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Sterbeheim

Trauriges · Kurzgeschichten
Wilhelm ist nun schon seit einiger Zeit hier und schreibt gerade noch einmal eine Liste seiner Sachen auf, die hier noch fehlen. Die will er dann seiner Frau geben, die es fernab seiner eigenen Welt nicht mehr gibt. Seine fieberhaften Hände fahren mühsam über das Papier und zeichnen schwerlesbare Zeichen. Die Gelenke schmerzen sehr , aber er muss es dringend aufschreiben, denn ansonsten vergisst er es und seine Möbel und Andenken sind für immer verloren. Er will seine Frau nicht weinen sehen. Sie haben ein ganzes Leben lang für Ihre Habe gespart. Das alles muss man unbedingt noch herbringen. Ganz unten auf die Liste schreibt er dann bei jeder neuen Fassung:
„Und Du komm auch schnell wieder Edith.“
Er wird die Liste wieder irgendeinem Pfleger geben und dieser dann wird sie unbeachtet in den nächsten Papierkorb werfen
Auf seinem Zimmer liegt Karl und Karl redet sehr wenig. Eigentlich spricht er gar nicht und lediglich im Traum scheint er aufzuleben. Dann brummt er monoton und bewegt sich apathisch. Ab und zu hört man in der Stille wie er in seine Windel macht.
Es riecht nach Medikamenten, Putzmitteln und Urin, die Topfpflanzen auf dem Fensterbrett sehen gesünder aus als sein Mitbewohner und die Tapeten scheinen aus den 60er Jahren. Sorgsam hat man auf ihnen die Blutflecke und Schimmelpilzareale mit billigen Landschaftsbildern und Aufklebern verdeckt. Es ist dunkel hier.
Wilhelm fühlt sich hier fehl am Platze. Er versteht auch gar nicht was er hier soll. Wartet manchmal im Flur den halben Tag darauf, dass man ihn abholt oder das irgendwer kommt und bleibt, aber die Eingangstür bleibt geschlossen. Und einfach so gehen darf er nicht. Er ist nämlich krank hat man gesagt und er soll doch warten, denn es regle sich alles von ganz alleine.
Ständig kommen die Schwestern und Pfleger, ziehen die Vorhänge zu und ermahnen ihn ins Bett zu gehen. „Wieso ins Bett?“ fragt er dann jedes Mal, schüttelt den Kopf und öffnet die Gardinen um die Sonne zu sehen. Die Fenster kann er leider nicht öffnen. Der Öffner soll irgendwie weggekommen sein und es ist ja eh zu kalt da draußen. Da holt man sich ja den Tod.
Weil er krank ist, bekommt er jetzt Medikamente und ja, er spürt die Krankheit nun auch. Er fühlt sich viel müder und hat auch nicht mehr so den Elan. Er ist beim Mittag am Tisch im Zimmer sogar einmal eingeschlafen und das ist ihm ganze 85 Jahre lang sonst nie passiert. Gegen diese Müdigkeit bekommt er alle 6 Stunden bittere Pillen, aber es scheint als würde es immer schlechter.
„Nerven Sie den Herrn Doktor nicht damit“ haben ihm die Schwestern vor der monatlichen Kurzvisite gesagt und Wilhelm sagte auch nichts. Hätte er auch gar nicht geschafft, denn der Doktor öffnete nur die Tür, übertrat die Schwelle nicht, schaute auf den schlafenden Karl und nickte Wilhelm kurz zu. Dann ging die Tür wieder zu.
Das wunderte ihn ein wenig, denn Karl war doch nun wirklich krank. Der ist doch sogar unter der Decke ans Bett gebunden damit er nicht heraus fällt und die Wunde, die Wilhelm sehen kann, wenn sein Bettnachbar gewaschen wird, ist auch nicht unerheblich. Man kann gar nicht dabei zusehen, wie die Verbände am Po und Rücken gewechselt werden. Beim Abreißen wird immer wieder ein wenig heile Haut mit abgezogen und das Unheimliche ist, Karl zieht dabei nicht eine Miene.
Wilhelm spürt es in den Knochen. Er wird auch bald in seinem Bett landen. Irgendwann wird er erst den Tag mit der Nacht verwechseln, dann die Nacht mit dem Tag und dann wird es einerlei sein und er wird sich in die Träume flüchten, die er selbst bestimmen und mit Edith besetzen kann. Vom Träumen zum Sterben sind es nur ein paar Gedanken des Fallenlassens. Wilhelm wird da gerade hingeführt.
 
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Kommentare  

Hier noch Links zum Thema:
http://www.sidos.ch/fw_query/siweb2.fwx?htm.sel0=7357
http://www.homecare-info.ch/dokus/Alzheimer_Ich_werde_besucht.pdf


kalliope-ues (28.02.2007)

Hallo Robert, hallo Aninah,
was ihr beiden hier schreibt, berührt mich sehr. Bei der sozialpolitischen Entwicklung "ambulant vor stationär" sieht die finanzielle Möglichkeit der stationären Einrichtungen immer "schlanker" aus, während die Menschen aber auch immer später, also mit zunehmendem Hilfebedarf in diese Einrichtungen kommen. Eingefahrene alte Zöpfe im Pflegedenken müssen abgeschnitten werden, und das ist ein Umdenken, der wie jeglicher Paradigmenwechsel nur sehr zäh vor sich geht - aber es hat schon begonnen, das Umdenken! Kostbar - kostbarst - sind dabei all jene Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen wollen und können! Ein Link, der vielleicht interessant ist - bestätigt in einer Studie, wie wichtig gerade dieses für den alten Menschen im Heim ist: "die Käferberg-Studie" aus Zürich. (googlen). Habt den Mut!
GLG
Ursula


kalliope-ues (28.02.2007)

Hallo Robert, ich bin erschüttert und todtraurig seitdem ich diese Zeilen gelesen habe. Ich habe zwei Jahre lang ehrenamtlich in einem Altenpflegeheim gearbeitet und den Menschen dort nachmittags vorgelesen. Es hat mich aber teilweise emotional zu sehr berrührt. Fast jeden Monat war einer von meinen Zuhörern gestorben und wie traurig sie alle waren und viele so allein, im Stich gelassen von der Familie...

