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10 Seiten

Tasso Tassini und der Überfall auf die Knüttelstätter Zentralbank

Romane/Serien · Fantastisches
Knüttelstadt wird wegen seiner geografischen Lage besonders von jenen Urlaubern geschätzt, die einfach nur einmal die frische Luft genießen wollen. Vom ganzen Land Himmel kommen die Menschen zu diesem Ort, um auf den breiten Gassen spazieren zu gehen, ihre Kutschen über das gut gebaute Pflaster rollen zu lassen und es sich in einem der zahlreichen Hotels so richtig gut gehen zu lassen. Doch nicht nur aus Himmel, auch aus anderen Ländern strömen die Touristen nur so nach Knüttelstadt. Oft sieht man Zwerge aus dem Land Miene im Paradies, dem schönsten Garten der Stadt, spazieren gehen; Elben und Trolle, die sich am See die Sonne auf die weiße und graubraune Haut scheinen lassen; Werwölfe, die so frohgemut wie zu Hause, hinter den Kutschen anderer nachlaufen. Knüttelstadt ist eben ein Schmelztiegel der verschiedenen Kulturen.
Doch wie in jeder Metropole gibt es auch Orte, die man lieber nicht sehen möchte. Da gibt es das Rotlichtviertel, wo sich selbst Zwerginnen für ein paar Taler die Bärte rasieren; das Verbrecherviertel, wo ein Vampir schneller einen Pfahl im Herzen hat, als er „Sarg“ sagen konnte; und das Finstere-Typen-Viertel, wo eben alle dunklen Gestalten den ganzen Tag das tun, was dunkle Gestalten eben so machen.

Und irgendwo in dieser Gegend saß an jenem Tag Tasso Tassini in der hintersten Ecke eines Wirtshauses und sprach hektisch zu seinen Partnern.
„He! Ihr dürft nur den Bullen nichts sagen, dann ist alles todsicher. Habt ihr das kapiert?“ Tassini war Italiener. Italiener sind Menschen sehr ähnlich, nur haben sie dunklere Haut und sind etwas kleiner gewachsen. Darum saß Tassini auch auf einem hohen Polster, damit er mit den drei Orks etwa in gleicher Augenhöhe war. Seine Beine baumelten nervös in der Luft.
„Aber wenn es so einfach ist, warum machst du es dann nicht selbst?“, fragte einer der Orks und die anderen unterstützten seine berechtigte Frage mit lautem Trommeln auf dem Tisch.
„Aber Klink, ich hab´s euch allen doch schon erklärt, was ist los?“ Tassini strich mit dem rechten Handrücken wild über seine Bartstoppeln. „Du musst dir unsere Beziehung, wie den Körper eines Orks vorstellen. Ohne was kann ein Ork unmöglich leben?“
Die drei Orks sahen sich fragend an. Dann sagte der mutigste: „Ohne Tabak, oder?“ Die anderen bejahten nickend die gute Idee ihres Freundes.
„Ohne Kopf, ihr Söhne einer Elbin! Ohne Kopf kann ein Ork nicht überleben. Oder habt ihr schon einmal einen Ork ohne Kopf gesehen? Ich jedenfalls nicht!“ Die Orks stimmten Tassini zaghaft zu und der Italiener erkannte, das der Kopf eines Orks wohl nicht das beste Beispiel war.
„Ich habe aber noch nie einen Ork mit vier Köpfen gesehen“, bemerkte einer gewieft.
„Wir sind auch nicht alle Köpfe von einem Ork, du Hinterteil eines andalusischen Zombies. Ich bin der Kopf, ich. Tasso Tassini. Und ihr seid die Arme und Beine. Ich denke und ihr macht die Arbeit. Alles klar jetzt?“
Auf diese schlagende Argumentation wussten die Orks nicht, was sie antworten sollten. Endlich, nach eineinhalb Stunden Diskussion war es endlich an der Zeit, die drei Gestalten in seine Pläne einzuweihen.
