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4 Seiten

Lilly (Kapitel 25)

Romane/Serien · Spannendes
Laut und dröhnend donnerte Metallicas „Nothing Else Matters“ aus den Lautsprechern der Heimkinoanlage. Laute Musik und laute Filme mochte die gesamte Familie gern. Selbst Lilly gefiel es einen Film wie „Findet Nemo“ in voller Lautstärke zu sehen, wie sie es liebte, laut Musik zu hören und dabei in Strumpfhose über den frisch polierten Boden zu wetzen. Sie konnte dann den ganzen Flur rauf und runter rutschen und tanzte dann mit Mama und Papa abwechselnd um die Wette. Sonntags und im Winter machten sie das manchmal und es war eine wunderbare Zeit. Lilly hielt dann stundenlang durch und war am Ende nicht nur stark verschwitzt und aus der Puste, sondern auch sehr sehr glücklich.
Nun war Mark alleine zu Hause und suchte nach einer Ablenkung. Laute Musik half ihm dabei leider nur leidlich und auch, als er sich entschloss den CD-Schrank zu entstauben, musste er immer wieder an Lilly denken. Er wollte auch bei ihr bleiben, aber Tanja hatte Recht, sie konnten mehr davon profitieren, wenn er hier blieb. Sie konnte dann anrufen und nach einem Spielzeug oder etwas anderes wichtiges verlangen, was Lilly für ihre bevorstehende Veränderung brauchte. Er wäre dann schneller da, als wenn sie erst hin und her fahren mussten.
Rockmusik wie die von Metallica hörte er gerne. Tanja bevorzugte ja eher die etwas melodischere ruhigere Musik, die auch Lilly gern hörte. Die mittelalterlichen Klänge von Blackmore’s Night oder die sanften Seelenschmeichler der Café Del Mar-Reihe oder etwas eindringlich Schönes von Schiller. Aber auch sie mochte es schneller und lebendiger. Etwas Trance konnte auch sie hören, wohingegen Lilly seltsamerweise mit Techno viel anfangen konnte. Vor einiger Zeit lief auf einem Trance-Radiosender „Bass, Beats and Melody“ von Brooklyn Bounce und Lilly hetzte aufgeregt von einer Ecke des Wohnzimmers in die andere. „Noch mal, noch mal“, rief sie die ganze Zeit und war kaum mehr zu bremsen. Mark fand das so süß, dass er ihr kurzerhand die neuste „Future Trance“ kaufte, die Lilly rauf und runter hörte. Eines Abends wollte sie die anstelle ihrer üblichen Einschlafmusik hören und als Mark und Tanja gegen Mitternacht ins Bett wollten und an Lillys Kinderzimmer vorbeikamen, hörten sie noch immer die CD. Die hätte doch schon längst vorbei sein müssen, dachten sie sich und wollten sie abstellen gehen. Doch sie entdeckten ihre muntere kleine Tochter, die schwitzend in Unterwäsche auf dem Bett herum sprang und mit geschlossenen Augen die Texte mitzusingen versuchte. Atemlos stammelte sie die Worte von Cosmic Gate und anderen Interpreten nach und bemerkte ihre Eltern erst, als diese ihr die CD abstellten. Erschrocken legte sie sich nieder und gab vor zu schlafen, aber Mark fing schallend an zu lachen, als er dieses klägliche Täuschungsmanöver sah.
„Nothing Else Matters“ war vorbei und er legte eine CD auf, die „I Believe“ von Hammerfall enthielt. Dieser Song ging etwas besser ab und Mark vergaß für einen Moment das Schrankputzen. Er tat es, wie es Lilly immer gerne bei lauter Musik tat, er schoss durch den Flur. Die Musik war teuflisch laut, aber bei der guten Isolierung fürchtete er keine wütenden Nachbarn, die ihm die Polizei wegen Ruhestörung auf den Hals hetzten. Fröhlich sauste Mark von Raum zu Raum, vergaß um sich herum einfach alles, auch die negativen Gedanken an Lilly, die im Krankenbett vor sich hin litt, weil sie bald eine Veränderung durchmachen sollte und ihre Eltern ihr nur teilweise beistanden. Er lief ins Wohnzimmer, bestieg das Sofa, schmiss sich dort von links nach rechts, rannte in die Küche, schnappte sich die Ketchup-Flasche und benutzte sie als Mikrofon.
Mit dem Besen als Gitarre war er im Begriff, eine ganze Band zu ersetzen. So richtig ausgelassen feierte er das gedankenlose Alleinsein, bis er plötzlich bemerkte, wie er nicht mehr alleine war.
Den Besen stellte er an eine Wand und den Ketchup auf die Kommode im Flur und schlich zurück ins Wohnzimmer. Jemand musste dort sein, aber vielleicht war es auch nur ein blödes Gefühl, weil er sich so unbeobachtet fühlte. Vielleicht ein bisschen zu sehr unbeobachtet, dass seine Paranoia mit ihm durchging. Doch dann bekam er einen ersten Beweis dafür, dass er nicht mehr alleine war. Die Musik wurde um mindestens die Hälfte leiser gedreht und Schritte ließen vermuten, dass sich jemand der Küche näherte. Er schlich durch die halb geöffnete Wohnzimmertür und näherte sich der Küche, die mit einem Tresen vom Wohnzimmer getrennt war. Als er diesen Tresen langsam erreichte, bekam er den zweiten Beweis dafür, dass außer ihm noch wer im Haus war. Er konnte die fremde Person nun endlich sehen und erkannte, dass es Tanja, seine Ehefrau, war.
