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23 Seiten

Mondschein

Romane/Serien · Nachdenkliches · Herbst/Halloween
Prolog
Gelbe und braune Blätter lagen nass an den feuchten Asphalt geklatscht und gammelten vor sich hin. Bäume und Fassaden waren mit Wasser vollgesogen. Ein böiger Wind warf Äste hier und dort hin, sodass sie noch mehr von ihrem herbstlichen Kleid verlieren mussten und bald kahl auf das nächste Frühjahr warteten. Von den parkenden Autos tropfte das Wasser herab, denn es hatte lange geregnet. Jetzt war eine Atempause bis zu den nächsten Güssen, die der bedeckte Nachthimmel schon anzeigte. Es war kalt und regnerisch und ungemütlich. Draußen...
Eine unscheinbare Treppe führte auf das Kellergeschoss eines Kaufhauses hinab. In dem alten Gewölbekeller verbarg sich eine gemütliche, warme Kneipe. Wo man eintrat war rechts die Bar, die sich in den langen Kellerraum hineinstreckte, bis dahinter ein Tisch kam, der zwischen zwei Stützpfeilern stand und vier Mann bequem Platz bot. Die links stehenden Tische hatte man auf eine bis an den Gang heran führende Konstruktion aus aneinander schließenden Holzbrettern gestellt, was die Tische vielleicht zwanzig Zentimeter höher brachte. Sie waren durch halb hohe Holzwände an die sich die Sitzenden lehnen konnten voneinander getrennt und nur ein schmaler Einlass ermöglichte, dass man Zugang zu den Bänken bekam. Vier oder fünf Tische standen in solchen dunkelbraun lackierten Kammern. Ihre Reihe endete an der weißen Wand, die das gelbe Licht angenehm warm reflektierte. Ein Durchlass, der oben rund, von blanken Ziegelsteinen geziert, war führte von der hintersten Wand der Kneipe in einen weiteren Raum. Hier hatte man ganz links einen langen Tisch für zehn oder zwölf Leute. Rechts und ganz hinten gab es wirkliche Kammern für einsame Gespräche. Drei an der Zahl.
Die Grundstimmung war laut, die Gesellschaft gut. Man brauchte Alkohol um die Atmosphäre genießen zu können, aber das machte nichts für die Kneipenbesitzer, denn Alkohol war der einzige Grund warum diese Kneipe existierte. Lukas saß mit seinen Freunden an dem großen Tisch im hinteren Raum. Er sondierte starrend die Maserungen des Holzes, die Bierspritzer darauf und er suchte ein Muster oder eine andere Erkenntnis aus der Stellung der Biergläser zueinander zu gewinnen.
"Sagt mal sind wir jetzt eigentlich ne Singlerunde hier?", Locke grinste, hatte die Frage aber im ernsten Ton gestellt. Lukas fing seinen Blick. Locke schaute nicht sonderlich intelligent, oder emotional oder sonst irgendwas. Das Besondere an seinem Blick war, dass er schaute ohne zu zögern ein freundliches Lächeln auf seine Lippen zu zaubern. Lukas wich nicht aus. Er hatte nie gefunden, dass an einem Blick irgendetwas Entsetzliches war. Er schaute an, was er anschauen wollte, wie die Äste, die dem Holz seine Gleichförmigkeit nahmen und es interessant machte.
Sie stießen Osch an, der eine egalitäre Geste produzierte. Seine Schultern, die er für sehr breit hielt, näherten sich dem Hals, seine Lippen blieben zusammen, aber er schob sie ebenso nach oben wie seine Augen und die Stirn. Jesus stand empört auf. Sein langes blondes Haar im gelben Licht, gab ihm diese Aura. Sein geringschätziger Blick lag auf Osch. "Wenn das so ist, dann solltest du besser gehen."
Osch blickte in die Runde. Was sollte er darauf antworten? Ihm bot keiner Hilfe an. Sie trieben es aufs Äußerste. Er setzte sein Bierglas an und kippte den Rest Banane-Weizen hinunter. Dann klatschte er seine Handflächen auf den Tisch und nahm sie beim Aufstehen zur Hilfe, als würde er gerade die unangenehmen Konsequenzen einer wichtigen Entscheidung hinnehmen und ging auf Toilette. Jesus setzte sich zufrieden mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. Die anderen Freunde nickten ihm zu, lachten. Lukas grinste und nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas voller Ducksteiner. Durch den dicken Glasboden sah er verschwommen Knuffy, der vollkommen ruhig ein breites Grinsen auf den Lippen hatte, ansonsten aber ganz normal wirkte. Niemand konnte so froh sein ohne nach Außen den Anschein innerer Bewegung zu machen. Nur Knuffy. Was bewegte ihn wirklich? Es musste philosophischer Natur sein. Lukas liebte ihn dafür, wie er da saß erheitert, aber nicht ohne eine gewisse Spannung beizubehalten. Da war diese innere Flamme, die blau brannte. Man brachte sie nicht so schnell dazu in warmem Orange zu leuchten. Und doch... die blauen Flammen sind die heißeren.
Jesus endete mit ein paar harten Worten über die Freundin von Osch. Lukas setzte sein Glas ab. Er begann zu mögen mit dem Kopf leicht hin und her zu wackeln. Die angenehmste Wirkung von Alkohol. Man schenkte Jesus ein Lachen. Ein dreckiges, wenn man so wollte. Es war ein Lachen, wie man es hervorbrachte, wenn man etwas durchaus zutreffendes aber beängstigend Hartes gehört hatte. Ein Lachen kurz nach "Hört Hört." Das man gebraucht wenn man das Gehörte nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun konnte. Osch kam wieder, setzte sich, hatte nur das Lachen gehört. "Worum gehts?"
Niemand antwortete. Aber er war nicht blöd.
"Wir haben nur festgestellt, dass Jesus fast so sexistisch ist, wie Luk."
Lukas blickte von dem feuchten Kreis, den das Bierglas Engelberts auf den Bierdeckel gezeichnet hatte, auf. Lockes Haare, für die er seinen Namen hatte, schienen ein wenig provozierend zu hüpfen. Sie tauschten Blicke, dann lachte Locke, wie um zu bekräftigen, dass es ein Spaß gewesen war. Er brauchte es nicht. Lukas wusste worauf der Freund angespielt hatte. Locke hatte dieses Talent nicht ganz Offensichtliches wahrzunehmen. Ein schönes Talent aus Worten und Gesichtern zu lesen, wie Winnetou aus der Spur einer vorbei gerittenen Horde Indianer. Lukas konnte das auch. Nur das Locke freier und unbeschwerter war. Da war diese Leere in Lukas, die manchmal wie ein ganzer Planet auf seinen Schultern lastete. Lukas war kein Sexist. Nicht mehr...
