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6 Seiten

Das Räuchermännlein

Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester · Für Kinder
© Petra
Die Turmuhr schlug zur vollen Stunde.
Der kleine Räuchermann, in grün-blauen Filz gekleidet, rauchte genüsslich vor sich hin. Er stand im Halbdunkel auf meinem Schreibtisch, in der Nähe des Fensters zwar, aber draußen dunkelte es bereits, und so fiel nur verhalten Licht auf den kleinen Mann. Während er rauchte, zog er durch die kleine Mundöffnung, in der seine Pfeife steckte, kontinuierlich einen bläulichen Duft von Weihrauch, der, was den Geruchssinn anbelangt, aufs vorzüglichste mit den frischgeschnittenen Tannenzweigen auf der Kommode in meinem Rücken und, was die Stimmung hingegen als solche anging, mit der vorweihnachtlichen Atmosphäre im Raum ganz im Allgemeinen harmonierte. Der Duft verströmte sich allmählich, stieg - infolge der Luftzirkulation - recht schnell bis unter die Decke; er verbreitete sich bis in die äußersten Ecken. Er kroch in jede Ritze. Das Herz war weihnachtlich erfüllt.
Auch die Kerze, deren Licht in winzigen Abständen flackerte, erreichte den kleinen Holzmann nur unwesentlich, und so zauberten sich, je nachdem, wie die Kerzenflamme es sich im Lufthauch des Raumes gefallen ließ, interessante Lichtspiele auf der räuchermännischen Figur, in ihrem Gesicht und auf ihrer Kleidung. Lediglich die Stiefel blieben ausgespart. Sie verblieben in tiefem Dunkel. Hierhin reichte das Licht der Kerze bei weitem nicht.
Ab und an - ich gestehe es freimütig - fand ich Gefallen daran, das Flackern der Kerze willkürlich zu produzieren, sei es durch eine Bewegung mit der Hand, sei es durch leichtes Pusten, und ich beobachtete dabei aufs genaueste, wie die veränderte Bewegung von Licht und Schatten auf der hölzernen Figur und die Neuverteilung der Schlagschatten sich dabei ausnahm, ja - ich studierte dies Schauspiel gewissermaßen und, ich gestehe auch dies, ich tat dies mit Entzücken. Ab und an verlosch der Räucherkegel im Innern des Männleins; es zog wohl nicht richtig. Dann entzündete ich ihn erneut, setzte den Mann wieder zusammen und las weiter.
Darüber hinaus, dass es dunkelte, schneite es auch bereits seit Stunden, bald würde die Erde vollkommen unter einer herrlichen weißen Pracht begraben liegen und ihren Winterschlaf halten, eine wunderbare Vorstellung, romantisch und sehr zum Ergötzen der Welt, die insgeheim nur darauf lauerte, ihre Kindheitsträume einen weiteren Winter lang ausleben zu können und sich auf vielerlei Art ausgelassen in der weißen Herrlichkeit zu trollen.
Ich trank eine Tasse Tee, auch nahm ich einen Keks.
Mehr und mehr war es dunkel geworden. Der Räuchermann hob sich kaum mehr von seiner dunklen Umgebung ab. Erhellt waren lediglich das Gesicht samt Mütze - das weiße Haar hing ihm wirr in die Stirn und würde, da es auch einen Teil der Augen bedeckte, ihn beim Sehen behindert haben; der Bart reichte ihm bis tief hinab auf die Brust. Zudem war aber auch ein Teil seines Gewandes erleuchtet. Die Wangen glühten in einem gesunden Rot - die rechte wenigstens; die linke ebenso wie das Auge lagen im Schatten des Gesichtes.
