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7 Seiten

Unter Echsen

Fantastisches · Kurzgeschichten
© Wer-Kater
(Eine Geschichte aus dem lebendigen Universum)

In der großen Halle tummelten sich nur noch wenige Besucher. Die meisten hatten das Gebäude schon durch eines der ausladenden Tore verlassen.
Die Massen von Neugierigen die sich Tag für Tag durch diese Anlage quetschten stammten aus allen bekannten Welten des lebendigen Universums.
Hier, auf Toonautheka, wo alle Konflikte ruhten; fanden sich Angehörige aller Spezies des Kosmos ein. Und jeder dem es seine Zeit erlaubte, besucht das größte Museum der bekannten Sternenreiche.
In den erhabenen Hallen, die die echsenhaften Vishýn auf dieser Welt einst als Sitz ihrer höchsten Paxiare errichtet hatten, gab es zahllose Ausstellungsstücke aus aller Völker Welten zu bestaunen.

Ein Nachbau des berühmten ersten Raumschiffs, dass jemals die Grenzen der Atmosphäre Toonauthekas hinter sich lies. Aufgeteilt in ihre zwei Segmente, fanden Mannschaftskapsel und Triebwerk bequem in einer der kleineren Hallen Platz. Neben diesem Denkmal der Geschichte faden sich noch weitere seltenste Exponate. Unter anderem bemerkenswert war ein Trümmerstück des ersten erfolgreich gezündeten Warbiters. Dieses kaum handtellergroße Objekt musste jedoch unter starker Abschirmung ausgestellt werden, da es aufgrund der damals noch sehr primitiven Technologie auch nach Jahrtausenden noch sehr stark strahlte.

In den Räumen die den biologischen Wissenschaften gewidmet waren, fanden sich Tiere und Pflanzen aus allen bewohnten Welten. Eine Horde kleiner LuVin-Wüstenläufer rannte über eine umzäunte Ebene aus glühend heissem Quarzsand. Ihre kleinen schlangenförmigen Leiber wurden von vier stelzengleichen Beinchen über dem kochenden Boden gehalten. Ihr Blut floss durch ein fein verästetes Adergeflecht an ihrem Nacken, wo er Wind den sie beim Laufen erzeugten es um wenige entscheidende Grad kühlte. In ihrem Nest unter einem schattengebenden dürren Gebüsch fiepte bereits wieder der erste Nachwuchs. Die älteren und schwereren würden dafür bald auf den Tellern der Museumsbesucher landen.

Ein Gehege weiter durfte man einen echten raxischen Schickteufel bewundern. Sofern man ihn zu Gesicht bekam. Das Raubtier war äusserlich perfekt an seine Umwelt in den trüben Sümpfen von Rax angepasst. Zahllose wild umher treibende Hautfetzen und seine blassbraune Farbgebung verliehen ihm das vollendete Aussehene eines Stückes Treibholz, oder einer großen Wurzel. Ihn in dem großartig nachgebauten Habitat zu entdecken war schon eine Kunst für sich. Diese Bestie wurde nur selten einmal gefüttert, aber die Besucher gierten danach es zu sehen. Die blutrünstigkeit dieses Räubers jagte den Neugierigen wohlig schreckliche Furcht ein. Wurde der Schlickteufel gefüttert, konnte man diese Halle trotz ihrer Ausmasse nichtmehr betreten. Bis zu den steinernen Säulen des nächsten Raumes drängten sich dann die Zuschauer.

