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9 Seiten

CATANIA TRILOGIE

Romane/Serien · Sommer/Urlaub/Reise · Romantisches
*

C A T A N I A - T R I L O G I E

DER CONTE

Es ist
das Meer smaragdgrün,
der Strand schwarz vom vulkanischen Sand.

Dunkel ragen Klippen aus Lava
und Feigenkakteen hoch wie Säulen ...
rotes, süßes, blutendes Fleisch ihre Früchte.

Es ist Sizilien.

Über allem der Ätna. Bergmassiv, zerwühlt von Höllenkratern und brodelnden Schlünden. Man sagt, der Ätna schläft nie. Auf seinem Gipfel liegt immer Schnee. Das Eis und das Feuer!

Sizilien 1955.


Die jungen Touristen wohnen in Zelten, in Bungalows.
Karin hat lange für diesen Urlaub gespart.

Am Tag fegt der Scirocco das Land. Der heiße Wind von Afrika her.

Abends kommt die Kühle. Sie sitzen zusammen auf der Speiseterrasse ... die Jungen, die Mädchen. Die Tische sind mit weißem Leinen bedeckt. Ein Ober steckt Tropfkerzen auf dicke, bauchige Chiantibotteln. Immer neue. Die Kerzen flackern, brennen rasch herunter. Vielfarbiges Wachs fließt wie Bäche. Über grünem Glas erstarrt es zu pittoresken Gerinnseln und Mustern.

In Fischernetzen baumeln hoch über den Tischen der Gäste bizarre Riesenmuscheln, auch echte Seepferdchen und Seesterne - luftgetrocknet. Dazu Kraken, Schwertfische, Haie ... aus Bakelit.
Mediterranes Dekor. Die Einheimischen geben sich Mühe. So glauben sie, mögen die Touristen aus dem Norden es gern.

Nach dem Abendessen das Fest. Folklore. Am Strand hat man eine Bühne errichtet. Tenöre schmettern mit gewaltigen Stimmen Arien:
- Che bella cosa -,
- O sole mio -
Von überall her sind die Fremden und die Sizilianer gekommen. Kopf an Kopf wogt die Menge in der südlichen Nacht. Wenn Applaus und Lachen für eine Weile aufhören, tönt laut das Branden der See.

Später dann ‚la Tarantella‘. Elegante Tänzer mit Tamburinen, in harlekinbunten Gewändern. Und der starke Vino Rosso vom Ätna.

Die jungen Mädchen aus Schweden, aus Deutschland, haben sich schön gemacht: Ballerinenschuhe, Petticoat-Kleider, schmale Knöchel, wippende Röcke ... dazu ihre Jugend.

Und die wildernden reichen Signori der Insel kommen her zu ihrem Vergnügen. Die Dons, die Patroni. Auch Papagalli, Giovannis und Tinos.

Aber die Herrschaften aus Catania und Syracus! Maßanzüge tragen sie aus weißer Seide. In hellen Alfas kommen sie vorgefahren: Romeos. Eleganz ist weiß in Sizilien.

Schmelzend spielt ein Orchester magische Melodien ... all die heißgeliebten Herz-Schmerz-Schlager-Weisen der Welt.

Ernesto, der Conte, löst sich aus dem Kreis seiner Begleiter. Leicht berührt er ein Mädchen bei der Schulter. Führt sie zur Terrasse über dem Meer, wo die Menge schon begonnen hat, zu tanzen.
- Love is a many splendored thing -

Eine hat er sich ausgewählt unter vielen ... die Jüngste.
Karin.
Sechzehn ist sie. Ihr ist alles ein Traum.

- Wenn bei Capri die rote Sonne -

Der Himmel. Die Sterne. Die Musik jetzt so brausend wie die Brandung der See.
‚Dieser Mann‘, denkt sie, ‚ist schöner als alle ... so hochmütig und unsagbar fremd.‘
Er sieht sie an mit einem Blick voller Rätsel. Wild tost da ihr Herz.
- Chanson d‘ amour –

Il Conte. Hoch und schlank ragt er auf aus der Menge. Ernesto, der Jäger. Lächelt nie. Ein düsterer, mächtiger Gott ... so erscheint er dem Mädchen in dieser samtblauen Nacht. Sie folgt ihm zaghaft im Rhythmus seiner Schritte. Er lehrt sie den Tango tanzen, spricht zu ihr von Begehren, während er sie auf jenem Rondell am Meer fest im Arm hält. Die Stimme des Conte, heiser, erregt. Spricht ihr von Schicksal ... geflüsterte Worte. Die lasten schwer auf ihr. Schwer wie seine Hand auf ihrer Schulter.
‚Er ist nicht glücklich“, denkt sie ... und entdeckt verwirrt die Melancholie seiner Züge und seine Augen wie Glut in der Asche, Er ... die Gefahr und ... die Ekstase.

