gehirn leer. Doch dann, wie die Explosion einer Atombombe, schlug ein Gedanke in sein Bewußtsein ein: ,,Lucifer ... Lucy ! Oh mein Gott - Ich habe meine Tochter umgebracht !!!'' Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen, Die Welt vor seinen Augen sah aus, als hätte jemand einen Mixer hineingehalten. Das Blut in seinem Kopf begann zu Rauschen, seine Muskeln wurden vollgepumpt mit Blut, das in seinen Adern wie ein Preßlufthammer pulsierte, er hörte nichts mehr, er sah nur noch wirre Schemen und stürzte in tiefe Verwirrung und noch tiefer in die Dunkelheit.

Er hatte Sie geliebt wie er nie eine zweite geliebt hatte. Auch danach nicht. Sie hatte ihm eine Tochter geschenkt. Es war ein Kind der Liebe, auch für seine Frau. Ein paar Monate nach der Geburt wurde bei ihr Krebs diagnostiziert. Sie hatte gekämpft. Sie wollte nicht gehen, und den Mann ihres Lebens alleine mit ihrem Kind zurücklassen. Sie hatte bitter gekämpft. Sie war ein Stern der Hoffnung für viele Mitpatienten in der Krebsklinik. Doch dann kam die Stunde, an dem auch ihr klar wurde, daß sie ihr Leben an den Tod verlieren würde. In den Armen ihres Mannes hatte bitterlich geweint. Sie war jung. Auch wen sie ihre strahlende Schönheit beim Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Sie war jung, und doch dachte sie in der Stunde des Todes nicht an sich sondern an die Menschen, die sie zurückließ. Tröstend sprach er zu ihr: ,,Mach dir um uns keine Sorgen, wir werden schon zurechtfinden.'' ,,Ja aber Du mußt mir versprechen, daß du wirklich gut auf Lucy aufpaßt, sie ist noch so klein.'' ,,Ich werde auf sie aufpassen, mehr als ich auf mich achtgeben würde. Ich werde dafür sorgen, daß ihr nichts geschieht. Und Gnade Gott dem, der ihr Unheil zufügt!'' ,,Ich liebe dich. Ich liebe euch beide.'' waren die Worte bevor sie in sich zusammensackte und der EKG-Monitor einen Schrillen durchdringenden Pfeifton von sich gab. Ärzte und Schwestern kamen in das Zimmer gerannt. Jetzt war er es der weinte. Er weinte nicht nur, erschrie seinen Schmerz aus sich hinaus. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten, und weinte wie noch nie in seinem ganzen Leben. Wärend eine Schwester das Piepen des EKG-Monitors abschaltete, nahm ihn eine andere Schwester in den Arm. ,,Sie müssen jetzt stark sein.'' Er nickte. Doch er war gebrochen ...

Als Er aufwacht, liegt er auf einer Liege im Sanitätsraum des Fachbereiches eine Etage tiefer, unweit des Dekanates. Ein Arzt beugt sich über ihn: ,,Sie hatten einen Nervenzusammenbruch. Das ist eigentlich nicht ernstes. Aber ich habe Ihnen ein Beruhigungsmittel gespritzt. Zur Sicherheit.'' Nachdem Er sich wieder hinsetzt und beteuert, das alles wieder in Ordnung sei, ordnet der Dekan ihm eine Woche Urlaub an. Er geht den offiziellen Weg zur Tiefgarage. Der Weg zum Auto ist deshalb heute etwas länger als sonst. Seine Gedanken rasen, sein Kopf fühlt sich an wie ein Bienenstock. Seine Gefühle gleichen einen großen Brotteig in einer Rührmaschine beim Bäcker. Er fährt auf den Highway und macht gedankenverloren das Radio an. Erst nach ein paar Minuten erkennt er sein ehemaliges Lieblingslied: Es ist ,,Lucifer´´ von Alan Parsons Project. Heute erinnert es ihn an Dinge, die ihm höllische Seelenqualen bereiteten. Er tippt auf den Sendersuchlauf. Ein religiöser Sender stellt sich ein, und schon quatscht einer los über den Lebenszweck. Der Turbo-Christ predigt: ,,Große Sünde ist über unser Land gekommen. Junge Menschen paaren sich wie Karnickel, und fragen nicht mehr nach dem Willen Gottes. Verkehr vor der Ehe ist Sünde. In unserem Land herrschen Sitten wie in Sodom und Gomorra. Und deshalb hat Gott A.I.D.S. über unser Land ausgeschüttet um uns für diese Sünde zu bestrafen.'' ,,Na klar,'' sagt Er zynisch. ,,Nur daß Gott einen weißen Kittel und eine Nickelbrille trägt, und jeden Monat einen Scheck vom Pentagon bekommt!'' Er muß hart bremsen, und im Handschuhfach rappelt es. Er öffnet es, und nimmt einen schweren Metallgegenstand heraus und steckt ihn in die Manteltasche. Er fährt die Einfahrt hoch, und läßt den Wagen dort stehen. Er geht nicht in das Haus, sondern in den Garten. Er geht bis an das Ende des Gartens. Von dort aus geht er weiter in die Wildnis. Wie lange ist er nicht hier gewesen. Er hatte das Haus extra an diese Stelle bauen lassen, denn hier hatten sie Lucy gezeugt. Er steht wie damals an der Böschung. Er setzt sich auf das Gras des Hügels und sieht auf die Bucht hinab. Auf der anderen Seite sieht er die Lichter der Skyline von San Francisco, auf der rechten Seite die Golden Gate Bridge. Die Sonne ist ein gigantischer blutroter Feuerball. Alle Wolken gleichen einem Flammeninferno. ,,Götterdämmerung'', denkt er, holt den Metallgegenstand aus seiner Manteltasche und hält die Mündung der Pistole in den Mund. Das letzte Geräusch, das er in seinem Leben hört, ist der Knall des Schusses.
 
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