"Ich habe festgestellt,", sagte er "dass es intelligente Frauen gibt."
Irgendwie hatte sich im Laufe seiner Pubertät die Sicherheit eingeschlichen, dass Frauen zwar lernen und wissen konnten, aber immer irgendwie dumm waren, was das Leben anging. Er war froh eines Besseren belehrt worden zu sein.
"Wer?" Fast lehnten sie sich zu ihm herüber. So viel Spannung. Man ist immer neugierig.
"Mondschein.", antwortete Lukas.
"Die aus dem Bio Kurs?" Lukas nickte, sagte aber nichts.
"Die sieht ziemlich gut aus."
Lukas wusste das war maßlos untertrieben, aber das spielte für ihn keine Rolle. Sie war nicht wie ein Stück Holz, dessen Maserung er interessant fand. Er fand sie interessant. Für ihn, der jahrelang alle Frauen für so etwas wie dumm gehalten hatte, war das schwer zu begreifen. Sie war intelligent und nett und irgendwie war sie ein Lichtblick für ihn. Ein Hoffnungsschimmer in gewisser Weise. Er wollte sie bei sich haben, sie hören, wobei das Schönste war... Am Schönsten war er wollte sie nicht anders bei sich haben als Knuffy oder Locke. Als Freund eben... nur öfter und mehr. Lukas wollte ihr Wesen in sich aufsaugen, weil er ihr vollkommen zugetan war. Mit einem Lächeln voll Respekt und Sympathie widmete er sich seinem Bierglas und dessen vergänglichem Inhalt. Einem Menschen entgegenzutreten und diese Gedanken für ihn in den Augen zu haben... Spürte sie das?
I
Das gelbe Neonlicht machte nichts von der strahlenden Sonne zunichte, die den Bioraum flutete. Lukas sah Mondscheins Gestalt gegen das Licht, als er sich ihr zuwandte. Seine Gedanken erbebten bei ihrem Anblick, wie jedes mal. Das Haar fiel gewellt über ihre Schultern, ein wenig weiter. Ihre großen Augen lagen jetzt auf ihm und ihre dünnen Lippen formten beinahe bedächtig die Laute einer Frage. Für einen kurzen Augenblick sah er, wie sie sich küssten und es fühlte sich mehr an wie die Zukunft, als wie eine Tagträumerei. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er in ihren Ausschnitt. Er hasste sich dafür. Hasste sie dafür. Aber er besann sich schnell - diesmal. Er würde sich nicht vereinnahmen lassen von unwillkürlichen Gedanken, in denen er sie zu gut kannte. Lukas antwortete. Mondschein lachte, zeigte ihm die Zähne, die nicht aneinander schlossen. Er war lustig gewesen. Das deprimierte ihn. Er wollte nicht lustig sein und Gesprächen auf diese Weise ein schnelles Ende bereiten. Er wollte mit ihr reden. Über das Wetter. Am liebsten über das Wetter. Und wenn sie bald über Anderes, vielleicht persönliches sprachen sollte es sich anhören als ginge es lediglich um das Wetter. So vertraut...
Lukas wandte sich dem Unterricht zu, der schnell sprechenden Lehrerin und hörte kein Wort. Die Dinge gingen an ihm vorbei. Seine Konzentration war vollkommen auf Mondschein gerichtet, die neben ihm saß. Er sah nicht die grüne Tafel oder das lange Lehrererpult mit der mintgrünen Deckplatte, das sich sonst massiv vor seinen Augen erhob. Er sah nicht mit seinen Augen. Lukas sah mit seinem Geist, der sich nicht von Mondschein losreißen konnte. Er nahm grad ihre Bewegungen neben sich wahr und versuchte zu verstehen, wie es ihr ging. Manchmal hatte er das Gefühl, dass ihre Augen auf ihm lagen, aber er hatte sich überzeugt, dass es bloß Einbildung war. Wie konnte jemand so wichtig werden, indem er einfach bloß da war und sich ab und an herüberbeugte, um eine Frage zu stellen? Lukas liebte es, sie reden zu hören. Mittlerweile geschah es - zu seinem Leidwesen - mitunter, dass er sie nicht mehr hörte. Der Mensch kann sieben Sinneseindrücke pro Sekunde aufnehmen und vielleicht waren es einfach zu viele. Ihre großen Augen, das hübsche Gesicht, die wenigen, blassen Sommersprossen auf ihrer Nase. Ihre dünnen Lippen, die Wangenknochen, die kleinen Zähnchen, der eine leicht gelbliche Schneidezahn. Die dünnen Härchen auf ihrer Oberlippe, für die er das von hinter ihr einfallende Licht liebte und ihr Duft. Ja es waren zu viele Sinneseindrücke. Zu solcher Gelegenheit nahm er, dass sie etwas sagte. Was es war konnte er nur ahnen. Hingegen, wenn er sie hörte war jedes ihrer Worte zuckersüß, denn es spiegelte halb wider was er selbst dachte und zur anderen Hälfte kam es aus einer anderen, angenehmeren Welt. Er wollte ihre Hand tätscheln, um ihr zu zeigen, dass er sie mochte. Nur klingelte es und der Zauber war vorbei. Oder vielmehr musste er sich davon lösen. Die größte Schwierigkeit war es sich mehr als drei Schritte von ihr zu entfernen.
Was würde er tun, wenn er einen Jungen so unglaublich sympathisch fand? Wie waren Knuffy und Locke seine Freunde geworden? Knuffy war es irgendwie geworden, aber bei Locke war Lukas eines Tages aufgetaucht um bei ihm eine Woche zu wohnen, Urlaub zu machen. Nach dieser Woche waren die Fensterrahmen von Lockes Elternhaus, wenn auch leidlich, allesamt neu gestrichen. Das ging nicht. Er wollte weder, dass Mondschein seine Freundin wurde, weil sie im Unterricht neben ihm saß noch wollte er ihre Fenster streichen. Vielleicht hätte er sich damit abfinden können eine Woche bei ihr zu wohnen. Lukas musste sich eingestehen, dass er niemals zuvor einen Menschen gekannt hatte, den er mehr zum Freund haben wollte und ganz rational betrachtet gab es nur eine Art die Freundschaft einer so wertvollen Person zu erwerben. Man musste sie darum bitten. Man konnte nicht einfach nett und freundlich, tiefsinnig und manchmal lustig sein. Das war erschlichene Freundschaft. Lukas wollte Mondschein um wahre Freundschaft, an deren Anfang Respekt und Sympathie stehen mussten, bitten. Offen, ehrlich in allen Belangen und er wollte nichts darunter oder darüber.

