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Große Füße und andere Begebenheiten

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen
Wir waren zum zweiten Mal in Kenya, diesem herrlichen Land, der Wiege der Menschheit, und wir hingen in der Lodge herum, weil alle Aktivitäten getan waren; quälten uns schwitzend in der Hitze des Tages auf den Sonnenliegen abwechselnd unter Palmen, Baobabs und Sykomoren und peinigten unsere Haut; beobachteten die immer emsigen Meerkatzen bei ihren Diebstählen und heftigen Jagden quer durch den Hotelgarten bis hoch in die Bäume; hörten dem lauten Gekreisch der Tukane zu; liefen an dem weißsandigen Strand entlang, schwätzten und scherzten mit den Einheimischen und kauften unkritisch deren Artikel, die Daheim als Staubfänger dienen würden; sahen nach Ebbe und Flut des türkisfarbenen Ozeans und waren zufrieden. Abends tranken wir reichlich Tusker und gelegentlich einen Planters Punch, gedachten bei einem Whisky Hemingway und schwelgten in Erinnerungen an das jüngst Erlebte. Denn pflichtschuldigst hatten wir soeben die Masai Mara und den Amboseli besucht und mussten viele einzigartige Eindrücke verarbeiten.

Die Abende im Hotel verbrachten wir meist in Gegenwart junger Menschen, die noch nicht viel erlebt und daher nur wenig zu berichten hatten. Es ist schade, wenn die Zeit so vertan wird und dabei ein Leckerbissen an interessanten Geschichtenerzählern vielleicht unbeachtet bleibt.
Aber unser Glück sollte sich in diesen Tagen des Jahres 2000 zu unserem Gunsten wenden. Da war jenes Ehepaar aus der Frankfurter Gegend; liebenswürdige, einfache, altmodisch wirkende Menschen, die schon die halbe Welt bereist hatten; beide um die Fünfundsechzig. Sie hager mit listig-wachem, unentwegt beobachtendem Blick und guten Ohren; er wohlgenährt mit stramm gespannter Haut am Bauch und im Gesicht, gelegentlich laut schnarchend auf der Gartenliege den Abend erwartend.
Unsere Liegen im weitläufigen Hotelgarten des Papillon Lagoon Reef standen unweit beieinander. Es war im Laufe unseres Aufenthalts zwangsläufig so, dass wir miteinander ins Gespräch kommen mussten, wenn wir nicht als unhöflich, stur und arrogant gelten sollten. Bevor das aber so weit war, hatte sie uns mit ihren wachen Sinnesorganen schon so intensiv beobachtet, dass ihr offenbar mehr über uns bekannt zu sein schien als uns selbst.

Wie werden Gespräche eröffnet? Wie werden Fremde miteinander bekannt? Alle Prozeduren und gesellschaftlichen Regeln, die Konventionen und überlieferten Rituale, die Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, als Eröffnungszeremonien bekannt sind, wie "Guten Tag, mein Name ist...", "Sind Sie öfter hier?", "Schönes Wetter heute", "Prost" oder "Darf ich bekannt machen..." vergessen Sie rasch.
Was halten Sie von dieser Eröffnung, die etwas aufgeregt und plötzlich vorgetragen so lautete: "Hebbet Sie auch de schwarze Aff mit de grooße Fiiß gesehn?".
Dieses rief uns die magere Frau vor Beginn unseres frühmorgendlichen Sonnenbades atemlos zu! Und sie verwirrte uns sprachlich und wegen der Heftigkeit des Vortrags dabei außerordentlich. Erstens dauert es morgens Stunden, bis ich wach und artikulationsfähig bin, zweitens hatten weder meine Frau noch ich außer den immer anwesenden Meerkatzen einen Affen gesehen, schon gar nicht einen mit großen Füßen. Meine Frau, die unter Punkt Erstens nicht zu leiden hat, verstand blitzschnell, nahm den Faden auf und ließ sich Details berichten. Nun kam auch er hinzu, nickte wiederholt zustimmend und vielsagend zu der Schilderung seiner Frau mit dem Kopf und sagte immer wieder voller Impulsivität: "So grooße Fiiß" und zeigte dabei mit seinen fleischigen Händen einen Abstand von etwa vierzig Zentimetern auf, und er blickte uns dabei mit seinen großen, blauen Augen bedeutungsvoll und ernst an. Wir konnten uns nur mühsam ein Lächeln verkneifen. Es war, wie sich's im Laufe der Unterhaltung herausstellte so, dass die Frankfurter beim Verlassen ihres Zimmers beinahe über einen Affen mit diesen besonderen Merkmalen gestolpert waren. Anlass genug für viele Menschen (und auch Affen), dabei vor Angst und Schrecken in Ohnmacht zu fallen!

