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Abreisetag

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen
Das Wetter passt zu meiner Stimmung, es ist diesig, Nebelfetzen schweben um die Häuser. Ich bin ganz allein im Frühstücksraum und genieße die ungewohnte Stille, sorgfältig eingedeckten Tische, akkurat stehende Stühle und ein unberührtes Büffet.

Noch während ich frühstücke, wird mein Gepäck abgeholt. Ich beobachte, wie der Kutscher im hohen Bogen meine Koffer auf die Ladefläche wirft und bin froh, dass ich die zusätzlichen Gurte angebracht habe. Wenn der wüsste dass ich ihn beobachte, würde er vorsichtiger sein.

In einer Stunde geht die erste Fähre. Ich bleibe noch, gönn mir den Luxus, mit der letzten zu fahren, will mich in Ruhe von der Insel verabschieden.

Langsam füllt sich er Frühstücksraum. Mir wird es zu laut, zu lebhaft, ich fühle mich unwohl; die, die jetzt ihre Plätze einnehmen, bleiben noch.

An der Rezeption warten die Wirtsleute, das obligatorische Paket Schneckenkuchen in der Hand. Ja, ja es war wieder sehr schön und ja, natürlich, ich komme wieder, wie jedes Jahr, wie schon seit so vielen Jahren.

Mit hochgezogenem Kragen, die Hände tief in den Taschen, gehe ich zuerst zu der Bank im Naturschutzgebiet. Wie oft habe ich hier gesessen und über Gott und die Welt nachgedacht, bin zu der Erkenntnis gekommen, dass vieles in meinem Leben schief gelaufen ist, dass es mir aber dennoch erstaunlich gut geht, dass das Leben viel zu kurz ist um sich verrückt zu machen und – überhaupt – dass ich nach meiner Heimkehr alles ändern werde, alles, radikal. Ich lächele. Hier, in dieser Stille ist alles so einfach. Ich atme sie noch einmal tief ein denn ich will mich erinnern, später, zu Hause, wenn wieder alles drüber und drunter geht und meine guten Vorsätze längst vergessen sind.

Mich fröstelt. Ich binde den Gürtel enger und mache mich auf den Weg zum Dorf. Vor meinem Stammcafe lädt ein Kutscher große Kühlbehälter ab. Ob auch Sahne geliefert wird? Gestern gab es keine zum Obstkuchen weil die letzte Fähre nicht gekommen war. Es hatte nicht genug Wasser, sagte der Kellner. Und wenn es nicht genug Wasser hat, gibt es den Obstkuchen nur ohne Sahne, so ist das hier.

Im Ortskern sind keine Touristen zu sehen. Statt dessen radeln Handwerker mit geschulterten Leitern durch die Straßen. Geräusche von Hammerschlägen, Sägen und Bohrern kommen aus allen Richtungen. Das Pferd der Müllabfuhr wartet mit gesenktem Kopf auf seinen Kutscher und wie jeden Tag gebe ich ihm den gestern im Cafe geklauten Würfelzucker.

In den Geschäften hängen neue Schilder. „Drachen zum halben Preis“, „Sonnenbrillen bis zu 50 % ermäßigt“, „Stark reduzierte Sommerware“, „Sonderangebote“ Die Bluse, die ich 14 Tage lang angesehen habe, wäre jetzt erschwinglich; aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob die Farbe nicht doch ein bisschen zu sehr auftragen würde. Beim Frisör wird Frau jetzt ohne Termin sofort bedient, das Schild mit der Bitte um Voranmeldung ist weg. Dafür geben neue bei Post, Sparkasse, Apotheke und Kurhaus Auskunft über verkürzte Öffnungszeiten; ein handgeschriebenes beim Zahnarzt lässt wissen, dass dieser auf dem Festland ist. Der arme Tropf, der heute Zahnschmerzen bekommt.

Telefonzellen – sonst von heimwehgeplagten Touristen umlagert – stehen ungenutzt herum. Der Kurpark ist menschenleer, die Orchestermuschel geschlossen. Auf der Programmtafel steht, dass Kurkonzerte erst ab 16 Grad gegeben werden. Das wird heute nichts mehr werden, bei der Kälte.