Der Nachmittag war lustig gewesen, wenn auch angespannt. Jesus Geburtstagsfeier war gut. Richtig gut. Machte Laune auf mehr. Aber Lukas nahm weniger Alkohol. Sein Kopf sollte klar werden, bleiben, sollte es sein, wenn sie da war. Langsam brach der Abend an. Das Geschnatter war fröhlich. Die Leute erzählten sich von Erlebnissen. Früher war das eine der wenigen Informationsquellen gewesen. Wozu diente es heute? Soziale Installation... Lukas verdrängte so schwere Gedanken, die zu nichts führten. Er hatte heute kein Bedürfnis sich darzustellen, aber er lauschte den Gesprächen und warf nur hin und wieder einen Blick auf die Uhr. Insgeheim horchte er bei jedem Auto, das auf der anderen Seite vom Haus die Straße befuhr, auf. Er war froh, dass es ein abgelegenes Dorf war durch das nicht so viele Autos fuhren und lehnte sich in den gemütlichen Liegestuhl. Zwei lange Gartentische, die von fünfzehn Stühlen umringt, fast allen Platz beanspruchten, standen auf der Wiese. Jemand schleppte einen fröhlich klappernden Kasten Bier aus der Werkstatt hervor. Das Dach der Werkstatt war flach und in der Spitze vielleicht zwei Meter fünfzig hoch. Sie hatte ein Vordach, das von braunen Pfeilern gestützt wurde und unter dem im hinteren Teil Holzscheite gestapelt lagen. An der Lukas zugewandten Giebelseite der Werkstatt erhob sich ein ebenso brauner Flechtzaun, der von grünen Ranken umwuchert stand und einen grünen Raum ohne Decke umgab. Ein Raum zu klein für fünfzehn Mann. Der Rasen war grün und saftig, so sagten jedenfalls Lukas Augen und baren Füße. Über den Sitzenden hingen zwei Lichterketten, deren Leuchten je in ein rotes und ein blaues Gummiband geschweißt waren. Sie sorgten schon in der Dämmerung für Atmosphäre.
In Lukas Rücken gratulierte jemand. Würde es dumm aussehen, wenn er aufsprang und sie umarmte? Er stellte sich diese Frage nicht im Ernst, denn er kannte die Antwort. Er allein würde es genau als das empfinden, was richtig war. "Hallo Lukas." Er freute sich, dass sie ihn nicht übersehen hatte und atmete durch. Mach dich nicht zum totalen Trottel... Er würde es ohnehin tun. Nur einmal hatte er sich gefragt, ob zwischen Mondschein und Jesus etwas sein könnte. Zuneigung? Eine Beziehung? Er wollte keine Beziehung mit ihr und so hätte es ihm eigentlich egal sein können. War es schließlich auch, als er erkannte, dass er dann wahrscheinlich vollkommen angewidert gewesen wäre. Allein der Gedanke, dass Mondschein und Jesus... brachte ihn einem Kotzkrampf nahe und so vermied er es ihn noch einmal zu haben. Sollten die beiden zusammen kommen, so erkannte er, würde er schlicht und einfach jegliches Interesse an Mondschein verlieren... nachdem er gekotzt hatte. Man gab ihr etwas zu trinken. Wenn jetzt jemand auf die Idee kam sie betrunken zu machen, würde Lukas wahnsinnig werden. Heute war seine Chance. Genau heute und niemals wieder. Dies war ein Scheidepunkt in seinem Leben, vielleicht würde er wahnsinnig werden, oder Unmengen Sympathie an einen Kotzkrampf verlieren, vielleicht würde er aber auch einfach nur überleben. Mit einem Freund mehr. Lukas zog Mondschein zu einem Spaziergang davon, als sie keine zwei Schlucke von ihrem Becher genommen hatte. Nachher würde er seinen Freunden einiges zu erklären haben. Sie meinten sowieso, dass er in Mondschein verknallt war. Lukas schob Mondschein über die Straße. Sie sagte nichts, als er seine Hand sanft in ihren Rücken drückte, um sie zu leiten, um sie zu stützen.
Die Sonne war fast vollständig untergegangen. Nur ein Hauch von einem Lichtstreifen zierte den Horizont, als sie an der alten Friedhofsmauer aus Backstein entlang gingen. Die Steinplatten, die einen Bürgersteig bilden sollten und von denen Lukas jede einzelne ganz genau betrachtete waren gegeneinander verschoben. Über die Friedhofsmauer ragten blühende Fliederbäume und andere Sträucher, die weit weniger idyllisch anmuteten. Große Bäume standen im Saft und waren ganz grün davon. Ein paar Vögel schiepten wild durcheinander. Das Dorf hatte keine romantischen Fleckchen, die Lukas Mondschein zeigen konnte. Nicht das er ihr romantische Fleckchen zeigen wollte. Er mochte nur solche Orte. Was er ihr zeigen wollte, war er selbst. Seine Empfindungen gegen sie und wenn sie es mochte seine ganze unbedeutende Seele und jedes Wort, das er einmal gedacht hatte. Wenn sie wollte, konnte sie alles wissen und ihn zu Allem verleiten. Er erschrak nicht bei diesem Gedanken. Er vertraute ihr. Eine ganze Weile rang Lukas nach Worten, holte einige Male Luft. Dann fand er es dumm. Sie musste glauben er würde ihr ein Liebesgeständnis machen, was er nicht vorhatte. Es war eine merkwürdige Situation. Er würde von seinem Respekt, seiner Sympathie reden und sagen, dass er sie als Freundin wollte, mehr als er sich irgendetwas jemals gewünscht hatte. Und seine einzige Furcht war, sie könnte glauben er sei verliebt.
"Wusstest du, dass ich bis vor einem halben Jahr alle Frauen für dumm gehalten habe?", fragte er. Er sah sie jetzt nicht an und sie antwortete nicht. Es fiel nicht schwer ihre Gedanken zu erraten. Wiedereinmal hatte sich ein Kerl in sie verguckt. Vielleicht rollte sie mit ihren großen Augen, oder sie dachte darüber nach, was sie sagen sollte, um nicht zu gemein sein zu müssen.
"Aber dann warst du da. Und ich war vollkommen glücklich, weil du intelligent bist, aber nicht arrogant, weil du nett bist zu allen möglichen Leuten. Irgendwie war es wie Hoffnung." Seine Worte kamen sicher, ohne Zögern, flüssig. Aber er sprach nicht zu schnell, als erzählte er irgend einen flachen Witz, der ihr vielleicht ein Lächeln abrang. Er wollte verstanden werden. "Verstehst du das? Ich war von der Hälfte der Menschheit bitter enttäuscht, manchmal sogar zynisch." Vielleicht schaute sie ihn jetzt verwundert an, weil er ihr mit einer Masche kam, die sie noch nicht kannte. Er wollte es nicht sehen, denn er war nicht fertig mit seiner Rede. Seine Worte waren vorbereitet, natürlich und in seinen Gedanken hatte er sie Hunderte Male gesprochen. Er wollte nicht Dinge sagen, die verfälschten, was er in seinem Herzen fühlte. "Ich habe also niemals soviel Respekt oder soviel Zuneigung für eine Frau empfunden. Manchmal glaube ich durch deine Augen hindurch sehen zu können und was ich dahinter ahne ist soviel Herzlichkeit, aber auch Kritikfähigkeit... Hast du dich jemals darüber gefreut, dass es einen Menschen einfach nur gibt?"
Jetzt schaute er sie an. Und der Mond leuchtete von hinten. Er sah ihr Gesicht nicht oder kaum und war fast froh nicht auf sie eingehen zu müssen. Er konnte jetzt reden, sie würde es hören und dann konnte sich das Tor zur Hölle auftun oder nicht. "Was macht man wenn man so einen Menschen kennt und eigentlich keinen richtigen Kontakt zu ihm hat? Ich möchte dein Freund sein Mondschein. Nicht als Paar, als wahre Freunde, wenn es so etwas gibt. Und es gibt noch einen Grund. Wenn du deprimiert bist oder enttäuscht und ich das merke... Ich kann dich dann nicht auf deiner Bank liegen sehen und möchte das hier machen." Er legte seinen Arm um sie - nur kurz - er wusste nicht warum. Vielleicht wollte er, dass etwas magisches geschah, vielleicht wollte er sie so nah bei sich haben wie er es fühlte, aber er ließ es schnell. Vielleicht hätte er sie umarmen dürfen. Vielleicht wäre es sein Untergang gewesen. "Dies nicht tun zu können quält mich, denn es fühlt sich so vollkommen falsch an."
Mondschein flüsterte mehr, als dass sie etwas sagte. Ihre Worte waren nett und sie lehnten seine Freundschaft nicht ab. Vielleicht war das aber auch nur die Höflichkeit von Frauen. Lukas machte nicht den Fehler zu glauben er könnte wissen, was sie dachte. Er hatte nur den ersten, den einfachen Schritt getan. Jetzt musste er ihr Vertrauen gewinnen.

