7


1 Seiten

Ein kurzer Weg ins Nichts

Nachdenkliches · Experimentelles
© Asasely
Hör doch endlich auf zu weinen! Du benimmst dich wie ein Kind.
Ich bin kein Kind mehr. Ich bin erwachsen.
Wenn du erwachsen wärst, hättest du früher daran gedacht.
Heißt es: nichts?
Nichts.
Sie steckte die lästige sonnenhelle Locke wieder hinter ihr Ohr, drehte sich um und ging.
Weg.

Was sind das für Narben? Jeder muss lernen, sein Leben zu lieben. Du auch. Schau mir in die Augen, Kind. Du brauchst keine Angst zu haben.
Ich habe keine Angst.
Richtig so. Gleich schläfst du ein und wirst nichts spüren. Okay?
Okay.
Hörst du mich noch? Nichts?
Nichts.
Der Chirurge begann seine Arbeit.
Bald war das Ungeborene weg.

Sie wachte auf. Ihr Kopf war leer.
Wo willst du hin?
Ich fahre heim.
Aber du darfst nicht. Du solltest noch hier liegen bleiben. Hast du keine Schmerzen? Spürst du etwa nichts?
Nichts.
Leicht schwankend ging sie zur Glastür.
Weg.

Noch ein bisschen Tee?
Nein, es ist genug. Danke.
Was hast du bloß, mein Kind? Wie immer nichts?
Nichts.
Ich bin todmüde und gehe ins Bett. Gute Nacht, Mama.
Gerade wie ein Rohrstöckchen, lief sie weg.


Das in die weiße Badewanne fließende Wasser spritzte auf die blau gestrichene Wand. Trockene blaue Augen starrten auf ein Dutzend weiße Tabletten in der kleinen Hand.
Los, nimm sie. Sei nicht feige.
Ich habe Angst.
Du brauchst keine Angst zu haben. Es tut nicht weh. Was hält dich hier?
Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es etwas?
Nichts!
Ein braves Kind. Gleich bist du weit weg.


Ein Mal kam sie zu Bewusstsein. Sie sah und erkannte zwei Menschen, die sie liebte. Sie saßen einsam und verloren auf dem Bett gegenüber.
Ein quälende Gedanke zerschnitt wie ein Messer ihren erhitzten Kopf:
Warum bloß? Was kommt danach?
Nichts.
Im nächsten Moment verschwammen die Gesichter, verblassten die Erinnerungen und es begann die Musik. Nein, das war keine Musik. Irgendeine entsetzliche Stimme erdröhnte in ihren Ohren. Sie hörte Stöhnen, menschliches Geschrei, Geheule, die ganze Verzweiflung ergoss sich aus diesen Tönen. Schließlich, als der letzte Akkord wie ein Donner schlug, alles, was es Schreckliches im Weinen, Leidenvolles im Leiden und Schwermutiges in der Schwermut gibt – als es alles in einem Akkord zusammenfloss, konnte sie es nicht mehr erleiden. Sie schloss ihre Augen und flog für immer davon weg.

2003, August
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

ich stelle mir das eher so vor, dass sie all ihr leid auf einen schlag loswird, in form von dem geschrei, das sie hört
gefällt mir auch sehr gut! ich mag halt traurige geschichten^^
lg darkangel


darkangel (10.02.2007)

Sehr gut geschrieben, jedoch konnte ich mir schon nach der dritten Zeile denken, um was es geht. Muss nicht heißen, dass es zu offensichtlich ist, war vielleicht nur Intuition.
Der Titel hält, was er verspricht. Gute Verbindungen zu 'Nichts' gefunden und gut zu einer Handlung verknüpft, die so nicht geschrieben steht, sondern erst vom Leser zwischen den Zeilen gesponnen wird.

Noch eine Frage: Ich denke mir das so, dass sie sich ihr Leben genommen hat und dann als verlorene Seele ihre Eltern sieht. Dann verschwimmt die Erinnerung und sie hört diese ganzen Sachen. Soll ich daraus schließen, dass sie schließlich in der Hölle war und dieser entrann?

Sehr gut.


Redfrettchen (30.11.2003)

war gerade in der stimmung so etwas zu lesen. das herz tut mir weh dabei.

hast das gut gemacht, das geschriebene erzeugt viele (wenn auch schmerzliche) Gefühle in mir.
möchte auch wegfliegen...


cicia (06.09.2003)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Marys Augen  
Nichts außer einem Tango  
Getrockneter Fisch und andere Glücksmacher  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De