„Also, alles dreht sich um die Knüttelfelder Zentralbank...“
Da kam ein mürrisch aussehender Zwerg auf die Gesellschaft zu. „Tasso, die Bullen kommen!“
„Die Bullen?“ Der Italiener war überrascht. Wie hatte denn die Stadtwache von ihrem Treffen erfahren. Sicher war das nur Zufall. „Diese verdammte Bullen! Schnell, tut so, als wüsstet ihr von nichts.“
„Was sollen wir nicht wissen?“, fragte noch einer der Orks, als die Tür aufging und die Organisiertes Verbrechen Spezialeinheit der Knüttelfelder Stadtwache das Gasthaus betrat. Es wurde ganz still. Drei ausgewachsene Büffel in Polizeiuniform konnten ganz schön viel Respekt einflößen.
„Guten Tag, Herr Wirt“, sagte der Kommandeur Leutnant Flade. „Knüttelfelder Spezialkommando. Wir möchten uns gern ein wenig umsehen.“
Der Zwerg war so beeindruckt, dass er noch ganze fünf Zentimeter schrumpfte.
Langsam schlenderten die Büffel durch das Gasthaus, schnüffelten an einigen Tischen und blickten in jedes Gesicht.
„Wen haben wir denn da?“, fragte Flade, als seine Gruppe bei dem Tisch von Tasso Tassini ankam. Die zwei anderen Büffel bäumten sich hinter ihrem Kommandeur auf. „Was planst du denn diesmal, Tasso?“
„Was sollte ich den planen?“ Der Italiener setzte seine unschuldigste Mine auf, was sein Gesicht in etwa viertausend Falten legte. „Ich plane höchstens meinen Freunden meine Briefmarkensammlung zu zeigen, sonst nichts!“
„Ist das wahr, Ork?“
„Äh... ich weiß nichts von einer Briefmarkensammlung“, sagte ein Ork.
„Ja, wir wissen gar nix“, sagte ein Zweiter.
„Außerdem dürfen wir Bullen nichts sagen, nicht war Tasso?“, sagte der Dritte.
Leutnant Flade schnaubte wütend durch seinen Nasenring. „Ihr nennt uns also Bullen?“
„Nein, nicht immer!“, sagte der zweite Ork schnell. „Manchmal sagen wir auch Ar...“
„Wie auch immer“, unterbrach Tassini die Einleitung des jüngsten Gerichts. „Wir haben nichts getan und werden auch nichts tun.“ Die Orks nickten zustimmend. Zumindest verstanden sie Fußtritte.
Flade schnaubte noch einmal. „Und was dürft ihr uns „Bullen“ nicht sagen?“
„Was wir euch zu Weihnachten schenken“, sagte Tassini schnell. „Sonst wär´s ja keine Überraschung.“
Doch Flade ließ nicht locker. Er blickte Tassini mit seinen Büffelaugen tief ins Gesicht. Er war schon zu lange bei der Stadtwache, um den Hauch eines Verbrechens nicht schon kilometerweit gegen den Wind zu verkennen. In die Augen des anderen Starren war eine von Flades Lieblingsverhörstaktiken. Dabei musste er sich nicht anstrengen, einfach weiter geradeaus in die Augen seines Gegenübers blicken. Irgendwann brach jeder unter dem Büffelblick zusammen.
Und wirklich wahr. Tassini schwitzte immer mehr. Er hatte das Gefühl, jeden Moment die Knüttelfelder Stadtwache in seine Pläne einweihen zu müssen. Es schien ihm, als bestünde ganz Himmel nur aus einem einzigen Büffelauge, das über ihm wachte und dem er alles erzählen könnte. Selbst die Geschichte, als ihm seine Schwester als Kind sein Olivenölfläschchen weggenommen hatte. Ui, das war gemein gewesen...
