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5 Seiten

Freundschaften I

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Alice
Bin von der Uni zu einer Freundin gefahren. Gute Freundin, die Koordinatenzuweisung ist treffend. Sie hat endlich eine Wohnung finden können, nachdem sie über ein halbes Jahr lang von ihrer Vermieterin unschön behandelt wurde. Die Telefongespräche wurden vom Anschluß in der Huaptwohnung mitgehört. Es wurde sich auf nassen Rasen im pittoresquen Vorgarten gelegt, um in die Fenster der Kellerwohnung schauen zu können. Es wurde die Tür in ihrer Abwesenheit geöffnet, es wurde alles inspiziert. Und es wurde dies nicht einmal verheimlicht.
Wir haben alle mitgelitten, als Molli in qualitativer Regelmäßigkeit von der ach so schlimmen Vermieterin gejammert hat. Denn schließlich bezahlt sie auch nur 450,- (in München!), hat akzeptable S-Bahn-Anbindung und Telefonsex macht sie nicht; nicht schlimm also, wenn andere ab und zu mal mithören.
Und dass die absolute Mehrheit der Vermieter in Abwesenheit ihres Zweiteinkommens das vermietete Zimmer besichtigt, ist irgendwie klar (würde ich genauso tun). An Mollis Stelle hätte ich mich geschmeichelt gefühlt, dass der Vermieterin mein Leben so mysteriös erscheint, dass sie eine peinliche Situation riskiert, von mir auf ihrem Spionagetrip überrascht zu werden.

Nun gut. Die neue Wohnung, von der sie seit 2 Wochen schwärmt, liegt ihrer Aussage nach in Schwabing. Wahrscheinlich ist es meine Schuld, dass ich mit Schwabing beeindruckende Altbaufassaden, kleine, harausgeputzte, mit rosa Tischservietten arrangierte (aber nicht wirklich) italienische Restaurants, den Kunstsalon Ohm, eine Galerie-Lounge für zeitgenössische japanische Kunst und Mode, die Penner an der Münchner Freiheit verbinde.
Denn der Schwabingbegriff bei Molli, ja, wie soll ich sagen, also, ich war enttäuscht.
Es ist kein Verbrechen, an einer dummen Hauptstraße mit Hochhäusern die neue Wohnung gefunden zu haben, aber ein Verbrechen, dies in der Öffentlichkeit als Schwabing zu deklarieren. Nun gut, fahren wir also die Rolltreppe der U-Bahn hoch, dem Licht entgegen, uns steht ein adretter, junger Mann mit Handy gegenüber.
Vielsagendes, schwerwiegendes Stirnrunzeln im Gesicht, wunderschöne Hände, mit Sicherheit hatte er Klavierunterricht seit der Kindheit, bis ihm die Oma zur gesellschaftlich verpflichtenden Konfirmation viel Geld geschenkt hatte und er innerhalb kürzester Zeit cool wurde. Wir gehen an ihm vorbei.
Drehe mich um und schau ihm nach. Grins. Betti merkt es nicht und sagt mit echter (!) Empörung: „Also der kam sich jetzt bestimmt ganz toll vor. Ja, ja, mit seinem rosa Hemd und dem Handy, bestimmt BWL-Student, BLA....“ Mein offensichtlich verständnisvoller Blick ließ sie noch ganze 3 Minuten dieselbe verquirlte Scheiße reden. Warum war sie durch ihn aus der Fassung gebracht worden? (Oder genauer gesagt, persönlich angegriffen?)

Übrigens hat Molli einen Putzfimmel.Ich wollte es ja zuerst nicht wahrhaben. Versucht, es zu verdrängen. Dachte, so was gibt es nur in Talkshows. Nun, Talkshows können also auch nicht nur scheiße sein, NEIN. Sie stehen für das wahre Leben, warum verkennen viele das? Leider habe ich damals, als bei Bärbel Schäfer „Hilfe, ich bin putzsüchtig“ kam, weitergezappt, siehst du, hättest „dranbleiben“ sollen und was lernen können, aber nein, mußtest dir unbedingt MTV-Select anschauen und ständig probieren, auch mal deinen Wunschclip der MTV-Meute am Telefon mitzuteilen. Nicht durchgekommen. Wie schaffen es bitte die ganzen 13jährigen, sich sogar mehrmals (!) Britney Schpears in einer (!) Sendung zu wünschen? Die haben es drauf. Das hast du nun davon, weder dein Video wurde eingespielt (Nirwana) noch kannst du die richtigen Therapieansätze bei Molli machen. Shit happens.

So. Jetzt aber.

