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4 Seiten

Heiligtum

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
- Die Story ist mehr ein Test, ein Experiment, wie auch immer. Sie wurde für etwas komplett anderes verfasst und ich wollte mal sehen ob sie auch so, alleinstehend und ohne ihren eigentlichen Hintergrund funktioniert -



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Es war ein unbekannter Ort. Still und einsam lag er dort und niemand sah ihn, oder wollte ihn nicht sehen. Das kleine Eisengitter am Eingang quietschte sanft, als David es öffnete. Der Boden unter seinen Füßen gab leicht nach, war er doch vom Regen aufgeweicht worden. Trotz der hereinbrechenden Dunkelheit lief David zielstrebig über den verlassenen Hof. Es gab hier keine Laternen, die ihm den Weg wiesen. Nur sein Gedächtnis und sein Verlangen trieben ihn voran. Erst an der Abbiegung brach sich das Licht an der alten Steinmauer. Schatten fielen durch die schmalen Durchgänge und erzeugten eine düstere und unheimliche Atmosphäre, die gelegentlich Jugendliche anzog. David sah leere Bierdosen an der Wand stehen. Die Aussätzigen schienen die einzigen zu sein, die diesen Ort auch kannten.

Die wahre Schönheit lag jedoch hinter der Steinmauer. Der alte Turm ragte in die Höhe und schien sein Zuhause zu bewachen. Wie jedes Mal blickte David nach oben, zur Kuppel. Trotz des Rostes, der sich über den Turm zog, war er eine Schönheit. Wenn man die Augen schloss konnte man ihn sich vorstellen wie er damals, zu seiner Zeit, golden und stolz, in der Sonne stand und von allen bewundert wurde. Diese Zeiten waren vorbei. Verlassen stand er hier, mit anderen vergessenen Teilen, auf dem ebenso vergessenen Hofe. In der Ferne zeichneten sich neue Fabrikgebäude ab, die hoch ragten und diesen Ort zu verschlucken schienen. David stellte sich unter den Turm, dort wo das letzte Licht durch die dicken Stäbe fiel. Ein kleines vergilbtes Schild erinnerte ihn daran, dass das Hinaufklettern verboten war. Er kannte diesen Ort inzwischen so gut wie er sich selbst kannte. Es war sein Ort, sein Heiligtum. Seins und Sarahs.

Zu lange war es her, dass sie diesen Ort zum ersten Mal aufgesucht hatten. Er konnte nicht sagen wie sie ihn gefunden hatten, wieso sie ihn auserwählten hatten. Vielleicht hatte der Ort auch sie erwählt. Sie waren miteinander untrennbar verbunden – ebenso wie David und Sarah selbst. Es hatte den ganzen Tag leicht geregnet und noch immer fielen kleine Tropfen aus dem dunklen Himmel. David fror und steckte seine Hände in die Taschen. Bald würde Sarah da sein und ihn die Kälte vergessen lassen. Während er wartete, sah er sich erneut um. Die Umrisse waren ihm vertraut, gaben ihm ein Gefühl von Trost und ja, Sicherheit.

David war müde. Die Dreharbeiten zerrten an ihm. Zuhause warteten seine Frau und seine kleine Tochter, die er so sehr liebte, dass es wehtat. Doch dennoch war hier, an diesem geheimen, nicht existenten Ort und wartete auf die andere Frau in seinem Leben. Sarah. Die Liebe zu ihr war ebenso schmerzhaft, aber auch aufregend, verzweifelnd und vor allem zerstörend. Schon einmal hatten sie sich getrennt, weil sie Gefahr gelaufen waren, sich selbst zu zerstören, ihr magisches Band zu zerstören. Sie landeten immer wieder hier. An diesem Ort, wo sie keine Vergangenheit hatten, aber auch keine Zukunft.

„Hallo Fremder.“ Er hatte sie nicht gehört. Geräuschlos musste sie sich angenähert haben, oder er war zu sehr in Gedanken gewesen. Er zuckte nicht zusammen, schließlich hatte er sie erwartet. Sie stand im Schatten, doch er hatte das Gefühl sie im Sonnenlicht zu sehen, so eingeprägt war ihr Gesicht in seinem inneren Auge.

„Ich wusste nicht, dass Frauen hier Zutritt haben.“ antwortete er, spielte das Spiel mit.

Sarah war still. David wollte aufstehen und auf sie zugehen, doch sie entschied sich in diesem Moment sich neben ihn zu setzen. Sofort umhüllte ihn ihr Geruch, der durch seine Nase direkt in seinen Kopf und sein Herz stieß.

„Wir sollten uns nicht mehr treffen.“ sagte sie schließlich und es klang fast wie eine Frage. David hätte am liebsten geseufzt. Gelegentlich hatten er oder sie Zweifel. Schließlich war er verheiratet, immerhin hatten sie beide Kinder, bekanntlich endeten Beziehungen zwischen Co-Stars im Desaster. Nur leider liebten sich die beiden. Sie waren wie Teenager in ihrem Verlangen, aber sie waren sich der Konsequenzen schmerzlich bewusst. Genau aus diesem Grund holten die Zweifel sie all zu oft ein.

