8


39 Seiten

Henry,Seine reise zu sich selbst

Romane/Serien · Nachdenkliches
Henry,Seine Reise zu sich selbst.
Irgendwas stimmt nicht,irgendwas stimmt nicht, hämmerte es in Henrys Kopf. Irgendwas stimmt nicht mit der Wirklichkeit.
Angst kroch in Henrys Körper langsam über die Beine hoch, zum Bauch, bis es dann sein ganzes Wesen erfasste.
Angst,die gleiche Angst die er als Kind spürte,wo er als Kind von seinem Vater unkontrolliert geschlagen wurde.
Er hatte gefleht und gebettelt ,bis er nur noch ein Eis-Klotz war.
Henry fühlte sich völlig erstarrt ,unfähig sich zu bewegen. Arme und Beine zum Bauch hin gekrümmt, in der Hoffnung sie würden sein junges Leben beschützen, wartete er auf das Ende.
Das Ende! Was für ein Ende?
Es war auch der Anfang,von einer lebenslangen Suche nach dem Leben . Er fragte sich, was es ist, was es bedeutet, woher das Leben kommt, gibt es ein Ziel ,was ist die Ursache und schließlich gibt es Gott.
Seitdem er hier in diesen Kloster Thailand lebt, um sich von seiner Sucht zu befreien, ist alles noch komplizierter geworden.
Die Ruhe, die Abgeschiedenheit, der immer gleiche, geregelte Tages Ablauf konfrontiert ihn immer mehr mit sich selbst.
Die Mönche, die hier leben, sind freundlich aber bestimmt. Es gibt klare Regeln die es einzuhalten gilt.
Sein Ich hat hier völlig seine Bedeutung verloren. Er war hier Mönch unter Mönchen. Zu Hause war er wenigstens noch Henry der Landschaftsgärtner, der Vater, der Besitzer eines Hauses. Ab und zu gaben seine Kunden, für die er den Garten machte und seine Kinder das Gefühl, von Bedeutung zu sein. Nur seine ehemalige Frau machte ihm ziemlich zu schaffen. Kein richtiges Essen für die Kinder, Bestellungen die auf den Dachboden gelangten, brachte seine Familie in finanzielle Schwierigkeiten. Aber selbst diese Schwierigkeiten stärkten seine Bedeutung.
Nun war Henry hier, fühlte sich stärker den je bedeutungslos. Die Sucht hatte ihn hier hergebracht oder war es Sehnsucht, was wahrscheinlich das Selbe ist. Die Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit.
Hätte er so weiter gemacht, hätte die Sucht wahrscheinlich sein Leben schon besiegt. Die Sucht hätte auch nicht mehr geholfen, seine Angst sowie seine Depressionen zu verdrängen. Schon längst verfehlte das Mittel seine Wirkung. So wie alle Mittel bei längeren Gebrauch. Der Körper gewöhnt sich an das Gift .Er braucht immer mehr davon, bis er versagt.
Doch Millionen von Menschen versuchen es immer und immer wieder sich auf diese Weise von ihren Ängsten und Ihrem Leiden zu befreien. Jede Gesellschaft, Kultur oder Nation hat dafür ihr bevorzugtes Mittel parat, die alle ähnlich in die Irre führen. Mit Mitteln sind gleichzeitig alle Methoden gemeint, die dazu dienen, alles zu verdrängen ,zu vergessen und letztendlich nichts wahrzunehmen.
Langsam kehrte das Leben in Henrys Körper wieder zurück und er wusste wieder warum er hier war. Er suchte nach der Wahrheit, nach der Wirklichkeit, nach der Realität, die hinter allem steckt. Verzweifelt versuchte er zu verstehen und zu begreifen.
Aufgewachsen in der DDR, wo der Marxismus gepredigt wurde, war in der Meisterschule auch die Philosophie ein Thema.
Die Meisterschule hatte Henry gemacht, um seinem Vater doch noch zu beweisen, dass er doch nicht der Versager, zu nichts zu gebrauchender, zum Scheißen zu blöd seiender Junge war. Es wäre besser, er würde sich umbringen, bekam Henry oft zu hören. Letzteres hatte er dann auch zweimal versucht, so hilflos und unverstanden hatte er sich gefühlt. Doch dann hatte er die rettenden Gedanken.
„Egal wie lange dein Leben dauert, egal was dir passiert, sterben wirst du sowieso“.
Und im Angesicht der Zeit, der dir auf Erden bleibt, mit kosmischen Augen betrachtet, wo 70 Jahre nichts ist, wirst du es schon irgendwie leben.
Einmal war Henry eine Woche in den Wald gelaufen. Er hatte sich von Obst, Beeren und zehn DDR Mark ernährt, die er zufällig in seiner Arbeitshose hatte, als er unüberlegt in seiner Angst vor Prügel sich auf und davon machte. Brötchen kosteten damals den unvorstellbaren
Preis von 0,05DDR Mark.
Nachdem er sich nach einer Woche aufgreifen lies, flehte er die Beamten an, ihn doch in ein Heim einzuweisen. Sie sahen in ihm aber nur einen Republikflüchtling. Er sollte sich nackt ausziehen und die Frage beantworten,was er im Westen wolle.
Politik war für Henry in dieser Zeit so fern, als wenn in China ein Sack Reis umfällt.
Komisch, heute meinen die Wissenschaftler, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Asien das Wetter in Europa beeinflusst. Soweit Henry sich erinnern kann,hängt das mit der Caostheorie zusammen, was er irgendwann mal gelesen hatte.
Lesen, ja lesen, das war seine einzigste Möglichkeit der Wahrheit über die Welt näher zu kommen, ja trotz aller Verzweiflung gebliebene, ungebremste, gierige Neugierde auf die Welt zu befriedigen, hinter den oberflächlichen Kulissen zu schauen. Das ständige Geplapper um nichts, die ewigen Streitigkeiten, Klatsch und Ausgrenzungen, dieses „Wenn Du nicht das machst, was die jeweiligen Führer Dir sagen“ haben Henry noch nie interessiert.
Nichtsdestotrotz, seid diesem Kontakt mit der Staatsmacht hat Henry sich für Politik interessiert. Er sog alles in sich hinein, was es an Informationen darüber gab. Letztendlich kam Henry zu den Endschluss, dass das Streben nach Macht den anfänglichen durchaus guten Bedürfnis nach Sicherheit und Liebe entspringt, wobei sich diese Gefühle mit einen System aus Werten ,Ansichten, Erfahrungen und Meinungen verbündet, sich letztendlich der Träger dieses Meinungs- und Glaubenssystems mit Hilfe von Manipulation, Angst, Gewalt materieller sowie ideeller Art Besitzer einer von ihm geschaffenen Welt wird. Das dies auf Kosten von seinen Mitmenschen, seiner Weiterentwicklung geht, nimmt er manchmal war, manchmal nicht. Er verdrängt es, er bekämpft es.
Nur sein künstlich geschaffenes System will er nur selten aufgeben. Er zieht Grenzen und verteidigt sie. Nur wollen das andere Menschen auch. Daraus folgen dann Konflikte, Kriege und Hass.