Einen der letzten Besucher dieses Tages interessierte das alles nicht. Sein Interesse galt einzig und allein dem letzten Ausstellungsstück. Einem seltenen Exponat von einer Welt, die noch nicht lange den Weg unter die Völker des lebendigen Universums gefunden hatte. Von weitem hörte man schon das Rauschen eines unendlich großen Ozeans, ein Geräusch das exra für dieses Lebewesen erzeugt wurde. Soetwas wie ein Meer gab es schliesslich auf der Oberfläche Toonauthekas nicht. Vorsichtig näherte sich die letzte Gruppe für diesen Tag dem großflächig angelegtem Gehege. Dunkel getönte Kuppeln wolbten sich über das sorgsam abgeriegelte Habitat. In einem Gerüst aus merkwürdig anmutendem Holz und Stoffen lag es. Das Wesen war in etwa so groß wie ein Vishýn, sogar seine Knochen schienen nach demselben Muster angeordnet zu sein, aber dennoch sah es völlig anders aus. Dieses Lebewesen hatte eine zartrotes glattes Äusseres. Seine Augen waren nach vorne gerichtet, wie die eines Raubtiers, aber sein restlicher Körper besass keinerlei Anzeichen einer solchen Entwicklung. Keine Krallen, kein schützendes Fell, keine blutdürstigen Zähne. Die legendäre Verschlagenheit dieses Geschöpfs musste solche äusseren Charakteristika überflüssig machen.
Zahllose Reiseführer und Lexika wurden von den staundenden Besuchern befragt, und sie erhielten alle dieselbe Antwort. Dieses Wesen war ein Hominid, Homo Sapiens sapiens; ein sogenannter Mensch.
Mit angehaltenem Atem drücken sich Brütlinge, Welpen und Junge aller hier vertretenen Arten gegen die Scheibe. Für diesen Anblick vergassen sie sogar an ihren Snacks zu naschen. Alle wollten sie unbedingt einen Blick auf den "Menschen" erhaschen. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie wieder einen zu sehen bekamen?
Hinter der durchscheinenden Wand, auf die eine fremdartige Landschaft projeziert wurde, begann sich etaws zu regen. Der Mensch erhob sich aus seiner Sitzkonstruktion.
Aufgerichtet wirkte er wesentlich weniger beeindruckend, sogar richtiggehend klein. Langsam und gelassen ging er auf die trennende Scheibe zu. Mit seinen wachen, suchenden Augen pickte er sich einen jungen Amaun-Re aus der Menge, der seine feuchte Nase gegen die durchscheinende Wand drückte. Als der Mensch ihn in seinen Blick fasste, vergass er sogar einen Moment lang zu atmen. "Mein Kleiner..." begann der Mensch mit wispernder Stimme "...würdest Du nicht gern mit mir spielen?" Der junge Amaun-Re wich zurück, das fremde Wesen war ihm nicht geheuer. "Du must mich nur freilassen!" säuselte der Mensch weiter "Bitte, lass mich frei." Der Amaun-Re machte noch einen vorsichtigen Schritt zurück. Da schoss der Mensch vor und warf sich mit aller Gewalt gegen die Scheibe. "Lass mich frei!" zischte er. Der Kleine verschwand schnell in der Menge. Weiter hinten konnte man sehen, wie seine Clansmutter ihn auf ihren Arm nahm. Einige der restlichen Heranwachsenden machten ebenfalls schon die ersten Schritte rückwärts. Einige Mutige drückten sich noch näher an die Scheibe. Der Mensch fasste seinen nächsten Auserkorenen ins Auge. Ein junger Gorondai, der wohl vorwitzigsten unter den Verbliebenen, drückte sich mit der Brustschale gegen die Scheibe. Der Mensch sprang auf ihn zu. Seine großen, fünfglierigen Hände legten sich genau neben die Augen des Gorondai. Er wusste anscheinend genau, wie sehr das die schalenbewehrten Ausserirdischen ängstigte. Die dünnen Glieder des Kleinen zuckten bereits furchtsam, aber noch blieb es standhaft. Es wollte wohl vor seinen Freunden seinen Mut beweisen. "Lass mich frei, Kleiner." säuselte der Mensch "Ich kenne viele schöne Spiele!" Mit einer unvermittelten Bewegung warf sich der Mensch gegen die Scheibe. Das transparente Material erzitterte und sang in beängstigend hohen Ton. Boshaftes Keckern drang durch den Raum. Der Mensch liebte es die Jungen zu schrecken. Der Gorondai ergriff endgültig die Flucht.

So trieb er seinen Schabernack mit den Kleinen die an ganz vorne an die Scheibe gedrückt standen, und schaffte es so sie wieder zu ihren Müttern, Zeugern, oder älteren Brutgeschwistern zurück zu treiben.
Nach einer Weile verdunkelte sich die zuvor transparente Abtrennung. Der Führer der Gruppe erklärte dass die Vorstelllung des Menschen nun zu Ende sei. Weiterhin betonte er dass der Mensch nichtmehr lange hier zu bewundern sei, und welch ein Glück die Gäste hätten, ihn noch einmal sehen zu können.

