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16 Seiten

REGINA

Romane/Serien · Trauriges
Du bist nicht mehr dort, wo du warst, aber du bist überall dort, wo wir sind.


Ich habe Regina gut gekannt, sie war eines der hübschesten und beliebtesten Mädchen in unserem Dorf. Sie war ausgeglichen, ruhig, freundlich und höflich, eine gute Freundin, mit der man Pferde stehlen konnte und gleichzeitig eine gute „Mutter“ ihrer jüngeren Geschwister, weil sie früh ihre Mutter verloren hatten. Das waren Vorzüge, die nicht jeder hat und die von der Welt nur selten bedankt werden

Ich habe Regina gut gekannt, sie liebte alles Schöne und Erhabene, dass die Welt zu bieten hat, bunte modische Kleidung, gutes Essen, Unterhaltung und Kino, tolle Musik in der ganzen Bandbreite von Klassik bis zu den neuesten Hits, nur schön musste es sein. Aber sie konnte auch lernen wie keine andere, sie war ehrgeizig und wollte es zu etwas bringen im Leben. Ihr großes Interesse galt der Kunst, Malerei und Literatur. Sie schloss gerne Freundschaften und war immer bereit, anderen zu helfen, nur selten hörte man ein lautes Wort von ihr und sie wirkte bescheiden und mochte es nicht, sich in den Vordergrund zu spielen.

So wie ich Regina gekannt habe, war sie das liebenswerteste Geschöpf, dass man sich vorstellen kann, sie hatte das Leben noch vor sich und sie blickte freudig in die Zukunft. Sie machte nur einen Fehler, sie dachte, alle Menschen wären so wie sie, bis sie die Realität ganz nah erlebte, sie liebte das Leben und die Welt, aber die Welt liebte sie nicht.

Ich kann auch nicht besonders stolz auf mich sein, ich habe nie verstanden, in welcher Notlage sich Regina befunden hatte, ich habe nie begriffen, dass es ihr schlecht ging und ich habe nie daran gedacht, dass sie Zuneigung gesucht hat. Sie hat aber auch nie etwas gesagt, sie hat schweigend gelitten und sich immer mehr zurückgezogen und vertraute sich niemandem an, vielleicht dachte sie, dass die Menschen von selbst draufkommen würden, dass sie innerlich um Hilfe rief und am leeren Echo, dass ohne Antwort blieb, verzweifelte. Ich bezweifle aber auch, dass ich ihr hätte helfen können, sie hat sich in eine Opferrolle hineingesteigert, die ihr aber schließlich zuviel wurde. Manche Menschen scheinen zum Leiden geboren zu sein.


Reginas Unglück begann, als Gabi in unser Dorf zog, sie war alles, was Regina nicht wahr, selbstherrlich, arrogant, hartherzig und egoistisch. Ihre Interessen fingen bei Mode an und hörten bei Geld auf. Sie war zu keinem Gefühl fähig und liebte eigentlich nur einen Menschen, nämlich sich selbst. Trotzdem verstand sie es, einen Freundeskreis um sich zu scharen, die so genannte Clique und bald war es soweit, dass alle, die nicht in dieser Clique waren, eigentlich nicht dazugehörten. Sandra und mich berührte das nicht, wir kümmerten uns einfach nicht um Gabi und ihre dummen Gänse, lachten über ihre Eitelkeiten und gingen unsere eigenen Wege, Freundinnen hatten wir selbst genug.
Regina war schlechter dran, aus irgendeinem Grund hasste Gabi sie besonders und tat alles, um ihr Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Aber ich und Sandra haben die ganze Geschichte von Anfang an erlebt und so will ich sie auch erzählen.