Du hast eine sehr einfühlsame und näherbringende Art den Menschen furchtbare Dinge zu offenbaren. Schreib bitte unbedingt, wie dein Termin im Altenpflegeheim war. Ich wünschte nur ich wäre etwas stärer... Ich würde auch wieder hingehen wollen, aber ehrlich es macht so unheimlich traurig...

Grüße von Aninah


Aninah (25.02.2007)

hallo, robert, endlich mal ein text von dir, der nicht zynisch rüberkommt, sondern eher mitfühlend und traurig. stilistisch und grammatikalisch wäre natürlich noch so einiges auszusetzen.
dein kommentar gefällt mir auch gut und besonders deine absicht, ehrenamtlich helfen zu wollen, weil ja in den alten- und pflegeheimen wirklich viel im argen liegt.
gruß von rosmarin


rosmarin (25.02.2007)

Das Thema „Altersheim“ hat mich seither interessiert und nun nach dem ich das Buch „Totgepflegt und abkassiert“ gelesen und den Text „Sterbeheim“ geschrieben habe möchte ich nicht einfach nichts machen sondern nachschauen und anpacken. Am besten in meiner näheren Umgebung, denn man sollte stets bei sich mit jeder Reise anfangen.
In meinem Postleitzahlbereich liegt ein diakonisches Altenheim und wenn ich es mir jetzt, so vor dem PC, ins Gedächtnis rufe dann sehe ich nur eine riesige Pfütze. Diese liegt auf einer freien Fläche neben besagtem großen, weißen Bau mit wenig Grün neben einem Aldi. Der Zipfel eines Industriegeländes und dies alles endet in einer Sackgasse, was ich mehr als bezeichnend finde. So ist doch auch das Altenheim nichts anderes als eine Sackgasse ohne jegliche Möglichkeit zu wenden. Eine Einbahnstrasse an deren Ende eine Mauer wartet. Daran kann und will ich nichts ändern. Ich möchte nur einen Beitrag dafür leisten, dass es auf dieser letzten Fahrt nicht so holpert und dass man vielleicht noch ein paar schöne Gefühle erlebt.
Ich möchte es leichter machen, am Ende winken damit einer winkt und ich will auch nicht, dass die Geschichten der Alten mit Ihnen gehen. Vor einigen Tagen habe ich einer Freundin erzählt, dass ich großen Respekt vor dem Alter habe und sie meinte, dass sie das nicht verstehen könne, denn alt wird jeder einmal und daran ist nichts Besonderes. Ich erwiderte, weil ich nichts Besseres zu antworten wusste, dass ich die manifestierte Zeit respektiere. Jetzt denke ich, ich hätte das eher noch bekräftigen sollen. Ich habe Respekt vor dem Alter. Ich habe Ehrfurcht vor den Erfahrungen der Menschen und verdammt, ich will auch davon profitieren denn dafür ist es da und es ist sehr traurig wenn es nicht weitergegeben werden kann.
Dem Pflegepersonal bleibt meist zu wenig Zeit um eine richtige Bindung zu den Patienten zu bekommen und wenn man lange in diesem schweren Beruf arbeitet dann kommen einem die Geschichten der Bewohner immer wieder gleich vor und man hört automatisch weg. Ausnahmen bestätigen diese Sachlage.
Vielleicht ist es auch schwer, eine Bindung einzugehen, weil es abzusehen ist, dass der Patient/Bewohner stirbt. Wie geht man da heran? Locker? Spricht man da ganz offen über den Tod? Ich glaube ja, das macht man. Sicher mit einer gewissen Mischung aus Galgenhumor, Angst und Freude. Ob ich damit umgehen kann beantworte ich mir mit einem deutlichen„Ja“. Kann aber auch sein, dass ich es mir gerade zu leicht mache.
Heute habe ich diese Diakonie angerufen und habe nicht geahnt, wie leicht das geht. Ich habe nach dem Buch gedacht, ich bin überhaupt nicht erwünscht und man würde mich abwimmeln, aber nein. Es lief so ab:

Einen schönen guten Tag Diakonie…. Frau …

Guten Tag. Hallo Frau… Mein Name ist Robert Zobel.
Ich hätte da einmal eine kleine Frage.

Ja?

Mir ist bewusst, dass sie als Altenpfleger sehr ausgelastet sind und da wollte ich einmal fragen, ob man sich da irgendwie einbringen kann.

Sie meinen ehrenamtlich?

Genau.

Schön. Können Sie am Mittwoch..

Das ging einfach und jetzt habe ich am nächsten Mittwoch ein Gespräch bei denen mit mehreren Verantwortlichen und kann dann sicher gleich loslegen. Da freue ich mich sehr drauf. Ich werde die Menschen da mitnehmen. Mitnehmen zu mir nach hause und dann in ein Tagebuch packen. Ich lass sie nicht vergessen.


Robert Zobel (25.02.2007)

Hat mich sehr berührt - kennst Du das Buch von Quadflieg "Bis dann"? - hast mich daran erinnert, ein klein wenig - ich vermute fast, wir haben denselben Beruf?!

kalliope-ues (25.02.2007)

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