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Der 72-Stunden-Montag

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
© Parker
„Wenn einem so viel Gutes wiederfährt...“ das waren meine ersten Gedanken, an diesem Montag, nachdem ich eine Stunde verschlafen hatte, mir beim Frühstück den Kaffee über die Hose gekippte hatte und zu allem Überfluss auch noch meinem Vermieter über den Weg gelaufen war, der mir empfahl umgehend die ausstehende Miete zu zahlen! Noch halb verschlafen und etwas durcheinander im Kopf machte ich mich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Da es in Strömen regnete und ich meinen Schirm vergessen hatte (Montag !!!) klaute ich mir an einer Baustelle ein Stück Folie und benutzte es so gut es ging als Regenschutz. In der Bahn konnte ich nur noch einen Stehplatz ergattern und so ergab ich mich meinem Schicksal und versuchte die Fahrt zu überstehen. Während mein Blick über die Köpfe der anderen Fahrgäste streifte, nahm mein Unterbewusstsein etwas wahr. Ich konnte zuerst nicht sagen, was es war, und blickte erneut über die Menge der Leute hinweg... und dann sah ich sie! Einer Lichtgestalt gleich hob sie sich von den anderen ab. Mit ihrem makellosen Aussehen und dem Charme, den sie versprühte, wirkte sie hier in dieser Menge von Durchschnittsmenschen total fehl am Platz. Ich fuhr diese Strecke jetzt seid über sechs Jahren, aber SIE war mir noch nie aufgefallen. Während ich so da stand, und mich fragte, wieso der Herrgott seinen schönsten Engel in meine S-Bahn geschickt hatte, stieg sie aus und ging über die Straße um die nächste Häuserecke. Nachdem sich die Bahn wieder in Bewegung gesetzt hatte, dauerte es noch einige Minuten, bis ich bemerkte, dass ich ebenfalls hätte aussteigen müssen. Montag !!! Ohne Worte!

Der Tag im Büro war genau so, wie man ihn sich an einem Montag vorstellt. Stressig, alle blökten sich an und jeder versuchte die Arbeit anderen aufzuhalsen. Viele steckten noch mitten im Wochenende, manche waren erst gar nicht gekommen und da ich viel zu spät war, wurde der ganze Frust an mir ausgelassen. Die Beschwerden der anderen prallten an diesem Morgen aber an mir ab. In meinem Kopf war die ganze Zeit über nur das Bild dieser Frau. Dieses Bild rettete mich über den gesamten Tag, und als ich abends total erschöpft im Bett lag, war mir immer noch so, als könnte ich sie direkt vor mir sehen! Das Einschlafen fiel mir trotz meiner Müdigkeit schwer und gegen 01.30 Uhr blickte ich für diesen Tag das letzte Mal auf die Uhr.

Der nächste Blick Richtung Wecker machte mir klar, dass ich schon wieder verpennt hatte. So ein Bullshit aber auch! Völlig überhastet hechtete ich aus dem Bett... nur um auf dem Bettvorleger auszurutschen und mir beim Sturz nach hinten den Kopf an einem Regal anzuschlagen. Verdammt, schon wieder ein Montag?!? Frühstück??? Keine Zeit, ich muss die Bahn erreichen, denn vielleicht ist SIE ja auch wieder da! Dort angekommen fing ich an sie zu suchen. Ich bin sogar die verschiedenen Waggons abgegangen, aber sie schien nicht da zu sein. Na ja, man kann nicht immer Glück haben, dachte ich bei mir, und blickte zu Boden... oh nein, so was konnte auch nur mir passieren. In der Eile heute morgen, hatte ich WEIßE Socken unter meinen schwarzen Anzug gezogen! Gerade heute, wo ich einen wichtigen Kundentermin hatte! Ich kam mir vor wie ein Leuchtturm, der die gesamte Ostsee erhellen kann, spürte regelrecht, wie alle mit dem Finger auf mich zeigten und sich schlapp lachten. Übelnehmen konnte ich es ihnen nicht. In der Schule hatten wir einen Jungen namens Torsten. Ein recht kleiner Typ, der sich für wichtig hielt und immer schon sehr erwachsen wirken wollte. Während ich meine Kleidung noch jeden Morgen von meiner Mama zurechtgelegt bekam, suchte er sich schon früh selbst aus, was er anzog... - und so sah er auch meistens aus. Selbst Ray Charles hätte gesehen, dass es scheiße aussah, was er an hatte. Wie dieser Typ kam ich mir gerade vor. Der Spott auf der Arbeit hielt sich sogar noch in Grenzen, aber besser fühlte ich mich dennoch nicht.
Warum war SIE heute morgen nicht das gewesen? War ihr etwas passiert? Warum zum Teufel dachte ich die ganze Zeit an eine Frau, von der ich nichts wusste, außer dass sie bildhübsch war. Ich hatte keinen Namen, keine Adresse, keine Telefonnummer... - nichts. Und doch gab es etwas an ihr, das mich fesselte ...

An diesem Abend stellte ich mir drei Wecker und stellte sich auch alle so auf, dass ich aufstehen musste um sie auszumachen. Ich legte mir die Kleider für den nächsten Tag schon zurecht und ging früh zu Bett. Nach ein paar Minuten (in denen sich meine Gedanken immer noch um SIE drehten) schlief ich ein ...