Das brachte Tassini wieder in die Realität zurück. Er ergriff die Flasche Olivenöl, die auf dem Tisch stand und schleuderte sie dem Büffel entgegen. Er traf direkt das Auge und die schwarze Flüssigkeit spritzte herum und bedeckte die Szenerie.
Flade schrie, als das Zeug in seinen Augen zu brennen begann und sich nicht mehr wegwischen ließ. Die Welt verschwand und als er wieder sehen konnte, war Tassini verschwunden.

„Er ist viel zu klein für einen Menschen“, sagte Stabswachtmeister Meier von der Stadtwache Knüttelstadt.
„Aber er ist zu groß für einen Zwerg“, sagte sein Kollege Korporal Kleinlich.
„Er ist zu gebeugt für einen Elben“, sagte eine weitere Stimme.
„Und er zu viel hässlich für einen Troll ist.“
Die Stadtwache Knüttelstadt hatte seit diesem Morgen ein weiteres Mitglied, das in der Stadt Recht und Ordnung verbreiten sollte. Doch noch immer schien es unklar, woher der Neue, Obergefreiter Argora, eigentlich stammte. Normalerweise stellte ein Frischling (so wurden die Neuen meistens von den Zwergen genannt) seinen Schreibtisch zu seinen Speziesgenossen, auch wenn das von Oberwachtmeister Karmen und dem Institut für Fremdliche Wesen nicht gerne gesehen wurde.
„Seht mal, seine Schuhe sind doch viel zu groß für seine Verhältnisse“, bemerkte Korporal Margula, die sich zu der Gruppe der Lästerer gesellte. Die anderen nickten, während Obergefreiter Argora angestrengt vertieft seine Unterlagen bearbeitete. Seine Ohren liefen angesichts der Aufmerksamkeit die er erregte, rot an.

„Er hat mit einem Schlag die ganze Spezialeinheit für Organisiertes Verbrechen lahm gelegt“, sagte Gott, als er Oberwachtmeister Karmen und Wachtmeister Klu in seinem Büro gegenüber saß.
„Wie hat er das gemacht?“ wollte Klu wissen.
„Er hat sie mit Olivenöl bespritzt, so dass sie fast gänzlich schwarz wurden. Und ihr wisst ja, wie schwer Olivenöl aus Leder wieder herausgeht.“
Wachtmeister Klu machte ein sehr besorgtes Gesicht, als wäre die Welt auf die Bullen hereingebrochen und hätte alle Kühe lila gefärbt.
„Na und?!“, sagte Karmen verständnislos.
„Weißt du Karmen“, sagte der Bürgermeister geduldig, „bei Kühen verhält es sich so ähnlich wie bei Schafen.“
„Niemand möchte die Schwarze Kuh der Stadt sein“, vollendete Klu, worauf er sich zur Belohnung eine Oblate aus dem goldenen Kelch nehmen durfte.
„Sie sind nun zwei Wochen stationär in der Putzerei aufgenommen“, sagte Gott und lenkte nun zu seinem eigentlichen Anliegen: „Darum müsst ihr euch um Tasso Tassini kümmern.“
„Wir zwei?“, schoss Karmen hervor. Mit dem Organisierten Verbrechen war nämlich gar nicht zu spaßen und da brauchte es mehr als zwei Leute, um einen solchen Fall zu bearbeiten.
„Nein, nein, doch nicht nur ihr zwei!“, sagte Gott und lächelte. „Ihr müsst natürlich Obergefreiten Argora mitnehmen, damit er von den besten lernen kann. Und jetzt: Los! Los!“
Die Hand Gottes schob die Wachen zu der Plattform zurück, die Klu und Karmen wieder hinunterbeförderte.
„Na das kann ja lustig werden“, sagte Karmen mürrisch.