In der Fischhandlung darf nun an Ort und Stelle verzehrt werden, was während der Saison streng verboten ist. Wird sonst viel zu voll, erzählt die nette Verkäuferin. Ich bedanke mich für das freundliche Angebot und lehne ab. Nein, meine Fischbrötchen habe ich immer unterwegs gegessen und so soll es bleiben. Auf der Hauptstraße kommt mir ein Fuhrwerk entgegen, bis oben hin mit Strandkörben beladen. Wo überwintern die wohl?

Mein letzter Strandspaziergang wird zum Kampf gegen den Sturm. Die Gewalten toben um mich und wecken Gefühle von Freiheit und Abenteuer. Die Urkraft der Elemente hat mich schon immer fasziniert. Ich breite die Arme aus, schließe die Augen und wünsche mir, in eine andere Welt getragen zu werden, in die der Klabautermänner, Seeräuber und Meerjungfrauen.

Das Läuten der Inselglocke reißt mich aus meinen Träumen. Ich muss los, in einer Stunde geht mein Schiff. Auf dem Weg zum Hafen komme ich am alten Kurhaus vorbei. Seit gestern ist dort ein Bauschild aufgestellt. Der ehemals weiße Kasten wird restauriert. Einzel – und Doppelzimmer – natürlich mit Balkon – exklusive Suiten, Fitness – und Beautyräume und Erlebnisnasszellen werden eingebaut. Eine Glaskuppel soll das ganze krönen. Ob das nötig ist? Hoffentlich verliert dieses Haus aus Kaiser Wilhelm Zeiten nichts von seinem Charme. Ich stelle mir vor, dass eine blasse Dame in einem langen, weißen Kleid mit einem Sonnenschirm aus Spitze die Treppe hinab schreitet. Begleitet von einem Herrn im Leinenanzug mit Spazierstock und Strohhut. Und hintendran das Kindermädchen mit dem Nachwuchs, der Größe nach sortiert, sich brav an den Händen haltend. So muss es zu Zeiten der Sommerfrische zugegangen sein. Und nun wird umgebaut. Hoffentlich machen sie es nicht zu modern, hoffentlich ist da jemand mit ganz viel Fingerspitzengefühl am Werk.

Im Hafen haben sich schon Mitreisende versammelt. Einige stehen in kleinen Gruppen und tuscheln, andere kauern gelangweilt auf ihren Koffern und ein ganz wichtiger organisiert lautstark per Handy, was organisiert werden muss. Ich geh raus auf die Dune und zünde eine Zigarette an. Ob meine Kinder wohl beide am Bahnhof sein werden um mich abzuholen? Werden ihnen meine Mitbringsel gefallen und in welchem Zustand finde ich die Wohnung vor? Ich freue mich auf meinen Garten, die Apfelernte und das Wiedersehen mit meiner Freundin.

Am Horizont taucht die Fähre auf, in einer halben Stunde wird sie anlegen. Hoffentlich spielen sie bei der Ausfahrt nicht wieder „Auf Wiedersehn, es war so schön“, ich heul nicht so gern vor Publikum.

In diesem Jahr fällt mir der Abschied ganz besonders schwer, vielleicht, weil auch der Sommer zu Ende ist.
 
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Kommentare  

Besser als Stefan kann man es nicht sagen, darum verweise ich hierbei nur auf seinen Kommentar.

doska (17.06.2009)

Schön. Schöner Stil, schöne Beschreibungen, schöne Stimmung.
5P


Freiheit (21.08.2006)

Schönes, melancholisch stimmendes Sommer-Ferien-Urlaubs-Ende. Ich ließ mich gerne mit deinen Zeilen mittreiben.
Ähnliches, wenn auch an anderen Orten, erleben wir wohl jedes Jahr, wenn der Sommer geht. Dieses wehmütige Ziehen im Herzen...
Schöne Schreibe.
5 Punkte.


Stefan Steinmetz (21.08.2006)

Überaus treffend beschrieben.
Da wünscht man sich wieder auf die Insel.


Chris Stone (26.02.2005)

Sehr nachfühlbar, es erfasst eine melankolische Stimmung

Inselhopper (30.06.2003)

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