Lukas war zu Hause. Er rannte hektisch aufräumend durch die einhundert Quadratmeter Wohnung. Es war keine schöne Wohnung, fand er. Sie war hell und konnte gemütlich sein, aber mehr gab sie ihm nicht. Zu sehr sah man ihr das traditionslose Arbeitermilieu an und zu sehr, schien sie ihm vollkommen wurzellos. Es gab keine Bilder von Verwandten auf den Tischen oder in den Schränken. Keine Großeltern auf einem Hochzeitsfoto. Keine Großeltern mit denen alles angefangen hatte. Keine Familienbilder, nichts das daran erinnerte, dass man nicht erst seit gestern lebte. In dieser Wohnung gab es keinerlei Vergangenheit und so gab es auch keine Zukunft. Er seufzte und blieb stehen. Es hatte doch diesen einen Gedanken gegeben, der ihn ein paar Tage lang ununterbrochen lächeln lassen hatte... Natürlich... Mondschein. Es gab Mondschein und ihr Lächeln. Lukas strahlte. Er ging ans Fenster, um sich den Sonnenuntergang zu betrachten.
Die Wolken waren in Rosa getüncht und ihre Konturen hoben sich klar von dem Blau des restlichen Himmels ab. Die Sonne schimmerte als halbe Scheibe durch den Wald rechts in Lukas Blickfeld hindurch und warf ihm ein wenig goldenes Licht in die Augen. Er fixierte die hohen Wipfel einer grünen Tanne, die aus den Eichenbäumen hervor ragten und ein wenig im Wind wippten. Vor Lukas erhob sich ein Hügel mit Stoppelgras. Auf der eingezäunten Koppel fegten zwei Pferde von der einen Ecke in die Andere. Er dachte an Mondschein und wollte sie hochheben und dann in einem endlosen Tanz, sich im Kreis drehend, durch die Welt tragen. Auf ewig ineinander verschlungen. Immer könnte er ihr Gesicht sehen und jeden Atemzug hören, den sie nahm. Verbrauchte sie Luft oder atmete sie Luft aus? Sie war manchmal wie eine seltene Pflanze von deren Existenz ein ganzes Ökosystem abhing. Lukas war abhängig, war süchtig nach ihr. Er schüttelte den Kopf, verdrängte ein Bild. Er träumte von ihr seit Wochen, aber er träumte nicht von Begierde, wie es in sich auftuenden Tagträumen, die er schnell von sich schob, geschah. Seine Träume waren Alpträume, das Schlimmste was geschehen konnte, bis Mondschein irgendwo auftauchte und einfach nur da war. Dann änderten sich die Träume und wurden friedfertig, als habe Mondscheins bloße Präsenz jedes Unheil unbedeutend gemacht. Es war das angenehme Gefühl sich einer Freundschaft sicher zu sein.
Wieder fixierte Lukas die hoch stehende Tanne. Konnte es sein, dass er sich verliebt hatte? Es war eine flüchtige Frage, die ihm anbot sich jetzt etwas einzugestehen, dessen er sich zuvor verweigert hatte. Aber er tat es nicht. Er war nicht dumm. Er hatte sich enge Freundschaft gewünscht und konnte sie vielleicht haben. Warum sollte er mehr wollen? Seine Zuneigung und sein Respekt waren ihm mehr wert als eine hoffnungslose Schwärmerei. Das zumindest hatte er über Liebe gelernt. Sie fiel nicht einfach wie ein Zauberbann über zwei Menschen und schon gar nicht fiel sie auf ihn. Warum sollte er den Fehler begehen und wegwerfen, was er sich so lange gewünscht hatte, was jetzt zum Greifen nahe schien? Schließlich, sagte er sich, kann ich nicht verliebt sein, solange ich diesen Sonnenuntergang mehr liebe und er mein Herz öffnet, ohne dass Mondschein bei mir ist. Lukas hatte sich satt gesehen, als schließlich der Mond aufging und ihm einen noch viel schöneren Anblick bot.
II
Er konnte es nicht fassen. Sie spazierten Seite an Seite durch den botanischen Garten. Dicht beieinander, als hätten sie wichtige Dinge miteinander zu bereden. Sie strahlte die ganze Zeit und lachte. Lachte so viel... Ab und an strich sie ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht oder sie nahm seine Hand. Lukas wusste nicht recht, was er damit anfangen sollte. "Wenn das was du auf Jesus Geburtstagfeier gesagt hast stimmt, dann ist es gut", sagte Mondschein. Er erkannte in diesem Moment nicht wie gut es wirklich war. Testete sie ihn? Oder folterte sie ihn? Seine Gedanken waren komisch. Er war zu dumm sich an ihren großen Augen in die sie ihn so tief schauen ließ zu freuen. Die beiden gingen die schmalen Wege in den Tropenhäusern, manchmal blieb sie stehen, wenn er weiter wollte und blockierte den Weg. Er wollte jetzt keine Gedanken äußern, dass sie ihn nicht auf die Probe zu stellen brauchte. Außerdem genoss er die Aufmerksamkeit, was sie sicherlich auch tat. Er sagte kein Wort, lächelte sie nur stupide an und fühlte sich nicht in der Lage etwas anderes zu tun. Sie kitzelte ihn, oder versuchte es zumindest. Ja er war vollkommen vereinnahmt von ihrer Anwesenheit, so wie auch vorher schon, doch jetzt durfte er es zeigen. Lukas fühlte sich froh in der Freiheit, die er einigen seiner Gedanken geben konnte. Einige seiner innersten Sehnsüchte hatten tatsächlich Bestand. Dann standen sie bei den Mimosen und streichelten und beschnippten die Pflanzen, deren hauchdünnen Blätter grün leuchteten. Licht, das durch das gläserne Tropenhaus eindrang, flutete den ganzen Innenraum. Hinter Lukas und Mondschein war die Luft so feucht, dass es schien der ganze Teich, auf dem große tellerartige Seerosen schwammen, würde in eben diesem Moment kondensieren. Lukas Zeigefinder peitschte gegen eine von oben herab kommende Mimosenranke. In gewisser Weise war es brutal die Pflanze auf diese Weise dazu zu bewegen ihre Blätter zusammen zu falten. Der Effekt aber, wie all die Verzweigungen, deren Blättchen sich zurückzogen war zu beeindruckend. Er beschnippte Mondschein und fragte, ob ihr das gefallen würde von Jedem der vorbeikommt angeschnippt zu werden. Eigentlich ging es nicht darum. Lukas wollte Mondschein etwas von der Berührung zurück geben. Sie strich ihm wieder Haare aus dem Gesicht. Langsam begann Lukas diese Strähne zu mögen. Er konnte Mondschein schlecht das Haar aus dem Gesicht streichen, seine Hand gegen ihre Wange reiben oder? Mondschein schien zu fühlen, dass seine Gedanken ernster wurden. Ihre wurden es mit Sicherheit.