Die Macht

Ein Stück von Liebe Ein Stück von Hass

Henry merkte wie er sich langsam von sich selbst entfernte und ging hinüber in den Meditationsraum wo er den Klang der Glocken folgte. Er konnte seine aufsteigenden Gedanken ,wie an eine Leinwand projektiert, sehen, sie anschauen, als wenn er einen Film anschaut. Er vergaß sogar, dass er der Produzent sowie der Regisseur des Films war. Ruhig, ganz ruhig wurde er. Ein ungemein wohliges Gefühl breitete sich aus.
Irgendwie schien es Henry, als würde sich der ganze Film, der sein Leben zu beinhalten schien, an der Stelle hängen bleiben, wo er als Kind von seinen Vater unkontrolliert geschlagen wurde.
Er sah ganz deutlich, wie dies sein Leben beeinflusst hat. Es war der Filter, denen alle Informationen passieren mussten, die in seinem Kopf gelangten. Die meisten Informationen, die wahrgenommen werden, sind eingeteilt in positiv, negativ sowie neutral, wobei bei Henry der Filter zum negativen Urteil hin verschoben ist. Aus diesem Urteil erwachsen Gefühle und Emotionen, die seine Lebensqualität bestimmen.
Er wusste bald auch nicht mehr den Ursprung seiner negativen Gefühle, sondern spürte nur noch ein Unbehagen, was er als Angst registrierte. Angst, die kein Objekt kennt, Angst vor Auslöschung oder Todesangst.
Ja wenn sie wenigstens einen Namen gehabt hätte, etwa wie die Angst vor Schlangen, aber nein, es war und ist eine nicht einzuordnende Angst, die Henry erfasste und die seine Umgebung auszunutzen wusste, wenn sie einmal erkannt hatten, was sie sagen mussten, um diesen Mechanismus auszulösen. Dann war er bereit für ihre Manipulationen.
Schöne Grüße von Pavlov, dachte Henry, der an Hand von Hunde-Studien als erste solche Prägungen entdeckt hatte.