-

Der Vishýn Museumswärter führte gerade die letzte Gruppe für diesen Tag durch das steinerne Tor in den offenen Innenhof. Die kraftvolle Sonne Iriashýn tauchte auch zu fortgeschrittener Stunde den weiten Platz noch in blendende Helligkeit.
Aber einer der Besucher ging nicht mit den anderen nach draussen. Der in eine Kutte aus dunklem Leder gekleidete Vishýn hatte sich während der Menschenvorführung in den Zwischenraum zweier Gehege gezwängt. Wenn der Schickteufel ruhig blieb, hatte er gute Chancen sich unbemerkt einschliessen zu lassen.

Nach längerem Warten schien es, als hätte er Erfolg. Der Wärter hatte seine letzte Runde gerade beendet. Von einem guten Freund hatte er zudem erfahren, dass das Überwachungssystem heute überprüft werden sollte. Es würde für kurze Zeit ausfallen. Genau diesen Moment musste er abpassen. Der Vishýn reckte seinen rotschuppigen Hals aus seinem Versteck hervor. Das blinkende Lämpchen an den Sensoren in der Mitte der Decke erlosch einen Augenblick später. Es war Zeit zu handeln.
Mühsam hiefte er seinen schuppigen Leib aus dem unbequemen Versteck, immer darauf bedacht nirgends mit den Hörnern anzustossen.
Heute würde der Mensch endlich frei sein!
Vorsichtig schlich er über die großen Kacheln des steinernen Bodens. Das gesuchte Gehege zu erreichen stellte kein Problem dar. Die Sensoren waren nach wie vor abgeschaltet. Aber das würde nicht mehr lange so bleiben. Jetzt musste er schnell handeln.
Seine vierfingrige Hand griff unter sein Gewand und zog ein gläserne Ampulle hervor. Die schimmernd grüne Flüssigkeit darin verhiess Freiheit für den Menschen. Er entkorkte das Gefäss, hob schützend den Arm vor die Augenpanzer und schleuderte die Flüssigkeit gegen die verdunkelte Scheibe.
Es zischte. Die Säure frass sich unaufhaltsam durch die Absperrung des Geheges. Sie war erst gesättigt als bereits ein Loch von der Größe eines Vishýn Körpers entstanden war. Der Vertrauensmann hatte nicht übertrieben, die Dosierung war perfekt.
Vorsichtig steckte der Befreier des Menschen seinen Kopf durch die Öffnung. Auf keinen Fall durfte er mit dem Rand in Berührung kommen. Die Substanz mochte zu gesättigt sein um sich weiter durch die Scheibe zu fressen, aber seinen organischen Körper konnte sie immer noch verätzen.
Innerhalb des Geheges war es kalt. "Mensch!" rief er halblaut in das Innere des Käfigs. Nichts rührte sich. Das Liegegestell stand verlassen in der Mitte des fremdartigen Landschaftsbilds. Das allgegenwärtige Rauschen irritierte den Vishýn. Es klang wie ein Sandstrum, nur dass sich hier nichts bewegte. Er rief noch einmal, diesmal etwas lauter: "Mensch!"
Da öffnete sich eine Tür in der Wand. Der Mensch trat hervor. Freudig schlüpfte der Vishýn durch den freigeätzen Durchgang. Die Kälte im Inneren des Geheges lies ihn frösteln. "Komm mit mir!" rief er dem Gefangenen zu. "Wieso?" fragte der Mensch.
Wieso? Nun war der Vishýn irritiert. Der Mensch musste schon vergessen haben, was die Freiheit war die er städig verlangte. Die Wärter hatten ihn irgendwie psychisch an sich gebunden, so dass er nun glaubte ohne sie nicht mehr leben zu können. "Komm mit mir; ich befreie Dich!" beschwor der Vishýn den Menschen.
"Nein, warte Du hast da was missverstanden...." wollte der Mensch sagen, aber der Vishýn war schneller. Wenn er schon nicht imstande war selbst zu fliehen, so musste er ihn eben zwingen. Er ergriff den Arm des Menschen und zog ihn mit sich. Die rosige Haut riss unter seinem Griff ein, und tiefrotes Blut quoll hervor. Vor Schreck lies er den Menschen los. Das hatte er nicht gewollt. Er wollte ihn befreien, und nicht verletzen.
Er hatte nichtmehr viel Zeit darüber nachzudenken. Kräftige Hände zerrten ihn weg. An der Decke blinkte nun der Sensor wieder, die Zeit war abgelaufen. Widerspruchslos lies er sich abführen. Er hatte seine Chance verspielt. Warum? Warum nur hatte sich der Mensch geweigert in die Freiheit zu flüchten?

