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Mexiko - Arrachera und Akkus

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen
Arrachera und Akkus - zwei Geschichten aus Mexiko


Mexico hatte Angelika und mich geschafft!
Nach einem fürchterlich langen Reisetag mit überwältigenden Eindrücken und strapaziösen Fußmärschen bei brüllender Hitze fielen wir abends in der Zona Rosa erschöpft, durstig und hungrig in das erstbeste Restaurant ein. Es war ein argentinisches Steakhaus, der Buenos Aires Grill, in dem man in einem verglasten, hübschen Vorbau unmittelbar und klimatisiert an einer gepflegten Fußgängerpromenade sitzen konnte. Das Personal war freundlich und aufmerksam; keine Selbstverständlichkeit in Mexico.

Um sechs Uhr in der Frühe waren wir mit unserer kleinen Gruppe in Acapulco mit dem Bus abgefahren, sind über Taxco, diverser Kathedralen, dem Aztekenstadion, der Jungfrau von Guadeloupe und dem Anthropologischen Museum kunterbunt quer durch Jahrtausende bis in die Gegenwart gebeamt worden. Vor der letzten Besichtigung dieses Marathon-Tages, der nächtlichen Plaza Garibaldi mit den vielen Mariachi-Bands, wollten, mussten wir zwei uns etwas stärken und entspannen. Vierzehn Stunden waren wir nun pausenlos auf den Beinen gewesen und hatten Impressionen gesammelt. Es hatte gereicht!

Die Speisekarte zeigte uns die gesamte Zoologie der Rinderzucht. Wir wählten.
Vierhundert Gramm Arrachera. Wie, bitte?
Je ein Arrachera-Steak, über 400 Gramm schwer, mit exotischen Salaten und kühlem Weißwein aus Chile für Angelika und Bier aus Mexico aus geeisten Gläsern für mich bestellten wir.
Ja, Arrachera kannten wir in diesem Moment auch nicht. Dieses Gericht hatten wir nur bestellt, weil es sich so gut in der Karte las und so fremdartig klang. Wir haben diese Wahl nicht bereut.
Bis dahin hatte ich eine Steak-Rangfolge für mich konstruiert, an der sich alles, was sich "Steak" nennt, eingliedern und bewerten lassen muss.
Die Rangfolge war seit über 35 Jahren unverändert so, dass das Steak, das ich 1965 in Boston (Massachusetts) im "Black Angus" gegessen hatte, bis zu diesem denkwürdigen 18. April 2002 die unangefochtene Spitze darstellte; es war vom Geschmack und der Zubereitung perfekt. Dann gab es noch einen zweiten Platz, mehr der Show als des Genusses wegen, ein flambiertes Pfeffersteak von 1963, gegessen in der Nachbarschaft der Champs-Elysees in Paris. Dicht paniert mit zerstoßenen schwarzen Pfefferkörnern wurde es aufgetafelt und dann an meinem Tisch mit Cognac übergossen und angezündet, wobei eine erstaunliche Stichflamme entfacht wurde. Vermutlich entstand so ähnlich im Jahre 586 der große Brand, der das damalige Paris vernichtete und in Schutt und Asche legte. Wer weiß, vielleicht sind die Franzosen ihrer Hauptstadt heute wieder überdrüssig? Der dritte Platz ging an ein Steak, das auch wegen der Servierhöhe zu diesem Ehrenplatz gelangte. Während eines Fluges mit der Singapore-Airlines von Frankfurt nach Singapur wurde dieses Steak in elf Kilometer Höhe aufgetragen; es war wirklich ausgezeichnet. Alle anderen Steaks - es mögen bis heute viele hunderte gewesen sein - waren nur Fleischgerichte und verdienen keine besondere Erwähnung. Das gilt auch für meine eigenen Kreationen.

Und das Arrachera? Holen Sie jetzt mal Ihre Phantasie und Geschmacksknospen an den Bildschirm. Stellen Sie sich ein hölzernes Servierbrett von 30 mal 25 Zentimetern vor, rundherum umgeben von einer Saftrille, dazu ein Messer, das in freier Wildbahn getragen durchaus dazu dienen könnte, den Träger zu kriminalisieren. Das Steak? Vierzig Zentimeter lang (pardon, das ist so viel, wie Ihr 17-Zoll-Monitor breit ist), 10 Zentimeter breit und zweieinhalb Zentimeter dick. Und weil es in seiner Länge nicht auf das Servierbrett passte, war das eine Ende umgeschlagen.
Wer soll das alles essen? Müssen wir mit anderen Gästen teilen? Kommt noch jemand? Das waren unsere ersten Gedanken. Beschwichtigend redeten wir uns ein, dass ja immer etwas Verschnitt da sei und damit so viel an Essbarem gar nicht überbliebe.
Wir mussten nicht teilen, es gab auch keinen Verschnitt. Das Messer und sogar die Zähne hätte man sich sparen können. Das war reine und saftige Zartheit in Vollendung. Ein Saft entströmte dem Fleisch, der nicht eine Spur von Blut enthielt, der einfach nur eine klare Flüssigkeit war, der den Mund überlaufen ließ und uns vor Begeisterung fast betrunken machte.
So etwas hätte man für die Nachwelt fotografieren müssen! Aber, lieber Leser, wer knipst schon sein Essen in einem Restaurant, außer als Beleg für den Staatsanwalt? Übrigens hätten wir das gar nicht gekonnt, denn die Akkus waren erschöpft. Wie wir.