Schließlich lief sie ein paar Meter vor ihm. Er wusste sie war in Gedanken bei ihrem Exfreund und fühlte, dass sie noch immer so fürchterlich unbekannt war. Lukas erwartete und hatte Gefallen an dem Gedanken, dass sie mehr war als dieses hübsche Gesicht, mehr war als einfach nur unheimlich lieb. Da schien einfach noch etwas anderes, etwas vollkommen großartiges in ihr zu sein. Nur wusste Lukas nicht, ob sie das spürte, ob es wach war oder schlummerte. Er blickte zu ihr herüber und sah jetzt zum ersten Mal seit Langem, dass sie schön war. Heute trug sie ihr Haar zum Zopf, aber nicht geflochten, wie Lukas es nicht mochte, sondern nur von diesem grauen, fransigen Zopfgummi gehalten. Lukas verfiel in Gedanken auf so viele Momente in denen er Mondschein gesehen hatte. Wie sie aussah, wenn es ihr gut ging, sie müde war oder wenn sie krank wurde. Er wusste zwei Tage vorher, wann sie krank werden würde. Er kannte ihr Lachen, ihre Augen und ihre Lippen. Lukas Augen lagen bald auf einer rot blühenden Begonienart, die so gut zu Mondschein passte. Manchmal, dachte Lukas, ist sie wie der Schein des Mondes. Etwas unendlich romantisches, das man nur aus der Ferne bewundern konnte. Aber dann wieder ist sie Rhythmus und Bewegung. So sinnlich... Leidenschaft! Die Begonienart war gezüchtet als Symbol für Leidenschaft. Vielleicht konnte er eine brechen und sie Mondschein geben, dachte er. Er war sich dessen bewusst, dass es zwecklos gewesen wäre. Da war nichts zwischen ihr und ihm und schließlich hatte er den ersten Schritt einer Annäherung getan. Wenn dann müsste sie es tun. Lukas übersah die weißen Begonien - die begonia amicae.
Lukas und Mondschein setzten sich auf eine hölzerne Bank, die einem hübschen See zugewandt war. Es flogen nur ein paar Insekten, in einem Sanddornbusch am Ufer pfiff ein Rotkehlchen und ab und an kam die Wasserfläche in Bewegung, wenn ein Fisch aus dem Wasser heraussprang oder ein sturzfliegender Vogel in es hineinstürzte. Mondschein erzählte von ihrem Exfreund. Der Schmerz war noch neu, aber sie hörte sich an, als wüsste sie, wie sie mit der Situation umgehen musste. Sie war ziemlich stark. Vielleicht fühlte sie sich nicht so, aber sie hatte ihre Entscheidungen getroffen und man konnte ihr nicht mit mehr als einer Schulter zum Anlehnen helfen. Er sagte sich die ganze Zeit, dass er das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, genießen würde, dass er ein guter Freund sein wollte. Er hörte ihr zu. Dabei aber fühlte er sich taktlos. Er empfand keinen Schmerz, wie Mondschein es sicherlich tat. Lukas empfand auch kein Mitleid für ihren Exfreund. Aber er war so neidisch auf all die Zeit, die Mondscheins Exfreund das Vergnügen gehabt hatte in ihrer Nähe zu sein.
"Was ist los?", fragte sie, als sie schließlich weiter gingen.
"Wieso?", Lukas versuchte unschuldig zu klingen. Natürlich hatte sie es gemerkt. Er wäre beleidigt gewesen hätte sie es nicht gemerkt. Die ganze Zeit hatte er dagesessen und war neidisch gewesen auf das, was sie erzählte, was ihr Exfreund mit ihr erlebt hatte. Lukas urteilte nicht darüber, dass ihr Freund sie verlassen hatte, er urteilte nie. Er konnte es nur nicht verstehen und fand es unheimlich dumm.
"Du hast doch irgendwas."
"Ich bin nur ein bisschen neidisch."
"So? Worauf denn?"
"Soviel Zeit mit dir verbringen zu können." Jeden Moment ihrer Anwesenheit wollte er auskosten indem er sie anschaute und mochte noch lieber, wenn sie den Blick erwiderte. Er mochte sie reden, plappern, denken hören.
"Man sieht ja was dabei rauskommt."
Klar, dachte Lukas, eine Beziehung. Was wollte sie damit sagen? Im ersten Moment hielt er es für eine Andeutung, dass... Aber dann verstand er und die Verwirrung legte sich. Sie meinte natürlich, dass sie sich getrennt hatten. Lukas legte seinen Arm um Mondschein und führte sie um eine Mauer herum. Dahinter setzten sie sich auf eines Treppe, die zu einem Gebäude führte, dessen Funktion sie nicht kannten. Überall waren grüne Bäume und Blumen. "Wolltest du mir nicht etwas sagen?" Mondschein biss sich auf die Unterlippe.
Lukas lächelte nur. Er wusste, was sie zu wissen glaubte. Sollte er sagen: Ich liebe dich? Sollte er ihr etwas eingestehen, dass er sich selbst nicht eingestanden hatte? Wozu hätte er diese Rede auf Jesus Geburtstagfeier gehalten? Was sollte er etwas ändern an dem jetzigen Zustand? Er lächelte noch mehr und schaute in ihre Augen. Alles war genauso, wie er es gewollt hatte. Freunde. Er sagte nicht: Ich liebe dich, stattdessen sagte er: "Manchmal ist die Welt gar nicht so scheiße." und wollte ihr Hoffnung geben, dass sie über ihren Freund hinwegkommt und wieder Spaß an der Welt hat. Und er wollte ihr sagen, dass so, wie es gerade war, alles gut war, dass sie hoffen konnte in ihm wirklich einen Freund zu haben. Nein er konnte nicht mehr wollen jetzt, wo sie neben ihm saß und er in ihre großen Augen blickte.
"Manchmal glaube ich, dass du ein richtiger Teddy bist.", sagte Mondschein. Lachte er? Lachte sie? Lukas fühlte sich ein bisschen entlarvt.