Wiederum war der Räuchermann erloschen. Ein weiteres Mal nahm ich ihn auseinander, ließ aber, da ich mich aus einem unerfindlichen Grund erschreckte, den Oberkörper, kaum dass ich ihn in der Hand hielt, fallen, und dieser kam nach einem lauten Krach und nachdem er sich ein, zwei Male zu der einen als auch der anderen Seite ausgekullert hatte, auf der Holzplatte meines Schreibtischs letztlich zu liegen. Der Räucherkegel indes war nicht erloschen, er war niedergebrannt, und so wechselte ich seine aschigen Überreste gegen einen neuen Kegel, nicht ohne vorher alles schön säuberlich gereinigt zu haben, setzte den Mann erneut zusammen und beobachtete mit Wohlgefallen die kleinen Rauchwölkchen, die in dünnen Fäden und mit einer gewissen Leichtigkeit, die ihr Eigenes hatte, erneut dem Mund des Holzmännchens entströmten und - wie der Weihrauch-Duft zuvor - nun ihrerseits im Raum sich verteilten und mit der adventlichen Atmosphäre sich vermengten. Dies währte kaum einen Augenblick, da begann das Männlein zu husten.
Ich traute meinen Augen nicht, noch weniger meinen Ohren, und schaute, überaus angestrengt, genauer auf den Platz, auf dem es sich befand. Tatsächlich stand da das Männlein, das noch eben friedlich vor sich hingeraucht, und krümmte sich vor lauter Husten - das Pfeifchen hatte es aus dem Mund genommen und hielt es nun in der Hand; es krümmte sich bis tief auf den Boden hinunter und hustete erbärmlich.
"Kann ich Ihnen helfen?", war das einzige, auf das ich in diesem Augenblick, der meine Sinne doch arg überforderte, mich zu besinnen vermochte.
"Wenn Sie vielleicht endlich diesen dummen Räucherkegel in meinem Innern auslöschen könnten?", prustete es.
Ich tat, wie es befohlen hatte. "Und wenn Sie", fuhr es sogleich fort, indem es sich mühsam aufrichtete; seine Stimme verriet ein heftiges Ungehaltensein, "dies vielleicht auch künftig unterlassen wollten!"
"Was, bitte?"
"Mich immerfort anzuzünden!" Es hatte düster die Augenbrauen zusammengezogen. Sein Atem ging stoßweise.
"Sie sind ein Räuchermann!", verteidigte ich mich. "Wenn ich nicht irre, sind Sie dazu bestimmt, in Ihrem Innern zu glühen, damit Sie rauchen!"
Das Männlein - ich wußte nicht recht, wie mir geschah - hub ein großes Gejammer an. Dabei schaute es sehr trübselig drein, machte es sich auf einem meiner Kistchen auf dem Schreibtisch bequem, nachdem es sich - nicht ohne Mühen und recht umständlich - ein Papiertaschentuch geholt und sich auf dem Kistchen untergelegt hatte, dann stützte es die Ellenbogen auf die Knie, den Kopf seinerseits hingegen vergrub es in den Händen, und fuhr fort, jämmerlich zu klagen. Ich erkundigte mich nach dem Grund des Gejammers. Das Männlein jedoch überhörte dies - ich wußte nicht zu sagen, ob aus einer Absicht heraus oder versehentlich - und fuhr in seiner Tätigkeit fort. Ich beließ es fürs Erste dabei.
Nach einer Weile nun aber hatte es sich beruhigt. Es schluchzte noch ein wenig, dann tupfte es sich mit dem Zipfel des untergelegten Papiertaschentuchs die Tränen vom Gesicht, schneuzte sich und war still.
"Bitte entschuldigen Sie mein Gebaren von vorhin", meinte es nach einem Weilchen. Es hatte sich nun soweit wieder hergestellt, als es nicht mehr im Ganzen qualmte, und auch seine ungesunde, von der Anstrengung des schweren Hustens hervorgerufene Röte im Gesicht war verschwunden und der ursprünglich holzigen Blässe mit den rotglühenden Bäckchen gewichen.
Ich war mir nicht sicher, ob es nun wegen des Hustens oder aber wegen des Gejammers um Verzeihung bat, und erklärte, es sei nicht der mindesten Rede wert.
"Das ist sehr freundlich von Ihnen!", gab es zurück. So viel Höflichkeit nun wiederum schon seit langem nicht mehr gewohnt, wußte ich hierauf nicht viel zu antworten, und schwieg. "Sie haben sich verschluckt", meinte ich schließlich. "Sie scheinen den Tannenduft nicht zu vertragen?"