Jack Alvos betrachtete missmutig den Verband, der die vier Schnitte an seinem Unterarm umschloss. Der stechende Schmerz war noch vorhanden, aber de Wirkstoffe die das Material abgab machten ihn erträglich. "Alles in Ordnung `Ack?" hörte er jemanden fragen. Er blickte auf und sah einen großen Vishýn vor sich stehen, der die pelzbesetzte Weste eines Museumswärters trug. "Es geht schon wieder." antwortete er "Und mein Name ist Jack!" "Du weisst dass ich das nicht aussprechen kann!" sagte der Vishýn. "Es tut mir leid was passiert ist. Wir mussten die Sensoren abschalten, und da..." "Macht nichts!" unterbrach ihn Jack Alvos "Letztlich ist es ja nur ein Zeichen, wie gut meine Show ankommt. Der hat ja wirklich geglaubt, dass ich hier eingesprerrt wäre." "Reai" meinte der Vishýn, Jack wusste mittlerweile dass dieses Wort soetwas wie Ja bedeutete. "Die Wand ist bis zur nächsten Vorstellung repariert. Ich habe bald frei, ich lade Dich zur Entschädigung auf was zu trinken ein, wenn du willst." bot ihm der Museumswärter an.
Jack Alvos musste nicht lange überlegen. Das letzte Mal als er mit dem Vishýn etwas getrunken hatte, hatte es in seinem Magen einen Aufstand im Stil der französischen Revolution gegeben. "Vielleicht ein ander Mal." winkte er ab "Entschuldige Davis, aber ich habe noch viel zu tun."

Nachdem er endlich wieder seine Ruhe hatte, ging Jack in seine Wohnung. Das kleine Quartier direkt neben dem Gehege war extra auf seine Bedürfnisse eingerichtet worden. Hier waren Licht und Temperatur ertäglich, beinahe schon angenehm. Auf dem Tisch lag ein toter LuVin, daneben das Sezierbesteck und Notizpad. In einem Monat ging sein Rückflug zur Erde, und dann war bald seine Arbeit über Xenobiologie fällig. Eine Schande dass man neben seinen Forschungen auch noch Geld verdienen musste. Voller Vorfreude dachte er an zu Hause. Aber die kleinen Ausserirdischen zu erschrecken, würde ihm fehlen.

Ende

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Wer aus dieser Geschickte etwas lernen will ist selber schuld. Von Seiten des Autors enthält sie weder Moral noch tieferen Sinn.
Nichtsdestotrotz sind alle handelnden Charaktere, die Welt Toonautheka, sämtliche erwähnten Spezies und das lebendige
Universum an sich gestiges Eigentum des Autors und dürfen nur mit dessen ausdrücklicher Genehmigung verwendet werden.

Ich hoffe diese kleine Story hat zumindest unterhalten. Wer mir sagen kann was ich besser machen soll oder mich einfach nur
loben will schreibt an Wer-Kater@web.de

In diesem Sinne, noch ein schönes Leben.
 
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Kommentare  

Wirklich meisterhaft geschrieben, sowohl vom Stil als auch von der Aussage her.

Jochen (26.03.2009)

Na, dann schreibe ich ihm noch einen. Wirklich eine tolle Kurzgeschichte.

Petra (19.03.2009)

Ich verstehe nicht, dass du überhaupt keinen Kommentar zu deiner Geschichte erhalten hast, denn es ist eine der besten Sciencefictionstories, die ich je gelesen habe.

doska (19.03.2009)

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