Es war ein Sommernachmittag im Park, Sandra und ich hatten uns ein paar Comics mitgenommen und saßen lesend auf einer Bank. Da sahen wir Regina den Weg entlang schlendern, wir kannten sie nur als fröhliches Mädchen und hatten noch keine Ahnung, dass sie Probleme wegen Gabi hatte.
„Hallo Regina!“ rief Sandra, „wie geht’s dir immer? Setz dich ein wenig zu uns!“
Sie verzog den Mund, als wollte sie weinen, aber dann bekam sie doch noch Gewalt über sich selbst, schluckte einmal und lächelte uns mit verschleiertem Blick an. Ihre Augen waren rotgerändert, ich blickte sie prüfend an und war sicher, dass sie geweint hatte.
„Hast du irgendwelchen Kummer?“ sagte ich und Sandra fügte hinzu: „Können wir dir helfen?“
Aber sie schüttelte bloß den Kopf.
„Mir kann niemand helfen“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Gabi ist immer so gemein zu mir und gegen die kommt niemand an.“
„So?“ machte ich verwundert, „warum dass denn? Ich wusste gar nicht, dass ihr Streit hattet!“
„Das ist es ja, wir hatten keinen Streit! Sie mag mich einfach nicht und tut mir immer mit Absicht weh!“
„Dann ignorier sie doch einfach!“
„Das nützt nichts, sie fängt immer an zu sticheln und so und dann kommen die anderen und spotten mich vor allen Leuten aus! Egal wie es ist, aber ich bin immer die Blöde!“
„Was sagt denn dein Vater dazu, er soll einmal mit ihren Eltern reden, dass darf sie doch nicht tun!“
Regina seufzte. „Ach, Vati hat so schon Sorgen genug, der Firma, in der er arbeitet, geht es sehr schlecht und vielleicht muss sie schließen. Er fürchtet sich, dass er arbeitslos wird und wo soll er dann hingehen in seinem Alter?“
So wie meiner war Reginas Vater auch schon ein bisschen älter und in unserer Zeit finden Leute um die fünfzig nur mehr sehr schwer Arbeit.
„Aber du hast doch auch viele Freundinnen“, meinte Sandra. „Zahl ihr die Gemeinheiten doch mit gleicher Münze zurück!“
„Meine Freundinnen sind alle weg“, antwortete das Mädchen. „Gabi hat sie eingekocht, ihnen Geschenke gemacht, Lügen über mich verbreitet und so was alles, jedenfalls schaut mich keine mehr an!“
„Du hast es auch nicht leicht“, sagte ich und wollte ihr den Arm um die Schulter legen, aber das hätte ich nicht tun sollen.
Sie stand auf.
„Danke für dein Mitleid“, sagte sie hart und wollte weg gehen, „aber ich brauche es nicht, ich schaffe dass schon allein und lass mich nicht unterkriegen!“
Sandra und ich standen auch auf. „Komm, geh nicht weg“, bat ich. „Ich hab’s nur gut gemeint. Weißt du was, komm mit nach Hause, wir machen uns einen lustigen Nachmittag, du wirst sehen, es gefällt dir!“
Zuerst wollte sie nicht, aber dann konnten wir sie doch überreden.
Zu dritt stiegen wir den Bergweg hinauf und ahnten dabei nicht, dass wir beobachtet wurden. Gabi und Doris, eine ihrer Freundinnen, waren uns nachgegangen, aber ohne dass wir es bemerkt hatten.
„Ich hoffe, sie geht alleine nach Hause!“ sagte Gabi gehässig. „So eine Gelegenheit, es ihr mal gründlich heimzuzahlen, kommt so schnell nicht wieder!“
Gabi und Doris fassten einen schrecklichen Plan, sie dachten nicht darüber nach, was sie Regina antaten, sie wollten sich nur „rächen“, ohne eigentlich zu wissen, wofür. Der Wald war tief und dunkel und sie konnten tun, was sie wollten, die einzigen Zeugen würden die Bäume sein und die sind verschwiegen. Aber es lief nicht alles so, wie sie sich das vorgestellt hatten und sie mussten lange warten. Trotzdem sollten sie noch zu ihrem zweifelhaften Vergnügen kommen.
Auf dem Weg zu unserem Haus trafen wir auf Christoph, einem jungen Mann aus dem Dorf, den ich gut leiden kann. Er wanderte gern im Wald herum und sah Regina an, anscheinend hatte er sie noch.nie bewusst gesehen.
„Wer bist du denn?“ fragte er sie.
„Regina“, sagte sie nur, aber ihre Augen, mit denen sie Christophs Blick erwiderte, sprachen Bände.
„Kennst du sie nicht?“ fragte ich verwundert.
So klein ist unser Dorf nämlich nicht, dass jeder jeden kennt, es ist ziemlich groß, hat mehrere Geschäfte, eine schöne, alte Kirche und zieht sich hauptsächlich links und rechts der Strasse und dem Fluss hin.
„Ist mir bisher noch nicht aufgefallen“, sagte er, „aber das war eindeutig ein Versäumnis von mir!“
Christoph ging dann weiter, nicht ohne sich noch ein paar Mal umzudrehen und Regina anzusehen und sie sah ihn ebenfalls an.
Dann gingen wir weiter zu uns hoch und hatten noch einen schönen Tag mit CDs hören, Spiele spielen und so weiter.
Gegen Abend musste Regina aber nach Hause, es war Zeit, das Abendessen zu machen und sich um ihre kleinen Brüder zu kümmern.
„Wir müssen sie in unseren Kreis aufnehmen und uns ein bisschen um sie kümmern“, sagte ich zu Sandra, als wir allein waren. „Das arme Ding hat ja gar niemanden!“
Wenn wir gewusst hätten, was jetzt gerade mit Regina passierte, hätten wir vielleicht noch eingreifen und viel Unheil verhindern können.