Martin und Gertrud erzählten uns dann von den Orang-Utans, denen sie in Borneo (Kalimantan) begegnet sind und von den Pandas in China. Meine Frage nach dem Ausmaß deren Füße wurde von meiner Frau mit einem diskreten Stoß in meine Rippen begleitet. "Nein", sagte Gertrud ernsthaft, deren "Fiiß" seien nicht so groß gewesen.
Unsere Liegen rückten näher zusammen, denn Martin und Gertrud waren außerordentlich gute Erzähler, die Lohnenswertes aus der weiten Welt berichten konnten und deren Erfahrungsschatz nahezu unerschöpflich zu sein schien.
Sie berichteten uns von den großen Städten Chinas, den Weiten Australiens, von den unermesslichen Wäldern Canadas und Brasiliens, von den Eisgipfeln Neuseelands, den Prärien Amerikas und den Wasserfällen Argentiniens. Die Tage vergingen wie im Flug. Das Reservoir an Episoden schien unendlich zu sein; Geschichten über Geschichten wussten sie zu erzählen. Zum Beispiel die von dem neuen Flugplatz in Ushuaia auf Feuerland, der südlichsten Stadt der Erde, auf dem alles so neu war, dass die Verkaufsstände nicht einmal geöffnet hatten. Und dann kam das Flugzeug mit sechs Stunden Verspätung, und es gab auf dem neuen Aeroporto keine Speisen und Getränke! Gertrud aber ist schlau! Sie hat immer ein Thermoskännchen mit gezuckertem Kaffee und einige Kekse im Gepäck. Immer. Auch in Ushuaia, am Ende der Welt.
Es fiel etwas Regen vom Himmel, der Angelika und mich überredete, uns schnell irgendwo mit unseren Sachen unterzustellen. Gertrud hingegen zauberte für sich und ihren Mann hauchdünne, dunkelgrüne Plastikumhänge und zwei Minischirme aus ihrer kleinen Handtasche. Die Frankfurter blieben auf ihren Liegen. Gertruds auf uns gerichteter Blick war überlegen!

© Heinz Albers, August 2002

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heinz@heinz-albers.de
 
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Kommentare  

Eindrucksvoll geschrieben. Die Geschichte gefällt mit gut. Gruß Lisa

Lisa (04.03.2007)

Nette Geschichte, etwas interessanter geschrieben als Eine Reise, meiner Meinung nach.

Ein Gut hat es verdient.


Redfrettchen (08.11.2003)

Ich bin kein reisender in ihrem sinne. Ich trinke dort den wein und seh mir die leute an. Ich rede nicht viel und fotografiere eigentlich nicht.

Aber ich mag es jemanden zu treffen, den ich nicht kannte. Ich mag plastikumhänge, die einem (eben) umgehängt werden. Und ich mags, wenn mein auspuff bricht, und ein kroatischer schweißer am samstagnachmittag ohne deutsch zu können (und ich kann nicht kroatisch aber meine freundin spanisch und zufällig die alte dame, die im selben haus wohnt ein bisschen italienisch und plötzlich gehts ...) extra für 5 euro alles zusammenflickt. Dann drück ich ihm 10 in die hand und freu mich auf meinen nächsten wein ...

;)


René Bauer (10.10.2003)

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