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27 Seiten

Der Einzug auf Vidakar

Fantastisches · Kurzgeschichten
Der Einzug auf Vidakar


Acht Tage war es nun her, seit Ragnor da Vidakar mit seinem Knappen Klaus die Insel Kaar verlassen hatte, um nun endlich sein Gut Vidakar in Besitz zu nehmen. Die fruchtbare Liegenschaft hatte er vor mehr als einem Jahr als Lehen vom regierenden Grafen Rurig da Kaarborg, seinem alten Freund und Mentor, verliehen bekommen. Daß es so lange gedauert hatte, bis er sich endlich auf den Weg hatte machen können, hatte vielerlei Gründe gehabt. Der wichtigste davon war der Krieg mit Kreeg da Harkon, einem abtrünnigen Baron und Verräter, gewesen und der junge Mann hatte sich in diesem erbarmungslosen Krieg mehr als bewährt. Das war nicht allein nur seiner Tapferkeit und seinen zweifellos vorhandenen militärischen Talenten, sondern, zu einem Gutteil, auch der Magie seiner Quasarwaffen zu verdanken, denn Schwert und Dolch bestanden nicht aus Bronze oder Stahl, sondern aus einer klaren kristallinen Substanz unbekannter Herkunft. Die wundersamen Waffen waren vor nun fast zwei Jahrzehnten neben dem neugeborenen Jungen in einer Berghöhle im schroffen Randgebirge gefunden worden, wo Ragnor in einem kleinen Tal, genannt Calfors Klamm, aufgewachsen war. Trotz der vielen Jahre, die seit dem ins Land gegangen waren, war es bisher nicht gelungen, mehr über die Herkunft, des inzwischen stattlichen jungen Mannes, der die meisten seiner Altersgenossen um Haupteslänge überragte, heraus zu finden. Die beiden ungewöhnlichen Waffen hatten ihm im vergangenen Krieg Ruhm und Ehre eingebracht, denn sie waren nicht nur in der Lage gewesen gute Eisenschwerter zu zerschlagen, sondern es war ihm bei der Verteidigung der Hafenstadt Santander sogar gelungen mit seinem Quasarschwert Quorum einen leibhaftigen Dämonen zu töten.

Ja, die letzten beiden Jahre waren wirklich aufregend gewesen und hatten den jungen Mann, vor der Zeit, reifen lassen. Dieser Umstand war aber nicht nur auf die Ritterausbildung auf der Insel Kaar und seine Feuertaufe im gerade ausgestandenen Krieg zurück zu führen. Nein, es war vor allem den Erkenntnissen zu verdanken, die er dabei über sich selbst gewonnen hatte. Seien es nun die Erfahrungen mit den magischen Fähigkeiten des Quasars, der nicht nur zerstören, sondern auch heilen konnte oder mit seinem eigenen Jähzorn, der ihn, wenn er ihn überkam, gnadenlos hatte töten lassen.

So ritt er nun, nur begleitet von seinem Knappen Klaus, durch die fruchtbaren Ländereien, welche die Kaarborger Tiefebene zur Kornkammer des Königreiches Caer machten und damit Kaarborg zur reichsten Grafschaft des ganzen Königreiches. Das war wohl auch der Hauptgrund gewesen, warum der König von Lorca, mit Hilfe des Barons von Harkon, versucht hatte die Grafschaft Kaarborg zum wiederholen Male zu erobern. Aber es hatte geendet, wie dieser Versuch schon seit Jahrhunderten immer wieder geendet hatte. Der Graf von Kaarborg hatte sich mit Hilfe der Reichsritter, einem unabhängigen Ritterorden, der nur dem Wohl des Königreiches verpflichtet war und der ihm zu Hilfe geeilt war, durchgesetzt und hatte seine Feinde vernichtend geschlagen. Doch all das lag nun hinter unserem jungen Ritter und er hätte gerne allen Ruhm des Krieges dafür gegeben, wenn er an der Wegkreuzung, die gerade vor ihm lag, nach Burg Farsborg hätte abbiegen können, um seine Braut abzuholen. Doch das würde nie mehr geschehen, denn ein feiger Mörder hatte sie, am Tage von Ragnors Ritterschlag in Caerum, der Hauptstadt von Caer, heimtückisch ermordet. Beim Gedanken an ihren Tod stiegen dem jungen Mann heiße Tränen in die Augen und es war ihm nur ein geringer Trost, daß er den Mörder und seine Hintermänner hatte zur Strecke bringen können. Ja, damals hatte ihn seine Rache befriedigt aber nun, einige Monate danach, war sie schal geworden und er erkannte, daß sie ihm kein Trost sein konnte für das was er verloren hatte. Fast unwillig schüttelte er seine düsteren Gedanken ab und versuchte sich abzulenken, indem er sich sein letztes Gespräch mit Graf Rurig ins Gedächtnis zurück rief. Der Graf und sein Ziehsohn hatten lange über das für und wieder von Ragnors Entscheidung, allein nach Vidakar zu reiten, diskutiert, doch schließlich hatte sein alter Freund zugestimmt, denn Ragnors Argument, daß er sich dort allein Respekt verschaffen müsse, ohne in Begleitung eines gräflichen Beamten und eines Fähnleins Kriegsknechte aufzutreten, hatte ihn überzeugt. Trotzdem hatte Graf Rurig den jungen Mann gewarnt, weil das Lehen Vidakar nun schon seit mehr als zwei Jahren verwaist war, seit der letzte Lehensträger gestorben war, ohne einen Erben zu hinterlassen. Durch den Krieg und seine Unruhen war es dem Grafen nicht möglich gewesen einen gräflichen Verwalter dorthin zu entsenden und so hatte er keine Informationen, ob das Gut wohl verwaltet wurde oder vielleicht völlig herunter gewirtschaftet worden war. Darum hatte er Ragnor gebeten vorsichtig zu sein und nach seiner Ankunft auf Vidakar niemanden zu trauen, bis er sich Gewißheit über die Verhältnisse auf dem Gut verschafft hatte.

Die rote Sonne von Makar stand schon tief über dem Lorcawald, der weit entfernt am Horizont die Grenze zum Königreich Lorca markierte, als Ragnor und sein Knappe das Herrenhaus mit seinem trutzigen Wehrturm erreichten, das am Fuß eines mächtigen Vulkankegels lag, der einsam aus der Kaarborger Tiefebene ragte. Gut Vidakar besaß erstaunlicherweise keine Burg, wie die meisten größeren Lehen in Kaarborg, sondern nur ein geräumiges im Karree gebautes Herrenhaus, an das ein fünf Klafter hoher klobiger Wehrturm als Verteidigungsbollwerk angebaut worden war. Dieser trutzige, aus Granitbruchsteinen errichtete, Wehrturm wirkte, gegenüber der eleganten Architektur des Herrenhauses mit seiner freundlichen Sandsteinfassade und seinen spitzenbogigen Fenstern, wie ein Fremdkörper. Der Umstand, daß das Lehen keine Burg besaß, war für Ragnor um so unverständlicher, da der längst erloschene Vulkankegel hervorragende Möglichkeiten geboten hätte eine mächtige Burg darauf zu errichten, anders als bei den umliegenden Gütern, in denen nur die Anlage von Tiefburgen möglich war. Doch das Geschlecht des vormaligen Lehensträger hatte offenbar keine Lust verspürt eine solche Burg, zum Schutze der Bevölkerung, zu errichten. Graf Rurig hatte sich ja auch nicht gerade freundlich über Ragnors Vorgänger geäußert. Dieser hatte zwar immer pünktlich seine Abgaben gezahlt aber ansonsten nicht gerade den besten Ruf gehabt. Es wurde gemunkelt, daß er weit mehr in seine eigene Tasche gewirtschaftet hatte, als es in der Grafschaft Kaarborg ansonsten üblich war, und daß seine Bauern während seiner recht langen Herrschaft nichts zu lachen gehabt hatten. Das wäre in anderen Grafschaften und Baronieen im Königreich Caer an sich nichts Ungewöhnliches gewesen, wo es häufig sogar noch Leibeigenschaft gab, aber in der Grafschaft Kaarborg war das anders. Hier hatte es seit Jahrhunderten Tradition, daß die Lehensträger Hand in Hand mit ihren Bauern arbeiteten. Deshalb kam es nicht von ungefähr, daß die Bauernmiliz der Grafschaft die beste Miliz auf dem Nordkontinent von Makar war, die den königlichen Belagerungsregimentern, die allerdings aus Berufssoldaten bestanden, in nichts nach stand.