Sie hat nämlich jedem begeisterten Satz über ihre Schwabinger (!) Wohnung beigefügt:
„Aber ich muß jaaaaaaa so viel putzen, du meine Güte, also, der Vormieter muß ja ein ganz Verferkelter gewesen sein!“ (=Originalwortlaut)
Und sie sagte es mit solchem Nachdruck.
Wir gehen aber erst mal die beschissene, hässliche Hauptstraße hoch zum Tengelmann. Der ist so reizend wie die ganze Gegend hier. Der Aldi am Rosenheimer Platz ist zum Beispiel reizend. Machmal, aber wirklich selten, sind Supermärkte reizend, wenn zwischen den Regalen Platz für einen mindestens zweispurigen Einkaufswagenverkehr und weniger als 5 Vollkornbrotsorten gibt.
Zum Glück reden wir unterwegs darüber, was wir jetzt essen wollen. Was Leichtes, meint Molli. Aha. So, obstsalatmäßig oder so. Aha, gut. Eigentlich schlecht, denn vom Obstsalat kriege ich immer Sodbrennen (die Vitamine drehen durch oder mein Körper ist so verwahrlost, dass jedes Vitamin als Antigen (sprich Bakterium, Virus) fehlinterpretiert wird und schon läuft die Antikörperbildung, die Immunreaktionrollt unaufhaltsam als schmerzendes Aufstoßen von gärender und blubbernder Magensäure an.) Mit ein paar Tassen Kaffe läßt sich auch dieser Brand löschen. Hoffen wir mal.
Im Supermarkt gestikuliert Molli heftig über das tolle, frische, herrliche, süße, tolle, herrliche, frische, süße Obst. Peinlich irgendwie. Aber nur irgendwie, ja, fast schon nur mal so am Rande.
Ich stelle mich mit dem Einkaufswagen an die Kasse. Vor mir ein Mann, gepflegt, Ende 30 (in Wirklichkeit Anfang 50, wie halten sich die Männer nur, was ist euer Geheimnis?), ich spähe ich seinen Einkaufswagen. Standard.
Genau wie in „Freundin“:
„Welcher Liebhabertyp ist ER? Sein Einkaufswagen verrrät es Ihnen!“
Meine Freundin stürmt nochmal in die Süßigkeitenabteilung. Ich faxe demnächst der DUDEN-Redaktion, die deutsche Sprache hätte ein neues Synonym für das Begriffsfeld von Schamempfinden: Molli. So, was schleppt sie da also an? Ich dachte, sie wollte was Leichtes essen. Kinder Schoko-Bons, Kinder Schoko-Riegel und No-Name-Kekse kommen zu dem bereits oben detailliert beschriebenen Obst, und Konservenananas und Zitronen und Rosinen.

Wir latschen zurück.
Ein herzerwärmend marodes, grau-schmutziges Haus, quer zur Hauptstraße, gegenüber ein Friedhof (*grusel, grusel*), überfüllte Müllcontainer 10 m vor dem Hauseingang, das Ganze mit perfidem 80er Jahre Anstich und schon sind wir in Bettis neuer Heimat. Innen ist es wie Hotel ohne Rezeption und des „You are welcome“-Posters, sonst lange Gänge mit vielen brauen Türen. Und am Ende des langen Flurs ist die Wand verglast und darauf mit schwarzer Farbe stilechte Friedenstauben gemacht. Och nö.
Es ist ein insgesamt 30 qm großes Apartment. Kleiner Eingangsbereich mit eingebautem bzw. an die Wand angehängten Kleiderschrank, Tür nach links ins Minibad, Tür geradeaus ins Maxizimmer. Im Zimmer. Blick geradeaus: großes Fenster mit Balkontür (mit Friedhofblick), links Tür zur 2 qm großen Küche, rechts moderne Bücherregalinstallation. Wir wurschteln uns den besagten Salat und Kaffe zurecht, Betti deckt penibel den klein (falsch, niedrigen) Tisch zurecht. Kaffetassen mit Zwiebelmuster. Nein, tatsächlich! So etwas gibt es. Es ist real. Und das bei jemandem, den ich meine Freundin nenne. Ich setzte mich auf den Teppich. Paar Sekunden später klatsche ich mich ganz auf den Boden. Meine Freundin hat jetzt wenig Verständnis für mich, aber sie versucht, tolerant zu sein, denn Toleranz ist eine hohe Tugend, ja, ja. Vielmehr eine unterschätzte Sünde (für die Heiden unter uns), aber ich verschone sie mit dieser Richtigstellung, sonst bekommt ihr der Obstsalat nicht.
Mir sowieso nicht.
Ich liebe es, auf dem Boden zu sitzen, Molli sagt mit verzogener Unterlippe, ihr wäre es lieber, wenn ich mich auf den Stuhl setzte. Komme nur schwer hoch, plumpse mich auf den Stuhl.

