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weg

Trauriges · Kurzgeschichten
© renée b
Ich schrie und tobte. Doch sie stand nur da, den hohlen, leeren Blick auf mich gerichtet. Ich war außer mir. Meine Hände zitterten, meine Stirn und Wangen glühten, als verbrannte ich innerlich. Meine Faust pochte von den Glassplittern der zerschlagenen Scheibe. Mein heißes Blut rann über meine verkrampften Fingergelenke ins Innere meiner starren Faust. Doch ihre Hände waren kalt.

Tränen der Wut verdampften auf meinen rotglühenden Wangen und Lippen, während ich sie beschimpfte - sinnlose, gekeuchte Phrasen - um ihr meinen ganzen Hass ins Gesicht zu schmettern, ihn aus meinem Inneren hervorzuwürgen. Lediglich verstümmelte Worte und verzerrte Schreie konnten sich aus meinem Körper lösen. Ich rang nach Luft. Doch sie stand nur da: regungslos, lautlos, atemlos...

Ich konnte sie nicht mehr ertragen, nicht so. Meine pulsierenden Lippen pressten sich gegeneinander. Meine Mundwinkel bebten. Ätzende, warme Tränen benetzten mein Auge. Meine heißen Finger berührten ihren kalten Hals, umschlossen ihn bald... enger, fester. Meine Knie bohrten sich in den harten Boden. Ich drückte zu, rasend vor Verzweiflung. Doch sie ist nicht da.

„Steig aus! Wir sind da!“ Myriaden von schwarzen Menschen mit bleichen Gesichtern. Niemand spricht ein Wort. Sie stehen nur da, sehen ins Nichts, als hätte man ihnen das Herz aus der Brust gesogen. Als hätten sie mit ihr gelitten. Als hätten sie sie gekannt. Doch niemand kannte sie. Nicht einmal ich.

Sie ging einfach. So einfach, dass es schmerzt: ohne ein Wort, ohne den geringsten Abschied. Sie wollte in einer fließenden, weißen Tunika in eine andere Welt schweben. So wie die „göttliche Isadora“, wie sie diese Tänzerin immer nannte. Sie liebte sie, weil sie nicht so war wie sie selbst, weil sie nicht mehr existierte und dadurch mythisch schien. Jetzt liegt sie da: weich, weiß, kalt, in einem grauenhaften Kleid, dessen lange graue Ärmel die langen roten Schnittwunden an ihren Handgelenken verdecken.
 
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Kommentare  

richtig toll! klasse!!!

Christina Chrissi (19.06.2008)

jo...heftig... gefällt mir verdammt gut!
lg darkangel


darkangel (10.02.2007)

Eine gute Idee und eine gute Ausführung, zuerst den Ton eines Mordes anzuschlagen und dann in einem Verlust eines geliebten Menschen aufzulösen.

Besonders bei so einem kurzen Text kann man aber jedes Bild genau prüfen. Verdampfende Tränen auf Wangen sollte man doch eher durch eine rhetorische Figur, z.B. eine Metapher ausdrücken, außer du willst andeuten, daß sich die Haut deines Helden bei über 100°C befindet. ;-)
Die Hand pocht auch nicht aufgrund der Glassplitter, das kommt vom Puls... usw...

Wenn du solche Schnitzer noch ausbügeln würdest, dann hätte ich nichts mehr zu mäkeln.

Gruß
Sven


 (05.02.2004)

Bis zum vorletzten Absatz kann ich den Sinn verfolgen. Dann das mit den schwarzen Menschen und mit der Isadora versteh ich nicht.
Jedenfalls überraschend geschrieben und bis zum Ende den Ausgang offen gelassen.

Sehr gut.


Redfrettchen (14.12.2003)

absolut der hammer! ich muß zugeben mir fehlen die worte...

snowy b. (24.09.2003)

Wow! Sehr einfühlsam geschrieben. Sehr gut.

Metevelis (24.05.2003)

Sehr ergreifend.... hoffe, du mußtest das nicht wirklich erleben.

Maegumi (10.01.2002)

verdammt gut geschrieben. auch die gefühle wurden echt gut beschrieben.

*respeckt*

peace
sandwich

ps: ich hoffe diese geschichte ist erfunden.


sandwich (31.08.2001)

Harte Schreibe.
Ein Paar sprachliche Schnitzer sind aber aufgefallen, wie auch ein Paar überzogene Bilder, die - so makaber das auch klingen mag - unfreiwillig komisch wirken (z.B. die verdampfenden Tränen auf rotglühenden Wangen und Lippen)


Sven Benson (23.05.2001)

Sehr eindrucksvoll beschrieben, kommt gut rüber... die Gefühle... bewegend...

Sabine


SabineB (09.05.2001)

übelst wahr geschrieben!

esmias (07.05.2001)

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