Inzwischen hatten sie das Herrenhaus, an dessen Tor ein gelangweilter Kriegsknecht, mit einem rostigem Kettenhemd, einem verbeulten Helm und einer schartigen Hellebarde lehnte, fast erreicht. Als er den Ritter in seiner prächtigen Panzerrüstung kommen sah, die Ragnor kurz vorher angelegt hatte, um seinen ersten Auftritt so wirkungsvoll wie möglich gestalten zu können, rief er etwas in den Torbogen hinein, was Ragnor in seinem gepolsterten Panzerhelm allerdings nicht verstehen konnte. Doch als dann drei weitere Kriegsknechte aus dem Torbogen geschlurft kamen wußte er, daß der Torwächter soeben nach seinen Kameraden gerufen hatte. Mit einer knappen Handbewegung bedeutete der junge Ritter seinem Knappen Klaus zum Tor voraus zu reiten, um ihn anzukündigen, wie es in Caer der Brauch war und er folgte ihm in langsamem Schrittempo nach.
Sein Knappe Klaus, der derartige Auftritte liebte, sprengte zum Tor, zügelte dort schwungvoll sein Pferd und verkündete mit weithin schallender Stimme: „Hört, ihr Männer von Vidakar. Euer neuer Herr, der berühmte Ritter Ragnor da Vidakar, der Sieger über Kraak den Ork und der Vernichter der Dämonen ist gekommen, um sein Lehen in Besitz zu nehmen. Ruft den Gutsverwalter, damit er seinen neuen Herren gebührend begrüßen kann."
Es war fast rührend mit anzusehen, wie die vier Torwächter eifrig versuchten so etwas wie Haltung anzunehmen, um ihrem neuen Herren zu imponieren, von dessen Taten sie erst vor wenigen Tagen in der Dorfschenke von einem fahrenden Sänger gehört hatten. Ragnor, der inzwischen sein Visier geöffnet hatte, lächelte gequält, sagte dann aber barsch, obwohl die traurigen Figuren eher zum Lachen waren: "Geht und ruft den Verwalter. Es war ein langer Ritt und ich bin staubtrocken."
Einer der Helden fiel dabei fast über die eigenen Füße, als er hastig versuchte seinem Befehl nachzukommen. Ragnor war fast erleichtert, als dann endlich ein kleiner, rundbauchiger Mann mit rotem, mißmutigem Gesicht erschien, der offenbar gerade bei seinem Abendessen gestört worden war, denn er trug noch die halbe Speisekarte auf seinem schmuddeligen Wams spazieren.
Mit einer dröhnenden Stimme, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, sagte er, wobei er, erkennbar widerwillig, seinen Kopf zum Gruß neigte: „Willkommen auf Vidakar, edler Ritter. Ich bin Bero, der Verwalter dieses Gutes. Bitte tretet doch ein und seid unser Gast."
Ragnor amüsierte sich ein wenig über diese Formulierung, schließlich war er der rechtmäßige Herr auf Vidakar, doch er sagte nichts. Er nickte dem Dicken, der offenbar sein Verwalter war, nur kurz zu, stieg von seinem schwarzen Hengst Quesan und folgte seinem schmuddeligen Gastgeber, martialisch klirrend, durch den dunklen Toreingang in den Innenhof des Herrenhauses.

Nachdem er einen Schluck erstklassigen zephirischen Weines aus einem wirklich prächtigen edelsteinbesetzten Pokal getrunken hatte, den ihm ein unordentlicher Lakai zur Begrüßung gereicht hatte, zog er sich mit seinem Knappen zurück, um die unbequeme Panzerrüstung endlich ablegen zu können.
"Dies ist ein seltsamer Ort, mein Herr", bemerkte Klaus nachdenklich, als er Ragnor half die Schnallen des Brustpanzers zu lösen. "Haus, Hof und die Möblierung sind ausgesprochen kostbar, doch seine Bewohner sind schmuddelig und mustern Euch mit unfreundlichen Augen, wenn ihr gerade nicht hin schaut. Dies ist nicht der Empfang, der eines neuen Herren würdig wäre."
"Das hast du gut beobachtet", versetzte der junge Ritter schmunzelnd, "die Warnungen von Graf Rurig, daß hier einiges nicht in Ordnung sein könnte, scheinen sich leider zu bestätigen. Wenn ich nachher mit dem ‚Verwalter speise, sei so gut und hör dich beim Gesinde ein wenig um, was hier so vorgeht."
Mit diesen Worten reichte er seinem Knappen einen kleinen Lederbeutel mit Kupfer- und Silbermünzen. Klaus nahm den Beutel grinsend in Empfang, ließ ihn in unter seinem Wappenrock verschwinden und bemerkte nur trocken: "Damit sollte es wohl kein Problem sein bis heute Abend heraus zu finden wer hier Dreck am Stecken hat und vielleicht auch schon wieviel."
Ragnor nickte zustimmend und lächelte in sich hinein, denn er wußte, daß er sich auf den findigen Jungen verlassen konnte, der es, obwohl er erst gerade fünfzehn Jahre alt war, mit jedem aufnehmen konnte.

Wenig später betraten die beiden jungen Männer den Rittersaal des Herrenhauses, in dem sich einige Bedienstete bereits versammelt hatten. Während sie durch die Tür schritten, noch gefolgt von der krächzenden Ankündigung des alten Majordomus, der sie vor der Tür erwartet hatte, bemerkte Ragnor, daß man offenbar in aller Eile versucht hatte, etwas Ordnung zu schaffen. Trotzdem entging es seinen scharfen Augen nicht, daß die wertvolle Ausstattung des Raumes sehr gelitten hatte und hier und da noch Unrat unter den Tischen und Bänken lag.
"Edler Herr, darf ich euch nun die maßgeblichen Mitglieder eures Haushaltes vorstellen", dienerte der dicke Verwalter, wobei sein stechender Blick so gar nicht zu seinen salbungsvollen Worten passen wollte.
Ragnor fiel gleich auf, daß dieser nun ein reinliches, ja sogar ausgesprochen prächtiges Wams, mit dem Wappen des nun ausgestorbenen Hauses 'da Vidakar' trug.
"Nun Bero, dann waltet eures Amtes", versetzte der junge Ritter knapp.
So etwas wie Unmut zuckte für einen Moment über das feiste Gesicht des Verwalters, doch er hatte sich sofort wieder in der Gewalt und begann mit seiner Vorstellung. Als Erstes stellte er Ragnor einen hageren, düster wirkenden Mann mit schütterem, schwarzem Haar, als seinen Schreiber Golo vor, der allerdings erst seit Kurzem über die Bücher des Hauses wachte.
Ragnor nickte dem Mann zu, dessen tief liegende schwarze Augen ihn aufmerksam musterten und sagte trocken: „Da ihr der Schreiber seid, erwarte ich von euch, daß ihr mir morgen früh, zwei Stunden nach Morgengrauen, die Bücher vorlegt, damit ich mir einen Überblick über meinen Besitz verschaffen kann."
Golo antwortete mit tiefer, hohler Stimme und ohne erkennbare Regung: "Es wird geschehen, wie ihr wünscht, edler Herr", aber der Dicke zuckte merklich zusammen und sein Blick verriet, daß er sich in diesem Moment in seiner Haut nicht gerade wohl fühlte.
Der Nächste in der Reihe war Harald, ein stämmiger mittelgroßer Mann mit dichtem, braunen Vollbart, der Ragnor als Hauptmann der Wache vorgestellt wurde. Er schien unter dem prüfenden Blick des jungen Ritters fast körperliche Schmerzen zu erleiden.
"Ihr seid also der Befehlshaber dieser traurigen Gestalten, die mich am Tor begrüßt haben. Morgen, nach dem Mittagsmahl, erwarte ich euch und eure Soldaten auf dem Hof zur Inspektion. Ich möchte dann keinen Rost auf der Ausrüstung mehr vorfinden, keine Scharte mehr in den Waffen und ich erwarte ein wenig Haltung beim Appell. Schließlich habt ihr einen halben Tag Zeit die Ausrüstung in Ordnung zu bringen."
"Wie ihr befehlt, edler Herr", antwortete ihm der Hauptmann mit unsicherer Stimme. Ragnor bemerkte erst jetzt, daß sein Gesicht stark gerötet war und sah jetzt auch bei näherem Hinsehen feine, geplatzte Äderchen auf der Nase seines Gegenübers. Der Hauptmann war also offenbar ein Trinker. Das würde den schlechten Zustand seiner Soldaten hinreichend erklären. Nun, morgen würde man weiter sehen.
Die anderen ‚verantwortlichen Mitglieder seines Haushaltes hinterließen bei dem jungen Ritter keinen tieferen Eindruck, mit Ausnahme des alten Majordomus Jagmar, der ihm offenbar zugetan war und der der Einzige zu sein schien, der sich über seine Ankunft wirklich freute.
Später, während des Essens, das von erlesener Qualität war, saß Ragnor an der Spitze der Tafel direkt neben seinem mißmutigen Verwalter und dem undurchsichtigen Schreiber. Immer, wenn er den hageren Schreiber beobachtete, der, im Gegensatz zu dem Dicken, nur sparsam aß und trank, schlich sich ein ungutes Gefühl bei ihm ein. Irgendwie schien er nicht zu sein, was er zu sein vorgab und er paßte auch so gar nicht in das Bild, das man so landläufig von einem einfachen Schreiber hatte. Nun, er würde morgen sehen wie die Buchprüfung ausfallen würde, dann konnte er dem Kerl noch einmal gründlich auf den Zahn fühlen. Der Hauptmann der Wache bestätigte seinen vorher gehegten Verdacht. Der Mann war ein schwerer Trinker. Er aß kaum etwas, schüttete aber dafür Unmengen des teuren Weines in sich hinein und war, kaum eine Stunde später, bereits so sturzbetrunken, daß sich der alte Majordomus veranlaßt sah, ihn von zwei Lakaien auf seine Kammer tragen zu lassen.
Nachdem Ragnor die Tafel aufgehoben hatte, nahm er sich den Dicken noch einmal zur Seite und ordnete schroff an: „Morgen früh, mein lieber Bero, möchte ich bei Morgengrauen geweckt werden und dann erwarte ich keinem Bewohner dieses Hauses mehr zu begegnen, der nicht ordentlich gekleidet ist."
Als er sah, daß der Verwalter zu einem Protest anhob, würgte er diesen im Ansatz ab und setzte grimmig hinzu: "Das war noch nicht alles, mein lieber Bero. Bis morgen Abend ist dieses Haus, vom Keller bis zum Dach, in einem erstklassigen Zustand. Sollte ich irgendwo noch ein Stäubchen entdecken, werdet ihr mich kennenlernen. So, und jetzt könnt ihr gehen."
Dann ließ er den völlig verdatterten Mann stehen und verließ mit schweren Schritten den Saal. Als er kurze Zeit später wieder mit seinem Knappen zusammentraf, erzählte ihm dieser was er alles von den Bediensteten erfahren hatte. Aus diesem Bericht ging hervor, was der junge Ritter eh schon geahnt hatte, nämlich, daß der Dicke in Saus und Braus lebte, während er das Anwesen verkommen ließ. Auch die Trunksucht des Hauptmanns, der früher aber offenbar ein ehrenwerter Mann gewesen war, war jedem bekannt. Nur über den seltsamen Schreiber hatte er nichts Konkretes erfahren können. Klaus hatte lediglich heraus gefunden, daß der Mann keinen Kontakt zu anderen Bediensteten pflegte und sein Quartier, das er interessanterweise im Wehrturm aufgeschlagen hatte, jeden Abend bei Einbruch der Nacht betrat und nicht vor dem Morgengrauen wieder verließ.

