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6 Seiten

Résumé eines Hoffnungslosen

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
"Angeklagter ! Plädieren Sie im Fall des Mordes an Agatha Dreyfuss auf schuldig oder nicht schuldig ?"
"Schuldig."
Ich log an diesem Tag. Ich war es nämlich nicht, der sie ermordet hatte. Aber die Umstände ließen es so aussehen, als wäre ich es gewesen, und so ging ich darauf ein. Was hielt mich überhaupt noch in dieser Welt !?
Es war der 27. Oktober dieses oder jenen Jahres - egal - es hätte jedes Jahr sein können, waren sie doch alle gleich. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wie alt ich war, sonst hätte ich vielleicht zurückrechnen können, aber wozu.
Jedenfalls, merkwürdige Umstände brachten mich in diese, für manche vielleicht "unangenehme" Situation, doch besaß ich schon seit Jahren die wundervolle Gabe, aus allem das für mich Beste herauszuholen. Als ich zum Beispiel im Zuge der Interrogation beschuldigt wurde, raubkopierte Software aus dem Internet zu beziehen, wandte ich mich mit einem Augenzwinkern an den Richter, ob er nicht auch schon mal das Internet nach illegalen Materialien durchstöbert hatte. Hach ja, Provokation als Grundsatz ... kommt bei Autorität nicht gut.
Jedenfalls - ach ja, was ich mich schon die ganze Verhandlung fragte: wieso ich meine eigene Vermieterin ermorden sollte, verdiente ich doch nicht einmal genug Geld, um meinen Strom und mein Gas zu zahlen. Sie war eine nette, alte Dame, der ich früher sehr gerne, als Kind noch, bei den Hausarbeiten half. Deshalb ließ sie mich auch so günstig bei ihr wohnen.
Aber man stellte es so hin, dass ich es wegen der Geldes tat, das ebenfalls gestohlen war, ebenfalls nicht von mir. Es klang allerdings doch ziemlich plausibel, also willigte ich mit mir ein und befand mich am Mord blahblahblah schuldig, im Sinne der Anklage.
Meinen Job war ich ohnehin bestimmt los und vielleicht steckten mir ein paar schwule Bullen in der Dusche im Gefängnis ja ein paar Scheine zu !
Jedenfalls - ach ja, der Mord ! Ich hatte die Wohnung neben ihrer und auch einen Schlüssel, da sie schon alt und hilfsbedürftig war und mir vertraute, wozu ich ihr auch lange Jahre hindurch Grund gab. Jedenfalls brach irgendwer irgendwann bei mir ein, dann bei ihr und dann wieder bei mir, um genügen Spuren zu hinterlassen, die den Verdacht auf mich fallen ließen. Clever eigentlich, muss ich zugeben !
So war ich also vor den Augen des Gesetzes schuldig eines Mordes. Was solls, die Gesetze folgen sowieso nur Scheinwerten und schaffen eine Scheingerechtigkeit. Ich war also nur vor einer Scheininstitution schuldig, und das zählte nicht. Im Gegenteil, ich war irgendwie stolz darauf, ein Teil dessen zu sein, was sie falsch machte. Irgendwann vielleicht, irgendwann wird das von Vorteil für mich sein, dass ich sagen kann, ich wurde vom Gesetz zu Unrecht beschuldigt. An irgendeinem Punkt meines Lebens würde sich dann mein Blatt wenden.
Am elektrischen Stuhl zum Beispiel, ha !
Was mich ebenfalls mit Stolz erfüllte, war die Ansicht der Gerichtspersonen meinem Leben gegenüber. Mir wurde teilweise tatsächlich der Eindruck vermittelt, mein Leben sei etwas Wichtiges und ich hatte etwas Wertvolles durch die Anklage verloren. Und teilweise glaubte ich ihnen sogar, was nach kurzem, aber intensivem Nachdenken - und dem daraus resultierenden Nichtbeachten der Verhandlung - in süßlichen Rauch traumhafter Erinnerungen verpuffte: eine Freundin vor langer Zeit, enge Beziehungen schon lange keine, soziale Kontakte nur, wenn ich Geld hatte, und Gespräche beschränkten sich mehr oder weniger auf "Zigaretten bitte - Danke !". Soviel zu meinem Umfeld, mein Job war auch nicht aufregender, beschränkten sich Gespräche doch auf "Ja, Chef." Und "Geh scheißn !", in meinem doch recht hellen Büro, wo ich ständig am Sortieren und Kategorisieren war. Auch furchtbar toll.
Der einzige Reiz, den mein Leben mir bot, war das herunterladen raubkopierter Software aus dem Internet. So gesehen war ich also doch schuldig ! Beruhigend für eine kleine, perverse Fraktion meiner vertrackten Gewissensmannschaft.