In der Wache wurden inzwischen die drei Orks abgeführt, die Stunden zuvor am Tisch von Tasso Tassini gesessen waren. Dieser Vorgang war nicht unbedingt dem Gesetz entsprechend, schließlich durften in der freien Welt Himmel keine Personen einfach nur auf Verdachtsvermutung festgehalten werden. Allerdings waren die Orks auch nicht unbedingt gebildet in Gesetzesdingen (ehrlich gesagt, hielten sie Juristen für Drachen, die in der Urzeit auf der Welt lebten, aber schon lange ausgestorben waren) und aufgrund so vieler „nicht unbedingt“ wurden sie in das Verhörszimmer geführt, ohne, dass sie irgendwelche Widersprüche von sich gaben... von den Üblichen Einwänden einmal abgesehen.
„Lasst uns sofort los!“, brüllte ein Ork.
„Wir haben nicht getan!“, sagte ein weiterer.
„Wir kennen nicht einmal Tassinis Nachnamen!“
„Gut das reicht!“, sagte Korporal Kleinlich, der trotz des Größenunterschieds ziemlich gut in der Handhabung von gefangenen Orks war. „Seid lieber leise, bevor ihr euch noch tiefer in den Schlamassel redet!“
Derweil waren Karmen und Klu in der Wache eingetroffen.
„Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass Argora der Sohn eines Trolls und einer Zwiebelhändlerin ist“, sagte Wachtmeister Klu zu seinen Kollegen, die noch immer rund um den Neuen versammelt waren.
„Wieso kannst du dir das nicht vorstellen, Klu?“, fragte ein Zwerg und machte eine Miene, die darauf hindeutete, dass er Schlaumeier hasste. Überhaupt fanden viele, dass Klu´s Vorfahren einfach das „gscheißer“ aus ihrem Namen haben löschen lassen.
„Weil es schon seit über fünfhundert Jahren keine Zwiebelhändlerinnen mehr gibt. Nicht einmal in der Eiermark, der Hochburg der Zwiebel.“
Die anderen stöhnten angesichts der Fantasielosigkeit ihres Kollegen, über die sich auch Oberwachtmeister Karmen oftmals ärgerte.
„Kark, ich brauche jetzt deine Unterstützung beim Verhör“, sagte der Oberwachtmeister beim Vorbeigehen und ein Troll löste sich aus der Menge und folgte seinem Vorgesetzten.
„Guter Wachmann böser Wachmann?“, fragte Wachtmeister Kark.
„So ist es.“
„Diesmal darf ich sein der gute Wachmann?“, fragte der Troll.
Oberwachtmeister Karmen blieb stehen und sah seinen Kollegen an: Die dunkelbraune Haut, den großen Kopf, der sich in etwa zweieinhalb Meter Höhe befand und den großen Mund, der zwar nicht spitze, aber ungeheuer viele Zähne beinhaltete. Nur seine Augen blickten ihn gutmütig an.
„Ich glaube es ist besser, wenn wir diesmal alles beim alten lassen.“
Kark nickte.
Als sie in das Verhörszimmer eintraten, waren die Orks still und starrten demonstrativ geradeaus.
„Also, Jungs, wenn ihr mir sagt, was Tassini vorhat, könnt ihr sofort wieder losgehen und euch schöneren Dingen widmen.“
Die Orks blieben stumm und versuchten, weiterhin auf einen Punkt in der Ferne zu blicken.
Karmen seufzte gespielt und sagte: „Darf ich euch meinen Kollegen vorstellen: Wachtmeister Kark. Eigentlich war er Chef der Wache, doch er wurde degradiert.“
„Was war denn geschehen?“, fragte einer der Orks, ertappte sich dabei, vom ausgemachten Plan abzuweichen und verzog das Gesicht.
„Naja“, sagte Karmen und seufzte wieder, „eigentlich darf ich’s euch ja nicht sagen, aber er hat drei Vampire gefressen, die hier im Verhörzimmer nicht aussagen wollten.“
Kark verzog innerlich das Gesicht. Er hasste Gewalt und mochte es gar nicht, wenn sein Chef so sprach. Aber es erzielte seine Wirkung.