Warum hatten wir sie bloß allein gehen lassen?
„Sie kommt!“ sagte Gabi leise zu Doris, die beiden machten sich bereit und als Regina ahnungslos an ihnen vorbei ging, fielen sie von hinten über sie her und stülpten ihr einen Sack über den Kopf.
„So“, sagte Gabi gehässig. „Jetzt wollen wir doch einmal sehen, wie viel du aushältst!“
Christoph hatte seinen Spaziergang beendet und wollte nun auch nach Hause gehen. Rein „zufällig“ führte ihn sein Weg wieder nahe an unserem Haus vorbei, wahrscheinlich hoffte er, Regina noch einmal zu sehen, konnte sie aber nirgends erblicken, da ging er einfach weiter. Als er durch den Wald ging, zuckte er plötzlich erschrocken zusammen. Da stöhnte jemand und der Laut klang so grauenvoll, dass es kaum zu ertragen war. Christoph sprang hin und riss dem Mädchen erstmal den Sack vom Kopf runter.
„Regina!!!“ rief er erschüttert aus und der Schrei verhallte im Wald und brach sich zwischen den alten Bäumen.
Sandra war schon gegangen und ich war allein in meinem Zimmer, als es draußen an die Tür klopfte. Mama machte auf und ich lief auch neugierig die Treppe runter.
Draußen stand Christoph mit der leblosen Regina auf den Armen.
„Um Gotteswillen!“ schrie Mama entsetzt und ich fühlte, wie meine Knie weich wurden. Regina sah schrecklich aus, ihr Gesicht war rot und blutunterlaufen, sie blutete aus dem Mund und der Nase und ihr ganzer Körper hatte blutunterlaufene Stellen und blaue Flecken..
„Was ist denn passiert?“ fragte Mama.
Christoph trug sie ins Haus und bettete sie auf eine Couch. „Ich habe sie so im Wald gefunden“, sagte er. „Wir müssen sie zum Arzt bringen.“
Regina bewegte sich unruhig und wimmerte leise vor Schmerzen.
„Der Arzt wird eine Anzeige machen müssen“, flüsterte ich während mein Herz bis zum Hals raste. Regina tat mir so leid und ich hoffte nur, dass der Arzt ihr helfen konnte. Gleichzeitig bekam ich einen furchtbaren Hass auf Gabi. Wenn ich sie jetzt hier gehabt hätte, hätte ich sie wahrscheinlich bis zum Umfallen geohrfeigt. Für mich gab es keinen Zweifel daran, dass nur Gabi und ihre Freundinnen Regina so zugerichtet haben konnten.
„Na, das will ich hoffen“, sagte Mama, „was hier passiert ist, ist ein Verbrechen!“
Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich wandte mich ab, der Anblick war so schrecklich, dass ich ihn nicht ertragen konnte.
Zum Glück hatte Regina keine wirklich schweren Verletzungen, aber sie musste im Bett bleiben und wurde lange behandelt. Der Arzt wollte natürlich wissen, wie das passiert war und wer es getan hatte. Regina wusste es nicht, weil ihr gleich ein Sack über den Kopf gestülpt worden war.. Und deshalb machte der Arzt zuerst einmal eine Anzeige gegen Unbekannt.
Natürlich wussten wir alle, wer es getan hatte, aber wir hatten ja keine Beweise. Am nächsten Tag gingen Christoph und ich zu der Stelle, wo das passiert war und suchten den Boden ab, in der Hoffnung etwas zu finden, dass als Beweis dienen konnte.
Wir fanden wirklich etwas, aber es war kein tolles Beweisstück, nur ein Haarclip. Er konnte auch von Regina stammen.
Aber der Clip war ihr unbekannt, ihr gehörte er also nicht. Ohne viel zu erwarten, gingen wir damit zur Polizeistation und legten den Clip vor. Der Beamte betrachtete ihn interessiert.
„Das ist gar nicht so schlecht“, sagte er. „Dieser Clip sieht aus, als ob er Teil eines Paars wäre, wenn es so ist, haben wir vielleicht Glück!“
Er ging zu Gabis Haus und durchsuchte ihre Sachen, nachdem er gefragt hatte, ob er es ohne Richterbefehl dürfte. Bei Gabi fand sich nichts, aber bei Doris, sie hatte ein Etui, in dem der andere Clip war, der Polizist nahm ihn und Doris mit auf die Wache und es fanden sich auch Doris Fingerabdrücke darauf.
Als die Polizei den Tatort besichtigte, konnten sie auch Abdrücke von Gabis und Doris Schuhen feststellen.
„Tut mir leid“, sagte der Polizist eisig zu den beiden Mädchen, „aber das ist kein Kinderstreich mehr, ihr habt das Mädchen vorsätzlich gequält und wenn Christoph sie nicht gefunden hätte, wäre sie vielleicht durch den Sack erstickt! Ihr könnt froh sein, dass ihr noch nicht strafmündig seid, sonst würdet ihr ins Gefängnis dafür kommen!“
Die Eltern der beiden mussten hohe Geldstrafen zahlen, Gabi und Doris hatten daraus aber nichts gelernt und die Strafe hatte sie nicht abgeschreckt, sie warteten nur auf eine Gelegenheit, es Regina so heimzuzahlen, dass niemand mehr dahinter kommen konnte, wer den Racheakt durchgeführt hatte.
