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5 Seiten

Ein Wintermärchen - Kapitel 1 und Kapitel 2

Romane/Serien · Spannendes · Winter/Weihnachten/Silvester
Kapitel 1 - Das offene Fenster

Martin lag auf seinem Bett in der Kinderstube und kuschelte sich gemütlich in seine Decke. Sein Schwesterchen Marie, die gerade Anfang November sechs Jahre alt geworden war, saß noch am offenen Fenster und sah fasziniert dem ruhigen Treiben der Schneeflocken zu, die leise vom Himmel fielen; und ihre Augen leuchteten dabei vor Freude.

„Du, Martin, interessiert dich denn der Schnee überhaupt nicht?“ fragte Marie ihren Bruder mit heller Kinderstimme.

Martin blickte nur kurz zu Marie hinüber, die mit einem dünnen Nachthemdchen auf dem Fensterbrett vor dem Fenster saß und knurrte:

„Marie, das Fenster ist schon zu lange offen und mir ist sehr kalt.“

Doch Marie hatte auf die Worte ihres Bruders nichts erwidert und beobachtete weiterhin das dichte Schneetreiben.

Während Marie so dasaß, den Schnee beobachtete und Martin im Begriff war einzuschlafen, trat ihre Mutter in das Zimmer, um noch einmal nach ihren beiden Kinder zu sehen.
Die Mutter, Getrude Kraus, war eine Frau in den vierziger Jahre, was man ihr allerdings nicht ansah. Sie trug ein einfaches weißes Nachthemd, was sie sich letztes Jahr bei ihren Aufenthalt in Berlin gekauft hatte.

Als sie ihre Tochter Marie, an dem offenen Fenster mit dem dünnen Nachthemdchen sitzen sah, bekam sie einen großen Schrecken:

„Oh Gott, Marie!, mach sofort dass Fenster zu ! Du wirst doch sonst noch krank, Kind!“

„Aber Mama, schau doch, wie schön ruhig der Schnee fällt,“ entgegnete Marie.

Die Mutter, die das Leuchten in den Augen ihrer Tochter sah, trat auf Marie zu und nahm ihr Töchterchen liebevoll in die Arme. Dabei ließ sie auch einen Blick über Maries zwei Jahre älteren Bruder Martin schweifen, der sich kuschelig in seine Decken gehüllt hatte und nun selig, trotz der Kälte, die durch das offenen Fenster zu spüren war, vor sich hin schlummerte.

„Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder, Marie,“ sagte sie. Wenn du noch länger an dem offenen Fenster sitzt, wirst du wirklich noch krank werden. Und wie du ja weißt, ist doch auch bald Weihnachten, worauf du dich doch so sehr freust.“

Diese Worte überzeugten Marie. Denn an Weihnachten dass Bett hüten zu müssen, während andere Kinder in die Kirche gehen, an dem großen Grippenspiel teilnehmen, und anschließend, im Kreise ihrer Familie, das Fest mit gutem Essen und vielen Geschenken begehen, war sie wirklich jetzt von ihrer Mutter überzeugt worden, dass es besser wäre, dass Fenster zu schließen. Und kaum hatte Marie das Fenster geschlossen, merkte sie, wie sie am ganzen Körper vor Kälte zitterte.

„Nun komm Marie, es ist Zeit ins Bett zu gehen. Du frierst und es ist schon sehr spät,“ sagte die Mutter und deckte Marie mit ihren Decken ein.

„Mama, kannst du die Vorhänge heute offen lassen? Es ist so schön zuzusehen, wie der Schnee fällt.“

„Ja, natürlich,“ sagte sie und zog wieder die Vorhänge auseinander.

Ein fahler Mondesschein fiel in das Zimmer und der Schnee fiel ruhig, aber mittlerweile dichter, vom Himmel. Es war das erste längere anhaltende Schneetreiben in diesem Winter. Und obwohl es erst seit Einbruch der Nacht angefangen hatte zu schneien, bedeckte schon eine leichte Schneedecke das Land.

Die Mutter gab ihrem Töchterchen noch einen Kuss auf die Stirn und sah auch noch einmal nach Martin, bevor sie das Zimmer verließ. Und es dauerte auch gar nicht lange, da war Marie tief und fest eingeschlafen und träumte von einem riesengroßen Schneemann, den sie zusammen mit ihrem Bruder und ihrem Vater auf der großen Wiese vor ihrem Haus baute.


