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Das Paradies der Steine

Fantastisches · Kurzgeschichten
Der Fels an der Erle wurde von Rehen kreisrund abgeweidet. Jetzt thront er wie ein trauriger Troll inmitten von Stoppeln und wünscht den Säugetieren Erfahrungen, die nicht auf eine Erfolgsrechnung gehören.
Letztes Jahr haben sie ihn in Ruhe gelassen und sich auf einem anderen Weidegrund anderer Flora bedient. Von vorbeiwehendem Sand hörte er es rieseln, dass sie beim Vetter 10 Bäume weiter den Vorgarten zerstört hätten.
Es ist kein Kraut gegen die Vierbeiner gewachsen und wenn, dann wären sie zu schlau es zu fressen.
Dabei ist es unter den Steinen publik, dass die Rehe die natürlichen Feinde sind. Abgesehen von dem Gras und restlichen Pflanzen, die so ein Stein gerne als Schattenspender und Wohlfühlkontrast hat, machen die Rehe auch mit ihrem Urin die Steine selbst kaputt und man mag es kaum glauben, aber sie reißen Steinfamilien so weit auseinander, dass es Millionen Jahre dauert eh sie wieder zusammenfinden. Das machen auch Wildschweine, wenn sie sich am Boden suhlen, aber die Rehe haben so blöde Hufe, dass die Steine darunter wegklicken und meterweit wegfliegen. Und dann ist das Geschrei groß und eigentlich müsste auch die Wut unendlich groß sein. Man fragt sich, ja selbst die Bäume und die Grasarmeen fragen sich, wo der nächste tapfere Stein ist, der den Kampf gegen die Rehe aufnimmt.
Es wäre ja alles so leicht. Eine Rehlegion läuft in einen Steinbruch, es poltert ein wenig und dann baden Kiesel in Blut, aber was sollen Rehe im Steinbruch? Gras essen, was bitter nach Kalk schmeckt? Und warum sollten sie aus dem Wald heraus? Der einzige Kampfplatz ist in den Bergen. Die Menschen denken, dass die Lawinen einfach zufällig sind, aber das ist weit gefehlt. Es geht immer nur um Rehe.
Mit erstickendem Hass stürzen sich wagemutige, aber nicht sehr schlaue Kamikazesteine die Berge hinunter und töten dabei so manchen Artgenossen, um ein einziges Reh an der Pfote zu verletzen. Verzweifelte Akte. Es bedarf eines neuen Führers. Dies ist unumstritten.
Es gibt da einen Stein oder besser, es soll ihn geben. Kann nämlich auch sein, dass er ein Märchen ist. Er hat keinen Namen, wie es bei Steinen Sitte ist, aber er trägt auf sich eine riesige Verfärbung in der Form eines Garnknäuels. Aus einem Höllenvulkan soll er vor Äonen gesprungen sein. Kurz nach der Weltenentstehung.
Er alleine, so sagt man, wäre in der Lage, die Steine ins Rollen zu bringen.
Auch er ist durchzogen von starkem Unmut. Alte Steine haben umso mehr Reherfahrung und dementsprechend mehr Wut im Innern. Man weiß jedoch nicht, ob er nicht schon zersprungen oder zermalmt ist oder ob es ihn je gab. Nur mit ihm könnte es gelingen.
Erfahren hat der junge Kiesel mit dem zackigen schwarzen Strich an der Unterseite von diesem Ahn von einer klitzekleinen uralten Tontafel, die der Zufall ich zuspielte. Wobei Steine für das Wort Zufall nicht einmal ein Wort haben geschweige denn einen Gedankengang. Voll Eifer las er über die stark verfallenen Wortanreihungen und rang mehr und mehr mit seiner instinktiven Faulheit. Hätte er einen Atem gehabt, wäre er gestorben, hätte er ein Herz gehabt, wäre es zu Stein erstarrt. Ein Funken Abenteuerlust mischte sich mit einem noch nie gefühlten Hoffnungsgefühl.
Der Stein rollte aus innerem Antrieb. Zuerst erschrak er sich selbst, dann erschraken sich andere Steine und am Ende wusste jeder Stein Bescheid. Natürlich auch der große Alte und bevor man ihn finden musste, machte er sich auf den Weg.
Vulkanische Asche regnete an diesem Tag vom Himmel, irgendwas Drohendes lag über den Wäldern und die Baumwipfel beteten aneinandergedrängt. Büsche knackten laut, weil die Erde durch aufdrückende Steine platze, tausende Rehe sprangen heraus und wurden sofort gesteinigt.
So oder so ähnlich ist es hier damals passiert mein Junge.

Und jetzt?

Jetzt nennt man das Ganze Wüste.

Oh.

Alles nur kleine Sandkörner.

Steine.

Genau.
 
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