Die Zeit verging und die Tage wurden wieder kürzer und schattiger und als die ersten gelben Blätter fielen, waren Reginas Verletzungen geheilt. Zum Glück blieben keine Narben zurück. Christoph war eine treue Seele und kümmerte sich in der Zeit rührend um Regina und wir freuten uns für sie, dass sie jemand gefunden hatte, der ihr alle Wünsche erfüllen wollte. Und dass in einer Zeit, wo noch niemand wusste, ob ihre Wunden wieder so verheilen würden, dass sie keine Narben zurück ließen. Er hatte das Mädchen einfach gern, ob sie hübsch war oder nicht. Man sah sie oft Hand in Hand durch den Ort gehen und manchmal hörte man Regina auch wieder lachen.
Als sie eines Tages nach Hause kam, stand ein fremder Mann in der Wohnung.
Ihr Vater war auch da und er stellte ihr den Mann vor: „Das ist der Austauschstudent aus Irland, der für Paul hier ist! Curtiz heißt er!“
Paul war ihr erwachsener Bruder, der für ein Jahr in Irland leben würde, was bedeutete, dass Curtiz ein Jahr hier bei ihnen wohnen würde.
Curtiz hatte dunkles Haar und dunkelbraune Augen, die sie geheimnisvoll und zwingend anblickten.
Regina streckte ihm die Hand hin.
„Welcome in Austria, Curtiz! How are you?“ fragte sie und er lachte.
„Du kannst ruhig Deutsch mit mir reden, ich sprechen es ganz gut!“
Sein Händedruck war fest und warm, er strahlte Sicherheit und Ruhe aus und sie hätte lügen müssen, wenn sie gesagt hätte, dass er sie nicht beeindruckt hatte. Die beiden sahen sich einmal in die Augen und jedem gefiel, was er sah.
Curtiz schlug Regina ziemlich rasch in seinen Bann, es war, als ob sie verzaubert und besessen von ihm wäre. Und Christoph entglitt sie fast unmerklich, sie war ihm immer noch dankbar für alles, was er für sie getan hatte, aber in ihrem Glückstaumel bemerkte sie gar nicht, dass sie anfing, ihn zu vernachlässigen. Curtiz sah nicht nur gut aus und benahm sich selbstsicher und männlich, er war auch fordernd und beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit und so geschah es, dass sie sich von Christoph mehr und mehr abkapselte.
Er merkte das natürlich und grämte sich, aber er sah keinen Weg, zu Regina zurückzufinden. Sie war einfach nicht zugänglich für irgendwelche Worte, ihre Aufmerksamkeit gehörte nur einem einzigen.
Sie ging wie im Traum durchs Leben, sie fühlte sich sicher und geborgen bei Curtiz und er erschloss ihr ganz neue Welten, von denen sie bisher nicht einmal geträumt hatte. Curtiz machte sie auf Dinge aufmerksam, die sie bisher übersehen hatte, es war für sie ein Prozess des Erwachsenwerdens, vielleicht ein schmerzvoller Abschied von der Kindheit, aber gleichzeitig auch der Ausblick auf eine freiere und weitere Welt. Es war eine Zeit des Erwachens für sie, aber wie Schatten lagen fast unmerklich die Gedanken um Christoph über allem.
Gabi beobachtete die beiden und ärgerte sich, dass Regina ein solches Bild von einem Mann für sich gewonnen hatte.
„Der ist doch viel zu schade für die dumme Tussi“, dachte sie immer wieder und im geheimen brütete sie über einen gemeinen Plan.
Nachdem sich Regina und Curtiz schon ein paar Wochen gekannt haben, gestand ihr Curtiz seine Liebe und sie war der glücklichste Mensch auf der Welt.
Eines Tages, als sie zum einkaufen unterwegs war, traf sie Christoph.
„Hi, Regina!“ sagte er erfreut. „Dass man dich auch wieder einmal sieht!“
Sie wurde rot bis über die Ohren. „Ich habe leider wenig Zeit“, sagte sie schnell, „jetzt auch gerade! Der Haushalt und alles andere nimmt mich sehr in Anspruch“
„Oh, schade, oki, vielleicht treffen wir uns ja wieder einmal?“
„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, sagte sie und ging schnell weiter.
Ihr Herz pochte und ihre Wangen glühten, als hätte sie Fieber. Sie steckte in einer gewaltigen Zwickmühle, weil sie sich nicht zwischen Christoph und Curtiz entscheiden konnte. Sie fand beide nett.
Zu diesem Zeitpunkt lauerte das Unheil aber schon im Hintergrund, ohne dass es Regina wusste,
Gabi hatte ihre Fäden gesponnen und Curtiz umgarnt, ohne dass dieser es merkte. Sie versäumte auch keine Gelegenheit, Regina bei ihm schlecht zu machen und ihm „wahre“ Geschichten aus ihrer Kindheit und frühen Jugend zu erzählen. Das machte auf Curtiz zuerst überhaupt keinen Eindruck, er brauchte Gabi nur anzusehen, um sie einschätzen zu können, was für ein Mädchen sie war. Aber steter Tropfen höhlt den Stein und langsam, aber sicher wurde er nachdenklich, wenn er Dinge hörte, wie dass Regina mit zwölf mal in einer psychiatrischen Anstalt gewesen wäre oder dass sie mit elf beim stehlen ertappt wurde. Dies und noch eine ganze Reihe anderer „seltsamer“ Geschichten, brachten ihn langsam aber sicher auf Gabis Seite.