Es war kurz vor Mitternacht, als Ragnor von einem stechenden Impuls in seinem Kopf geweckt wurde. Dieses Dröhnen kannte er nur zu gut und ein Blick auf seinen Quasarring Quit, dem dritten seiner magischen Werkzeuge, bestätigte seinen Verdacht. Der Ring, der in einer stumpfgrauen Fassung einen runden Quasarkristall, pulsierte in düsterem Rot. Das war ein untrügliche Zeichen dafür, daß irgendwo in der Nähe schwarze Magie ausgeführt wurde, bei der ein Dämon oder zumindest dämonisierte Menschen im Spiel waren. Sofort weckte er seinen Knappen, die beiden Männer legten ihre Waffengurte um und rüsteten sich mit Kettenhemd und Helm, bevor sie leise ihre Kammer verließen. Sie brauchten keine Lampe für ihr Vorhaben, denn die beiden Monde von Makar, Amanar und Ximonar standen hoch am Himmel und erhellten mit ihrem gespenstischen Licht, das durch die hohen Fenster fiel, das Treppenhaus, welches hinunter zum Hof führte. Als sie schließlich den Hof betraten, konnte Ragnor feststellen, daß der dämonische Impuls irgendwo aus der Richtung des Bergfrieds kam, der düster in den wolkenlosen Nachthimmel ragte. Er winkte Klaus stumm herbei, ihm zu der Treppe zu folgen, die hinauf zu einem hölzernen Steg führte. Dieser Zugang würde es den Bewohnern des Gutes im Notfall erlauben über den Innenhf in den Bergfried zu fliehen, falls das Herrenhaus einmal von Feinden umstellt sein sollte. Ragnor und sein Knappe versuchten die hölzerne Treppe hinauf zu schleichen, doch das alte Holz ächzte und quietschte entsetzlich unter dem Gewicht der beiden gerüsteten Männer, so als wollte es Alarm schlagen. Und so war es dann auch, denn plötzlich schallte der Anruf "Halt, wer da?" laut über den Innenhof und die Nachtwache, vier Kriegsknechte an der Zahl, kam in den Hof gestürzt. Bis Ragnor die Männer endlich beruhigt, das Ganze als Übung deklariert und sie für ihre Aufmerksamkeit belobigt hatte, war das Signal in seinem Kopf erloschen und auch sein Ring hatte aufgehört zu pulsieren. Verärgert kehrte er mit Klaus wieder in ihre gemeinsame Kammer zurück, weil er die Quelle dieser Signale und vor allem ihren Verursacher nicht hatte erwischen können. Eines war aber zumindest vollkommen klar, die Signale waren aus der Richtung des alten Turmes gekommen und morgen früh würde er Klaus los schicken, um heraus zu finden, ob außer dem finsteren Schreiber, noch jemand im Turm lebte. Doch irgendwie war er sich sicher, daß Golo sein Mann war, offenbar ein Hexer, der im Turm schwarze Magie praktiziert hatte, und er schwor sich, daß er ihn auf frischer Tat ertappen würde, wenn er es das nächste Mal wieder versuchen würde.
Am nächsten Morgen, als Ragnor und Klaus pünktlich geweckt wurden, herrschte im ganzen Haus eine emsige Betriebsamkeit und der junge Ritter stellte mit Befriedigung fest, daß jeder Bedienstete, der ihm auf seinem Weg zum Frühstück begegnete, reinlich gekleidet war. Die einfachen Lakaien schienen heute richtig erfreut zu sein, ihn zu sehen und es machte ihnen offenbar überhaupt nichts aus, daß ein harter Arbeitstag vor ihnen lag, denn die von Ragnor befohlene Generalreinigung war bereits in vollem Gange. Als er dann den Rittersaal betrat, erwartete ihn sein Verwalter bereits, erheblich bescheidener gekleidet als am gestrigen Abend und ließ, nachdem sich Ritter und Knappe gesetzt hatten, ein fürstliches Frühstück servieren. Er war so auffällig diensteifrig und versuchte mit seiner übertriebenen Freundlichkeit dem jungen Ritter förmlich in den Hintern zu kriechen, so daß Ragnor sein schlechtes Gewissen und seine Nervosität, bezüglich der bevorstehenden Buchprüfung förmlich riechen konnte.
Als sie dann schließlich die Kanzlei des Schreibers betraten, lagen die Bücher bereit, der Schreiber selbst war allerdings nicht anwesend, da ihn der Dicke kurz ins Dorf geschickt hatte, angeblich, um etwas Wichtiges zu besorgen. Ragnor war das im Grunde genommen egal. Er setzte sich an das Schreibpult und bat den Verwalter ihn erst einmal alleine zu lassen. Er würde sowieso den dicken Bero und nicht den Schreiber rufen lassen, falls er Fragen hätte, denn der Schreiber war ja erst seit zwei Monden auf dem Gut und würde eh keine rechte Auskunft geben können.
Danach vertiefte er sich in die Bücher und er war dankbar dafür, daß ihm seine Verlobte Heike da Farsborg einmal ihre Buchhaltung erklärt hatte, so daß er wußte, worauf er zu achten hatte. Die Erinnerung an seine tote Heike, welche die Verwaltung auf ihres Vaters Burg geleitet hatte, versetzte ihm wieder einen Stich mitten ins Herz, so daß er einen Moment inne hielt, um erst einmal seine Trauer hinunter zu schlucken. Doch als er sich wieder gefaßt hatte, stürzte er sich um so eifriger auf die Bücher und hatte eine Stunde später auch bereits gefunden, wonach er gesucht hatte. Auf der Einnahmeseite war ihm eh sofort aufgefallen, daß sowohl die dort verbuchten Mengen aus den Abgaben der Bauern, als auch die erzielten Preise für Getreide und Vieh viel zu niedrig waren. Nun, die Richtigkeit dieser Angaben würde sich schnell feststellen lassen, indem er sich mit dem Dorfältesten von Dorf Vidakar zusammensetzte, dessen gebuchte Abgaben er sich auf einem Stück Pergament notiert hatte. Auf der Ausgabenseite war ihm vor allem die Verbuchung recht hoher Kosten für die Instandhaltung des Herrenhauses aufgefallen, die nach seiner Inaugenscheinnahme nicht mit dem unbefriedigenden Zustand der Gebäude in Einklang zu bringen war. Hier würde er seinen Knappen Klaus los schicken, um zu hinterfragen, welche Bautätigkeiten im letzten Jahr durchgeführt worden waren und wo das verbuchte Material verbaut worden war.
Summa Summarum war die Bilanz der bereit stehenden Barmittel für ein so fruchtbares Lehen ausgesprochen mager.
Als er sich alles notiert hatte, was er stichpunktartig zu überprüfen gedachte, rief er Verwalter und Schreiber zu sich und bemängelte ausgesprochen brummig, die Dinge, die zu offensichtlich waren, um sie nicht gleich anzusprechen, nämlich die schlechten Verkaufspreise und die hohen Ausgaben für die Instandhaltung des Gutes. Dabei fragte er den Verwalter geschickt aus, der den Braten nicht roch, sondern sich sowohl in der Rolle des Wohltäters der Bauern, als auch in der Rolle des eifrigen Verwalters gefiel. Von Ragnors geschickt formulierten Aussagen beflügelt, behauptete er frech, die Abgaben der armen Bauern gesenkt zu haben, die ja, zu Lebzeiten seines verstorbenen Herrn immer so hoch gewesen waren, als auch die Renovierung des arg zerfallenen Herrenhauses in den letzten zwei Jahren voran getrieben zu haben, um seinem neuen Herrn ein angemessenes zu Hause bieten zu können. In diesem Zusammenhang fügte er gleich noch geschickt hinzu, daß diese hohen Kosten auch der Grund gewesen seien, warum die Kleidung der Bediensteten nicht zur Zufriedenheit des Herrn Ritters gewesen war, als er nach Vidakar gekommen war.
Ragnor lächelte freundlich zu allem was der Dicke von sich gab und belobigte ihn und seinen Schreiber anschließend freundlich für ihre 'gute' Arbeit. Während der Dicke vor Stolz strahlte und offenbar glaubte seinen neuen Herrn übertölpelt zu haben, schien es dem Schreiber überraschenderweise wohl eher peinlich zu sein, was Ragnor doch sehr verwunderte, wenn er bedachte, welch schrecklichen Verdacht er gegen diesen Mann hegte. Nun, vielleicht war das auch nur eine geschickte Tarnung und er war einfach nur schlauer als der Dicke, der ja meinte bereits gewonnen zu haben.
Nachdem die Buchprüfung vorbei war, gab Ragnor vor, bis zum Mittagessen ein wenig ausreiten zu wollen, um ohne Verdacht zu erregen ins Dorf hinüber gelangen zu können, das nur eine halbe Reitstunde vom Herrenhaus entfernt lag. Sein Knappe Klaus machte sich unterdessen daran die angeblichen umfangreichen Baumaßnahmen zu hinterfragen, wie es ihm sein Herr aufgetragen hatte.