Natürlich liebte er sie. Er merkte es, als er allein war. Das erste Mal nachdem sie im botanischen Garten gewesen waren, dass er allein war. Das erste Mal, dass er sich wirklich einsam fühlte. Er hatte vorher geliebt. Ein Mal und hatte es gesagt. Vielleicht war dieses Gefühl für dieses Mädchen damals wirklich gewesen, jetzt schien es weit entfernt, sowie sie weit entfernt war. Aber das war nur geografisch, dachte Lukas, Mondschein war viel weiter weg, selbst wenn sie neben ihm saß. Sie erwiderte seine Liebe nicht. Das wusste er. Er hörte auf Dinge miteinander zu vergleichen, die nicht vergleichbar waren. Seine Gefühle für Mondschein waren vollkommen anders. Er fühlte sich mehr als angezogen. Er fühlte sich... als gehöre er zu ihr. Er fühlte grenzenlose Zuneigung, Respekt. Dies ging weit über Körperliches hinaus und das machte es noch schwieriger. Lukas wollte bei ihr sein, nicht um sie im Arm zu haben (denn das erschien ihm selbstverständlich, dass er sie im Arm haben musste) sondern um zu hören, was sie sagte oder zu sehen, was sie tat und wie sie es tat. Er kannte das Gefühl der Liebe und er kannte das Gefühl der Freundschaft, aber er fand es bitter beides für eine Person zu empfinden und zu wissen, dass das eine das keine Chance hatte seine Freundschaft zu Mondschein zerstören könnte.
Dann seufzte er. Am Anfang seiner Freundschaft hatte der Wunsch gestanden sie kennen zulernen, das Vergnügen zu haben in ihrer Nähe zu sein, mit ihr zu reden und die Möglichkeit, diese Freundschaft haben zu können. Es war ein wirklicher Anfang. Am Anfang seiner Liebe stand deren Ende. Hätte er jemals hoffen können mit ihr zusammen sein zu können so wäre er mit geschwollener Brust durch die Welt gewandert. Es muss der Beste sein, der sich anmaßen darf dies zu hoffen. Lukas dachte nicht darüber nach, woran es lag, dass sie ihn nicht liebte. Er brauchte nicht gleichzeitig Liebeskummer und Selbstzweifel. Seine Wünsche in Sachen Liebe waren wiedereinmal, wie er feststellen musste, nicht in Erfüllung gegangen, bevor er sie überhaupt gewünscht hatte.
In diesen Tagen ging er des Nachts viel spazieren. Er atmete die kühle Luft, die durch seine dünnen T-Shirts drang. Er liebte es ein wenig zu frieren, zu spüren, dass er Teil dieser kalten, aber durchaus lebendigen Welt war. Seine Latschen flappten gegen die Fußsolen als er einsam durch feuchte Wiesen streifte, um vielleicht Erlösung von seiner Sehnsucht zu finden. Jeden Gedanken an sie verdrängte er mit einem der Dinge, die ihn umgaben, Ihre Augen... Der Fluss! Die Stimme... Der Baum! Ihr Lachen... Der Igel! Ihre sanften Hände... Der Sternenhimmel! Ihr Geplapper... Die Sternschnuppe! Und Lukas dachte: Mondschein!, sowie er einen Feuerschweif am Himmel sah. Aber dann bereute er es, denn er konnte sich nicht wünschen, dass sie sein wäre. Er wollte sie nicht besitzen. Und schließlich hatte er etwas sehr wertvolles von ihr. Ihre Freundschaft. Wenn er heraus ging, um seine Gedanken zu ordnen, dann ging er lange, bis es geschafft war. Und immer kehrte er dann mit dem Gedanken zurück, dass er ihre Freundschaft hatte und dass das mehr zählte, als eine Schwärmerei.
Das waren die glücklichsten Stunden in denen er seine Liebe für eine Schwärmerei halten konnte, in denen er sich dazu zwingen konnte. Ansonsten immer lief er vollkommen angespannt herum. Er sah sie, freute sich, sagte nichts weiter und versuchte auch ansonsten sich zurück zu halten. Er bedauerte jedes mal, wenn sie ihn nicht anschaute, wo er doch jeden seiner Blicke ihr schenkte und sich nichts mehr wünschte als für sie wenigstens ein bisschen wichtig zu sein. Wenn er in einen Raum kam, dann schaute er nicht, nach seinem Platz, sondern nach Mondschein. Wo war sie? Was tat sie gerade? Sie wurde sein Bezugspunkt. Jeden Gedanken verknüpfte er mit ihr und wenn er nachdachte, dann sowieso nur über sie.
Die gemeinsamen Biostunden, die früher das Paradies auf Erden zu sein schienen, wurden zu einem Schrecken für ihn. Er fühlte sich gefangen zwischen seiner Sehnsucht und der Realität. Die ganze Zeit wollte er nichts anderes, als mit ihr reden, oder ihr einen Kuss auf die Wange geben. Irgendetwas, das ihr zeigte, wie sehr er sie mochte. Aber er tat es nicht. Er folgte stur dem Unterrichtsgeschehen ohne auch nur das Thema zu erfassen. Mondschein wusste es. Als sie zuerst dachte er wäre verliebt, hatte sie nur nicht verstanden, dass er wirklich nicht mehr wollte als Freundschaft, aber jetzt war es anders. Sie merkte natürlich, dass er nicht klar kam. Er machte ohnehin nicht den törichten Versuch seine Schwierigkeiten zu verbergen.
Als sie müde war in einer der Biostunden lehnte sie sich an - ganz kurz, als habe sie gar nicht mitbekommen, was sie tat. Dann legte sie ihren Kopf auf die Bank. Lukas war es kalt geworden. Er fand es zu selbstverständlich, dass sie sich zu ihm herüberbeugte oder sich anlehnte. Auch wenn sie eben dies niemals getan hatte. Das sie es so bestimmt nicht tat betrübte Lukas. Schließlich musste er mit ihr reden.
III
Die schweren, grauen Wolken hingen tief. Der Wind war kühl. Nur der Regen kam nicht. "Ich muss mit dir reden.", hatte Lukas gesagt. "Zusammenhängend- über Gefühle."
Männer könnten dies ohnehin nicht hatte Mondschein geantwortet und saß jetzt trotzdem neben ihm auf der Holzbank. Dumm so etwas in der Mittagspause klären zu müssen, dachte er, aber es war egal. Er musste nur diese Gefühle loswerden, musste ihr das sagen, weil er ansonsten platzen würde, oder dumme Sachen anstellte. Er wollte von ihr hören, dass sie Freunde sein konnten, gute Freunde und vielleicht, dass sie ihn ein bisschen verstehen konnte. Da saß er also und rang nach Luft und machte diesmal wirklich ein Liebesgeständnis. Lukas hatte überlegt, was er sagen wollte. Es war unmöglich anzufangen. Was dachte er selbst über seine Gefühle? Sie waren großartig, allumfassend und vollkommen wunderbar... wenn er sie in sich aufsteigen ließ. Sie waren unrealistisch, ein Trugbild dessen Gefahr darin lag, es für wahr zu halten. Er empfand seine Gefühle als eine natürliche Reaktion und konnte nicht verstehen, wenn jemand Mondschein nicht liebte. Lukas wusste sie hatten keinen Bestand und gab sich ihnen nicht hin, nicht wenn er bei klarem Verstand war. Nur seine Träume, die ihn des Nachts heimsuchten taten das. Er hasste es am Morgen aufzuwachen und das ganze Gewicht der Realität auf sich zu fühlen. Dann kamen die Tränen...
Lukas atmete lang aus. "OK.", sagte er schließlich. "Machen wir es also ganz verrückt: Ich liebe dich." Jetzt war es ein Kinderspiel zu reden, denn dies war zweifelsohne das Wahrste, Krasseste, was er zu sagen hatte. Mondschein hatte das so nicht erwartet, aber Lukas hatte das Wort Liebe gebraucht und nichts Anderes gemeint. Deshalb ergänzte er: "Ich weiß was das Wort bedeutet und befinde mich im vollen Besitzer meiner geistigen und körperlichen Kräfte."
Mondschein lachte. Lukas wusste, was sie dachte. Dass seine Ergänzung ganz richtig gewesen war. Er konnte sie eigentlich nicht lieben. Woher denn? Von einem halben Tag im botanischen Garten? Von einem einsamen Spaziergang durch Behrenhof? Von einem unpersönlichen Kontakt im Biounterricht? Sie sagte ihm, was sie fühlte. Nicht für ihn, denn da gab es natürlich nicht viel zu fühlen. Ganz allgemein. Er verstand sie hing an ihrem Exfreund und war ohnehin unentschlossen. "Ich wollte mich nicht verlieben." Lukas sprach leise, aber deutlich. "Nur nachdem wir im botanischen Garten waren habe ich gedacht da könnte vielleicht doch etwas sein." Er meinte nur sich. Da war etwas, aber das galt nicht für Mondschein. Sie liebte ihn nicht. In seinen Worten hatte er die Möglichkeit, dass sie ihn liebte, nicht ausgeschlossen. Es waren hoffnungslose Worte voller Hoffnung. "Das im botanischen Garten..." Mondschein runzelte die Stirn. "...war nicht in Ordnung."
"Warum?" Warum war sie so gewesen? So nett... Er hatte sich damals schon auf die Probe gestellt gefühlt.
"Weil ich eine Frau bin.", sagte Mondschein. Das war sie. Lukas fühlte, dass es eine Ausrede war. Fühlte sich beinahe um eine Antwort betrogen. Er war gewohnt Informationen zu bekommen, wenn er sie brauchte. Aber er brauchte diese Information nicht. Vielleicht hatte er Angst davor, weil er die Antwort zu gut kannte. Hatte sie... gespielt? Ein beißender Gedanke. Sie sprachen weiter und langsam entwich die Anspannung -vornehmlich Lukas Anspannung- dem Gespräch. Frauen können so etwas. Aber dann sagte Mondschein Worte, die Lukas nie vergessen würde. "Da hätte kein Weg hingeführt." Sie meinte eine Beziehung mit ihm. Und alles war wirklich leer. Es war das, was er immer gewusst hatte. Nur das von ihr hören zu müssen, zerschmetterte seinen Glauben an alles. War es denn unmöglich? Er machte keine Anstalten den Kommentar anzuzweifeln. Sie hatte zu recht. Ihm war als würde ihm jemand den ganzen verdammten Erdball auf die Schultern legen. Warum? Warum wollte nicht in seinen Kopf, dass das Schönste, was er sich vorstellen konnte, was er kaum als Wunschtraum und fast als künftige Realität wahrnahm, einfach nicht existierte? Das Paradies war zerstört, weil es niemals existierte.
"Warum hast du nicht auf Jesus Geburtstagsfeier die Wahrheit gesagt?"
Lukas schloss die Augen. Noch gab er seine Tränen nicht frei, obgleich er auf der Stelle damit anfangen konnte. Sie hatte es noch immer nicht verstanden. Er hatte gewollt, was er gesagt hatte. Sein Herz brach und er fühlte, dass er alles verlieren konnte, was ihm wert war. Er sagte es nicht und schaffte es irgendwie das Gespräch darüber hinweg zu bringen. Vielleicht indem er sich betroffen zeigte und sie es verstand, als wüsste er es selbst nicht, als sei es ihm unangenehm diese Unaufrichtigkeit eingestehen zu müssen.
"Ich brauche dir nicht zu erklären was Liebe ist, oder?", fragte Lukas und er brauchte nicht. Halb war er erleichtert und halb enttäuscht. Was ist also Liebe?, dachte er und hatte nicht das Gefühl Mondschein jemals loslassen zu können. Was bedeutet die Zerstörung des Paradieses? Seine Ängste, die vorher ähnlich in der Luft gehangen hatten, wie seine Sehnsüchte, waren nun wahr und seine Sehnsüchte vollends reduziert auf Einbildung. Er wusste seine anfänglichen Depressionen waren nur der Auftakt gewesen zu dieser Situation.