Solche Menschen sind immer gefährlich und erreichen meistens ihr Ziel. Curtiz begann sich unauffällig umzuhören und Nachforschungen anzustellen, aber er hatte keine Ahnung, wie weit Gabis Arm in dem Dorf reichte, sie hatte viele Freunde und die meisten, die Curtiz fragte, bestätigten Gabis Geschichte. Und sie umgarnte ihn immer weiter. Schließlich wurden Gabi und er ein Liebespaar und schlechte Charakterzüge sind irgendwie ansteckend und übertragen sich leichter auf andere als gute. Regina merkte es als erste, dass er nicht mehr so freundlich zu ihr war wie am Anfang, sie verbrachten noch Zeit miteinander und er war nach wie vor bemüht, gut zu ihr zu sein, obwohl ihm das immer schwerer fiel. Trotzdem konnte Regina die große schwarze Wolke, die über ihrem Glück lag, deutlich spüren, es fingen auch andere in dem Dorf an, ihr aus dem Weg zu gehen oder zu tuscheln, wenn sie sie sahen. Und da sie nicht wusste, was über sie erzählt wurde, konnte sie sich auch nicht wehren.
Eines Tages sagte er: „Ich habe übrigens eine Freundin!“
Regina zuckte zusammen. „Außer mir?“ fragte sie mit zitternder Stimme.
„Ja!“
„Aber du hast mir nie gesagt, dass du eine Freundin hast!“
„So ist es nun mal!“
Regina war stärker als es den Anschein hatte und sie konnte auch das noch ertragen. Zuerst wollte sie sich von Curtiz trennen und ihm nahe legen, aus dem Haus auszuziehen, aber dann kam er wieder und konnte ganz anders sein, freundlich und charmant und er erinnerte sie, was sie alles zusammen schon erlebt hatten und dann schmolz sie wieder dahin. Und Gabis und Curtiz infame Saat begann aufzugehen. Wie das bei bösen Gerüchten immer ist, erfand jeder, der sie weiterverbreitete noch was dazu und am Ende stand Regina als Irre, als Diebin und chronische Lügnerin da, der man nicht trauen konnte.
In dieser Zeit geschah es, das Regina Christoph nach längerer Zeit wieder sah.
„Hallo Christoph!“ begrüßte sie ihn.
„Hallo!“ sagte er kurz und nicht so freundlich und freudig, wie sie es von ihm gewöhnt war. So schroff kannte sie ihn überhaupt nicht.
„Wie geht es dir?“ fragte sie.
„Geht!“
„Und was machst du denn immer so?“
„Dies und Das!“
Da fiel es Regina wie Schuppen von den Augen.
„Hat Curtiz mit dir etwa auch schon geredet?“
„Ja, hat er!“
„Aber sag mal, ich habe keine Ahnung, was er von mir erzählt, aber dass das alles nicht wahr ist, solltest du doch wissen.“
„Das sagst du so, ich glaube, ich habe dich nie richtig gekannt!“
„Und du glaubst seine Verleumdungen?“
„Ich weiß es nicht!“
„Christoph! Ich brauche einen Freund! Ich dachte, du würdest auf jeden Fall zu mir halten!“
„Ich weiß nicht, was ich denken soll. Es ist ja nicht nur Curtiz, der das sagt, andere tun es auch.“
„Aber was es auch ist, das stimmt alles überhaupt nicht, das musst du doch wissen!“
„Ich weiß gar nichts, nur, dass du nie die Wahrheit über dich gesagt hast!“
„Aber Christoph, sei nicht so zu mir, ich bin am Ende, ich brauche einen Freund, bitte glaub du mir, wenn ich mich auf dich verlassen kann, stehe ich das auch durch!“
„Beweise es!“
„Aber wie soll ich dass denn beweisen?“
Christoph zuckte die Achseln.
„Das weiß ich auch nicht, aber weißt du, ich habe es schön langsam satt, überall nur angelogen zu werden, ich mag nicht mehr.“
„Sag mal und wenn das alles, was Curtiz behauptet, stimmen würde, was immer es auch ist, würde dich das stören?“
„Eigentlich nicht, aber du hättest es mir sagen können! Du hast nicht mit ehrlichen Karten gespielt! Wenn wir Freunde sein wollen, möchte ich über dich Bescheid wissen!“
„Aber wenn es doch gar nicht stimmt!“ schluchzte sie.
„Wenn dir an meiner Freundschaft liegt, beweist du es mir!“
„Aber wie nur?“
„Wenn du es nicht beweist, dann leb wohl!“
„Leb wohl“, sagte Regina mit tonloser Stimme, irgendetwas hatte sich in ihr verkrampft, für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr bekommen zu können und ballte in verzweifelter Hoffnungslosigkeit ihre Fäuste.
Zu Hause setzte sie sich hin und schrieb einen Brief an Martin Falk, sie kannten sich von früher und hatten sich gern, als wären sie Bruder und Schwester und er hatte immer zu ihr gehalten und er hatte auch immer einen Rat gewusst, wenn sie in der Klemme steckte. Sie erzählte alles, was sie von dieser Geschichte wusste und dass die Gerüchte, die um sie herumgingen, irgendwie nicht greifbar seien und dass sie nicht wusste, wie es weitergehen sollte und dass sie und ihr Vater schon daran gedacht hätten, das Dorf zu verlassen und wo anders hinzuziehen. In ihrer Verzweiflung fügte Regina zu zu, dass sie sich am liebsten umbringen würde.
Martin Falks Antwort kam postwendend.
„Gar nichts wirst du tun“, stand in seinem Brief. „Stell dich auf die Hinterfüße und kämpfe um deinen Ruf. Auch wenn es jetzt so aussieht, als gäbe es kein Mittel gegen diese Verleumdungen, glaub mir, das Leben hat mich gelehrt, dass es immer einen Weg gibt. So was wird dir noch öfters passieren und noch Schlimmeres, du kannst nicht immer weglaufen. Und was Christoph angeht, ich kenne ihn gut und kann mir nicht vorstellen, dass er das alles, was er sagt, wirklich so meint. Er war eigentlich nie einer, der mit den Wölfen geheult hat. Leider kenne ich aber diesen Curtiz nicht und weiß nicht, wie überzeugend er sein kann.