„Was machst du denn hier?“ fragte er etwas verwirrt, aber dennoch erleichtert, dass er sich keinem Räuber zur Wehr setzen musste.
„Ich wohne hier, schon vergessen“, frotzelte sie rum. „Nee, mal im Ernst: es geht um Lilly.“
“Was ist denn mit ihr?“ fragte er besorgt und schaltete die Musik ganz ab. Er nahm Platz am Küchentisch. Tanja nahm gegenüber Platz und sah ihn groß an.
„Ich habe heut Morgen um sieben Uhr versucht dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen. Eine Stunde später das gleiche, also bin ich einfach hergelaufen.“
„Den ganzen Weg gelaufen?“ rief er ungläubig. Er sah wie automatisch zur Uhr. Es war viertel nach elf. „Das sind doch glatt fünf oder sechs Kilometer.“
„Zwölf.“
Bevor Mark darüber nachdenken konnte, schob sie gleich nach: „Lilly hatte schlimme Träume. Sie sagte, es würde jetzt jeden Augenblick beginnen.“
„Oh mein Gott!“ Mark schoss in die Höhe und fasste sich an die Stirn. „Was ist denn nun?“
„Wie meinst du das?“
„Was machen wir denn jetzt?“
„Na, wir holen sie da raus. Heute noch!“
Mark überlegte. Wie sollten sie das nur anstellen? „Wir kommen dann aber um eine Entführung nicht drum herum. Man wird nach uns suchen.“
„Ich weiß, aber willst du, dass sie stirbt?“
„Sterben???“ fiepte er fast unhörbar leise.
„Ja, Mark. Sie redet immer wieder davon, dass sie sterben könnte, wenn sie sich nicht mit uns beiden um dieses Veränderungs-Ding kümmert. Sie braucht uns beide, Mark.“
„Was macht sie jetzt?“
Auch Tanja sah nun zur Uhr und dachte nach. „Sie wird in einer halben oder dreiviertel Stunde Mittagessen bekommen, ich denke, das kann sie noch haben. Wir holen sie dann hinterher ab.“
Mark nickte. Es gab keine andere Möglichkeit. Die Ärzte würden ihnen niemals gestatten mit ihrem Kind das Krankenhaus zu verlassen, nicht nach allem, was sie bei Lilly festgestellt hatten. Eher riefen die den Sicherheitsdienst oder so und ließen die Eltern in Gewahrsam nehmen.
„Was hat sie denn noch so gesagt?“ Auch Mark war soweit, das Schicksal seiner Tochter in des Tochters Hände zu legen, weil er ihr bedingungslos vertraute. Nur sie allein wusste am Besten, was mit ihr geschehen würde.
„Nicht viel, nur dass sie so komische Träume oder Visionen, so wie Tagträume hätte, und uns beide mit ihr sah wie es begann. Ich weiß es auch nicht genau, sie hat nur sehr deutlich gemacht, dass sie uns beide braucht.“
„Gut. Dann essen wir auch erstmal was und in einer Stunde fahren wir zu ihr. Lass uns vorher noch ein paar Dinge einpacken, nur für den Notfall.“
„Was denn für Dinge?“
„Decken, etwas Proviant und was zum Wechseln. So einen kleinen Koffer, falls wir uns für ein paar Tage zurückziehen müssen. Und ich hole dann noch Geld vom Konto.“
Tanja entdeckte die Weisheit in dieser Entscheidung und stimmte ihm zu. Das Mittagessen im Hause Jenssen fiel sehr bescheiden aus. Es gab bloß aufgewärmte Bockwürstchen mit Kartoffelbrei und Ketchup. Hauptsache, sie hatten etwas im Magen. Aufwendig zu kochen und zu essen, lag beiden jetzt eh fern.
Um zwölf Uhr fuhren Mark und Tanja mit ihrem Wagen von der Auffahrt. Im Gepäck hatten sie einen prall gefüllten Koffer mit Kleidung und Waschutensilien für drei Tage für sie und Lilly und eine Reisetasche mit Wasser und einigen geschmierten Broten. Bevor Mark auf den Parkplatz des Krankenhauses einbog, hielt er noch bei einer Bank und hob achthundert Euro vom gemeinsamen Konto ab.
Während Mark und Tanja noch fuhren und an einer Ampel stehen bleiben mussten, überkam beide ein schreckliches Gefühl. Ihnen wurde schlagartig schwarz vor Augen und sie fühlten einen pochenden Schmerz hinter ihrer Stirn. Bilder schossen in ihre Gedanken, Bilder von fiesen Gestalten, die sich mit ungeheurer Geschwindigkeit den beiden näherten. Mark machte schnelle Handbewegungen, schien sich wehren zu wollen, aber Tanja blieb ruhig, denn sie erkannte die Gestalten wieder. Es waren die Bildnisse ihrer Tochter aus dem Kindergarten und die Wesen aus Lillys Alptraum. Mark konnte mit diesen Gestalten nicht viel anfangen, aber war sich sicher, dass sie etwas mit Lilly zu tun hatten.
„Lilly!“ riefen beide wie aus einem Mund.
„Sie ruft uns, sie braucht unsere Hilfe jetzt“, verkündete Tanja. „Los, gib Gas!“ fügte sie noch an, als die Ampel gerade in die Gelbphase wechselte. Mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit schoss Mark auf den Parkplatz des Krankenhauses und hielt Reifen quietschend in einer Parklücke. Mark und Tanja stiegen aus und rannten auf den Eingang zu und versuchten so schnell wie möglich zu Lilly zu gelangen.
Wir kommen, Schatz. Wir holen dich jetzt! schickte Tanja in Gedanken ihrer Tochter zu ohne zu wissen, ob diese es empfing. Sie war sich aber sicher, dass sie es zumindest spürte, dass man sie nun rettete.
 
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