Aber das hatte er nicht erwartet. Er verlor sie Hunderte Male. Er verlor sie, wenn er morgens erwachte, wenn er in einer nachmittäglichen Döserei seinen Gedanken freien Lauf ließ, wenn er sie morgens zur Begrüßung nicht in die Arme schloss, wenn ein Klingeln die Biostunden beendete. Es war ein Trennungsschmerz, fast ein Unwillen irgendwelchen Sinn im Leben zu fühlen, als hätte er... Jahre an ihrer Seite verbracht. Ein Teil ihres Wesen war immer da gewesen, war ein Traum gewesen, auf dessen Erfüllung er so gewartet hatte. Was er nicht gekannt hatte, war Enttäuschung. Eine bittere Erkenntnis, wie weit die Realität doch von seinen Vorstellungen entfernt lag.
Seine platten Füße in den ausgetretenen Latschen fanden bald allein die weiten Wege, aus der Stadt heraus und um sie herum. Er ging tief atmend, mit Tränen in den Augen die fielen bis er sich ausgetrocknet fühlte, nicht mehr in der Lage zu heulen. Nur, dass er das Bedürfnis hatte weiter zu heulen. Niemand kannte ihn. Er war allein und allein und allein. Die Gedanken ordnen... dazu ging er nicht spazieren. Seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen dazu schon. Sollte er in der Wohnung sitzen, unendlich deprimiert sein und seiner Mutter über den Weg laufen? Zu welchem Zweck? Sie führte keine intakte Beziehung, sie hatte versagt. Sie war keine Ansprechperson. Niemand war eine Ansprechperson und Lukas fühlte, wie allein die Menschen sind. Einigen konnte er erzählen, aber sie wussten keinen Rat. Das einzige, was sich Menschen geben konnten, war eine Schulter zum Anlehnen. Es gab nur eine Schulter, an die sich Lukas lehnen wollte. So anlehnen wollte, wie sich Mondschein bei ihm anlehnen konnte. Da stach es ihn, wie eine dünne Nadel, die durch seine Blutbahnen geschwommen war ins Herz. Sie hatte sich einmal anlehnen wollen, war aber zurück geschreckt.
Lukas sah nichts. Der Untergrund wechselte von Kopfsteinpflaster zu Asphalt, zu Plattenweg, zu Feldweg, zu Wiese. Er war überall und doch nur nirgendwo, wo Mondschein war. Es wurde nicht besser. Er war leer - oder vollkommen mit Dingen gefüllt, die nicht zu ihm gehörten. Warum hatte er andauernd ihren Duft in der Nase? Warum... verwechselte er sich selbst mit ihr? Eine beunruhigende Entdeckung, die er gemacht hatte. Sie beugte sich zu ihm herüber, während er sie nicht anschaute und stur versuchte dem Unterrichtsgeschehen zu folgen - erfolglos. "Lukas!" Und dann dachte Lukas: Was will ich?, bis er feststellte, dass er sich schon Mondschein zuwenden musste, um heraus zu finden, was sie wollte. Wer war er also?
Die Sterne funkelten und in der Ferne ragte der Kirchturm, von ein paar nach oben gerichteten Scheinwerfern beleuchtet, in den Himmel. Ein paar Vögel kreisten und kreischten um den orangenen Lichtkegel herum. Wenn es eine Brise Wind gab, dann spürte Lukas sie nicht. Er lag auf einer breiten, überdimensional anmutenden Brücke, die über ein Flüsschen führte. Unter ihm plätscherte Wasser über kleine Steinchen, über ein paar Große, die das Wasser verwirbelten. Wiese und Feld umgaben ihn. Er war wieder allein. Wohin führt das? Einmal hatte er feste Vorstellungen über Liebe gehabt. Es würde schon funktionieren... Noch immer fand er den Gedanken mit Mondschein zusammen zu sein nicht abwegig. Im Gegenteil... Zu selbstverständlich schien ihm Mondscheins Stirn an seine Lippen zu gehören. Er konnte sich alles so gut vorstellen, als wäre es einmal gewesen, als wären seine Sehnsüchte der Wunsch die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen.
Was ist Hoffnung?, fragte er sich jetzt, da es Leugnung gewesen wäre in ihr sein Glück zu suchen. Ist Hoffnung ein Schutzprozess vor der Realität? Ist Hoffnung ein unangemessener Traum, der vielleicht doch wahr werden könnte? Lukas leugnete. Lukas leugnete indem er Seifenblasen erzeugte, Gedanken zu dem was er erlebt hatte hinzufügte, sodass ein neues Bild seiner Beziehung zu Mondschein entstand. Ein angenehmeres Bild, das zerfiel sobald er sich in Gesellschaft befand, dem Druck der Realität ausgesetzt war. Beging er den Fehler noch immer zu hoffen? Er wusste er tat es. Ein komisches Gefühl gleichzeitig zu wissen und zu sehnen. Ein komisches Gefühl, das ihn Mondschein Hunderte Male verlieren ließ. Ein Gefühl, das niemals milder wurde. Mondschein! Unendlich sinnliches Ding, unerreichbar. Lukas Blick suchte das silberne Mondlicht. Leidenschaftliche, starke Frau, die vor seiner Nase tanzte. Hohn oder Ehrung? Ein Trugbild, das verschwindet sobald man danach greift oder der Beweis, dass Gott existiert?
Wenn sie so real war, warum führte dann kein Weg zu ihr. Lukas hätte ihn längst gefunden, wenn es einen gäbe. Er kannte alle Wege und war sie endlose Male gelaufen. Er seufzte.
Gab es nicht einen Gedanken, der ihm half? Schließlich war er Mondschein in den letzten Wochen doch näher gekommen. Musste nicht etwas Gutes daran sein? Wie hatte er sich gefreut neben ihr zu sitzen? Alles war Anspannung gewesen. Seine Gedanken rannen alle in seine Gefühle für Mondschein und verliefen sich schließlich darin nur um neu geboren zu werden, um ihm viel großartiger zu erscheinen. Sie erschien ihm großartiger je öfter er sie anschaute oder sie sich mit einem Gespräch an ihn wandte. Wie betrübt war er gewesen, wenn sie den Raum verließ? Wie erfreut über jedes "guten Morgen"? Hatten sich seine Gefühle jemals geändert? Lukas begann genau das zu bezweifeln. Sie war immer noch dieses unheimlich clevere Mädchen mit dem herzlichsten Lachen. Sie war noch immer Quelle all seiner Sympathie für die Welt. Dann dachte er an die Worte, die er an Jesus Geburtstag gesagt hatte. Waren sie nicht genauso ehrlich gewesen, wie sein Liebesgeständnis? Die Gefühle waren die gleichen. Unendliche Zuneigung unendlich Respekt. Aber sie ließen ihn Verschiedenes wollen. Freundschaft und Liebe. War sein Wunsch nach Freundschaft nur aus der Unterbewertung ihrer körperlichen Anziehungskraft entstanden? Er erinnerte sich an ihren gemeinsamen Spaziergang im botanischen Garten, wie er zum ersten Mal seit Langem gesehen hatte, dass sie schön war. Wie dumm er sich jetzt vorkam. Im botanischen Garten hatte er sich verliebt, das wusste er. Viel stechender war ein anderer Gedanke. Sie waren Freunde gewesen und er hatte es weggeworfen, als hätte es keinen Wert. Es hatten einen Wert, das sah er jetzt. Er sah jetzt endlich wie gut es gewesen war. Für einen Zeitraum war sie glücklich. Sie hatte gelacht, ihn mit ihren großen Augen angeschaut. Es war eine komische Situation, weil sie sich gegenseitig ein wenig ausgetestet hatten, aber es war gut gewesen. So gut... Nicht, dass er glücklich gewesen war, stimmte Lukas nun froh. Er atmete aus und die Luft formte dünnen Nebel vor seinem Gesicht. Es wurde wieder Herbst. Mondschein hatte gelacht und Freude gehabt! Das war das Einzige, was Lukas glücklich machte.