So, jetzt wird's spannend, das Urteil. Was verschreiben mir diese arroganten Kokser für meine verstaatlichte Zukunft ? Drei Jahre und psychologische Betreuung ?? Ha, meine Großmutter konnte mich besser bestrafen ! Moment, nein, sie starb jung an einer Nervenkrankheit, die sie inkontinent und stumpfsinnig an den Rollstuhl fesselte, und mich meine Mutter eigentlich noch um Vieles mehr strafte, indem sie mich zu Verwandtenbetreuungswochenenden in der Heilanstalt zwang. Gott, ich hasste sie, alle beide. Nächte lang, als ich noch sehr jung war, knabberte ich an meinen Fingernägeln und Stofftieren und weinte aus Angst, ich selbst könnte morgen sabbernd aus dem Bett plumpsen. Und wo war da die psychologische Betreuung, häh ? Psychologische Betreuung ! Ha, wozu ? Nur weil ich dem Staatsanwalt beteuerte, er könne seine Fragen nach seinem Belieben beantworten, da mir sein Geschwafel ohnehin egal war ? Hach, Provokation als Grundsatz ... zeiht bekanntlich bei Autorität nicht.
In meinem Kopf läuft gerade von Grom Just another perfect day. Ach ja, can't turn away. Aber es gab auch schöne Momente in meinem Leben. Ich hatte meine Freunde früher viel öfter gesehen und es waren gute Freunde, weshalb wir uns auch zu gemeinsamen Abenden miteinander herabließen. Wir trafen uns oft. Wir stellten wirklich einiges auf die Beine, intellektuell zumindest. Das verging leider alles viel zu schnell.
Aber das sind Erinnerungen, Abstrakta. Und wofür braucht man dazu 35 qm, da reichen 10 auch.
Es gab eine Zeit, da reflektierte ich alles. Ich war viel alleine, weil fast alle meiner Freunde im Ausland waren, was ich mir nicht leisten konnte und damals bewusst auch nicht wollte. Ich hatte meine Ideale noch mit stolzer Brust auf meiner hohen Stirn getragen, bis ich mit gerümpfter Nase gegen einen harten, kantigen Balken stieß, der mir das Bewusstsein raubte. Erst jetzt bin ich aufgewacht, vor ein paar Zeilen erst.
Jedenfalls - ach ja, in der Zeit, als ich meine vergangenen, wunderschönen - aber vergangenen - Erlebnisse reflektierte, es war der Zeitpunkt des kurzen, stichflammenartigen Aufflackerns der Vernunft in meinem Lebenslauf, ich war zufrieden - auch mit meiner Arbeit - hatte halbwegs Geld und sogar Motivation, etwas zu tun ! Egal was, ich wollte für irgendwas da sein. Mich transzendieren, wie man so schön sagt. Und es gelang: ich arbeitete ernsthaft an einer wissenschaftlichen Arbeit, für etwa zwei Monate. Dann kam wieder eine dieser Phasen, die - ach, gepriesen sie, wer sie nie hatte - allerdings bis scheinbar heute anhielt. Die Arbeit liegt noch genau so in meinem Schrank, wie vor was weiß ich wie vielen Jahren. Nur die Bücher habe ich in die Bibliothek zurückgetragen, als ich drei Wochen überzogen hatte. Eine wunderschöne Metapher für mein Leben eigentlich: überzogen und zurückgegeben.
Was man mir schon damals nicht abgenommen hatte, war meine Ansicht, man könne auch ohne Geld und sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften glücklich sein. Das funktionierte so lang, wie ich Gleichgesinnte um mich hatte. Doch plötzlich stand mein gesamtes Umfeld mit halbwegs respektablen Einkommen auf der Mitte ihrer Karriereleiter und lachte über mein Haupt hinweg. Ich war wirklich deprimiert. Ich kam mir vor, als wäre ich irgendwie stehen geblieben, statisch im Raum verweilt. Dieses Gefühl konnte ich schon mein ganzes Leben nicht ertragen, doch anstatt irgendetwas dagegen zu unternehmen, zog ich mich immer zurück und unterstützte dieses erniedrigende Gefühl.
Was solls, war ich doch jetzt zu ultimativer Stasis gelangt, gelangt worden.
Jedenfalls - ach ja, als ich meine Freunde und Bekannten in ihren Lebens-Firebirds an mir vorbei ziehen sah, kam mir überheblichem Vollidioten natürlich nichts Besseres in den Sinn, als sie ob ihrer illusorischen Ideale zu verlachen. Damit vergrämte ich alle selbstverständlich und wurde links liegen gelassen - diese Phrase ist doch auch nur unterbewusste Hetze gegen linkes Gedankengut, oder ? Hach ja, Provokation als Grundsatz ... zieht bei Besserverdienenden sichtlich auch wenig.
Vielleicht ist psychologische Betreuung doch keine schlechte Idee. Möglicherweise würde ich durch Behandlung einer vollbusigen, blonden Psychotherapeutin auf den rechten Weg gelangen - da ist es wieder ! Scheiß Unterbewusstsein.