Ragnor erreichte nach einem gemütlichen Ritt auf der sandigen Straße, die durch die gepflegten Kornfelder der Bauern führte, die schmucke Ortschaft. Dorf Vidakar war ein typisches Kaarborger Dorf mit sauberen, weiß gekalkten Häusern und einem gepflegten Gasthof am Marktplatz. Während er durch das Dorf ritt, folgten ihm viele scheue aber aufmerksame Augen. Insbesondere die Kinder schauten neugierig dem vornehmen Herrn im Wappenrock hinterher, wie dieser, sich aufmerksam umschauend, durch das Dorf ritt, schließlich am ßGasthof anhielt und sein Pferd an der alten Dorfeiche anband.

Langsam trat er durch die dunkle Holztür des kleinen Gasthofes und betrat den mit einfachen Bänken und Tischen bestückten Schankraum. Ein junges Mädchen, vielleicht sechzehn Jahre alt, stand am Tresen und schaute ihn mit großen Augen an.
"Guten Tag", begrüßte Ragnor sie lächelnd und fuhr fort, um ihr aus ihrer Verlegenheit zu helfen: "Ich bin Ragnor da Vidakar, euer neuer Herr. Bitte bringt mir einen Krug frisches Bier und schick dann nach dem Dorfältesten und sagt ihm, ich möchte ihn gerne sprechen."
Das Mädchen brachte keinen Ton heraus, knickste tief ein und eine verlegene Röte überzog ihr Gesicht. Doch nachdem sich Ragnor gesetzt hatte, machte sie sich eifrig daran ihm ein Bier zu zapfen, und als er sich freundlich bei ihr bedankte, nachdem sie ihm einen schäumenden Krug an den Tisch gebracht hatte, stahl sich ein scheues Lächeln in ihr hübsches Gesicht und sie sagte schüchtern: "Ich werde jetzt gehen und den Dorfältesten holen, edler Herr, wie ihr mir aufgetragen habt".
Sie knickste wiederum ein wenig ungelenk und lief mit wehenden Röcken hinaus. Ragnor sah ihr hinterher und lächelte, denn nach den größtenteils unerfreulichen Menschen, die ihm in seinem neuen Heim begegnet waren, tat ihm die Begegnung mit diesem einfachen, unkomplizierten Mädchen richtig gut. Ein wenig in Gedanken nahm er einen tiefen Schluck von dem frischen, hellen Kaarborger Bier, doch da öffnete sich die Tür bereits wieder knarrend und ein alter, weißbärtiger Mann betrat das Gasthaus. Als er seiner ansichtig wurde, nahm er seine Kappe ab, verbeugte sich ehrerbietig und stellte sich mit wohl gesetzten Worten vor: "Edler Herr. Mein Name ist Hunold. Ich bin der Dorfälteste und möchte euch im Namen der freien Bauernschaft von Vidakar herzlich begrüßen."
Ragnor erhob sich, reichte dem überraschten Alten die Hand und antwortete sehr freundlich: "Ich freue mich ebenfalls eure Bekanntschaft zu machen. Setzt euch doch zu mir und gestattet mir, euch zu einem Bier einzuladen."
Der Alte setzte sich, ganz überrascht, daß sein neuer Herr so ganz anders war, als man es hier im Dorf seit Generationen von den bisherigen Lehensträgern gewöhnt war.
Nachdem das Mädchen dem Dorfältesten auch einen Krug Bier gebracht hatte, hob Ragnor den seinen zum Toast und sagte mit großem Ernst: "Auf unser aller Zukunft. Möge der Segen Amas, des Schöpfers aller Dinge, auf unseren Werke liegen und möge er uns gnädig eine gute Ernte schenken."
Die Männer prosteten sich zu, dann stellte Ragnor seinen Krug ab, lächelte freundlich und eröffnete das Gespräch mit den Worten: "Verehrter Hunold. Da ich schon mal hier bin, möchte ich mit euch über die Abgaben sprechen."
Als er das Erschrecken auf dem Gesicht des Alten sah, fügte er rasch hinzu: "Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Ich bin gekommen um eure Abgaben wieder auf ein übliches Maß zu reduzieren und nicht um sie zu erhöhen. Es ist mir zu Ohren gekommen, daß eure Abgaben in der Vergangenheit sehr hoch gewesen sind."
Der Alte faßte darauf wieder neuen Mut und antwortete bitter: "Das ist wahr, edler Herr. Besonders schlimm war es in den letzten beiden Jahren. Denn der gierige Verwalter hat nicht nur den eineinhalbfachen Zehnten von uns verlangt, wie die alte Herrschaft, sondern er hat uns sogar den doppelten Zehnten unserer Ernte abgenommen. Wir haben nur Glück gehabt, daß wir in den letzten zwei Jahren gute Ernten gehabt haben und beim Verkauf unseres Anteils gute Preise erzielen konnten. Sonst wäre es unserer Dorfgemeinschaft wohl schlecht ergangen."
Ragnor nickte verständnisvoll und beeilte sich zu versichern, daß er die Abgaben für die neue Ernte auf den in der Grafschaft üblichen Zehnten festsetzen würde, was den alten Mann fast zu einem Freudentanz veranlaßt hätte. Nach dieser guten Nachricht hätte der Alte alles für seinen neuen Herren getan und so war es für Ragnor ein Leichtes, alle Informationen über die letzte Ernte zu erhalten und was er heraus fand, erfüllte ihn mit großer Wut. Sein 'ehrenwerter' Verwalter, hatte nicht nur die Hälfte der Ernte unterschlagen, sondern auch noch die erzielten Verkaufspreise kräftig nach unten korrigiert. Nur mühsam gelang es ihm seinen Zorn zu beherrschen, doch als er sich schließlich vom Dorfältesten verabschiedete, hatte er sich wieder so weit im Griff, daß ihm mühelos ein herzliches Lächeln für den glücklichen alten Herrn gelang, dessen Freude seinem Herzen gut tat. Er hatte mit Männern aus den Bauernmilizen im letzten Krieg gekämpft und sie als loyale und ehrenwerte Männer kennengelernt, und es war ihm ein Bedürfnis gewesen, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Beim anschließenden Mittagessen im Rittersaal war der junge Ritter dann selbst überrascht, daß es ihm gelang ganz ruhig zu bleiben und sich locker über Belanglosigkeiten mit dem Dicken zu unterhalten, obwohl der Bericht seines Knappen auch nicht viel besser ausgefallen war, denn der Dicke hatte natürlich auch bei seiner Verbuchung der Einkäufe kräftig betrogen. Ragnor schätze, daß sich der gierige Fettsack mehr als zwei Drittel aller Einnahmen der letzten zwei Jahre unter den Nagel gerissen hatte.