Die Orks taten sich nun sichtlich schwer, den Punkt in der Ferne anzuvisieren und nicht auf Kark zu blicken. Der Troll konnte, wenn er wollte, ein ziemlich fieses Gesicht machen.
Die Orks nahmen sich fest vor standhaft zu bleiben und nichts zu sagen. Kark öffnete langsam den Mund und als er seine Zähne enthüllte, fiel die Knüttelfelder Zentralbank, drei Raubüberfälle wurden gestanden und dreizehn weitere Verbrechen aufgedeckt.

„Grüß den Bürgermeister und herzlich Willkommen bei der Knüttelfelder Zentralbank! Was kann ich für Sie tun?“
Der Schalterbeamte war neu und irgendwie war Herr Berck nicht darauf eingestellt. Wie die meisten Trolle mochte er Veränderungen ganz und gar nicht.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Schalterbeamte geduldig.
„Ich brauchen Geld“, sagte der Troll.
„Da sind Sie ja hier genau richtig!“
„Ja, Frau mir schon sagte, öffentliche Toiletten nicht der richtige Ort dafür!“
Ein Hauch an Verwirrung huschte über das Gesicht des Schalterbeamten. Dann fragte er: „Wie viel brauchen Sie denn?“
„987.351“
Wieder Verwirrung. Der Hauch wurde zu kräftigeren Pusten.
„Das seien Kontonummer. Du immer brauchen zuerst Kontonummer. Dann fragen Geld.“
„Ach, ja, richtig.“ Der neue Schalterbeamte war selbst in den Augen eines Trolls ziemlich schlecht für diesen Job geeignet. Es schien sogar so, als hätte er bis heute etwas anderes getan und auf unerklärliche Weise den Beruf gewechselt. Das dachte der Troll, nur ohne konjugierte Verben, die es auf Trollisch sowieso nicht gab.
Umständlich schrieb der Schalterbeamte Zahlen und Worte auf ein Blatt Papier, öffnete eine Lade und suchte dann darin. Er zog eine Registerkarte heraus und blickte den großen, schon etwas ungeduldig wirkenden Troll an.
„Sie sind nicht zufällig Frau Kleinkram, oder?“ Der Bankangestellte kniff die Augen zusammen und massierte sich das Kinn.
Der Troll wollte gerade entgegnen, dass es eine Unverschämtheit sei, ihn mit einem Zwerg zu verwechseln, als plötzlich jemand schrie. Berck drehte sich langsam um und erblickte einen ziemlich großen, bartlosen Zwerg mit glänzenden, schwarzen Haar. Er hielt eine gespannte Armbrust in der Hand.
„Hey! Ihr seid alle ganz ruhig, verstanden?“, brüllte der Bankräuber und zielte mit seiner Waffe auf den Troll, der im Moment der einzige Kunde der Knüttelfelder Zentralbank war. Außer ihm waren noch drei Schalterangestellte zugegen. Alles schwache Menschen.
„Das hier ist ein Überfall, kapiert?“ Tasso Tassini näherte sich dem Troll und hielt ihm die Armbrust an den Bauch. Eigentlich hatte der Italiener vorgehabt, die Armbrust an die Schläfe zu halten, aber er bewegte sich auf der falschen Seite eines Größenvorteils.
„Du mir nicht weh tun!“, sagte der Troll etwas eingeschüchtert.
„Wenn ich das Geld bekomme, dann passiert niemanden etwas!“
Herr Berck sah zu dem Schalterbeamten und dachte, dass es irgendein vertrolltes Pech sein musste, gerade bei einem Banküberfall Kunde eines unerfahrenen Kassiers zu sein.
Aber der Troll täuschte sich. Blitzschnell sprang der Bankangestellte über die Theke und schleuderte den Räuber von seiner Geisel weg. Tassini schliff etwa zwanzig Zentimeter über den Boden, bevor er an einer Wand abprallend zum Stillstand kam.
