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2 Seiten

Stefan Repke

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Experimentelles
© Tinëath
Stefan Repke war kein besonders auffälliger Mensch. Ganz im Gegenteil. Nicht selten passierte es ihm sogar, dass die elektrischen Schiebetüren der Konsumtempel ihn übersahen. Das waren die Momente die er verfluchte, wenn er durch den dumpfen Knall - den sein Gesicht beim Aufprall gegen das Glas verursachte - in das Bewusstsein anderer Menschen drang. Dann stand er für kurze Zeit im Mittelpunkt, erntete besorgte, belustigte und verwunderte Blicke, bevor das weitere Geschehen ihn wieder aus der Erinnerungen der Passanten in die Bedeutungslosigkeit entließ. Er fristetet seit nunmehr achtundzwanzig Jahren dieses mehr oder weniger triste Dasein in monumentaler Mittelmäßigkeit. Sein Kleidungsstil gab ein wenig Aufschluss über seine Person. Es war seiner textilen Schale auf den ersten Blick anzusehen, dass sich weder eine Freundin um das Einkleiden kümmerte, noch eine umsorgende Mutter. In der Fabrik war er unter dem Namen „der kategorische Unattraktiv“ bekannt. Nicht dass ihm irgendwer der Dauerangestellten so einen Namen gegeben hätte, nein, der kam von einem etwa sechsunddreißigjährigen Germanistikstudenten, der in den Ferien ein wenig Geld an Land ziehen wollte, um das Studium noch bis zur Rente weiterführen zu können. Er hasste diesen Typus Mensch - besagten Studenten natürlich umso mehr.
Seine Arbeit hasste er eigentlich auch. Schon seit Jahren arbeitete er bei Bonduelle in der „Abfallabteilung“, wie sie scherzhaft von den Angestellten genannt wurde. Er war dafür zuständig in die fein säuberlich ausgelesenen Bohnedosen wieder einen Stiel oder Strunk hineinzustopfen. Er sah sich somit immer als das schlechte Gewissen der Aldikunden, die diese Dosen dann zu essen bekamen. So sollten sie daran erinnert werden, dass die Markenware, die es für etwa 49 Cent mehr bei den anderen Handelsketten zu kaufen gab, das plus an Geld durchaus wert war. Da es sich im Laufe der Zeit herumgesprochen hatte, dass bei Aldi sowieso alles von Markenfirmen gab und es nur unter anderen Namen angeboten wurde sah sich die Firmenleitung zu diesem Schritt genötigt. Die Kunden sollten doch zu spüren bekommen, dass es „mindere“ Qualität ist. Deswegen hatte er Arbeit. Er bekam die zuvor aussortierten Stiele aus der „Delikatessen Abteilung“ herübergebracht und verstaute dann jeweils ein oder zwei Strünke in der Dose. Nicht mehr und nicht weniger. Im Schnitt musste jede Dose einen Stiel enthalten. Er wunderte sich, dass es anscheinend noch keinem Kunden aufgefallen war. Es wunderte ihn wiedereinmal mehr wie blind Menschen für das offensichtliche waren.
Er mochte Menschen nicht. Wobei das vielleicht noch ein wenig untertrieben war. Eigentlich hasste er Menschen.
Er hatte durchaus Sympathien für Amokläufer, Massenmörder und Terroristen, obschon ihn die Willkür erschreckte und er stets hoffte immer weit genug weg zu sein, wenn so etwas geschah.
Mehr noch aber erfreuten ihn Naturkatastrophen. Sie sorgten auf konsequente Art und Weise für spontanes Ableben dieser Geschöpfe, die er für ausreichend dumm hielt, um ihnen ein Existenzrecht auf dem Planeten abzusprechen. Vulkanausbrüche, Erdbeben Tsunamis, AIDS. Ganz großes Kino! Er verstand auch die ganzen Diskussionen nicht, die sich darum drehten, ob nun eine Eiszeit drohte oder ein enormer Anstieg des Meeresspiegels. Beides war in seinen Augen fantastisch! Er stellte sich Holland unter Wasser vor. Er musste grinsen, während er einen weiteren Stiel in der Dose unter Wasser drückte. Gibt es eine WM für Wasserball?
Das war das Gute an seiner Arbeit, sie war stupide und ermöglichte es ihm in seine eigene Gedankenwelt abzutauchen. Abzutauchen, genau wie Holland dachte er!
 
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