Als Ragnor dann nach dem Mittagessen den angekündigten Appell der Kriegsknechte abhielt, wurde er das erste Mal wirklich positiv überrascht, seit er auf Vidakar weilte. Die Männer mußten den ganzen Vormittag äußerst hart gearbeitet haben, denn auf den Kettenhemden und Waffen war kein Rost mehr zu sehen, Schwerter und Hellebarden waren frisch geschliffen und auch die Beulen aus Helmen und Schilden waren heraus gehämmert worden. Hauptmann Harald stand steif wie ein Stock an der Spitze von zwanzig Kriegsknechten und erwartete regungslos die Inspektion. Ragnor trat vor ihn, sah ihm einen kurzen Moment in die Augen und stellte dabei überrascht fest, daß Harald offenbar nicht getrunken hatte. Als er dann hinab auf dessen Hände blickte, die Schild und Schwertknauf fest umklammert hielten, erkannte er, wie schwer es dem Hauptmann fiel, das Zittern seiner Hände zu verbergen.
Langsam schritt Ragnor die Reihe der Männer ab und was er in ihren Augen sah, gefiel ihm fast noch besser als ihre in Stand gesetzte Ausrüstung. Alle Männer, ohne Ausnahme, versuchten einen guten Eindruck zu machen und er sah Respekt in ihren Augen, was er sich allerdings nur schwer erklären konnte, denn bisher hatte er nichts getan ihn sich zu verdienen. Die Aufklärung dieses seltsamen Umstandes ließ allerdings nicht lange auf sich warten, denn als ihn Hauptmann Harald nach dem Appell mit rauher und etwas zittriger Stimme um eine Unterredung unter vier Augen bat, hörte Ragnor auf dem Weg zur Wachstube einen der Soldaten etwas von Dämonentöter sagen.

Als sie dann in der Wachstube der Kriegsknechte saßen und ihn Ragnor da Vidakar erwartungsvoll ansah, nahm der Hauptmann all seinen Mut zusammen und sagte, was er sich den ganzen Morgen schon vorgenommen hatte: "Edler Herr. Ich möchte mich bedanken, daß ihr unsere stümperhaften Bemühungen eure berechtigten Anforderungen zu erfüllen so freundlich kommentiert habt und ich kann euch versichern, daß sich die Männer in den nächsten Wochen alle erdenkliche Mühe geben werden. Bitte haltet den Männern zu Gute, daß es allein meine Schuld ist, daß sie sich momentan in so schlechter Verfassung befinden. Die acht Mann, die sich heute morgen geweigert haben meinen Anordnungen zu folgen, habe ich aus der Wache geworfen, muß euch aber mitteilen, daß sie Bero, nach einer heftigen Auseinandersetzung wegen meiner Entscheidung, umgehend in seine Dienste übernommen hat, nachdem ich mich geweigert hatte sie in der Wache zu behalten."
"Was will denn der Verwalter mit den Kriegsknechten anfangen?", fragte Ragnor überrascht nach.
"Das kann ich euch natürlich nicht genau sagen, aber zu mir hat er gesagt, daß er die Dienste einiger kräftiger Männer benötigt. Aber es sind schlimme Galgenvögel. Ihr solltet euch vor ihnen in Acht nehmen und das Beste wäre sicherlich, sie umgehend auf die Straße zu setzen", antwortete ihm Harald bereitwillig.
Als er sah, daß Ragnor in wiederum unterbrechen wollte, fuhr er schnell und recht nervös fort: "Bitte laßt mich zuerst zu Ende sprechen. Der Grund, warum ich euch zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten habe, ist, daß ich heute noch Vidakar verlassen werde. Ich bin ein haltloser Trinker, wie ihr sicherlich bereits bemerkt habt und kann den Posten eines Hauptmannes nicht mehr ausfüllen. Wahrscheinlich bin ich nicht einmal mehr für den Küchendienst zu gebrauchen."
Ragnor sah die Bitterkeit in den Augen des Mannes, der trotzdem irgendwie erleichtert zu sein schien, daß er gesagt hatte, was er zu sagen hatte. Es nötigte ihm Respekt ab, denn er konnte ermessen, wieviel es den ehemals stolzen Mann gekostet haben mußte diesen Offenbarungseid abzulegen. Als der Hauptmann sich erhob, um die Stube zu verlassen, hielt ihn Ragnor zurück, sah ihm ernst in die Augen und sagte eindringlich: "Ich bin bereit dir noch einmal eine Chance zu geben, weil ich glaube, daß du sie verdienst. Aber du mußt sofort mit dem Trinken aufhören. Meint du, daß du das kannst?"
Die Entschlossenheit in den Augen von Harald war fast rührend, als dieser heiser vor innerer Erregung antwortete: "Ich danke euch edler Herr und ich bin sicher, daß ich es schaffen werde. Der alte Jagmar wird mir helfen, denn er hat es mir schon einmal angeboten, aber ich werde drei Tage keinen Dienst tun können, wenn ich jetzt gleich zu ihm gehe."
Der junge Ritter lächelte erfreut und verfügte grinsend: "Ich gebe dir drei Tage frei und das gilt ab sofort. Dann erwarte ich von dir, daß du dich danach unverzüglich wieder zum Dienst bei mir meldet. Während deiner Abwesenheit, werde ich die Wache selbst kommandieren und jetzt laßt uns hinaus gehen und die Männer über unsere Entscheidung informieren, daß ich dich während deines 'Urlaubs' vertrete."

Während der nächsten drei Tage drillte Ragnor seine Wache und ließ den Verwalter in dem Glauben, er würde sich im Moment nur für die militärische Ausbildung seiner Männer interessieren. Über die acht ausgemusterten Kriegsknechte verlor er kein Wort, um Bero in dem Glauben zu lassen, ihm wäre dieser Vorgang gar nicht bekannt. Während er seine Leute ausbildete, sah sich sein rühriger Knappe weiterhin möglichst unauffällig um und er berichtete des Abends, daß der Verwalter seine neue 'Leibwache' in den Tiefen des alten Kellergeschosses zu irgendwelchen Arbeiten einsetzte. Er hatte ihnen leider nicht in die Keller folgen können, ohne daß es aufgefallen wäre aber er hatte gesehen, daß sie leere Fässer und Säcke ins Kellergeschoß geschafft hatten. In den Nächten war es hingegen, zu Ragnors großer Enttäuschung, vollkommen ruhig geblieben. Der Quasarring hatte sich nicht geregt und nicht das kleinste Anzeichen einer dämonischen Aktivität war festzustellen gewesen. In der Ausbildung seiner Kriegsknechte hatte er allerdings große Fortschritte gemacht, und als Hauptmann Harald am vierten Tag, in aller Frühe, seinen Dienst wieder antrat, staunte er nicht schlecht. Als er, noch etwas hohlwangig von dem harten Entzug, die Wachstube kontrollierte, bekam er eine zackige Meldung, und als er nach dem Frühstück seine Männer inspizierte, bewegten sie sich so, wie man es von der Burgwache eines berühmten Ritters erwarteten durfte.

Als Harald kurze Zeit später mit dem alten Majordomus und seinem jungen Herren, der gerade von seinem allmorgendlichen Ausritt zurückgekehrt war, zusammen saß, fand Ragnor, es sei nun an der Zeit die beiden Männer, denen er glaubte vertrauen zu können, in seine Pläne einzuweihen. Nachdem er berichtete hatte, was er wußte, zeigten sich die beiden nicht erstaunt über das, was er heraus gefunden hatte. Es war ein offenes Geheimnis auf Vidakar, daß Bero in seine eigene Tasche wirtschaftete. Das hatte er auch schon unter der alten Herrschaft getan und jeder, der versucht hatte gegen ihn vorzugehen, war eines Tages plötzlich spurlos verschwunden, so daß es bald niemand mehr wagte sich gegen den eiskalten Verwalter zu stellen. Da war wieder ein Hinweis, daß irgend etwas hier nicht mit rechten Dingen zu ging und Ragnor war nun eigentlich ganz froh, daß er im ersten Zorn nicht gleich gegen den Dicken vorgegangen war. Der Kerl war offenbar weit gefährlicher, als es den Anschein hatte. Hinter der ganzen Sache mußte auf jeden Fall weit mehr als nur eine einzelne Person stecken. Nun, bisher waren nur die acht Kriegsknechte seiner neuen 'Leibwache' und, mit ziemlicher Sicherheit, der finstere Schreiber, der wahrscheinlich ein Hexer war, auf Beros Seite recht eindeutig auszumachen gewesen. Die restlichen Bewohner des Rittergutes waren, mehr oder weniger, unbedeutend, falls es je zu einer handfesten Auseinandersetzung kommen würde und da er nun glaubte, sich auf Hauptmann Harald und seine Wache fest verlassen zu können, hielt es der junge Ritter für an der Zeit zu handeln. Also wurde in der Runde beschlossen, daß der Dicke, der Schreiber und die acht Kriegsknechte am nächsten Tag, gleich nach dem Frühstück festgesetzt werden sollten, um ihrem Treiben ein Ende zu machen.