Geheimnisvoll ist dieser Mann, dunkel wie der Berg Ätna. Nah an seinem Körper, bewegt sie den ihren wie in Trance ... nur er zählt, er ist es, war es schon immer, ER, den sie nie gekannt hat ... das Ziel ihrer Mädchenträume. Taumelig wird sie. Und dann stürzt sie kopfüber in jenen lodernden 'Ring aus Feuer'.
Da fällt sie in Liebe.

*



ENDE DES SOMMERS

Kühl ist die Nacht. Am Saum der Bucht lagern die jungen Touristen. Decken haben sie im Sand ausgebreitet. Man reicht Weinflaschen herum. Paare gehen am Strand. Ihre nackten Füße ... Meerschaum umspült sie.

Sizilianische Männer spielen Gitarre. Salvatore singt. Hell schwingt sich sein Lied auf über das Brausen der See:
- Sul Mare lucido -. Enzio stimmt ein. Mit tiefer Stimme. Sie singen zu zweit. Von Gitarren begleitet:
- Santa Lucia -
Es funkeln in der Ferne Catanias Lichter.
Karin sitzt mit ihren jungen Landsleuten beisammen.


Da kommt Ernesto, der Conte, mit ein paar Freunden. Das Mädchen erbebt. Ein Taumel erfasst sie. Der Puls rast und stockt dann. Gelähmt scheinen plötzlich die Glieder. Ihren Leib durchfährt es wie ein Dolchstoß, als er im Vorbeigehen kurz zu ihr hin nickt. Ernesto. Der Boden versinkt ihr unter den Füßen.
‚Ich bin für ihn leichter als Luft‘, spürt sie. An einem Abend wie diesem fühlt sie, wie ihr Herz dem des Mannes so nah, doch seines von ihr so weit weg ist. Einen Blick ist sie ihm wert. Mit kaum merkbarem Kopfnicken grüßt er zu ihr herüber.

Ach, das Eis und das Feuer!

Das hat sie niemals gekannt, dieses wilde Wirbeln durch Freude und Schmerz. Die Liebe. Die Lust. Alles hat er sie gelehrt.
Manchmal hatte er sie in das Haus hoch oben am Ätna gebracht. Dort, wo er mit ihr allein war. Dann gehörte sie ihm.

Oder er holte Karin früh morgens vor dem Campeggio ab.
Im weißen, offenen Cabriolet fuhren sie über die Strada del Sole, entlang den türkisfarbenen und smaragdenen Buchten, dann tief hinein ins Landesinnere. Weite gelbe Weizenfelder! Heiß blies der afrikanische Wind über die Ebenen.
Scirocco.

Agrigent ... Hohe und gestürzte Säulen auf antiken, griechischen Tempelfeldern zeigte ihr der Conte in sonnenverbrannter Landschaft. Und nah der Küste die weiten Citrushaine. Später leuchtete ihnen in üppigem Grün, von Blüten bekränzt, hoch über dem Meer Taormina entgegen, die Perle aller sizilianischen Städte.
- Memories are made of this -

Dass er nicht frei sei, hatte Ernesto gleich am Anfang ihrer Bekanntschaft zu Karin gesagt. „Sono un uomo sposato, un uomo di famiglia“. Er sagte es, bevor er sie zum ersten Mal mitnahm zum Haus am Ätna. Sie war nur ganz wenig verwundert, hatte eigentlich nichts anderes erwartet ... ein Mann wie er!