„Das Spiel ist aus, Tassini!“
„Knüttelfelder Wache, du bist verhaftet!“ Die drei Männer, die sich neben dem Troll in der Bank befanden, rissen sich ihre falschen Bärte, Brillen und Perücken vom Leib und gingen auf den Italiener zu.
„Verdammtes Pech!“, dachte dieser. „Diese blöden Orks mussten gestanden haben! Multo Stupido!“
Tassini hatte allerdings doch irgendwie Glück in diesem Unglück (was sich später, angesichts der Kratz- und Bisswunden, wiederum als Unglück herausstellte). Der kleinste der drei Wachleute, der mit den viel zu großen Schuhen, rutschte plötzlich aus. Tassinis Haare hatten einen unsichtbaren Ölfilm am Fußboden der Bank hinterlassen. Der Wachmann jaulte vor Überraschung auf und Tassini stürzte sich auf ihn, bevor die anderen noch wussten, was geschah. Er Hob seine fallen gelassene Armbrust auf und richtete sie auf den Wachmann. Diesmal wirklich an die Schläfe. Von einem Moment auf den anderen war die Situation wieder ausgeglichen, man mochte fast sagen, auf Tassinis Seite.
„Na, was sagt ihr jetzt, blöde Wachmänner?“
„Ich bin Oberwachtmeister Fred Karmen“, sagte Fred offiziell. „Lassen Sie die Geisel sofort frei, dann passiert Ihnen nichts!“ Die beiden Wachmänner hatten mittlerweile ihre Armbrüste gezückt und auf Tassini gerichtet. Doch sie konnten sie nicht benutzen ohne der Gefahr zu unterlaufen, ihren Kollegen zu treffen und das wusste der Italiener. Nun würde er entkommen, ein Pferd besteigen und über alle Berge sein, bevor die Wachleute ihn verfolgen konnten. Er hatte zwar keine Beute gemacht, aber sein Ruf würde nach einem solchen Auftritt zumindest in den Bereich Tagedieb aufsteigen, was ihm vielleicht sogar Aufträge von der Diebesgilde bringen würde. Und wenn er seine Geisel erschoss? Kaltblütig, mitten am Tag auf offener Straße? Dann wäre er vielleicht sogar ein Kleinkrimineller.
„Ich habe nicht vor, der Geisel etwas zu tun“, log er und näherte sich dem Ausgang. „Ich will nur auf die Straße, dann lass ich sie frei.“
In die Ohren des Wachmanns, der anscheinend neu bei der Wache war, flüsterte er: „Das stimmt nicht. Wenn wir draußen sind, dann werde ich dich erschießen, wie eine räudige Katze!“
Der gefangene Wachmann jaulte auf. Tassini hörte es irgendwo knacken, so als ob ein Kind einen Stock brach, den es im Wald gefunden hatte. Er dachte weiter Richtung Karrieresprung. Vielleicht bekäme er dann sogar ein paar Söldner als kleine Armee. Dann würde er keine Orks mehr benötigen.
Wieder ein Knacken.
Nie wieder Orks, die an all dem Schuld waren.
Schon war aus dem Kind, das einen Stock bricht, ein paar Kinder geworden, die einen Baum folterten und schließlich eine Schar Schüler, die vor hatten, aus einem ganzen Wald Kleinholz zu machen. Tassini blieb stehen und merkte, dass er die Armbrust nicht mehr an eine Schläfe sondern an einen Nacken (eine breiten, haarigen Nacken richtete) hielt. Der gefangene Wachmann jaulte wieder auf.
Fast unmenschlich, dachte Tassini, beinahe wie ein...
„Beim Olivenhain meines Vaters...“, murmelte der Italiener als er sich plötzlich Angesicht zu Angesicht mit einem zähnefletschende Wolf sah.
Warum ich?, fragte er sich und ließ die Armbrust fallen.