Doch es sollte ganz anders kommen, als sie es geplant hatten.
Es war wohl bereits eine Stunde nach Mitternacht, als Ragnor hoch schreckte. Da war es wieder, das dämonische Pochen und ein kurzer Blick auf seinen Quasarring genügte vollkommen, denn dieser pulsierte wieder in tiefem Rot. Der junge Ritter weckte umgehend seinen Knappen, die beiden bewaffneten sich und schlichen hinaus ins Treppenhaus, um in den Hof hinunter zu gehen. Als sie halb die Treppe hinunter waren, faßte Ragnor Klaus an der Schulter, hielt ihn zurück und flüsterte: "Halt, ich spüre, daß irgend etwas Dämonisches ganz nahe sein muß. Es kann nicht drüben im Turm sein, wo ich es das letzte Mal vermutet hatte. Falls es die selbe Quelle ist, dann muß es schon ganz nahe sein oder um ein Vielfaches stärker. Also, laß mich voran gehen, wir müssen jetzt höllisch aufpassen. Es könnte gut sein, daß irgendwas etwas da draußen im Hof lauert."
Klaus nickte und Ragnor sah in sein entschlossenes, wenn auch blasses Gesicht, lächelte grimmig und bemerkte trocken: "Also, dann mal los."
Als sie schließlich unten waren und die glücklicheweise gut geschmierte Tür zum Hof vorsichtig öffneten, sah Ragnor, im Licht des roten Mondes Ximonar, des Symbol des Bösen auf Makar, eine hohe dunkle Gestalt aus dem Hoftor kommen. Diese trat weit vorn über gebeugt und witternd, wie ein Raubtier, hinaus auf den Hof. Als das Wesen, das sicherlich kein Mensch war, aus dem Schatten des Gebäudes trat, sah Ragnor überdeutlich, daß es genau das war, was er vermutet hatte und er verfluchte den Umstand, daß er seinen festen Schild nicht mit herunter genommen hatte. Nun mußte er dem Dämon und es gab keinen Zweifel daran, daß das einer war, nur mit Schwert und Dolch gegenübertreten. Die langen Klauen, von denen eine dunkle Flüssigkeit troff, zeigten ihm, daß er von den vier Mann der Nachtwache keine Hilfe mehr zu erwarten hatte. Der Dämon hatte sie sicherlich umgebracht denn was da von den langen Krallen auf den weißen Kies des Innenhofes tropfte, war mit Sicherheit ihr Blut. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden und er mußte das ganz allein durchstehen. Er sah kurz zu seinem Knappen hinüber, der voll Entsetzen auf den Hof hinaus starrte. Obwohl sein Herr in der Schlacht um Santander ein erheblich größeres Exemplar getötet hatte, war er vor Angst fast starr, denn damals hatte Ragnor voll gerüstet auf seinem Pferd gesessen. Dieses Mal mußte er es nur geschützt von Helm und Kettenhemd versuchen. Er spürte den Blick seines Herren, sah ihm ins Gesicht und war erstaunt, daß der junge Ritter überhaupt nicht nervös zu sein schien, denn dieser sagte nur knapp: "Ich gehe jetzt hinaus und töte das Ding. Lauf durch das Haus, wecke Hauptmann Harald und alarmiere die gesamte Wachmanschaft. Den Weg übers Tor kannst du dir aber sparen, denn ich denke, daß die Männer dort drüben alle tot sind."
Nachdem Klaus durch den Laubengang davon gehuscht war, öffnete der junge Ritter entschlossen die Tür, und schritt, nur mit Helm und Kettenhemd gerüstet, langsam auf den großen quadratischen Innenhof hinaus. Er zog Quorum, faßte es mit beiden Händen und konzentrierte seinen Geist auf die magische Waffe. Hell leuchtete das seltsame Schwert auf und die beruhigenden Schwingungen des Quasars erfüllten den jungen Mann mit einer tiefen Ruhe.
Laut und verächtlich rief er nun dem Monster seine Herausforderung entgegen: "Komm her du Scheusal. Es wird Zeit für dich zu sterben."
Fauchend sein mächtiges Gebiß fletschend, fixierte ihn der Dämon einen kurzen Augenblick und seine roten Augen leuchteten dabei grimmig auf. Dann zeigte er drohend seine mächtigen Klauen, heulte vor Wut auf und ging mit raumausgreifenden Schritten siegesgewiß über den Hof auf ihn zu, einen leichten Sieg erwartend, denn er wußte, daß Eisenwaffen seinem festen Hornpanzer nichts würden anhaben können. Als er den jungen Ritter erreicht hatte, der stehen geblieben war, um seinen Feind zu erwarten, versuchte das Scheusal, als der junge Mann schließlich in seiner Reichweite war, ihn mit einem schnellen Angriff zu überraschen. Seine überlangen Arme mit der sechsfingrigen Händen, die in langen messerscharfen Krallen endeten, schossen blitzschnell auf den jungen Ritter zu, um ihn, in einer schnellen und brutalen Attacke, zu zerreißen. Doch Ragnor war auf der Hut. Er wich geschmeidig aus und hieb mit einem kräftigen horizontalen Schlag dem Monster die dolchlangen Krallen an seiner linken Klaue ab, so daß ihn der Dämon verfehlte. Die Überraschung seines höllischen Gegners, der auf seine Unverwundbarkeit gesetzt hatte, nutzte Ragnor eiskalt aus. Er ließ sich fallen, rollte sich blitzschnell über die rechte Schulter ab und kam kurz hinter dem überraschten Monster wieder hoch. Bevor der Dämon reagieren konnte, stieß ihm der junge Ritter mit aller Kraft die grell leuchtende Waffe tief in den Rücken. Das pulsierende Schwert durchstieß, scheinbar ohne Widerstand, den glänzenden Chitinpanzer und drang vollkommen lautlos in den Körper des Monsters ein. Ein gellender Schrei löste sich aus dem Rachen des Dämonen, der einen Moment wie angenagelt da stand, wobei die leuchtende Klinge seinen muskulösen Körper von innen her förmlich aufzufressen schien. Dann endlich brach er wimmernd in die Knie, unfähig seine nun tonnenschwer scheinenden Klauen auch nur einen Zoll zu heben und sein vorher glatter schwarzer, insektenartiger Körper, wies inzwischen tiefe Risse auf, hinter denen es hell leuchtete. Es war gerade so, als ob ein Keramikgefäß zerbräche, in dem sich ein Gewitter austobte. Ragnor spannte seine Rückenmuskeln und riß Quorum mit beiden Händen wieder heraus. In diesem Moment schoß ein feiner roter Strahl aus seinem Ring auf den Kopf des Dämons zu und der Todesschrei des Dämons gellte durch Ragnors Kopf. Einen Herzschlag später begann sich, die nun leere Hülle seines Körpers, in rasender Geschwindigkeit aufzulösen und wenige Augenblicke später war nichts mehr von ihm zu sehen. Lediglich eine lange Blutspur auf dem weißen Kies erinnerte daran, daß das alles nicht nur ein böser Traum gewesen war, sondern harte Realität. Harald und einige seiner Männer, die Klaus alarmiert hatte, hatten den Kampf atemlos verfolgt und kamen nun auf den Hof gerannt, um ihren neuen Herrn zu seinem großartigen Sieg zu beglückwünschen. Doch der winkte nur unwirsch ab und sagte scharf: "Es ist noch nicht ausgestanden. Drüben im Turm geht immer noch irgend etwas Dämonisches vor. Also kommt Männer und laßt uns nach sehen. Die Männer stürmten auf Ragnors Geheiß hin die Holztreppe hinauf und liefen über den Steg zur oberen Turmtür. Zu ihrer Überraschung mußten sie keine Gewalt anwenden, denn die Tür war nicht verschlossen. Sie drangen in das Turmgemach ein und scheuchten den völlig überraschten Schreiber Golo auf, der in seinem Bett gelegen und geschlafen hatte. Ragnor sah sofort, daß der 'finstere' Schreiber nichts mit der Sache zu tun haben konnte, denn er erkannte nun, daß die bewußten Signale klar von unten kamen. Er schnauzte deshalb die beiden Kriegsknechte an, die den armen Schreiber, der offenbar gar nicht wußte wie ihm geschah, in einem eisernem Griff zwischen sich hielten: "Laßt den armen Kerl doch endlich in Ruhe. Er ist offenbar unschuldig."
Dann wandte er sich recht schroff an seinen Hauptmann und fragte ziemlich ungeduldig: "Gibt es von hier oben einen Zugang zum Untergeschoß, denn die Quelle der dämonischen Impulse muß da unten sein."
"Nein, edler Herr. Wir müssen durch den Geheimgang im Keller, wenn wir da unten rein wollen. Von hier oben geht das nicht. Zwischen hier und den Katakomben liegen drei Klafter Schutt im Turm", antwortete Harald mit einem bedauernden Kopfschütteln.
Als sie nach ihrem hastigen Abstieg unten durch das Eingangstor kamen, um in die Keller hinab steigen zu können, kamen sie zwangsläufig an den toten Wachsoldaten vorbei. In der Wachstube bot sich ihren Augen ein grausiges Bild dar und der junge Ritter sah das Entsetzen auf den Gesichtern seiner Leute und ihre Entschlossenheit der Ursache dieses Grauens ein Ende zu bereiten. Die vier Kriegsknechte, die am Tor Dienst getan hatten, waren von dem Dämon auf grausamste Weise getötet worden. Soweit Ragnor in dem Halbdunkel, das im Tordurchgang herrschte, erkennen konnte, waren sie von dem Ungeheuer förmlich zerrissen worden.
Schwer gerüstet und mit Fackeln bewaffnet, stiegen die Männer hinab in die Felsenkeller des Herrenhauses. Sie waren so alt wie der mächtige Wehrturm und existierten schon sehr viel länger als das Herrenhaus, das wohl noch keine hundert Jahre alt sein mochte. Vorsichtig tasteten sich die Männer durch die uralten Gänge und die Fackeln warfen ein gespenstisch flackerndes Licht auf die, aus rotem Sandstein gehauenen, Wände der schmalen Gänge durch die sie sich zum Fundament des Wehrturms vorarbeiteten. Hauptmann Harald, der auf ausdrücklichen Wunsch mit zwei seiner Leute an der Spitze ging und der eine furchteinflößende Lochaberaxt trug, hob, als sie sich den Katakomben unter dem Turm bis auf wenige Schritt genähert hatten, die Hand und winkte seinen Herrn zu sich heran.
Dann flüsterte er: "Da vorne gibt es eine großer Kaverne. Wenn unsere Gegner Wachen postiert haben, dann dort. Direkt vor uns liegt eine Gangbiegung. Laßt uns ohne Fackel dorthin gehen, um zu sehen, ob in der Kaverne ein Licht brennt."
Der junge Ritter stimmte zu und tatsächlich bestätigte sich die Vermutung seines Hauptmannes, denn aus der Kaverne drang schwacher Lichtschein zu ihnen herüber, als sie vorsichtig, um die Ecke spähten.
Hauptmann Harald nickte seinem Herrn grimmig und ein wenig triumphierend zu. Jetzt war der Moment für ihn gekommen, seinem Herrn, dem Dämonentöter zu beweisen, daß er das Vertrauen wert war, das dieser in ihn gesetzt hatte, als er ihm noch einmal eine Chance gegeben hatte. Er würde ihm zeigen, daß er zumindest als Kämpfer einiges zu bieten hatte. Sie schlichen zurück, befahlen allen Männern, bis auf zwei, die Fackeln zu löschen und im spärlichen Licht der restlichen beiden Fackeln sammelten sie sich vor der Gangbiegung und dann…, stürmten sie los. Der Hauptmann rannte mit grimmigem Gesicht vorne weg, die gewaltige Lochaberaxt mit beiden Händen schwingend. Die acht Kriegsknechte, die, wie erwartet, den Zugang zum Turm bewachten, hatten nicht den Hauch einer Chance. Sie versuchten noch eilig mit ihren Schilden eine Art Phalanx zu bilden, um die Tür abzuschirmen, doch Harald zerbrach ihre lächerliche Formation bereits mit dem ersten mächtigen Schlag seiner furchtbaren Axt. Es ging alles so schnell, daß Ragnor und sein Knappe nicht einmal einzugreifen brauchten, denn Haralds Männer machten kurzen Prozeß mit ihren ehemaligen Kameraden. Nur zu gut hatten sie die schrecklichen Bilder ihrer vier toten Freunde noch im Kopf. Deshalb gab es kein Pardon. Für keinen von ihnen. Doch als der Hauptmann versuchte die eisenbeschlagene Tür zu öffnen, erlebte er eine herbe Enttäuschung. Sie war von ihnen verriegelt worden. Ärgerlich versuchte er, mit seiner mächtigen Lochaberaxt, die Tür zu öffnen. Die Schläge hallten wie Donner in der großen Kaverne wider, doch als er mit der Axt endlich durch die eisernen Bänder durch war und auf die starke eiserne Querstange traf, welche die Tür verriegelte zerbrach sein Axtblatt. Laut fluchend warf der Hauptmann den nutzlosen Rest weg und rief seinen Männern wütend zu: "Vier von euch holen einen starken Balken aus dem Baulager, anders kommen wir hier nicht rein."
"Bleibt hier, den brauchen wir nicht", fuhr der junge Ritter energisch dazwischen. Bevor Harald nachfragen konnte, nahm der junge Mann sein seltsames Schwert in beide Hände und was jetzt geschah, war für die Männer fast noch unglaublicher als der Tod des Dämons. Harald und seine Leute schauten entgeistert zu, wie das Schwert ihres Herrn in grellem Weiß zu leuchten begann. Dann hob er es weit über den Kopf und schlug mit aller Kraft zu. Jeder hatte erwartet, daß das zierlich wirkende Schwert zerbrechen würde. Doch zur Überraschung aller, zersprang statt dessen der schwere Riegel und mit einem harten Fußtritt beförderte Ragnor die Reste der Tür aus dem Weg.