Kapitel 2 - Opa Heinrich


Es war früh am Morgen, als Marie von einem vorwitzigen Sonnenstrahl, der direkt auf ihr Bett fiel, geweckt wurde.

„Hatschi“, machte sie, schlug ihre Decken zurück und hüpfte mit einem Satz aus dem Bett.

Sie warf einen Blick auf das Bett ihres Bruder und sah, dass er noch am Schlafen war. Marie ging sofort zu dem Fenster und blickte hinaus. Was sie sah, versetzte sie in helles entzücken. Die Straßen, Bäume, Autos und Wiesen waren von einer wunderbaren dichten Schneedecke überzogen. Die Sonne ließ den Schnee glitzern, der Himmel war tiefblau und Wolkenfrei und auf dem nahe gelegenen Weiher konnte Marie schon die ersten Kinder mit ihren Eltern Schlittschuh laufen sehen. Doch dann bemerkte Marie, dass ihr Magen anfing zu knurren und sie einen großen Hunger verspürte. Sie ging zu der Zimmertür hinaus und rannte die Stufen der Wendeltreppe hinab, die hinunter in das Wohnzimmer führte. Von dem Wohnzimmer kam sie direkt in das nebenliegende Zimmer: die Küche. An dem Küchentisch saßen schon ihre Eltern, und ihr Vater lass gerade die Sonntagszeitung.

„Guten Morgen,“ sagte Marie fröhlich.

„Guten Morgen,“ sagten ihre Mutter und ihr Vater fast gleichzeitig.

„Hab ich einen Hunger,“ rief Marie und saß in Windeseile auf ihrem Platz neben ihren Vater am großen Küchentisch. Und nahm zuerst einen großen Schluck Orangensaft aus dem bereitgestellten Glas. Dann aß sie zufrieden ihr Brötchen mit Marmelade. Gerade als sie fertig essen war, kam ihr Bruder Martin die Tür hinein. Er sah ganz verschlafen und verstruppelt aus. Als er auf seinen Platz saß, sagte der Vater plötzlich:

„Ich habe eine Idee wie ihr euren Tag heute verbringen könnt, ihr beiden. Opa Heinrich hat mich gefragt, ob ihr ihn vielleicht besuchen könntet, damit er nicht so ganz alleine an diesem Sonntag wäre. Denn die alte Lisl, die ihm sonst immer Gesellschaft leistet, ist plötzlich erkrankt und muss das Bett hüten. Na, was haltet ihr von dem Vorschlag?“

Er sah über den Rand seiner Zeitung hinweg, die er in seinen Händen hielt und wartete auf ihre Antwort, die er allerdings schon kannte.

„Oh ja, wir gehen zu Opa, das ist wirklich eine tolle Idee, Vater,“ begeisterte sich Marie

„Meinst du, wir werden wieder die alte Eisenbahn aufbauen, wie letztes Jahr, Marie?“ fragte Martin seine Schwester.

„Oh ja, bestimmt, Martin, du musst Opa nur fragen.“

Der Vater lächelte zu seiner Frau hinüber und diese zwinkerte mit den Augen. Doch dann sagte sie:

„Passt aber auf ihr beiden, und geht nicht an Nachbar Lutz Schnorrs Haus vorbei. Denn er ist gefährlich!“

„Aber Mama, ich habe doch keine Angst vor seinem Hund und außerdem bin ich alt genug, um Marie zu beschützen,“ erwiderte Martin vorlaut.

„Das weiß ich Martin, aber geht trotzdem nicht an dem Haus vorbei. Habt ihr beiden verstanden?“

Martin und Marie nickten. Und Marie wollte wissen:

“Mama, warum ist denn Herr Lutz so böse?“

“Er ist nicht absichtlich so böse, Marie, aber er hat in seinem Leben schweres durchgemacht, und das hat ihn griesgrämig und verbittert werden lassen. Und er konnte z.B. auch niemals so Weihnachten feiern wie ihr. Und deshalb gönnt er auch anderen Leuten und insbesondere Kindern nicht die Freude an diesem Fest.“

Marie war es bei diesen Worten nicht ganz wohl zumute, und auch Martin mochte wohl so ähnlich fühlen. Beide aßen schnell ihr Frühstück, damit sie so schnell wie möglich zu ihrem Opa Heinrich kamen. Nachdem Frühstück wuschen sich die beiden und zogen dann dicke Hosen, kuschelige Pullovers, feste Stiefel und den Mantel an. Als beide gerade zu der Tür hinaus gehen wollte, sagte der Vater:

„Vergesst eure Handschuhe und die Schals nicht. Ihr werdet euch sonst erkälten. Und eure Mutter gibt euch für den alten Heinrich noch einen Korb mit einem Weinkuchen mit, den er so gerne isst. Hier Martin, nimm du den Korb.“

Martin hängte sich den Korb unter seinem rechten Arm und wartete, bis Marie damit fertig war, ihre Handschuhe anzuziehen.
„Wie lange dürfen wir denn bei Opa bleiben, Vater?“ fragte Marie.

„Auf jeden Fall solltet ihr gegen Sonnenuntergang wieder hier sein. Ich denke es ist am besten wenn ihr euch gegen fünfzehn Uhr auf den Rückweg macht.“

Die beiden Nickten zum Einverständnis. Und nun machten sie sich auf den Weg. Sie gingen zur Tür hinaus und liefen auf das große Tor zu, dass dann auf die Straße führte. Dann liefen sie die Alte Dorfgasse hinunter und bogen am Ende der Strasse auf der rechten Seite in die Lahnstrasse ein und klingelten an dem Haus Nr. 4b. Dort wohnte nämlich der alte Heinrich, direkt dem Friedhof gegenüber. In dem protzigen Nachbarhaus zur linken wohnte schließlich der alte und griesgrämige Lutz Schnorr. Als die beiden Kinder an der Türe warteten, kam Schnorrs Hund angerannt und kläffte am Nachbargrundstück aus voller Kehle. Erschrocken war Marie zusammengezuckt. Und Martin stellte sich schützend vor seine Schwester, als endlich Opa Heinrich die Tür öffnete.

„Welch eine Freude euch hier zu sehen, kommt doch herein,“ freute sich der alte Heinrich.

Die beiden Kinder folgten dem alten Herrn in die behagliche Stube. Zuerst ging es eine alte knarrende Treppe hinauf, die zu dem Wohnzimmer führte. Das Wohnzimmer war groß und geräumig. An der rechten Seite des Zimmers, neben dem Fenster, stand ein kleiner ovaler Tisch und ein Schaukelstuhl, wo Heinrich sich gerne hinsetzte, seine Tabakpfeife zur Hand nahm, gemütlich vor sich hin rauchte und die Straße beobachtete. Neben dem Schaukelstuhl, in der Mitte des Raumes, befand sich ein großer alter Kaminofen, in dem jetzt ein munteres Feuer brasselte. An der Wand über dem Kamin hing ein Bild von Opa und seiner Frau Helene, die in einem Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Ansonsten befand sich noch in diesem Raum ein großer runder Tisch mit sechs Stühlen aus Eichenholz. Auf dem Boden liegt ein einfacher Teppich, passend zu der braun gelben Tapete. An den Wänden des Raumes hingen noch viele Bilder, die den alten Heinrich im Kreise seiner Familie zeigten und noch ein paar Portraits von Helene aus ihren jungen Jahren. Auf dem kleinen Tisch am Fenster stand noch ein verwelkter Feldblumenstrauß, den die alte Lisl kurz bevor sie krank geworden war, Heinrich vorbei brachte.

„Setzt euch doch an den Tisch bei dem Fenster,“ sagte Opa und:

„Möchtet ihr etwas zu trinken? Wie wäre es mit heißer Schokolade?“

Begeistert nickten die Kinder.

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Fortsetzung folgt.

(c)07.2003 by Claria Varus
 
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Kommentare  

Klasse Geschichte!
Die Story hat mich zu Beginn etwas an das Märchen Hänsel und Gretel erinnert, die zu ihrer Großmutter (Opa Heinrich) gehen wollten. Und der Nachbar sei der böse Wolf. Köstlich.

Weiterhin gefallen mir diese Absätze sehr gut, da man so am Rechner die Geschichte gut lesen kann und sie nicht unbedingt ausdrucken muss.
Schade nur, dass der erste Teil schon so zeitlich endet, hätte gerne noch weiter gelesen.
5 Punkte für einer wirklich gelungene Story.
Freue mich schon wie es weiter geht.
Schöne Grüße


Mirco vom Hau (14.07.2003)

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