Der Werwolf stürzte sich auf ihn.

Die anwesenden Beamten der Knüttelfelder Wache waren sehr betroffen, als Oberwachtmeister Karmen und Wachtmeister Klu Tassini in die Zelle steckten. Wo war Korporal Argora? Ist der Neue etwa gleich beim ersten Einsatz ums Leben kommen? Ach du meine Güte, welch Unglück!
Stabswachtmeister Meier deutete mit den Augen auf Tassinis nackte Füße und gab Korporal Kleinlich zu verstehen, dass alles auf einen Kampf hindeutete und,... oje, welch Unglück! Man kann das gar nicht oft genug sagen.
Karmen bemerkte die Blicke seiner Kollegen und schmunzelte. Wenn die wüssten...
Er pfiff mit Zeigefinger und Daumen und ein Wolf stürmte wild hechelnd bei der Tür herein. Kleinlich und Meier waren entsetzt. Tiere und Dämonen waren auf der Wache streng verboten! Der Wolf kaute genüsslich auf einen Schuh, der genau zu Tassinis kleinen Füßen passte. Als der Wolf die Blicke der Wachleute erkannte knurrte er tief und herzhaft. Langsam ging das Knurren in ein Kichern und schließlich in ein Lachen über und aus dem wilden Wolf wurde Obergefreite Argora.
„Sie leben ja, Herr Obergefreiter!“, rief Stabswachtmeister Meier überrascht hervor. „Und kein Wolf wird mich zerfleischen, denn der sind ja Sie!“ Er machte eine kurze Pause und runzelte die Stirn. „Nicht wahr? Sie werden mich nicht fressen!“
„Nein, nein!“, antwortete Argora schüchtern.
„Gut so, Obergefreiter“, Meier mimte wieder den Stabswachtmeister. „Das macht man mit seinen Vorgesetzten nämlich nicht!“
„Ich weiß“, antwortete der Werwolf gehorsam und setzte sich an seinen Schreibtisch, um den notwendigen Papierkram zu erledigen.

Tasso Tassini wurde ins Himmlische Staatsgefängnis überführt, wo er für sieben Jahre und zwölf Monate Arbeiten am Steinbruch verrichten sollte. Es dauerte keine zwei Wochen, da lernte Tassini zwei Orks kennen, die sich entfernt an Tasso Tassini erinnern konnten, aber im Moment gar nicht wussten, wer oder was das sein soll.
Zwei Tage nach dieser Bekanntschaft verunglückten drei Orks beim Steinesammeln tödlich.
„Ja, ja, es war furchtbar“, berichtete einer der Wärter gegenüber der Himmlischen Tageszeitung. „Steinschläge kommen in letzter Zeit öfter vor. Unser Steinbeißer, der die losen Steine normalerweise vom Gipfel frist, ist leider krank – das Gulasch in der Kantine war zu schwer für ihn und hat sich auf seinen Magen geschlagen. Jedenfalls gab es einen Steinschlag, doch anstatt wegzurennen, liefen die Orks unter die Steine und wenn sie mich fragen, sah es so aus, als ob sie sie auffangen wollten. Ich weiß nicht, wie sie auf eine so blöd Idee kommen konnten.“
Drei Tage nach dem Interview fand man in der Zelle Tassinis ein Loch im Boden. Von dem Gefangenen fehlte jede Spur.
„Auch das ist komisch“, berichtete der Wächter. „Aber wenn Sie mich fragen, gibt es für diesen Vorfall nur eine Erklärung: Spontane Lochbildung. Der arme Tassini war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und, bumbs!, er ist ins Loch gefallen. Natürlich haben wir es sofort zugebuddelt damit so etwas nicht wieder passiert.“
Was der Wärter nicht wusste, war, dass hundert Meter neben der Gefängnismauer noch eine spontane Lochbildung passierte und Tassini wieder ausspuckte.
 
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