Liebe Grüsse

Dein „Bruder“ Martin“

Das sagte sich so leicht dahin, „kämpfen“, was aber sollte sie wirklich tun, wenn alle gegen sie waren? Sie wusste sich keinen Rat und sie fand es auch ziemlich demütigend, dass sie ihre „Unschuld“ beweisen musste, während Curtiz alles ungefragt geglaubt wurde. Sie stand allein und zog sich immer mehr zurück, weil sie immer, wenn sie mit jemand sprach, das dumme Gefühl hatte, dass die anderen momentan ziemlich schlecht über sie dachten.
Und dann machte ein fantastisches Gerücht die Runde, über das Regina nie näheres erfuhr, aber alle begannen sie offen auszulachen und sich mit dem Finger an die Stirn zu tippen. Regina hatte keine Ahnung, welche Gemeinheit sich die anderen jetzt wieder ausgedacht hatten, wie immer la alles im Dunkeln.
Die großen Aufregungen der letzten Monate hatten sie schwach gemacht, sie verfiel zusehends und wurde blass. Wenn ich sie einlud, erfand sie eine Ausrede, sie wollte mit niemand mehr sprechen.
Und sie war nach wie vor ratlos, wie sie diesen unerträglichen Zustand beenden sollte. Schließlich kaufte sie sich nach und nach drei Päckchen Schlafpillen, fand aber nicht den Mut, sie zu schlucken.
Langsam verging der Herbst, die letzten braunen Blätter fielen müde von den Bäumen und der Nebel machte aus der grünen Landschaft einen Ort der Trauer. Inzwischen war Curtiz von selbst ausgezogen. Dann kam der Winter und es wurde frostig. Große, schwere Flocken fielen und verwandelten die Landschaft über Nacht in einen weißen Traum, aber Regina kam es vor wie ein Leichentuch.
Das Verhältnis zwischen Gabi und Curtiz befand sich schon auf dem absteigenden Ast, bevor es den beiden überhaupt bewusst wurde. Curtiz war eigentlich nicht bösartig, im Gegensatz zu Gabi hatte er ein Gewissen und die gemeinen Intrigen, wo Gabi nie müde wurde, immer wieder neue zu erfinden, schlugen ihm mit der Zeit schwer aufs Gemüt. Trotzdem fand er nicht die Kraft, sich von Gabi zu trennen. Sie hielt ihn fest in ihren Krallen.
Eines Tages aber wollte er in die Stadt fahren, um Besorgungen zu machen und da lief ihm zufällig Regina über den Weg. Sie wollte rasch an ihm vorbeieilen, aber er hielt ihre Hand fest.
„Lass mich los!“ sagte sie leise, aber sie merkte selbst jetzt noch, was er für einen Einfluss auf sie hatte, ihr Herz begann schneller zu pochen und sie kämpfte mit ihrer Fassung.
„Bitte Regina, lass uns reden!“
„Nein, ich wüsste nicht, was wir noch zu reden hätten. Hast du mir nicht schon genug angetan? Lass mich wenigstens jetzt zufrieden!“
„Bitte!“
„Nein!“
Sie riss sich los, ließ ihn stehen und lief fort. Zu Hause warf sie sich quer über ihr Bett und begann zu schluchzen. Dass sie Curtiz wieder gesehen hatte, war schlimm gewesen und hatte alte Wunden wieder aufgerissen. Und dass er überhaupt die Frechheit besessen hatte, ihr etwas erklären zu wollen. Was wollte er ihr denn erklären? Etwa die Diffamierungen, denen sie ausgesetzt war, dafür gab es keine Erklärung, noch nie zuvor hatte ihr jemand solche Sachen angetan wie Curtiz und Gabi ihr, trotzdem hatte er ihr Herz erobert und all die Gemeinheiten hatten das nicht austilgen können. Zuvor bei dem Gespräch hatte sie es deutlich gespürt, dass sie beinahe wieder schwach geworden wäre.
Doch die Begegnung mit Regina hatte bei Curtiz eine tiefere innerliche Bewegung ausgelöst, als sie gedacht hätte. Sie hatte einen bemitleidenswerten Eindruck gemacht, so blass und schmal wie sie aussah, aber es war nicht nur Mitleid gewesen, die Dinge, die sie mitsammen erlebt hatten, waren ihm wieder eingefallen und er musste sich eingestehen, dass er Regina schmerzlich vermisst hatte.
Diese Erkenntnis gab ihm endlich die Kraft, sich von Gabi zu lösen. Als er an diesem Tag nach Hause kam, stellte er sie zur Rede
„Wir müssen sprechen!“ sagte er.
„So? Worüber denn?“
„Gabi, es ist zu Ende mit uns, ich kann diese Bosheiten nicht mehr mittragen, ich bereue das, was wir Regina angetan haben und werde mein Möglichstes tun, um alles wieder ins rechte Licht zu setzen.“
„So, hat es dir die Unschuld wieder angetan? Weißt du, überhaupt, was du willst?“
„Gabi, du bist durch und durch verdorben und hast keine menschliche Regung in dir, ich trage das alles schon lange in mir herum und heute habe ich endlich die Kraft und den Mut gefunden, es dir zu sagen. Ich verlasse dich!“
„So?“ Sie zog ihre Augenbrauen in die Höhe und sah ihn von oben herab an. Immer spielte ein triumphierendes Lächeln über ihre Lippen.
„Das könnte dir so passen!“ sagte sie dann spöttisch, aber ich muss dich enttäuschen, du kannst mich nicht verlassen, ich erwarte nämlich ein Kind von dir!“
Diese Mitteilung traf ihn wie ein Keulenschlag, der Schock war so groß, dass er schwankte.
„W … W … W…Was? „ brachte er nur heraus.
„Ja, W, W, W!“ äffte sie ihn nach. „Du wirst mich nicht mehr los, mein Lieber! Wir sind zusammengeschweißt bis in alle Ewigkeit!“
„Aber Gabi, ich wüsste ehrlich nicht, wann wir …“
Wieder lächelte sie, „Typisch für dich, erinnerst du dich nicht mehr an den feuchtfröhlichen Abend, den wir mit unseren Freunden hier gehabt haben? Als alle weg waren, warst du wie ein wilder Stier und nicht zu bremsen, Mann, war das eine Nacht!“
Curtiz hatte inzwischen seinen Schock ein wenig überwunden und sagte: „Wie auch immer! Damit kannst du mich auch nicht halten, ich werde für das Kind sorgen und dich unterstützen, aber ich verlasse dich trotzdem, ich halte es in deiner Umgebung nicht mehr aus, da ersticke ich!“
„Ja, geh nur zu deiner kleinen Unschuld, meinetwegen! Wer braucht schon einen Waschlappen wie dich!“
Aber als er dann seinen Koffer gepackt hatte und die Tür öffnete, stürzte sie auf ihn zu und klammerte sich an seinen Hals.
„Verlass mich nicht, Curtiz!“ rief sie. „Was soll ich denn ohne dich anfangen?“
Er drehte sich noch einmal kurz um.
„Offen gestanden“, sagte er, „ist mir das völlig egal!“
Und dann ging er hinaus ins Schneetreiben. Er hörte noch, wie sie zornig die Tür hinter ihm zuwarf.
Er klopfte an Reginas Tür, aber sie wollte ihn nicht einlassen.
„Geh weg“, rief sie, ich will dich nicht mehr sehen!“
„Bitte Regina“, sagte er, „Lass dir erklären!“
„Ich brauche keine Erklärung, geh weg!“
„REGINA!!! Willst du mich hier im Schneetreiben stehen lassen? Ich könnte erfrieren!“