"Nein", erwiderte das Männlein. "Das ist es nicht." Es überlegte, ganz leicht nur mit dem Kopf wackelnd, die Stirn für einen Augenblick in angestrengte Furchen gelegt. Seine Augen waren sehr dunkel, eine vage Nuance zwischen Tiefbraun und Schwarz, und glänzten im Schein der Kerze wunderbar. "Ganz allgemein", meinte es, "mag ich den Rauch an sich nicht."
Ich verstand nicht recht und insistierte, dass es doch ein Räuchermännlein sei.
"Muß ich deshalb rauchen?", gab es wütend zurück.
"Es scheint mir Ihre Bestimmung zu sein!"
"Sie wiederholen sich!"
"Aber zu keinem anderen Zweck als zu dem, rauchen zu müssen, hat man Sie hergestellt!"
"Ich weiß!", seufzte es. Wir schwiegen - er aus einem gewissen Bekümmertsein heraus, das ich nicht näher zu bezeichnen wußte; ich, weil mir nichts zu sagen einfiel.
"Wieso haben Sie sich nicht rechtzeitig bemerkbar gemacht, als man Sie herstellte?", versuchte ich es nach einer Weile erneut.
"Aber - das habe ich ja!", erklärte es. "Sie hätten sehen sollen, wie ich mich gewehrt habe! Ich bin weggelaufen - man hat mich eingefangen! Ich habe gezappelt, wie noch niemals ein Räuchermännlein zuvor je gezappelt hat! Man hat mich in einen Karton gesperrt, ich habe wie ein Löwe mich gewehrt!" Es war sichtlich ein wenig stolz auf sich, wenngleich es nur ein verhalten sichtbarer Stolz war, durch einiges Trübsal nicht wenig gemindert. "Man hat den Deckel aufgestülpt, ich hingegen habe ihn mit aller Macht wieder empor gedrückt! Man hat mir eine Ohrfeige verpasst, mich in die Schachtel zurückgezwängt, den Deckel aufgedrückt und zusätzlich mit einem Gummiband befestigt! Als auch dies nichts nützte und ich erneut zum Vorschein kam, hat man mich geknebelt und den Deckel zudem mit einem anderen Gegenstande beschwert!" Es seufzte und fuhr, nachdem es sich ein wenig zur Ruhe gebracht hatte, denn es hatte sich doch arg echauffiert, resigniert fort: "Sie sehen - ich hatte keine rechte Chance!"
Ich war ratlos. "Sind Sie ein produktionstechnischer Fehler?"
Es schüttelte, nachdem es sich kurz besonnen, den Kopf.
"So gibt es also noch mehr von Ihrer Sorte?"
Es dachte - wie vorher auch nun - einen Augenblick nach. "Ich weiß es nicht!" Wieder schwiegen wir.
"Was stelle ich mit Ihnen denn jetzt an?", fragte ich.
"Oh," meinte es hastig. "Sie haben mich gekauft! Machen Sie mit mir, was Sie wollen - aber, bitte," - seine Worte klangen flehentlich und seine Stimme hatte es an Eindringlichkeit nicht fehlen lassen, "zünden Sie mich - um Himmelswillen - nie wieder an!" Seine ganze Haltung drückte, während es sprach, Entsetzen aus. Ich schwieg. "Ich könnte Ihre Blumen pflegen oder Ihre Vögel füttern", schöpfte es ein wenig Hoffnung.
"Ich besitze keine Vögel", gab ich zur Antwort.
"Oder -", es spähte pflichtversessen unter meinen Bildschirm, "hierunter könnte einmal Staub gewischt werden!"
Dort sei es zu eng, als dass ein Staubtuch dahinunter käme, behauptete ich.
"Papperlapapp!", rief es aufgeregt und rannte, frohgemut, zu meinem Stiftständer, zog den Bleistift heraus, der kaum kürzer war als es selbst, jagte zum Bildschirm zurück, allerdings nicht ohne auf dem Weg das Papiertaschentuch, auf dem es gesessen, vom Kistchen zu zerren und hinter sich herzuschleifen. Dann wischte es mittels Bleistift und Taschentuch - es hatte eine Art prähistorischen Schrubber konstruiert - unter meinem Bildschirm fein säuberlich jedwedes Staubkorn weg, kam wieder zum Vorschein, brachte den Bleistift an seinen Platz zurück, schüttelte das Tuch an der Schreibtischkante aus, dass der Staub auf meinen Boden rieselte, und strahlte, als es sich zu mir umwandte, über das ganze Gesicht.
Ich blickte es nachdenklich an. "Wo gedenken Sie denn zu schlafen?", fragte ich.