Schon beim Klingeln des ersten Wecker stand ich auf. Das Wasser der Dusche war anfangs kalt ... und blieb es auch! Irgendwas musste ich in meinem letzten Leben verbrochen haben, dass es das Schicksal so schlecht mit mir meinte. Ich saß am Frühstückstisch und hörte das Morgenprogramm von Radio Starlight, als der Moderator allen Frühaufstehern einen guten Morgen wünschte und verkündete dass gleich die Fünf-Uhr-Nachrichten kommen würden. Hatte ich eben richtig gehört? Ich sah auf meine Uhr ... und hätte am liebsten angefangen zu heulen! Wie doof kann ein Mensch eigentlich sein? Hatte ich doch tatsächlich am Abend zuvor meinen Wecker auf viertel vor Fünf gestellt, anstatt auf viertel vor Sechs! Nahm denn der Montag diese Woche überhaupt kein Ende??? Fertig mit der Welt und den Nerven schlug ich die Zeitung auf, und dabei mein O-Saft-Glas vom Tisch ...

... manchmal möchte ich einfach die Augen schließen und ganz ganz weit weg sein...

Jetzt konnte nur noch eines den Tag retten: SIE in meinem S-Bahnwaggon. Voller Hoffnung stieg ich ein, stritt mit einer keifenden alten Oma um den letzten Zweiersitz (schließlich wollte ich IHR einen Platz aushalten) und nahm die Fahrt in Angriff. An jeder Haltestation sah ich mich um, immer in der Annahme sie gleich zu sehen, - aber sie war nicht da. Etwas enttäuscht stieg ich an meiner Haltestelle aus und lief ins Büro. Während ich an dem Morgen auf der Arbeit saß, machte ich mir klar, dass ich sie wohl nicht mehr sehen würde. Vielleicht war sie ja nur eine Touristin gewesen, oder sonst irgendwie auf der Durchreise, vielleicht hat es auch einfach nicht sein sollen. Tja, ich fand mich an diesem Tag damit ab, dass ich ein Montagskind bin und es auch immer sein werde. Aber kampflos, wollte ich mich nicht der Depression hingeben. Ich rief zwei Freunde an, und wir verabredeten uns für den Abend in unserer Stammkneipe zum Skat. Wir trafen uns ab Neun und es war ein lustiges Beisammensein, obwohl ich der einzige war, der am Ende bezahlen musste (ich schob es wie immer auf den ewigen Montag).

Gegen halb zwölf, machte ich mich auf den Heimweg. Leicht angetrunken und total erschöpft (wer steht auch schon morgens um fünf auf) stieg ich in die Bahn und lehnte den Kopf an die Scheibe um ein bisschen zu schlafen. Meine Haltestelle war eh das Ende der Strecke, also würde mich der Fahrer schon wecken, wenn wir dort wären. Im Halbschlaf hörte ich noch, wie jemand fragte, ob der Platz bei mir noch frei wäre. Unfähig eine Antwort zu geben, nickte ich und drehte den Kopf, um mir diese Person genauer anzusehen - SIE WAR ES !!! Ich wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Dieses Wunderwerk der Schöpfung saß neben mir und ich kam mir vor, wie der letzte Penner. Ich war schlagartig nüchtern! Was denkt sie jetzt von mir, wenn ich sie anspreche?, dachte ich mir. Wahrscheinlich würde sie anfangen laut zu lachen, also beschloss ich die Klappe zu halten und mich damit abzufinden, dass solche Frauen nicht für Typen wie mich bestimmt sind. Auf diesen Schock musste ich noch ein paar Meter gehen, also stieg ich eine Station zu früh aus, um den Rest der Strecke noch Luft zu schnappen. Die Nacht war klar und nicht all zu kalt, und so ließ ich mir auch Zeit für den Rückweg. Letzt endlich kam ich zu Hause an, und hing mich aus lauter Verzweiflung an die Glotze, als es plötzlich klingelte. Zuerst wollte ich nicht öffnen, weil ich dachte es wäre mein Vermieter, der mir die Kündigung bringt oder etwas ähnliches, aber nach dem vierten Klingeln war mir klar, dass der schon längst mit dem Schlüssel reingekommen wäre. Ich ging zur Tür, öffnete sie ... und stuzte! "Sie haben in der Bahn ihre Brieftasche vergessen!" sagte SIE. Ich brauchte einige Sekunden um überhaupt zu verstehen was sie wollte. Dann nahm ich mein Eigentum an mich und wollte ihr einen Finderlohn geben, wie sich das eben so gehört, aber SIE winkte ab und gab mir nur ihre Telefonnummer. "Rufen sie mich mal an, und geben sie mir einen Kaffee aus", war alles was sie sagte, bevor sie mit leichten Schritten verschwand. Ich glaube ich stand noch eine halbe Stunde in der Tür gestanden und dachte darüber nach, was gerade passiert war.

Am nächsten Tag rief ich sie gleich an, und wir verabredeten uns für den Nachmittag im Kaffeehaus am Schiller-Denkmal. Wir haben über drei Stunden zusammen gesessen und geredet. Über was, kann ich nicht mal mehr sagen, aber was ich sagen kann, ist dass wir in Kontakt bleiben wollen, und wer weiß, ...


... vielleicht ist Morgen ja ein Dienstag ...



- Ende -
 
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