Ups, das mit der Psychologin hätte ich nicht vor dem Anwalt erwähnen sollen. Ja ja, in den Kindergarten könnt ihr mich auch stecken. Lach nur, du ungebildeter Pöbel, du sensationsgeiles, inaktives Pack ! Wenn ihr nur ein wenig über eure Ziele und Ideale nachgedacht hättet, wäre so was wie hier und jetzt möglicherweise gar nicht mehr notwendig.
Jedenfalls - warum lachen die noch immer ? Müssen die mich so schadenfroh anstarren ? Seid ihr etwa glücklich darüber, dass ein Stück missgebildeter Gesellschaft endlich aus dem Blickfeld geschafft ist ? Das hat doch keinen Sinn ! Ich bin genauso unwichtig, wie eine schmutzige Teppichfranse, genauso egal wie vorher. Da könnt ihr genauso irgendeine beschissene Quizshow schauen und laut auflachen, wenn wer eine Frage nicht richtig beantwortet und rausfliegt. Genauso egal !
Der gute, alte und schwule Platon hat bereits das Geld beklagt, genauso wie Aischylos. Oder war es Sophokles ? Aristoteles hat den Geldhandel sogar als "widernatürlich" bezeichnet ! Das waren zwar alles weltfremde Idealisten und Träumer, aber die reine Vernunft von Kant gilt ja selbst heute noch als vorbildlich, soll gelten. Also muss da doch irgendetwas dran sein ... sag ich jetzt einmal so.
Jedenfalls - ach ja, da fällt mir ein, man hat mir nicht geglaubt, als ich beteuerte zu meinen, die heutige Marktwirtschaft würde genauso geführt, wie der Faschismus vor 60 Jahren, nur auf einer anderen Ebene, wo Menschen nicht körperlich betroffen seien, und der deshalb nicht ernst genommen würde. So gesehen wäre jeder Chef eines monopolistischen Unternehmens wie ein kleiner Hitler. Süß, gell ?
Auf jeden Fall glaubte man mir das nicht. Aber als ich mich der Mordes schuldig befand, glaubte man mir natürlich. Subjektive Arschlöcher. (Moment ! Eigentlich bin ich ja genauso subjektiv. Das ist lustig.)
Wenn ich genau nachdenke, kann ich mich eigentlich gar nicht so genau an meine Zeit in Haft erinnern. Diese Episode schien nahtlos an mein bisheriges Leben anzuknüpfen und war von Eintönigkeit und Tristesse gebrandmarkt. Jeden Tag zur selben Zeit aufstehen und schlafen gehen, jeden Tag dieselbe Arbeit. Ich hatte keine romantischen Erlebnisse mit Zellgenossen oder Duschkameraden teilen dürfen, und Besuch kam nur wenige Male. Es waren stets meine Eltern, doch die Gespräche waren nur weitere Bausteine im kalten, harten Block, der mein Leben formte.
Wenigstens musste man sich keine Gedanken machen, rausgeschmissen zu werden, weil man die Miete nicht zahlen konnte. Es war tatsächlich nur eine Verschiebung des Ortes, der schwarze Fleck blieb derselbe.
Jedenfalls - nein, Moment ! Es gab Veränderungen. Ich hatte dort mehr Freunde, oder, weniger Freunde, eher Menschen, mit denen ich friedliche Gespräche führen konnte. Ich traf dort auf ziemliche Einstimmigkeit, was meine anti-kapitalistische Einstellung betraf. Es herrschte dort eigentlich allgemein eine Abneigung gegen alles, was mit Geld zu tun hatte. Auch solche, die trotz ihres Vermögens einmal im Gefängnis gelandet waren, waren verachtet und verstoßen. Warum dann so viele wegen Bankraub, oder ähnlichem saßen, war mir nicht ganz klar. Aber vor dem Gesetz gehörte ich ja quasi dazu.
Wenn Schubladisierung nicht mit der Persönlichkeit dessen, den man zu schubladisieren versucht, zusammenhängt, lässt sich das Ganze auch gar nicht ernst nehmen. Aber das ist ja schon immer ein Problem gewesen, dass Menschen nach subjektiven Kriterien und nicht nach objektiven kategorisieren. So fügte ich mich da eigentlich ganz passabel ein. Wie ein Bankier oder Generaldirektor.
 
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Kommentare  

An sich gefällt mir die Geschichte richtig gut. Nur teilweise fand ich es ziemlich schwer, den Gedanken des Protagonisten zu folgen, weil so viel zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her gesprungen wird.
Aber sonst echt cool.


Lena N. (04.02.2005)

Sehr gute Geschichte. Es stimmt einfach alles, sogar der Rahmen und der Stil. Schreibt man Résumée nicht mit zwei e oder ist das nur eingedeutscht?
Gruß,


Eden (03.02.2005)

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