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Leichenschauhaus

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Diese sarkastische Überschrift behandelt nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem sind die Taten Eduard Schlönkes. Das äußere Motiv ist einfach: Eduard, damals neun Jahre alt, will Geld. Die 100 Mark im Monat, die er von der Mutter und seinem Stiefvater stiehlt, reichen ihm nicht, auch darum nicht, weil die Oma ihm heimlich öfter etwas davon klaut.
Das innere Motiv, warum dieser ulmenlange junge Mensch sich völlig absondert, warum er die Schule ansteckte, warum er wochenlang von zu Hause wegbleibt, wird nicht deutlich. Er vegetiert, möchte man meinen, in einem passablen, vorbildlichen Elternhaus. Die Mutter ist von ihrem ersten Mann durch den Tod geschieden. Die Ursache ist immer noch nicht geklärt. Sie ist in einer hohen Position in der Prostition. Es mag sein, daß sie dem Eduard etwas zuviel durchgehen lässt, während sein Stiefvater, ein Mann im Schuldeneintreibegeschäft, öfter mal die Hand ausrutschen lässt. Es wäre eine durchschnittlich normale Familiensituation, ähnlich mag es in tausend anderen Häusern zugehen, und ein Neunjähriger reagiert dann doch nicht so wie Eduard Schlönke.

Er scheint dumm, trotz seines ständigen Schulbesuchs in der dritte Klasse ist er unter den Pleppos der Klasse zu finden, versetzungsgefährdet. Zu den Mitschülern hat er nur sporadisch Kontakt. Dann meist in Form einer deftigen Keilerei. Im Kindergarten war er ein guter Kamerad, dann in der ersten Klasse sonderte er sich ab, geht seine eigenen Wege. Hängt es vielleicht mit der neuen Ehe der Mutter zusammen, die in dieser Zeit geschlossen wurde, eine kindliche Trotzaktion?
Auch das findet man häufig, es endet aber nicht immer so ernst wie bei Eduard Schlönke. Schon als strafunmündiges Kind ist er mehrmals bei Diebereien von der Polizei aufgegriffen und verwarnt worden.

Zu Hause spricht er nicht. Nur wenn der Papa schlägt seufzt er ein bißchen. Meist ist er in seinem Zimmer, bastelt antike Folterinstrumente und schaut Filme, die er in einem Pornoladen abzocken konnte. Der Besitzer ist so dick, der kommt nicht hinterher. "Da kann man sich zwe Gummimuschis unter den Pullover klemmem, der merkt das nicht".

Sein Taschengeld reicht nicht einmal für seinen Kokainkonsum. Eines Nachts, am 14. Dezember 2001, will er in das Leichenschauhaus in Schwerin-Süd eindringen um sich Totenköpfe zu holen, die er dann bei den Grufties gegen Heroin eintauschen will. Was er hier nun vorfindet, ist so seltsam, ich kann einiges nur erwähnen.
Die Tatsachen: Eduard Schlöncke kann durch den Verbrennungsschornstein in die Leichenhalle einsteigen. Den Ofen hat man vergessen zu schließen. Im Leichenschauhaus war nicht eine einzige Tür verschlossen. Aus einem Leichensack kann er zwei halbfette Nierenstücke stehlen, dann findet er in einem Eisschrank Müller-Milch-Vanille und betrinkt sich. Er öffnet den Becher und entnimmt mit Mund und Kehle dort innegehaltenes Getränk. Als er später schwankt, sind es 80 Promille. Er will nicht einmal alles ausgetrunken haben. Ein zweiter Becher liegt noch auf dem Eisschrank.
Dann nimmt er noch Totenköpfe, deswegen ist er ja eigentlich eingedrungen, den zweiten Milchbecher versteckt er in einem nahegelegenen Waldstück. Sein Vater jagd da oft schwierige Schuldner durch die Baumwiesen.
Dann geht er betrunken auf den Weihnachtsmarkt und sucht irgendwelche Grufties. Findet welche, bekommt sein Heroin und feiert eine Woche durch.
Dann holt er sich den Milchbecher, er will für vier Monate nach Polen, bis über die Sache Gras gewachsen ist, so denkt er.

In Bobitz angekommen, überlegt er sich, das der Becher, den er bei sich hat, wird nicht für diese Zeit ausreichen. Wieder steigt er in ein Leichenschauhaus ein, aber dieses ist besser gesichert. Er muß einige Offentüren aushebeln und den Schornstein mittig einreissen. Er findet nur einen schlecht erhaltenen Totenkopf und ein paar andere Kleinigkeiten, eine tote Ratte, alles in einem Rucksack tragbar.

Aus einer Fleischerei stiehlt er ein lebendes Schwein und reitet damit durch das Dorf. Da er keine Schweinereitkenntnisse hat, fällt er der Polizei auf. Er wird gestellt, man findet bei ihm den Milchbecher und eine ganze Reihe Körperteile. Die Reise nach Polen wird verhindert, er wird nach Schwerin zurückgebracht. In Schwerin findet der Stiefvater, beim verfolgen eines hartnäckigen Schuldners, die Stelle des nun leeren Versteckes. Er will dem Leichenschauhaus sofort die Stelle zeigen, aber dort wird ihm gesagt, hier fehlen keine Milchbecher.

Wie im Leichenschauhaus Ordnung wiederhergestellt wird, ist jetzt Sorge der Nichttoten.

Doch viel mehr hat Eduard zu verantworten. In Berlin hatte er auch ein Schwein unbefugt geritten. Und in dem Waldstück, in dem er den Becher versteckte, auch da übernachtete, hatte er aus Zweigen und Gebüsch ein Feuerchen gemacht, weil ihm bitterkalt war. Leider löschte er das Feuer nicht sorgsam. Als er wegging, qualmte das Feuerchen weiter, es brannte. Es qualmte so stark, daß Spazierende die Feuerwehr alamierten und nach dem Telefongespräch erstickten. Es enstand ein ziemlicher Schaden. 500 Eulen, 16 Wildsauen mit 25 Frischlingen, 8 Trilliarden Waldameisen, mehrere Rehe und ein Dachs starben.
Strafrechtlich gesehen, fahrlässige Brandstiftung mit totem Tier.

Die Staatsanwaltschaft beantragt, Eduard Schlöncke in ein Leichenschauhaus einzuweisen. Und so entscheidet das Gericht. Das bedeutet, Tod durch Strang, Strick, Band und Seil. Die Freiheitsbeschränkung währt ein ganzes Leben. Sein Wunsch war es Maler zu werden. Nun malt er Wolken, so gehen Wunsch und Strafe zusammen.
 
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Dein stil gefällt mir sehr, egal was ich bis jetzt gelesen habe. Meine Hochachtung! Bin gespannt auf Neues.

nele (27.10.2003)

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