Dicht gefolgt von seinen Männern, trat der junge Ritter vorsichtig in das große steinerne Gewölbe ein, das von einem grünlichen, unirdisch wirkendem, Licht erleuchtet wurde. Als sich seine Augen an das unheimliche Licht gewöhnt hatten, sah er weit hinten eine untersetzte Gestalt, die in ein seltsames blutrotes Kapuzengewand gekleidet war, vor einem mehr als übermannsgroßen steinernen Götzenidol auf und ab tanzen. Er hatte alles erwartet, nur nicht, daß der dicke Verwalter der Hexer war. Vorsichtig gingen die Männer in breiter Front durch die ausgedehnte unterirdische Kaverne, um sicherzustellen, daß ihnen niemand entkam. Ragnor hatte nur Augen für Bero, der hier unten offenbar allein zu sein schien. Als sie langsam näher kamen erkannte er, daß das zwei Mann hohe steinerne Idol dabei war sich zu verwandeln. Der rauhe Stein begann zu glänzen wie der Panzer eines überdimensionalen Insektes und die Augen, die er vorher für große Rubine gehalten hatten, leuchteten in einem unheiligen Feuer. Da wurde ihm blitzschnell klar er mußte Bero stoppen, bevor das Monster ganz zum Leben erwacht war. Er hob sein Schwert und rannte auf den immer noch auf und ab tanzenden Bero zu, der sich, was gar nicht zu seiner Leibesfülle paßte, geschmeidig wie ein geübter Tänzer bewegte. Als Ragnor bis auf zehn Schritte heran war, fuhr der Dicke herum und Ragnor stoppte abrupt und hob die Waffe, denn die Augen von Bero leuchteten in tiefem Rot und er begann mit einer unirdischen Stimme zu sprechen: "Du bist also dem Sucher entkommen, das hat noch keiner vor dir geschafft. Doch nun wirst du sterben und dein Schwert wird dir dabei auch nichts nützen" Bei diesen Worten hob er die rechte Hand und ein greller Flammenstrahl schoß aus ihr hervor und raste direkt auf Ragnor zu. Dieser hob eher instinktiv sein Schwert und verfluchte wiederum den Umstand, daß er seinen Schild nicht bei sich trug. Wie erstarrt stand er da, den heißen Tod erwartend, der glühend auf ihn zu raste. Doch zu seiner eigenen, großen Überraschung traf ihn die Flamme nicht, denn seine magische Klinge zog den Feuerstrahl förmlich an, lenkte ihn ab und absorbierte ihn vollständig. Nicht einmal der Griff erwärmte sich dadurch. Das Schwert nahm die Energie völlig mühelos auf und ließ sie dann offenbar einfach verschwinden.
Es war das Pech des Dicken, daß er einen Moment zu lang brauchte, um die Überraschung zu verdauen. Ragnor bewegte sich blitzschnell, das Schwert blitzte kurz im Fackelschein auf, und dann flog Beros Kopf von seinen Schultern. Im selben Moment erlosch das Leuchten in den Augen des Idols und wenige Augenblick später war der glänzende Schein des sich bildenden Chitinpanzers verschwunden und der stumpfe verwitterte Stein kam wieder zum Vorschein.
Hauptmann Harald trat sichtlich bewegt vor, beugte das Knie vor seinem Herrn und sagte mit bewegter Stimme: "Das war fürwahr ein großer Sieg edler Herr und wir sind stolz und glücklich Euch dienen zu dürfen."
Ragnor nickte nur müde und antwortete abwehrend: "Zuviel der Ehre, das war nur Glück. Bitte schaut nach, was hier unten alles zu finden ist. Sicherlich hat der Dicke seine Schätze, die er zusammen geräubert hat, hier gelagert."
Was die Männer dann zusammen trugen, hatte sich der junge Ritter in seinen kühnsten Träumen nicht zu erhoffen gewagt. Der Dicke mußte schon seit Jahren hier unten seine Schätze gehortet haben und das weit in die Periode hinein, in der noch der alte Lehnsherr auf Vidakar gesessen hatte. Das ließ den schlechten Ruf, den der alte Lehnsherr bei Graf Rurig und seinen Standesgenossen im Lande gehabt hatte, in einem ganz anderen Licht erscheinen. Bei den Mengen an Gold, die sich hier unten angesammelt hatten, konnte dieser eigentlich nichts davon gewußt haben. Bei diesen Gedanken schoß ihm auch durch den Kopf, daß er auch noch mit dem Schreiber Golo reden mußte, den er ja offenbar ganz grundlos verdächtigt hatte und nicht nur der Unterschlagung, sondern sogar der Hexerei.
Doch konnte er diesen Gedanken im Moment nicht weiter spinnen, denn sein Hauptmann unterbrach ihn vorsichtig, während sich sein Augen kaum von der goldenen Pracht losreißen konnten, indem er ehrerbietig fragte: "Sagt mir bitte edler Herr, was soll mit all den Schätzen denn nun geschehen?"
Ragnor mußte grinsen, als er kurz überschlug welcher Reichtum hier unten lagerten und antwortete entspannt: "Wir werden davon gemeinsam eine Burg hoch oben auf dem erloschenen Vulkan bauen und bei Ama, es wird eine prächtige Burg werden."
Dann warf er einen Blick über die Männer, die müde aber stolz um ihn herum standen und fügte entschlossen hinzu: "Und ihr, die ihr mir geholfen habt dieses Vipernnest auszuheben werdet die Kernmannschaft meiner neuen Burgbesatzung sein. Ich werde euch eure Treue und euren Einsatz vergelten, denn ihr sollt stolz darauf sein im Dienste des Hauses Vidakar zu stehen."
Im Geiste fügte er für sich hinzu, daß auch die Bauern, die Jahrzehnte für diese Schätze geblutet hatten, ihren Teil davon bekommen würden, denn er hatte vor sie beim Burgenbau vom Frondienst vollständig zu befreien, in dem er fremde Arbeiter anwarb und überdies ihre Abgaben für die nächsten zwei Jahre auf die Hälfte des üblichen Zehnten von ihrer Ernte abzusenken.
Nachdem er sechs Mann als Wache abgestellt hatte, welche die Schätze für den Rest der Nacht bewachen würden und sich die restlichen Kriegsknechte daran machten die Toten zu entfernen, wies Ragnor Hauptmann Harald an, doch dafür zu sorgen, daß am nächsten Morgen das Götzenidol in kleine Stücke zerschlagen würde, Gold und Edelsteine entfernt und seine Reste in der Steinmühle des Ortes zu feinem Stein zermahlen würden, auf daß der unheilige Götze nie wieder durch dieses Idol beschworen werden konnte.