In versteckten Restaurants aßen sie, flanierten nachmittags an Dingen vorbei, die das Herz jedes Mädchens höher schlagen lassen: teurem Luxus, ausgestellt in Palermos Boutiquen. Alles wollte er ihr kaufen: Armband, Ohrringe, Designer-Kleider, -Schuhe, Seidenschal, eine Sonnenbrille. Noch nie hatte ein Mann ihr etwas geschenkt. Es war ihr auch keiner bisher nahegekommen. Nur ER . Nein ... sie würde von ihm nichts Materielles annehmen.
"So eine bin ich doch nicht", hatte sie leise gesagt. So eine wollte sie nicht sein. Niemals! Nein!
"Mais pourquois pas?", hatte er lächelnd gefragt - sie sprachen französisch - er verstand kein Deutsch und sie nur wenige Worte Italienisch -
Ziemlich ungeduldig wurde er sogar, weil sie so starr blieb.

Da gab sie sich am Ende geschlagen und ließ sich beschenken. Gewissensbisse? Die kamen und gingen. Bald aber zeigte sie sich stolz in den von ihm ausgewählten, kostbaren Sachen. Die Mädchen aus ihrer Reisegesellschaft staunten sehr und waren sich nicht schlüssig, ob sie Karin beneiden oder verachten sollten.

*

Doch an diesem Abend scheint der Conte nicht ihretwegen gekommen. Mit seinen Begleitern und den Herren des Campeggio sitzt er schon bald in lockerer sizilianischer Männerrunde beisammen. Sie plaudern, sie diskutieren lautstark. Karin bebt. Sie würde IHM so gerne nah sein. Aber sie ist umgeben von den deutschen Feriengenossen und er von seinen gut aufgelegten Amigos. Sie hat nicht den Mut, zu ihm hinüber zu gehen.

‚Vielleicht ist er doch wegen mir da?‘, denkt sie. Rasend, wild klopft ihr Herz. Oft hat er sie abends von hier abgeholt. Hoffnung! Mit Ernesto hinauf zu fahren zum Ätna ... zu dem Haus, wo er mit ihr allein ist, das ersehnt sie mehr als alles auf der Welt. Sie möchte nur eines: wieder in seiner Macht sein. Aus der Ferne klingt dann und wann seine Stimme, sein dunkles Lachen.

Und immer noch am Strand das Spiel der Gitarren!
Enzio und Salvatore singen.
- Nessun dorma, tu pure, o Principessa ... o Principessa -
Ach, die südlichen Lieder!
Und der Himmel so hoch.
- Vieni, vieni sul mar -
Da übertönen die Melodien gewaltig die Brandung.

Doch ER ist in Eile. Als Ernesto geht mit seinen Begleitern, verliert die Nacht ihren Glanz. Noch immer gibt es reichlich Vino. Noch immer küssen sich junge Menschen. Paare laufen kreischend, sich jagend, oder eng umschlungen ins Meer.

Karin sitzt aber starr inmitten ihrer Urlaubsbekannten. Sie bedeuten ihr nichts, wenn ihr auch mancher durch Worte und Verhalten signalisiert hat, dass sie ihm gefällt.

Nach Ernesto wird es für sie keinen mehr geben, das weiß sie. Wie es auch vor ihm keinen gegeben hat. Er ist alles.

Später legen die sizilianischen Männer die Gitarren beiseite. Nach und nach verlöschen in der Ferne Catanias Lichter. Härter als sonst, so scheint es, schlagen die Wellen aufs Ufer und dann kommt leer und frostig der Morgen.

Eines Tages war Enzio tot, der Sänger. Auf einer Hauptgeschäftsstraße erschossen. Omerta.
Catania, gefährliche Stadt.
Als die Winterstürme begannen am Meer, waren auch die letzten Touristen längst heimgefahren.

Karin ist in Sizilien geblieben.

*


TAORMINA NACHT
ein Jahr später, Sommer

Die Zeit der Feste
Giardini. Hoch über dem Ozean der Palast und die Gärten. Gepflegter Pflanzendschungel. Subtropische Gewächse. In Marmorbecken recken sich, üppig von Schlingreben umrankt, Nymphen und Götter aus Stein. Springbrunnen schleudern ihre Wasserfontainen zum Himmel.
Gläserne Laternen hängen wie helle Ballone im nächtlichen Park. Ihr Licht wirft kreisrunde Inseln aus fluoreszierendem Leuchtgrün in das Gewirr der Stauden und Bäume. Über allem liegt betäubender Blütenduft von Gardenien, Jasmin.