Das glaubte sie zwar nicht, aber sie öffnete die Tür und ließ ihn ein.
Er nahm sie in den Arm. „Ich habe mich von Gabi getrennt“, sagte er. „Jetzt wird alles wieder gut!“
Sie sah ihn hoffnungslos an. „Was soll denn wieder gut werden?“ fragte sie still. „Ihr habt mich überall lächerlich und unmöglich gemacht, ich wage mich kaum noch auf die Strasse, das lässt sich nicht so schnell wieder aus der Welt schaffen!“
„Doch, ich werde mit jedem einzelnen reden und alles klarstellen!“
Regina lächelte traurig.
„Das ist ja sehr tapfer von dir, aber weißt du, das traurige ist, selbst wenn du das machst, du weißt ja, wie man sagt, irgendetwas bleibt immer hängen!“
„Nein, für mich ist nur wichtig, dass du mir verzeihst, alles andere bringe ich schon wieder ins Reine.“
„Das wird mir aber schwer fallen!“
„Bitte Regina, lass dir erklären, wie alles gekommen ist!“
Sie begann zu weinen, weil es belastend für sie war, ihn so nahe bei sich zu haben und sie merkte schon wieder, wie ihr Widerstand dahinschmolz und er es wieder schaffen würde, sie herumzukriegen.
Er begann zu reden und er redete viel, er erklärte ihr, wie er Gabi mit Haut und Haar verfallen war und dann alles tat, was sie wollte. Er hatte dabei kein gutes Gefühl gehabt, war aber nicht imstande gewesen, Gabi genügend Widerstand entgegenzusetzen. Diese Kraft hatte er erst heute gefunden und Regina hatte sie ihm gegeben.
Regina hörte ihm zu und ihr Groll verflüchtigte sich immer mehr und als sie Tränen aus seinen Wimpern glitzern sah, fiel sie ihm in die Arme.
Sie sprachen an dem Abend nicht mehr viel, aber das alte Einvernehmen war wieder da.
Aber später läutete es an der Tür und Curtiz ging öffnen. Wie im Traum hörte sie die Stimmen bis in ihr Zimmer.
„Kommissar Werner und das hier ist Inspektor Hauser, mein Kollege! Sind Sie Jack Curtiz?“
„Ja!“
„Sie werden beschuldigt, die minderjährige Gabriele Auer vergewaltigt und geschwängert zu haben, wir müssen Sie mit auf die Wache nehmen.“
„Was? Ich habe sie nicht vergewaltigt!“
„Das wird alles die Untersuchung ergeben, bitte kommen Sie mit!“ sagte der eine Polizist in sachlichem Ton.
Dann waren sie weg und Regina, die alles mit angehört hatte, saß wie betäubt am Bett und ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper. Ihr Glück war gerade wieder ins Nichts zerflossen. Gabi erwartete ein Baby von Curtiz, das und die Verhaftung war ein Schlag zu viel für sie gewesen und ihr Blick wanderte verschleiert zu dem Schrank hin, wo sie die Schlaftabletten aufbewahrte.
Nervös wartete Curtiz auf der Polizeiwachstube auf das Ergebnis des Bluttests. Schließlich kam ein Arzt und flüsterte mit einem Polizisten.
Der wandte sich Curtiz zu.
„Der Test war negativ“, sagte er. „Das Baby ist also nicht von Ihnen!“
Curtiz atmete sichtlich auf. Aber Kommissar Werner sagte eindringlich und mahnend zu ihm: „Da bleibt aber immer noch der Vorwurf der Vergewaltigung und der Unzucht mit Minderjährigen, das ist kein Kavaliersdelikt und Sie dürfen es nicht auf die leichte Schulter nehmen! Sie werden auf freiem Fuß angezeigt und bleiben es auch bis zum Prozess!“
„Mit welcher Strafe habe ich denn zu rechnen?“
Der Kommissar seufzte. „Ich bin nicht der Richter, aber wenn es ein Erstdelikt ist, kann ich mir vorstellen, dass sie mit Bewährung davonkommen.“
Da fiel Curtiz seine Gedächtnislücke ein und er teilte dem Kommissar seine Zweifel mit, ob er überhaupt jemals mit Gabi zusammen gewesen war.
Kommissar Werner ließ Gabi ins Kommissariat bringen und befragte sie eingehend. Sie war nicht leicht zu Fall zu bringen, aber schließlich gab sie doch zu, dass ihr Baby von einem anderen Jungen stammte. Curtiz verließ das Kommissariat als freier Mann.
Wie im Traum fuhr er heim, vor ein paar Stunde hatte er alle seine Hoffnungen und Wünsche vernichtet gesehen, aber jetzt lag die Zukunft frei und sonnig vor ihm. Mit Regina würde alles in Ordnung kommen und dann würde die schwere Zeit endlich ein Ende haben und er konnte mit Regina durchs Leben gehen.
Als er vor dem Haus ankam und läutete, öffnete niemand, so oft und so lange er auch läutete, es rührte und regte sich nichts in dem Haus. Curtiz fühlte Panik in sich aufsteigen und rannte gegen die Tür, dass das Schloss splitternd zerbrach.
Er eilte ins Schlafzimmer und sah Regina wie eine zerbrochene Puppe leblos auf dem Boden liegen, neben ihr waren drei leere Schachteln Schlaftabletten. Er fühlte ihren Puls, aber ein inneres Gefühl sagte ihm, dass sie bereits tot war. Er machte wie besessen Wiederbelebungsversuche, bis er schreiend und schluchzend über der toten Regina zusammenbrach.
Nachbarn wurden aufmerksam und man musste Curtiz praktisch mit Gewalt von der Leiche fortziehen. Immer wieder umklammerte er sie und wollte es nicht zulassen, dass man Regina fortbrachte.
Es war ein trüber kalter Wintertag, als Regina begraben wurde. Die Sterbeglocke bimmelte traurig, als sich die Leute versammelten. Curtiz hatte sein Versprechen, den Leuten alles zu erklären, der toten Regina gegenüber gehalten, weil er keine Chance gehabt hatte, es für die Lebende zu tun. Und nun nahm fast der ganze Ort an dem Begräbnis teil, alle fanden nicht Platz in der Kirche, so viele waren es.
Der Pfarrer hielt am offenen Grab eine ergreifende Ansprache und er nahm sich wirklich kein Blatt vor den Mund. Auf Wunsch von Reginas Vater hin sprach er das Vaterunser auf Latein.
Und wir Mädchen, die wir in Reginas Alter waren, trugen keine Trauerkleidung, sondern weiße Kleider und jede von uns warf Regina eine weiße Lilie ins Grab nach. Gabi hatte sich, als „Freundin“ von Regina ganz in Schwarz gehüllt und als sie an der Reihe war, Reginas Vater am offenen Grab zu kondolieren, gab er ihr nicht die Hand und wandte sich ab, aber Gabi war abgebrüht, sie setzte ihr hochmütigstes Gesicht auf, zuckte mit den Schultern und ging weiter.
Dann verging langsam und quälend der Winter und als es warm wurde, spürte Curtiz immer noch den Schmerz in ihm, aber langsam verwandelte er sich in sanfte Trauer. Und lachen sah ihn überhaupt niemand mehr, er fuhr auch nicht mehr heim nach Irland, weil er nicht von Regina weg wollte. Als der Grabstein gesetzt wurde, ließ er mit Einverständnis von Reginas Vater ein Bild anbringen und folgendes Gedicht eingravieren:

„Das Schicksal ließ dir keine Wahl,
dein Lächeln aber wird mir bleiben,
in meinem Herz als Sonnenstrahl,
kann selbst der Tod es nicht vertreiben.“

Es war eine laue Maiennacht, als Christoph und Curtiz auf der Spitze eines Hügels saßen und den funkelnden Sternenhimmel betrachteten. Der gemeinsame Kummer hatte sie zu Freunden werden lassen.
Plötzlich deutete Christoph auf einen kleinen strahlenden Stern und sagte: „Den kenne ich gar nicht, ich glaube, der ist neu, das muss Regina sein! Sie ist jetzt unser schweigender Stern am Himmel“
ENDE

Der Spruch am Beginn und das Gedicht am Ende der Geschichte sind nicht von mir.
 
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Kommentare  

für mcih hat es irgendwie ein happy end, mit dem stern, aber die szene hättest du, meiner meinung nach, besser beshcreiben sollen. es klingt lieblos. außerdem "erzählst" du wirkllich sehr viel, wobei die bilder doch die geschichte ausmachen! stefan hat recht, du könntest daraus ncoh viel mehr machen!
nur diese ewigen anspielungen aufs alter nerven mich;) ich fühl mich da sozusagen persönlich angesprochen... aber gut, gut:P
lg darkangel


darkangel (03.06.2007)

diese geschichte hat mir sehr gut gefallen. auch der stil, der fast ein bisschen märchenhaft ist, spricht mich an. in dem text steckt sehr viel wahrheit. kann mir gut vorstellen, dass du selbst ausgrenzung erfahren musstest. schade finde ich allerdings, dass das ganze so traurig endet. für dein alter ist diese geschichte eine wahnsinnige leistung. ich hoffe, du hast nicht mit dem schreiben aufgehört. veröffentliche hier doch nochmal was. würde mich freuen.

lg nausicaä


Nausicaä (17.05.2006)

Es gibt viele Erzählpassagen. Eine der wichtigsten Regeln beim Schreiben lautet aber: ZEIGE! Erzähle nicht! Also bitte den Spielfilm, der vor deinem inneren Auge abläuft, aufs Papier bannen (oder auf den Bildschirm). Ist aber normal, dass man das in jungen Jahren noch nicht so hinbekommt. Nicht so tragisch.

Ansonsten:
Ein "Roman".Wirklich. Kurz zwar, aber wenn du mal 10 Jahre älter bist, kannst du aus diesem Stoff ein 200 Seiten-Ding basteln, glaub mir. Für eine Schülerin wirklich beachtlich. Dem Alter entsprechend auch das düstere Ende. Brrr!
Ich hätte lieber ein Happyend gehabt, aber im Leben gibt es das auch nur selten.
So wie du schreibst, scheint viel von dir selbst in dieser Geschichte gelandet zu sein. Sie ist arg traurig und doch dadurch wieder schön.


Stefan Steinmetz (16.02.2005)

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