Erst mal Kaffee. Eine, zwei, drei Tassen. Trinke Kaffe und Alkohol sehr schnell. Zigaretten rauche ich sehr schnell, auch. Meine Freundin kommentiert, wie kann es auch anders sein, mein pathologisches Genußmittelverhalten. Denke daran, dass die Unplugged CD von Nirwana auf Schallplatte geben müßte, originell, kaufe bestimmt in den nächsten Tagen, auch wenn kein Plattenspieler vorhanden.
„Möchtest du Musik hören?“ fragt sie mit einem Gelassenheit induzierendem Gesichtsausdruck.
„Was hast du denn da?“
Alles, was sie mir aufzählt, ist ja so scheiße, bei mir stellt sich keine Gelassenheit ein.
„Ja, gut,“ presse ich schließlich aus mir heraus, bei einer CD, die ihre Augen haben aufleuchten lassen. Einstellung auf mittelleise. Wie kann man nur? Entweder laut oder aber im Frequenzbereich von Atemgeräuschen, sonst hat die Musik doch keine Wirkung. Melodie verschmalzt, und die Texte erst, wie zu lange in Milch stehengelassene Cornflakes.
Ich würge den Obstsalat herunter.

Sie macht es sich „gemütlich“, indem sie den Süßkram rausholt. Habe jetzt unglaubliche Lust, sie zu küssen oder sie sehr weit oben am Oberschenkel anzufassen. Wie würde sie reagieren?
Aber nein, ich muß verantwortungsvoll sein, denn dies würde Molli für den Rest ihres Lebens traumatisieren und den Putzfimmel potentiell steigern.
Was ist die potentielle Steigerung der Putzsucht?

Und dann teile ich ihr mein Leben mit. Die beschissene familiäre Situation, meine finanzielle Abhängigkeit von der Familie (trotz des eigenen Einkommens!), meine konkrete und allgemeine Entrüstung, meine erneute Verliebtheit in einen Mann, der mich subtil abweist.
Sie unterbricht mich nicht.
Ich rede und rede.
Sie nickt, kann vielleicht nur einen Bruchteil davon nachvollziehen.
Ich höre aufmerksam ihren gelegentlichen Ratschlägen zu.
Sie ist nicht bereit, auch nur den kleinsten Teil meiner Sichtweise zu akzeptieren.
Ich schau sie an.
Sie braucht nichts zusagen, darauf ist es noch nie angekommen.
Nur ihr Gesicht zählt.

Sie ist so schön.

Nur diese Schönheit macht mich wieder ruhig.
Ist das der Grund, warum ich diese Freundschaft aufrechterhalte?
Und am Ende, als sie das Geschirr sorgfältig einräumt, lächelt sie so verlegen und offenbart mir (den ersten und letzten Gipfelpunkt gelebter Romantik mit einem Mann), ihr Freund habe sie gestern zum ersten Mal geküsst.
Na sowas.

 
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Kommentare  

Alles Gute ist gesagt, da muß ich mal meckern: Ich finde, es steht zu viel in Klammern(!) und es ist teilweise ein bischen schwer zu lesen, da durcheinander. Einige Rechtsschreibfehler sind drin, aber das ist ja nicht wirklich ein Problem. Apropos: Mit Schimpfwörtern hab ich hier kein Problem. Alles Gut.

Dr. Ell (27.01.2004)

Bis auf die Schimpfwörter, die gehäuft am Anfang vorkommen, find ich die Story ganz gut.
Dieser Eindruck von äußerer Teilnahmlosigkeit und innerer ironischer Kommentierung ist einfach klasse.
Dafür 5 Punkte, aber knapp.


Redfrettchen (08.11.2003)

Sehr geile Story !
Kann man sich herrlich reinversetzen,
aber welch verkommenes Subjekt diese Molli doch ist !
Kuesst einfach Maenner mit denen sie nicht verheiratet ist ! ;)


Ta[k]isis (19.05.2003)

Gutes Ende... (siehe meinen anderen Kommentar zu einer deiner Geschichten)

Graf Zahl (25.01.2002)

Diese Geschichte wirkt auf mich sehr humorvoll und kurzweilig. Man kann die Emotionalität der beiden Hauptpersonen quasi fühlen.
Überhaupt ein interessantes Thema einfühlsam beschrieben.
Weiter so.


Oliver (17.12.2001)

Köstlich! Einfach nur gut! Bitte noch mehr!!

esmias (27.08.2001)

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