Am Portal des Palazzo fahren die hochherrschaftlichen Limousinen vor.
Kies knirscht unter den Schritten der illustren Gäste ... im Schein der Laternen die Reichen, die Schönen, die aus den großen, alten Familien. Küsschen hier, Küsschen da. Im Park ist ein heller, luftiger Pavillon errichtet. Dort servieren Butler und weißbehandschuhte Diener die Drinks und die Häppchen.

Orchesterbühne unterm Sternenhimmel! Ein farbiger Sänger, von einer Big Band begleitet, singt:
- Only you -
Im tiefen Herzen Siziliens der Sound der ‚Platters‘ und von ‚Mister Acker Bilk‘.
-Twilight-time -
- I’m a big pretender -
Saxophon. Trumpet. Auch New Orleans-Blues- und Jazz spielen sie.


Gavros, der Grieche, kommt mit einem Mädchen, das jung ist und das niemand kennt. Rot flammt ihr Kleid. Rot wie das Fleisch der Kakteenfrüchte: Karin.

Sie dürfte nicht hier sein, gehört nicht in einen exklusiven Kreis wie diesen. Denn sie ist niemandes Gattin, Tochter oder Verlobte. Streng sind die Bräuche. So ... irgendeine und sei sie auch hübsch und harmlos, gehört nicht zu ihnen. Doch das schert Gavros wenig. Er präsentiert sie lachend der Meute. In dieser Nacht gibt man sich denn auch als gut aufgelegte, tolerante Gesellschaft. Man verärgert den Griechen nicht gern.

Dunkle Männer zeigen sich jovial, küssen Karin die Hand. Signori ... ihre eleganten, sicheren Gesten und sezierenden Blicke, die lächelnden, glatten Gesichter! Karin schaudert.
Als Gavros sich dann mit anderen Gästen für eine Weile entfernt, – "mi scusi ... die Geschäfte“ - da ist sie bereits von einer Schar plaudernder Herren umringt.

Später, im Park, gelangt die Gruppe zu Sitzbänken aus Marmor. Dort lässt man sich nieder, wo hinter schön geschwungenen, steinernen Balustraden die Küste zum Meer hin jäh abfällt.

Da stürzt Karins Blick die steilen Hänge und Felsen hinab. Auf schroffen Basaltklippen ragen schwarz die Umrisse der Feigenkakteen zum Himmel.

*

Und tief unten die nächtliche See. Naxos. Die Bucht.
Lautlos, mit gelben Lampions bestückt, gleitet eine Flottille Fischerbarken dahin. Auf der Jagd sind sie nach Kraken und Calamaren. Lichter von hundert Bootslampen flimmern über das leicht gekräuselte Wasser. Die niedrigen Wellenkronen gleißen wie Gold.

Auf den Kieswegen lustwandeln die Frauen der Reichen in ihren kostbaren Roben. Wie Orchideen, wie Blütenblätter, schimmernd in pastellenen Farben, so leuchten sie aus dem Dunkel der Nacht.
Damen, flink, kokett, Weiber wie Eidechsen, Hexen ... schrill und ... vulgär. Oder stolz und voller Geheimnis. Sie duften nach Dior. Aus ihren grellgeschminkten Mündern perlen Worte, geistreich, frivol, leicht hingesagt, dabei immer auf Wirkung bedacht. Und Kaskaden lebhaften Gelächters tönen wie Echos in Karins Ohren, melodisch wie die durchdringenden Schreie seltener Vögel.

Karin fühlt sich benommen, wie im Rausch. Kommt das vom schweren Duft des Jasmin ... dem Geruch, der Magie dieser mediterranen Nacht? Oder ist der Champagner schuld, an dem sie doch fast nur genippt hat?

Auf die baldachinüberdachte Terrasse tritt später Cleo und wird gleich von jubelnden Gästen umringt. Sie, die Kühle ... zu dem Rest der Sizilianerinnen passt sie nicht. Cleo, die Winterkönigin. Norditalienerin ist sie und Ernestos Frau. Einmal hatte er zu Karin von ihr gesprochen und dann nie mehr.

