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2 Seiten

Elaine (2.Fassung)

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Zärtlich war sie, meine kleine Elaine. Sanft wie eine Feder. Still und unergründlich, wenn sich ihre Stirn in Falten legte, ihr Gesichtsausdruck mir sagte, daß etwas nicht in Ordnung war. Manchmal neckte sie mich, indem sie mir ihre Besorgnis nur vorspielte, die dann zu meiner Besorgnis wurde und wiederum bei ihr eine kindliche Freude auslöste.
Sie machte sich immer um alles Sorgen. Um die Wale, den Regenwald, um mich, ums Essen. Sie war so rührend, ich versuchte sie immer zum Lachen zu bringen, aber sie ließ sich nicht von mir stören in ihrer Sorge. Nicht, wenn sie es nicht wollte.
Sie konnte gut zuhören. Sie lauschte jedem Menschen still und andächtig, warf ab und zu eine Frage ein und ließ ihn dann weiterreden. Die meisten Leute sind sehr froh, wenn ihnen einmal jemand zuhört. Sie hungern förmlich danach.
Auch strahlte sie stets eine vollkommene Ruhe aus. Es gab keinen, der sich nicht in ihrer Nähe wohlfühlte, der nicht von ihrem schlichten, ruhigen Wesen und ihrer aufmerksamen Art eingefangen wurde.
Ich liebte sie so sehr, meine Elaine, meinen zarten Engel, meinen warmen Sommerregen.
Wir stritten uns nie. Sie ertrug jede meiner Launen mit Geduld und Nachsicht. Stets wartete sie, bis ich von selbst meine Fehler erkannte und sie um Verzeihung bat.
So lange Zeit waren wir glücklich, zufrieden mit uns und unserem kleinen bißchen Glück, das wir über die Jahre zusammengekratzt hatten. Wir hatten über Kinder geredet, aber es schien uns beiden noch zu früh. Schließlich hat man doch noch etwas vor im Leben.

Mein Schatz, ich erinnere mich noch ganz genau an das letzte Mal, als wir beide uns liebten. Du hast förmlich geglüht vor Erregung, hast mich eingehüllt in deine Glut. Mich verbrannt bis auf die Knochen. Mit Schmerzen denke ich daran zurück.
Und nun unser letzter Abend. Das letzte Rendezvous bevor der Vorhang fällt.
Ach Elaine, könnte ich doch nur alles rückgängig machen. Alles würde ich dafür geben, um dir den Schmerz zu ersparen.
Natürlich hast du es schon lange gewußt. Die Abende, an denen ich noch länger arbeiten mußte, die Wochenendseminare, all die Ausflüchte, die mir nur allzu leicht über die Lippen gingen.
Du hast nichts gesagt, mir Unwissenheit vorgespielt, auf den richtigen Augenblick gewartet. Wie hatte ich auch nur einen Augenblick lang glauben können, daß ich es vor dir verheimlichen konnte. Dabei habe ich sie doch niemals geliebt. Sie war bloß eine Ausflucht gewesen. Vor der Realität, dem Alter, mir selbst.
Du warst die einzige für mich, du hast immer mein Herz besessen. Und nun hast du es zerstört, sowie ich es mit deinem tat.
Nein, es tut nicht weh. Ich weiß, das sollte es, aber das tut es nicht. Vielleicht habe ich es nicht wirklich verdient, aber das hast du schließlich auch nicht.
Ich habe einen Fehler gemacht. Einen zuviel.
Wenn ich könnte, würde ich dich noch einmal in den Arm nehmen, mein blutendes Herz an deines drücken, welches ebenso blutet, ohne daß man es sieht.
Jetzt, im Tod möchte ich noch einmal dein Leben spüren, dein Feuer, daß den Schmerz hinwegbrennt.
Ich wünschte, ich könnte dir das alles noch sagen, aber meine Lippen sind wie versteinert, nicht mehr zu gebrauchen.
Du sitzt am Rand des Bettes, lächelst, und weinst.
Ohne ein Wort und ohne dich von mir abzuwenden.
Meine Atmung versagt, ich spüre, wie sich meine Lunge langsam mit Blut füllt. Es fühlt sich an wie Quecksilber.
Deine Stirn ist in Falten gelegt, der Ausdruck, den ich schon seit Jahren an dir liebe. Das Messer in deiner Hand zittert und kleine purpurne Tropfen rinnen von der Spitze herab.
Bereust du es?
Dunkelrote Flecken erblühen auf dem weißen Leintuch. Du siehst sie nicht. Blickst nur in meine Augen. Die Augen eines Toten.
Ich versuche bei dir zu bleiben, mich an dein Bild zu klammern, solange es geht.
Nun wird es langsam dunkel. Jegliches Gefühl, jede Art von Wahrnehmung verläßt meinen reglosen Körper. Es wird Zeit zu gehen.
Eines noch: Ich bereue keine Sekunde, in der wir zusammen waren.
Ich liebe dich.
Ich werde dich immer lieben.
Elaine
 
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Kommentare  

Wow! Das ist gleichzeitig ein Liebesbrief und ein Schuldbekenntnis. Einfach ergreifend. 5 Punkte.

Metevelis (05.11.2003)

Wirklich sehr gefühlvoll und rührend geschrieben! Ich glaube nicht, dass ich das so hingekriegt hätte ohne dass es langweilig wird und man immer weiter lesen möchte... mir gefällt dein Stil :-)

Also: nochmal 5 Punkte für eine deiner Geschichten


Meggie (08.09.2003)

Diese Story ist sehr berührend, weil es die Ohnmacht zeigt, sich rechtzeitig zu öffnen. Sie regt auch an darüber nachzudenken, wie oft man mit seiner Erkenntnis zu spät kommt, und - wie oft man seelische Qualen verursacht und auch selbst ausgesetzt ist. Ein tiefgründiges Thema gut aufgebaut und
subtil verarbeitet.
Mir gefällts.
Gruß Lisa


Lisa Fabienne (22.08.2003)

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