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Ein nettes Paar

Trauriges · Kurzgeschichten
Seit einer Stunde sitzen sie sich gegenüber. Der massive Eichenholztisch ist noch gedeckt, die weißen Teller sind bereits leer. Er hatte eine Pizza Salami, so wie immer, sie Spaghetti. Die Gläser sind noch halb mit Cola und Mineralwasser gefüllt. Ununterbrochen treffen sich ihre Blicke, während sie in alten Erinnerungen wühlen und neue Geschichten austauschen. Denn sie sehen sich nicht mehr so oft, seit sie die Schule vor über einem Jahr verlassen und sich ihre Wege getrennt hatten. Meistens lächeln sie, nur hin und wieder scheinen sie ganz ernst. Ein nettes Paar, wohl beide um die 20 Jahre alt, würden die anderen Gäste sicher denken, wenn noch welche anwesend wären, denn der kleine Zeiger der großen Uhr an der Wand nähert sich bereits der Zwölf. Längst ist es ruhig um sie herum geworden. Die unaufdringliche, angenehme Musik spielt jetzt nur noch halb so laut.

›Warum erzählst du mir diese Geschichte immer wieder? denkt er. Natürlich höre ich dir zu, so wie ich es immer tue. Wolltest du mich nur deswegen treffen? Hast du nur deswegen gestern und heute den Tag mit mir verbracht? Ja, du hast Sorgen, aber du weißt auch nicht, dass ich in der letzten Nacht jede halbe Stunde aufgewacht bin.‹

»Ich könnte mich immer noch darüber aufregen, dass er allen gesagt hat, ich wäre schuld«, ärgert sie sich zum tausendsten Mal. »Nein, ich trauere ihm sicher nicht nach. Das hab ich überhaupt nicht nötig. Ich konnte halt nicht mehr so weitermachen, und ich wollte auch nicht mehr. Warum hätte ich weiterhin die zweite Geige spielen sollen? Er hat mich doch nur noch hinten angestellt, und seine Mutter… Seine Mutter konnte auch nie leiden, wie du ja weißt.«

Hie und da ein zustimmendes Nicken seinerseits, dann hebt er wieder sein Glas und nippt an der bereits abgestanden Cola, während seine Ohren und seine Gedanken getrennte Wege gehen. ›Wie sehr du doch beschäftigt bist, deine Geschichte wieder und wieder zu erzählen. Es tut mir auch Leid für dich. Dabei siehst du gut aus, wirklich erholt - so viel besser als noch vor ein paar Wochen. Deine neue Frisur fiel mir sofort auf, dann deine neue Kleidung. Es war sicher die richtige Entscheidung, und nun bist du wieder frei. Ja, frei. Frei für...‹

»Wie gut, dass ich mit dir reden kann«, strahlt sie und schenkt ihm ihr schönstes Lächeln. Dann nimmt auch sie noch einen letzten Schluck aus ihrem fast leeren Glas, dessen Rand sie die ganze Zeit mit dem Zeigefinger umspielt hat.

Der Minutenzeiger, der auf der großen Uhr an der Wand gemächlich seine Runden zieht, hat jetzt die Zwölf passiert und damit sowohl die Stunde, als auch den Tag vollendet. Noch immer scheinen ihre Gedanken sie wie wild zu bedrängen, um endlich als befreiende Worte von ihren bezaubernden Lippen zu fallen. Sie sieht ihm dabei unablässig in die Augen. Er erwidert ihren Blick, kann diesen Kontakt scheinbar jedoch nicht allzu lange halten. Viel erzählt er nicht, hört nur zu und lächelt sie meistens mit dem Mund an. Mittlerweile schaut er hin und wieder zur Uhr, wirkt ein wenig hektisch. Will er gehen?

›Dein Mund, dein gemalter Mund, er öffnet und schließt sich unaufhörlich. Längst lässt du mich nicht mehr zu Wort kommen, doch dein wundervolles Lächeln entschädigt mich dafür.‹ Seine Gedanken schlagen weite Kreise, während sein unablässiges Nicken sie bestätigt. Hie und da formen seine Lippen eine tröstende gerade Linie.