„Das sollten wir nicht.“

„Wir sind uns also einig.“

Stille folgte. Sarah mummelte sich mehr in ihren Mantel. David bemerkte ihr Unbehagen und rutsche näher zu ihr, legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie näher. Sie ließ es geschehen. Nach einem Moment landete ihr Kopf auf seiner Schulter.

„Irgendwann müssen wir etwas ändern.“ flüstere sie. Wie als Antwort küsste er ihre Haare. Sie rochen schwach nach Apfel und Kind. Und nach Regen, der dafür gesorgt hatten, dass sich leichte Wellen und kleine Löckchen auf ihrem Kopf gebildet hatten. Sie wirkte dadurch noch jünger und verletzlicher. Er liebte ihre Haare und so schloss er für einen Moment seine Augen, nahm nur ihren Geruch war. Er stellte sich vor wie sie hier saßen, in der Sonne. Der Turm strahlend über ihnen, vor ihnen frisches Gras und kleine Kinder – ihre Kinder – und die Welt wäre wunderbar. Manchmal konnte er ebenso ein Träumer sein wie sein der Alter-Ego den er in ihrem gemeinsamen Film spielte. Nur dass er diese Träume grundsätzlich für sich behielt. Sie waren unweigerlich mit diesem Ort verbunden.

Der Regen wurde stärker und prasselte auf den Turm. Instinktiv zog David Sarah näher zu sich heran um sie zu schützen. Sie hob ihren Kopf und sah ihn an. Ihr Gesicht war nass und für einen Moment fragte sich David ob es vom Regen war, oder von Tränen. Es standen so viele Gefühle in ihren Augen, die ihm fast Angst machten. Er wollte ihr nicht wehtun, oder ihr das Leben so schwer machen. Er küsste die Tränen weg und schmeckte den Regen auf ihrer Haut.

„Ich sollte gehen. Und du auch. Deine Frau wartet auf dich.“ Sarah löste sich etwas widerstrebend von ihm. David konnte nicht sagen wie lange sie hier gesessen hatten. Sie sahen sich den ganzen Tag am Set und dennoch schien es ihm als wären sie erst hier zusammen. Er küsste sie impulsiv und leidenschaftlich.

„Wir müssen gehen.“ sagte Sarah etwas außer Atem, als sie den Kuss beendete. Sie waren schon zwei komische Gestalten, wie sie dort im Regen saßen und sich aneinander festhielten. David wollte nicht gehen. Er freute sich auf seine Tochter, doch wenn er ihr lachendes Geschichtchen sah, das so voller Liebe für ihn war, fühlte er diesen Stich. Ein Gefühl, das ihm sagte, dass er mit diesen Treffen auch ihr weh tat und ihr schadete.

„Wir sehen uns morgen,“ Sarah stand auf, „Am Set.“ fügte sie hinzu. Sie entfernte sich ein wenig. David starrte ihr hinterher. Sie verließen den Platz nie gemeinsam.

„Morgen.“ murmelte David und sah sie an.

„Gleiche Zeit, gleicher Ort.“ Sagte Sarah mit einem traurigen Lächeln. Davids Herz machte einen Sprung und schien dann zu zerspringen. Er beobachtete, wie sie wieder in der Dunkelheit verschwand. ‚Irgendwann’ hatte sie gesagt. Irgendwann würden sie etwas ändern müssen, aber erstmal würde alles so weiterlaufen wie bisher.

David stand auf – es waren genug Minuten vergangen. Noch einmal hob er seinen Kopf und sah den Turm im Schein des Mondes an. Im Dunkeln sah man seine Fehler nicht, konnte kaum sehen, dass er verrostet und alt war. Er war noch immer der gleiche, den man vor über hundert Jahren erbaut hatte.

Die Hände in den Taschen und ein letzter Blick auf den Turm und David schlenderte in Richtung des kleinen Eisengitters. Leise verschloss er es hinter sich und ließ seine kleine Welt bis zum nächsten Abend hinter sich. Mit hoch erhobenen Kopf und gelassenem Blick lief er zurück in die Wirklichkeit. Im Hintergrund wachte und beobachtete der Turm jeden seiner Schritte.
 
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Kommentare  

Und wo bleibt die nächste Geschichte?

doska (30.03.2009)

Sehr schöne verträumte, sehnsüchtige Kurzgeschichte.

Jochen (28.03.2009)

Prima, klappt doch!!!!

Ich fand deine Texte noch nie schlecht. Darüber hatten wir damals auch schon per Internet diskutiert.


H. Seeg (12.03.2009)

Dein Text funktioniert durchaus auch alleine stehend. Mich würde allerdings interessieren, wofür er ursprünglich geschrieben wurde.
Du beschreibst die Situation der beiden gut. Man merkt als Leser richtig diese drückende und doch unendlich liebevolle Stimmung...
gibts davon eine Fortsetzung?
Liebe Grüße


Summer Peach (10.03.2009)

Dieser Test ist dir geglückt. Die Geschichte kann durchaus allein für sich stehen. Ausdrucksstarke Bilder spiegeln die Gefühle deiner Protagonisten wider. Zart und sehr einfühlsam bringst du sie an uns heran Der Text liest sich federleicht. Kurz, das Ganze war ein Genuss.

doska (10.03.2009)

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