Karin ist erstaunt, dass Cleo so jung ist. So schlank und hell. Eine blassklare, hohe Erscheinung mit arktischem Blondhaar ... la Contessa. Die Dame aus Chiavenna. La moglie d‘Ernesto.

Gavros stellt der Contessa seine junge, deutsche Begleiterin vor. Ein rätselhafter Blick aus grau-grünen Augen streift nur flüchtig Karins Gestalt, und ein Lächeln, undeutbar und rätselhaft, spielt um Cleos dunkelroten Mund.
Ernesto liebe seine Frau abgöttisch, hatte man im Campeggio so dahergeplaudert. Daran wollte und will Karin nicht glauben ... doch kann alles möglich sein, hier in Sizilien.
Ganz sicher aber ist die Contessa eine, die in dieser Gesellschaft viel zählt ... eine, die man aufs Höchste hofiert. Karin ist verwirrt und beschämt. Cleos Schönheit hatte Ernesto niemals erwähnt.

Bald taucht er selbst unter den Gästen auf. Dunkel und machtvoll, ‚so sehr aus einem Guss‘ denkt Karin, furchtbar und schön wie der unbesiegbare Berg Ätna.

Da fällt sie fast um. Dabei war sie doch darauf gefasst, ihn hier zu treffen. Aber hatte auch er gewusst, dass sie kommen würde?
Das Eis und das Feuer! Sie bebt am ganzen Leib.

Ernesto fordert Karin zum Tanz auf. Nicht gleich. Später im Tumult des Abends. Tanzend führt er sie davon ... die Terrasse und die Menge lassen sie nach und nach hinter sich. Rascher zieht er dann das schon wieder zitternde Mädchen schmale, matt beleuchtete Pfade entlang. Küsst sie ... küsst sie, drängt sie ungeduldig tiefer hinein ins Dunkel der Gärten und weiter, versteckte Stufen hinunter zum Meer, während der Klang des Orchesters in der Ferne verweht.

Nah bei den Klippen, im Tosen der Brandung, auf dem glitzernden, schwarzen Sand hingebreitet, nimmt er sie. Selbstverständlich, als seien nicht seit ihrer letzten Begegnung Monate vergangen. Gierig ...

Wie sehr er sich nach ihr gesehnt ... flüstert er ... oh, er meint es nicht wirklich, das ahnt sie und will doch glauben, dass all die schönen Worte wahr sind ... Und ihre Körper sind eins, nur seine Augen im Mondlicht ... merkwürdig fern.

"Lieb mich, halte mich fest für immer", möchte sie schreien und ihm tiefe Zeichen in seine Brust eingraben mit ihrem Mund, mit ihren zubeißenden Zähnen.

Male möchte sie ihm beibringen, damit er nicht spurlos wieder in seine Welt verschwindet und sie allein lässt. Und damit er sie nie vergisst. Aber seine dunkle Schönheit, sein Gesicht, sein Körper, vom Mondlicht beschienen ... fremd! Und seine Seele ist auch weltenweit fern. Sie fühlt es. Wie kann das aber sein, wo SIE ihm doch mit jeder Faser gehört?

Er tut ihr weh. Der Schmerz ist kostbar. Sie lacht unter Tränen, denn ihre Liebe ist ohnehin größer als seine.
‚Dafür hat ER die Leidenschaft, die nach nichts fragt‘, denkt Karin.
Ihr ist alles ein Traum.

"Glaub mir", sagt Ernesto, "du bedeutest mir ... viel. Ich wollte nie mit dir spielen. Wir werden bald wieder einmal gemeinsam ... verreisen. Ich möchte mehr Zeit für dich haben."
Verspricht ihr ...
Ihr Gesicht, ihre nackten Schultern bedeckt er mit Küssen.
"Ti amo", stammelt Karin ... und Tränen...

‚Es ist immer die gleiche, alte Geschichte‘, denkt er . ‚Allzu sentimental sind die Frauen!‘ Diese hier verursacht ihm ein schlechtes Gewissen. Sie ist noch so unerfahren, so jung.

"Sei mia vita", flüstert die Kleine: "Du bist mein Leben."
"Das bin ich nicht. Sag so etwas nie mehr, bitte!"
Nein, sie wird es nicht mehr sagen.
Doch er i s t ihr Leben.
Ihr Meister.
Ihr H e r r.
Hoch ragt im Mondschein hinter Taorminas Nachtsilhouette der schneebedeckte Gipfel des Ätna empor. Zum Greifen nah. In Wahrheit fern ...