›Klang deine Stimme immer schon so schön? Du kannst ewig weiterreden, und ich werde einfach nur zuhören, weniger deinen Worten, als vielmehr ihrem Klang... diesem süßen Klang... Ich frage mich... ob du verstummen würdest, wenn ich dir erzählen würde, weshalb ich heute müde bin, weshalb ich die ganze letzte Nacht kaum geschlafen habe und weshalb ich auch dieses Mal nicht ruhen werde.‹

Er richtet sich etwas auf, so als wäre er aus einer Trance erwacht und hört auf, mit den Fingern an der Kante der Tischdecke zu zupfen. ›Wie würdest du mich wohl ansehen, wenn ich dir sagen würde, dass ich dich... Die Chance... die Chance, dass dein Lächeln auch dann nicht verschwinden würde, ist sie da? Ist es diese Möglichkeit, die jetzt in meinem Körper pulsiert? Gleich werde ich es erfahren, werde die Gelegenheit ergreifen! Jetzt!‹

»Entschuldigen Sie bitte, aber wir müssen gleich schließen«, tönt es plötzlich von der rechten Seite des Tisches. Die nette junge Kellnerin, die bereits das Essen serviert hat, wirft ihnen einen bedauernden Blick zu. »Ja natürlich, ist schon in Ordnung«, ist die verständnisvolle Antwort der jungen Frau, die nun scheinbar zum ersten Mal von ihrer Geschichte ablässt. Und schon im nächsten Augenblick zieht er die Brieftasche aus seiner Jacke, die auf dem unbesetzten Stuhl neben ihm liegt. Er zwinkert ihr zu und bekommt ein dankbares Lächeln dafür zurück.

»Schade, dass ich morgen schon wieder abreisen muss. Aber in einer Woche bin ich ja wieder hier. Wenn du magst, können wir uns ja dann wieder sehen. Ich hab noch ziemlich viel zu erzählen«, sagt sie erleichtert klingend, und ein zufriedener Ausdruck legt sich über ihr Gesicht, während sie den Reißverschluss ihrer Jacke hochzieht.

›Ja, ganz sicher werden wir uns wieder sehen – schon am nächsten Wochenende. Und dann werde ich es dir sagen. Vielleicht war heute nicht der richtige Zeitpunkt, vielleicht war es noch zu früh. Oder war es einfach nur nicht mein Tag? Das ist jetzt gleich, denn beim nächsten Mal werde ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und vielleicht... Nur vielleicht, nein bestimmt! Die Chance ist da, das spüre ich tief in mir. Sobald ich weiß, wie ich dir sagen soll, dass ich dich...‹

»Ich wünsche noch einen schönen Abend«, entgegnet die Kellnerin, die nun hinter der Theke steht und ihnen mit freundlichem Gesicht hinterher schaut. Ein nettes Paar, denkt sie noch kurz, als sie die fast völlig herunter gebrannte Kerze am eben noch besetzten Tisch löscht und die Tür abschließt, nachdem diese letzten Gäste in die nächtliche Dunkelheit entschwunden sind.

Schon in einer Woche werden die beiden wieder hier sein, um im gleichen gemütlichen Restaurant zu reden. Sie werden am gleichen Tisch in der linken hinteren Ecke unter dem Fenster sitzen, durch welches man immer wieder Leute aus dem anliegenden Kino kommen sieht. Er wird eine Pizza Salami bestellen, wie schon so oft, sie Spaghetti, dazu vielleicht ein Wasser und er eine Cola. Sie wird viel zu berichten haben, wird ihm von ihrem neuen Freund erzählen, wie lieb er ist, wie viel besser als der Mann, über den sie sich vor nur einer einzigen Woche noch so geärgert hat. Er wird ihr zuhören, ihr in die Augen schauen, wird sie anlächeln und ihr immer wieder zunicken. Ein nettes Paar, werden einige der anwesenden Gäste denken, und niemand wird seinen müden Blick bemerken oder die Trauer in seinem Lächeln entdecken.
 
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Kommentare  

Das freut mich, dass du das rausliest. Diese Ungeduld wollte ich wirklich erzeugen, weil ich doch hoffe, dass der Leser ein wenig mit dem männlichen Protagonisten fühlt. Und gerade den dürfte doch die Ungeduld und das Warten auf den richtigen Augenblick schier verrückt machen. ;-)

Liebe Grüße
Phan-Thomas


Phan-Thomas (23.09.2008)

Die Szene hat etwas unterschwelliges - Ungeduld über die beiden, die nicht zu Potte kommen? War das beabsichtigt oder nur mein Gefühl?
GRÜN! ;0)
LG Dublin


Pia Dublin (23.09.2008)

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