Am nächsten Morgen ging er, nachdem er völlig erschöpft tief und entspannt geschlafen hatte, in aller Frühe zur Kammer des Schreibers Golo hinauf. Er klopfte und die hohle dunkle Stimme, die maßgeblich zu seinem Verdacht gegen Golo beigetragen hatte, forderte ihn auf einzutreten. Als er das Gemach betrat, ging gerade die Sonne von Makar am Horizont auf und füllte den Raum mit ihrem roten Licht.
Der Schreiber, der bereits vollständig angekleidet war, erwartete ihn an der Tür. Golo verbeugte sich ehrerbietig, als er sah, daß es sein neuer Herr war, der ihn zu dieser frühen Stunde zu sprechen wünschte.
Als der junge Ritter das Gemach des Schreibers etwa eine Stunde später wieder verließ, schwor er sich nie wieder einen Menschen nach seinem Äußeren zu beurteilen. Golo hatte sehr glaubwürdig darstellen können, daß er, seit er den Posten des Schreibers bekleidet hatte, nur niedergeschrieben hatte, was der Verwalter von ihm gefordert hatte. Er hatte nie irgendwelche Geschäfte getätigt, noch irgendwelche Einnahmen selbst in der Hand gehabt. Am meisten hatte Ragnor erstaunt, daß der Grund, warum Golo so zurückgezogen gelebt hatte, nicht nur sein Äußeres gewesen war, sondern vor allem die Tatsache, daß er in seiner Freizeit kunstvolle Glasfiguren herstellte. Als er seinem Herren, auf dessen Bitte hin, seine Kunstwerke gezeigt hatte, war der wahre Golo zu Tage gekommen, ein sanfter, verletzlicher Mann, der seiner Kunst lebte und der unendlich unter der Ausgrenzung durch die anderen Menschen gelitten hatte. Er hatte dem jungen Ritter zum Abschied sogar einen wunderbaren kleinen gläsernen Kiebitz geschenkt. Als Ragnor dann nachdenklich und schweren Schrittes die laut quietschende Holztreppe in den Innenhof hinab gestiegen war, hatte er den Entschluß gefaßt, Golo zu seinem neuen Verwalter zu ernennen.

Am Abend dieses denkwürdigen Tages, lud der junge Ritter seine Soldaten, den alten Majordomus, der außer sich vor Freude über das Ende von Bero gewesen war und den Schreiber Golo zu einem großen Festmahl ein. Als sich alle versammelt hatten, erhob sich Ragnor da Vidakar, hob sein Glas mit köstlichem zephirischem Wein zum Toast und sprach feierlich: "Wir wollen nun anstoßen auf eine glückliche Zukunft von Vidakar, auf die neue Burg, die wir gemeinsam bauen werden und auf das Regiment Langbogenschützen, das ich aufstellen werde und das der Schrecken all unserer Feinde werden wird."
Begeistert erhoben sich seine Männer und riefen: "Auf Ragnor da Vidakar den Dämonentöter. Er lebe hoch, er lebe hoch, er lebe hoch."
Gerührt von der Loyalität seiner Männer, winkte der junge Mann ab und wandte sich dem bisherigen Schreiber Golo zu: "Meine Herren, ich war eigentlich noch nicht ganz fertig, mit dem was ich zu sagen habe. Ich möchte, hier und heute verkünden, daß Golo mein neuer Verwalter werden wird und ich möchte, daß ihr mit mir darauf anstoßt."
Wieder hoben sich die Gläser und es wurde ein Toast auf Golo ausgebracht, auch wenn die Überraschung auf dem einen oder anderen Gesicht deutlich geschrieben stand, ob der Entscheidung von Ragnor da Vidakar. Doch am meisten schien es den armen Golo zu überraschen, der keinen Ton heraus brachte. Doch das war auch nicht wichtig, denn in diesem Moment wurde das Essen herein gebracht und die Aufmerksamkeit wandte sich dem prächtigen Hirschbraten zu, der verführerisch auf den Tellern dampfte.

Als die Feier dann beendet war, bat ihn Golo verlegen, ihn bitte einen kurzen Moment unter vier Augen sprechen zu dürfen und hatte, nachdem Ragnor bereitwillig zugestimmt hatte, seinen Herrn nach den Gründen für die überraschende Ernennung zum Verwalter gefragt. Die Antwort, die der junge Ritter ihm gegeben hatte, bescherte ihm einen treuen Diener, wie man ihn nicht besser haben konnte. Die Worte des jungen Ritters: "Ich habe heute morgen in eure Seele geblickt mein lieber Golo und dabei erkannt, daß ihr ein wahrhaftiger Mensch seid, dem man rückhaltlos vertrauen kann", hatten den stillen Mann tief berührt. Ja, er war überzeugt davon, daß sein junger Herr tatsächlich fähig war in den Herzen der Menschen zu lesen, so wie er in der Lage war Dämonen und Hexer zu erschlagen. Ragnor da Vidakar war vielleicht noch jung, doch er hatte eine große Zukunft vor sich und Golo würde alles tun ihn dabei nach Kräften zu unterstützen.

Jürgen Friemel 1995
 
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Kommentare  

Du führst so viele ungewöhnliche Namen von Menschen, Ländereien, Burgen usw. ein, daß man kaum die Möglichkeit hat, der Geschichte zu folgen.
Ist das überhaupt eine Geschichte?
Und wie geht es weiter?


Chris Stone (21.02.2005)

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