‚Nie hat eine Frau einen Mann so geliebt, wie ich dich liebe. Niemals.‘ Das spürt sie mit der Klarheit ihrer siebzehn Jahre. Doch sie weiß, Er will es nicht hören. Nein ... sie sagt es nicht.

Taumelig ist sie. Er hält sie fest in den Armen. Auch wenn er nachher gehen wird ... sie wird ihn morgen und übermorgen und Tage lang spüren, spüren tief in sich drin, als Schmerz in ihrem Leib. Im Herzen aber für ... ewig.

‚Was ich für dich fühle, ist größer als alles‘, denkt sie pathetisch. Und es ist ihr hoher, heiliger Ernst. Wieder stürzen Tränen aus ihren Augen. Nichts ist ihr je gewaltiger, feierlicher erschienen als diese Liebe. Eine Liebe, mächtiger sogar als der Tod!

Es funkeln und flirren in dieser Nacht über Taormina alle Sterne.

Der Conte bringt sie zurück, dahin, wo die ausgelassene Gesellschaft wie ein Bienenstock brodelt. Ohne Aufsehen reihen sie sich ein unter die Anderen.

"Du musst Hunger haben, warte, ich hole dir ..." Er ist froh, etwas für sie tun zu können. Es ist gut, den Bann zu brechen. Jetzt.

Die Leute sehen nur den höflichen Mann von Welt, der einem jungen, weiblichen Gast einen Teller mit Snacks und ein Getränk vom Buffet besorgt. Und sie sehen ein Mädchen ... ihr Gesicht glüht wie im Fieber, riesengroß sind ihre Augen. Die Leute ahnen ... nichts.

Rasch werden Ernesto und Karin aufgesogen, fortgerissen von einer lauten, lebhaften Schar.
Irgendwann entfernt sich der Conte und widmet sich neuen Gästen. Lässt Karin allein in der Runde.

Man findet die Deutsche ‚simpatica‘, man sieht ihr Kleid aus schwerer, roter Seide, ihre junge Gestalt ... carina. Man zieht sie hinein in small-talk, den sie nur wenig beherrscht. Denn sie ist linkisch. Doch was macht das schon?
Man gewahrt den Glanz in ihren Augen, aber nicht, dass in ihnen die Tränen aufsteigen. Tränen verbirgt die Nacht.
Eigentlich ist es eine gute Nacht für Karin. Elegante Herren bitten sie zum Tanz, sagen ihr schmeichelnde Worte. Sie lächelt, doch hört sie kaum hin, was diese Männer erzählen.

Gavros, der Grieche, ist dann wieder da und legt den Arm um sie.
‚Er ist wie ein Vater für mich‘, denkt Karin.
Mit ihm tanzt sie am Ende, bevor die Band Schluss macht. Einen Tango. Den ersten hat sie im vorigen Sommer auf der Terrasse am Meer mit Ernesto ...
"Der letzte Tanz gehört immer mir", sagt Gavros in ihr Ohr und zieht Karin eng an sich, „wir müssen aufbrechen ... komm, meine Liebe!"
Mit festem Griff legt er ihr das Cape um die Schultern.
Da erst spürt sie die Morgenkälte.

Nun wird sie viel Muße haben, um in Sternennächten zu träumen. Die Gedanken laufen immer im Kreis. Und ihre Sehnsucht. Der Ätna schläft nie. Nur das Eine ist wichtig: Ernesto wiederzusehen. Zufällig? Bald? Morgen? Irgendwann in der Zukunft?
Liebe kann töten. Oder heilt die Zeit alles ... ?

Karin wird Sizilien nicht verlassen.


*


Copyright Irmgard Schöndorf Welch, März 2003
überarbeitet am 22.05.2005








überarbeitet am 22.05.2005
 
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Kommentare  

Gefällt auch mir. Schöner Schreibstil, tiefe Empfindungen. Tolle Story.

Jochen (24.11.2009)

Wirklich ein toller Text.

Petra (05.10.2009)

Eine sensibel erzählte erotische Geschichte. Hat mir sehr gefallen.

doska (06.02.2009)

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