Das Räuchermännlein lief nun zur vorderen Kante des Schreibtischs, wäre um ein Haar durch den Schwung, mit dem es gelaufen kam, vornüber und vom Tisch gestürzt, brachte sich jedoch selbst, indem es wild mit den Armen ruderte, wieder ins rechte Lot und spähte, die Augen ein wenig zusammengekniffen, hinüber in die andere, im tieferen Dunkel liegende Hälfte meines Zimmers, in der die Gegenstände sich nur schemenhaft ausnahmen. "Dort drüben in dem antiken Puppenwagen könnte ich es mir wohl bequem machen", sinnierte es und fügte nach einem Augenblick hinzu: "Sofern die Damen Puppen nichts dagegen haben!" Die Bezeichneten schwiegen beharrlich. Wir wußten beide nicht recht, ob diese beleidigt waren oder - da sie nichts weiter als profane Puppen waren - nur einfach nicht zu reden verstanden. "Es reicht auch", begnügte es sich nach einem Weilchen, währenddessen es auf eine Antwort gewartet, "ein kleines Schächtelchen mit ein paar Papierschnitzelchen darin. Ich wills mir schon gemütlich machen."
"Und wovon ernähren Sie sich?", fragte ich.
"Ich weiß nicht!", betrübte sich das Räuchermännlein sofort aufs neue. "Von Tee und Lebkuchen vielleicht?" Es schaute an sich herunter und zupfte, wie auf Bestätigung hoffend, ein wenig an seinem Wams. "Ich bin ja doch recht weihnachtlich."
Vorsichtig trug ich das Männlein hinüber zum Puppenwagen und legte es hinein. So konnten die Herrschaften sich miteinander bekannt machen, was auch umgehend geschah. Noch am Abend richtete ich ihm aus einigem Mobiliar eine Puppenstube ein. Das Männlein war entzückt, als es sie in Augenschein nahm; es rang die Hände und jauchzte.
Was die Ernährung anbelangte - tatsächlich nahm es Tee und Lebkuchen zu sich, ernährte sich allerdings auch von Milch, Papierschnipseln und Kerzenwachs; letzteres so gut wie Schokolade. Ab und an wischte es ein wenig in schwer zugänglichen Ecken, wenn es not tat, auch sang es Weihnachtslieder, wenn dem ein oder anderen von uns danach war. Aber angezündet wurde es nicht mehr. Dafür trieb es allerdings - ich muß es gestehen - viel Schabernack.
Wenn hingegen Besuch kommt, was zu gegebener Zeit vorkommen mag, sitzt es brav und hölzern versteinert auf seinem Stuhl in der Puppenstube und wird, da niemand sonst ein sitzendes Räuchermännlein je gesehen hat, ausgiebig und voller Entzücken bewundert. Keinem dieser dummen herkömmlichen Menschen jedoch fällt auf, dass das Männlein zu jedweder Zeit, da der Besucher wiederkehrt, ein ganz klein wenig anders dasitzt.
 
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Kommentare  

hallo petra,
mir hat es wirklich gut gefallen. eine niedliche, unterhaltsame weihnachtsgeschichte... hast du die kilometersätze schon verkürzt? mir sind nämlich keine zu langen aufgefallen.
ich würde mal sagen, dass es nichts faszinierendes, neues ist, was mich total umhaut, ber mir doch wirklich gut gefällt.
lg darkangel


darkangel (07.06.2007)

Liebe Heidi StN,

entschuldige bitte, dass ich mich erst jetzt auf Deinen Kommentar hin melde; es ging leider nicht eher!
Vielen Dank für Lesen und Kommentierung! Schade, dass das Räuchermännlein nicht angekommen ist. Aber damit werde ich leben müssen. Wie mit den langen Sätzen zu verfahren ist, werde ich mir genauestens überlegen. Danke jedenfalls für die Kritik.

Viele Grüße.
Petra


Petra (26.01.2004)

die Idee ist recht nett.
dein Text würde aber bestimmt besser, wenn du einige kilometerlange Sätze neu schreiben würdest.
Gruß,
Heidi StN


Heidi StN (13.12.2003)

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