Und so ist der Übergang zu meiner zweiten Story gelungen.

Wir befanden uns am 25.04.2002 in Acapulco im Flughafengebäude. Unser Gepäck war längst im Erdgeschoss abgegeben, gewogen, stichprobehalber durchsucht, dann geröntgt, verladen und auf einer Karre unterwegs zu unserem Flug MX 508 nach Mexico City.
In der oberen Etage des Flughafengebäudes fand die Personen- und Handgepäckkontrolle statt, der wir uns nun zu stellen hatten. Nachdem die Fototasche über das Rollband in dem Heilmann-Automaten zur Durchleuchtung verschwunden war wurde ich vom Personal angesprochen, ob wohl mehrere Akkus in der Tasche seien. Natürlich, bestätigte ich, denn wer kommt schon bei einer Digitalkamera mit nur einem Batteriesatz aus? Es sei, so sagte man mir höflich aber bestimmt, nicht zulässig, mehr als den Satz in der Kamera mit ins Flugzeug zu nehmen, den Mehrbestand müsse ich in meinem Koffer unterbringen. Und die waren auf dem Weg zum Flugzeug oder gar schon in ihm. Andererseits mochte ich die Akkus nicht in Acapulco lassen; denn es waren 12 Stück und hatten etwa 60 Euro gekostet. Aber das Flughafenpersonal war freundlich, geduldig und hilfsbereit. Ich solle nach unten zum Gepäckschalter zur Aufsicht gehen und dort fragen, ob man mir helfen könne.

Mit langen Schritten machte ich mich eilends über weite Gänge, Treppen und Flure auf den Weg in Richtung Abfertigungsschalter; drängelte durch Trauben von Reisenden und kletterte über Stapel von Gepäck. Hilfesuchende Blicke trafen helfende Menschen. Senor Morales, Supervisor von der Mexicana, war mein Ansprechpartner. Nach Schilderung der Angelegenheit verlangte er von mir eine genaue Beschreibung der Koffer, die Akkus, den Kofferschlüssel und die Kombination für die Schlösser. Bevor er etwas gestresst wegging rief er mir noch zu, dass ich ihn später oben im Boardingbereich treffen würde; ich solle dort auf ihn warten.

Was befand sich schon großartig in den Koffern? Schmutzige Wäsche, nahezu unsere komplette Urlaubsgarderobe, etwas Silberschmuck aus Taxco, ein paar Souvenirs, etwas Obsidian aus Teotihuacan...

Und dann haben Angelika und ich bis zuletzt ungeduldig auf Senor Morales gewartet, der nicht in den Boardingbereich gekommen ist. Und unsere Urlaubsbekannten wollten immerzu von mir bestätigt bekommen, dass ich diesem Mann Schlüssel und Kombination für unsere Koffer gegeben habe. "Du kennst doch diese Südländer...., die Menschen sind arm...., deine Naivität...., die Mentalität dieser Leute...., Mensch, Heinz!“

Später saßen wir im Flugzeug und warteten auf den Start. Da öffnete sich noch einmal eine Tür und Senor Morales erschien, suchte uns mit seinem Blick, fand uns und gab uns die Kofferschlüssel mit der Bemerkung zurück, dass alles in Ordnung sei. Ich hatte mir 50 Peso als kleine Belohnung zurechtgelegt. Mit einem knappen "No, Senor!" lehnte er ab und verschwand.

Zu Hause stellten wir dann fest, dass die Akkus sich nicht in dem grauen Koffer befanden. In dem grünen waren sie.

© Heinz Albers, November 2002
http://www.heinz-albers.de
Email: heinz@heinz-albers.de
 
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Kommentare  

Ich liebe Reiseberichte!
Nur eines stört mich hier:
Hätte ich nicht schon "Eine Reise" und die anderen Reiseberichte gelesen, dann könnte ich hier nicht auseinanderhalten, ob von einer oder mehreren Personen die Rede ist. Mich würde dann auch interessieren, wer "Wir" ist.
Ansonsten hab ich nix zu meckern.
Wirklich schöne Reiseberichte!


Dr. Ell (26.01.2004)

Die Geschichte gefällt mir gut, auch wenn der Übergang nicht so berauschend war.
Es liegt mehr an der Handlung, als an dem Stil, der aber auch in Ordnung ist.
Was man als Weltreisender alles erleben kann, ist wirklich unglaublich.

5 Punkte diesmal.


Redfrettchen (08.11.2003)

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