Freitagabend war die raue Feststellung, dass er sie morgen nicht sehen würde. Wochenende war die Sekunden weise Erfüllung einer dunklen Prophezeiung, während der er ununterbrochen an sie dachte und sie kaum einen Gedanken an ihn verschwendete. Das Einzige woran er sich festhalten konnte war seine Freundschaft zu Mondschein. Doch selbst das musste einen bitteren Beigeschmack haben. Sie hatte sich von ihrem Freund getrennt und anstatt das Lukas ihr ein Freund gewesen war, ihr beigestanden hatte, hatte er versucht ihre Liebe zu gewinnen. Warum war er so töricht gewesen? Sie hätte eine Schulter zum Anlehnen bei Weitem mehr gebrauchen können, als nur noch so einen Spinner, der glaubte in ihr einen Engel auf Erden gefunden zu haben.
Lukas fand er hatte zuviel zerstört, das vielleicht hätte sein können. Wie konnte er ihr jetzt noch ein Freund sein ohne heuchlerisch zu wirken? Und wie, wenn sie es jemals gewollt hatte, konnte sie eine Freundin sein ohne rücksichtslos zu wirken? Er hasste sich für die Dummheit mit der er Einiges weggeworfen hatte, um nichts zu erreichen. "Wenn das, was du auf Jesus Geburtstagsfeier gesagt hast stimmt, dann ist es gut." Aber Lukas hatte seine Worte selbst unglaubwürdig gemacht. Nein! Es gab kein zu spät. Er musste nur endlich von sich fordern die trüben, schwermütigen Gedanken zu vergraben. Seine Sympathie für Mondschein war es nicht wert in einem kindischen Ideal von Liebe unterzugehen. War es ein Fehler gewesen sich zu verlieben? War es ein Fehler gewesen ihr wichtig sein zu wollen? Warum hatte er nicht einfach der Freund sein können, den sie verdient hat? Lukas seufzte. Er wusste es war nicht zu ändern. Er wusste er hätte sich irgendwann in Mondschein verliebt, hatte es schließlich immer gewusst. Er hatte ja nicht ahnen können, dass es unbedingt sein würde.
Lukas selbst war erstaunt wie gut es ging. Er konnte sich sehr wohl leer fühlen und deprimiert sein, wenn er Mondschein traf war all dies wie hinfort geschwemmt. Brachte er es fertig einfach ihre Anwesenheit zu genießen? Ja! Was war dann anders, als vor einem Jahr, da er sie kennen gelernt hatte? Sie wusste es und konnte es ihm vielleicht auch ansehen. Sie sah ihn jetzt, während er sonst nur da gewesen war. Vielleicht würde er es eines Tages erdulden können, wenn sie den Raum verließ ohne sich von ihm zu verabschieden. Jetzt entnahm er seinem Unbehagen, dass es Ausdruck des stärksten und reinsten Gefühls war, das er jemals empfunden hatte. Freundschaft! Tief empfundene Freundschaft. Er lächelte ihr hinterher und erinnerte sich gerade an etwas, das sie während der Stunde getan hatte. Etwas das er gar nicht bemerkt hatte oder als zu selbstverständlich angesehen hatte, um Beachtung zu finden. Mondschein hatte sich an ihn gelehnt und er hatte durch ihre Haare hindurch schauen müssen, um die Lehrerin zu sehen, die über Biologie gesprochen hatte. Zwei erlösende Tränen rannen seine Wangen hinunter.
Epilog
Es hatte geregnet. Der weiße Matsch breitgefahrener Äpfel lag auf dem nassen Asphalt und ein strammer Rückenwind scheuchte Lukas in seinem wild flatternden T-Shirt auf seinem Fahrrad in die Richtung seiner Wahl. Die Felder waren kahl und braun. Die Getreidestoppeln mit Regen vollgesogen hielten ein gammliges, dunkles Gelb. Herbst hatte einmal etwas anderes bedeutet, dachte er. War Herbst nicht einmal Drachensteigen und Obstpflücken gewesen? Die letzten schönen Tage, bevor der Winter das Jahr abbrach indem er die Leute in ihre Wohnungen einschloss? Jetzt war der Herbst nass und kalt und schon an diesem frühen Abend, warf seine Sonne einen langen Schatten von Lukas und dessen Fahrrad auf das braune Feld.
Aber es war egal, was der Herbst bedeutete. Lukas war jetzt gemäht, ein gebrochener Halm, der nicht mehr mit den anderen im Wind wehte. Ein Apfel, der auf den Asphalt gestürzt war und Regen, der sich in einem Schlagloch gesammelt hatte. Im nächsten Jahr würde er wieder auf dem Feld stehen und den Autofahrern winken. Er würde eine weiße Blüte, am Zweig eines Apfelbaumes sein und er würde aus allen Wolken fallen. Neu geboren! Die Räder drehten sich schnell und rasten weiter vorwärts, immer vorwärts unter dem grauen Himmel, voller Spannung, ob es einen weiteren Wolkenbruch geben würde. Voller Entspannung, wenn er die widerspenstigen Gräser im Straßengraben sah, wie sie hin und her geworfen wurden.
War dies sein ewiges Spiel mit der Liebe? Eine sich immer mehr zuspitzende, hoffnungslose Schwärmerei, die in einem Liebesgeständnis ein jähes Ende findet? Ein ewiger Wechsel von süßer Träumerei und realster Enttäuschung? Nein, das war es nicht. Irgendwie war deises Schema aufgebrochen, denn er liebte Mondschein noch jetzt. Auch seine Gefühle brauchte er nicht mehr trennen. Er liebte sie ganz wirklich als Freundin und als Frau. Aber am Meisten liebte er sie doch als Menschen. Dies war keine Enttäuschung. Dies war voller Erfolg, der ihn immer wieder jubeln ließ. Manchmal fragte er sich, ob er überhaupt erfasst hatte, was Mondschein für ihn bedeutete. Sie erwiderte seine Liebe nicht und war ihm doch so wichtig. Was also wenn? Ein Lächeln kam auf seine Lippen. Es war ein Tagtraum, kein Blick in die Zukunft. Ein schöner Traum.
Lukas hatte etwas von Mondschein erhalten, das er vorher noch nicht gesehen hatte. Sicherheit. Sicherheit sich nicht bei nächster Gelegenheit in irgendeine Beziehung zu stürzen. Er brauchte das jetzt nicht mehr. Er brauchte nicht die Zuneigung irgend eines Menschen. Liebe war bedürfnisfrei geworden. Ein Gefühl das zu haben gut war. Keine Sehnsucht plagte ihn nach Zweisamkeit. Er wusste er würde wieder lieben und es würde sich verdammt gut anfühlen. Er fiel aus allen Wolken. Er war das widerspenstige Gestrüpp im Straßengraben. Er war der Wind, der durch die Bäume fegte. Er war der Fahrradreifen, der durch einen dünnen Wasserfilm jagte.
 
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Kommentare  

Da kann ich mich nur anschließen. Ganz große Spitze!

Petra (14.08.2010)

Eine nachdenkliche aber auch höchst romantische Story. Sehr gelungen.

doska (14.08.2010)

Eine typische Geschichte von Mitsch

Echt klasse


Robert Wild (11.12.2003)

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