Angst
Du machst mir Angst
Du willst Herrscher, Kaiser, König sein,
dabei bist Du doch ganz klein, sollst nur
Berater sein,
Verbündest Dich mit Neid, Gewalt und Hass,
damit Du behalten kannst, Die Macht.
Doch in Deiner Gier suchst Du vergeblich nach mir
Nun geh von meinen Thron und nimm nur Deinen Lohn

In diesem Moment kam Henry der Einfall, dieser Angst einen Namen zu geben. Damit war sie für ihn endlich fassbar. Angreifen wollte er sie nicht, denn alles was man bekämpft, wird stärker. Er beschloss, sie sollte Sackwerda heißen. Ein ungeliebter Direktor, der den militärischen Sozialismus befürwortete und alle Jungs zu gehorchenden Soldaten machen wollte.
Sackwerda, also die Angst hat ja durchaus positive Aspekte, denkt Henry. Er, sie ist eines der größten Triebkräfte des Menschen, wenn nicht sogar die größte neben den Bedürfnissen nach Essen, Trinken, Sex, Kleidung, wohnen und schlafen. Nur eine einzige Kraft, die Neugier kann mit ihr konkurrieren.
Immerhin, dachte Henry, lerne ich auch was dabei und Sackwerda schützt mich, ansonsten wäre ich ein Narr und würde kein Tag überstehen.
Nun war es Zeit für Henry in den Hof zu gehen und die tägliche Morgenprozedur über sich ergehen zu lassen. Er trank wie alle anderen einen Tee aus 105 Kräutern, wobei er hinterher erbrechen musste. Er soll der inneren Reinigung dienen, wurde ihm gesagt. Jedenfalls fühlte er sich hinterher richtig nüchtern.
Irgendwas stimmt nicht, irgendwas stimmt nicht mit der Realität, dachte Henry.
Eins scheint aber klar zu sein. Ich übernehme das Glaubenssystem des Landes oder sogar des Ortes, wo ich hinein geboren werde. Allein schon deshalb, um überleben zu können. Doch wie viel ist davon Wirklichkeit oder unumstößliche Realität?
Um sich ein bisschen mehr Klarheit zu verschaffen, beschloss Henry, nach seiner täglichen Arbeitspflicht zu seinem persönlichen Meister Huang zu gehen.
Meister Huang war vor 7 Jahren hierher gekommen, als seine Frau gestorben war. Er hieß damals noch Peter Palutke und stammte wie er aus der ehemaligen DDR.
Henry hatte Vertrauen zu ihm bekommen. Dazu kam noch, dass nur sehr wenige Meister Deutsch verstanden. Wie bei der Vorstellung der einzelnen Meister erklärt wurde, war er Direktor einer Schule, wo er nach der Wende zum Abdanken gebeten wurde, da er wie jeder Leiter in der Partei war. Seine Frau erkrankte bald nach der so genannten Wende und starb bald darauf.
Seine Welt brach total zusammen, denn er kam nicht damit zurecht, dass sein Sozialismus, an dem er trotz aller Widersprüche geglaubt hatte, von der Erdoberfläche verschwand.
So kam es, dass er mit 56 Jahren seine Abfindung nahm und hierher kam, wo er sich nach langer Besinnungszeit wieder als Lehrer fühlte. Er ist nicht zerbrochen, sondern fand hier im Kloster einen neuen Sinn.
„Meister Huang“, begann Henry. „In meinem Kopf ist alles durcheinander. Ich weiß nicht mehr was oben und unten ist. Mein Glaubenssysteme sind zusammengebrochen. Ich fühle mich voll und gleichzeitig leer. Die Sinnlosigkeit und Ratlosigkeit des Lebens, die alles tun zu Staub zerfallen lässt, macht mich krank. Was sagst du dazu?“
„Nun“, begann Meister, „Huang da der Mensch am besten in einer bildhaften Metapher begreift, erzähle ich dir von Lee, der seine Garage aufräumen wollte.
Lee konnte seine Garage gar nicht mehr nutzen, da sie mit allem möglichen, im Laufe der Jahre angesammelten Dingen voll gestopft war. Selbst, wenn er etwas brauchten wovon er wussten dass das Betreffende in der Garage vorhanden war, konnte er es nicht finden. Er musste neues kaufen.
Lee hatte drei Möglichkeiten. Er konnte alles lassen, wie es war, wodurch sich natürlich nichts ändern würde. Er könnte alles herausschmeißen und nur das wieder herein nehmen, was er für richtig und wichtig erkannte oder er sortiert die Sachen in der Garage.
Lee entschied sich für die zweite Variante.
Mach es so, wie es Lee mit der Garage tat, mit deinen Gedanken“, sprach Meister Huang. „Schreib sie auf und Du merkst, welche brauchbar sind und welche nicht. Die unbrauchbaren kannst du getrost loslassen.
Henry erwiderte: „Das sind doch wieder einer der vielen Psychotriks, die du überall hörst und die letztendlich doch nicht wirken.“
„Du hast recht, es gib viele Methoden Selbsterkenntnis zu erlangen. Welche für Dich die richtige ist musst du selbst herausfinden. Nur bedenke, dass zwar alle Methoden nur Psychotricks sind, doch diese Psychotricks für die Menschen die einzigste momentane Möglichkeit überhaupt ist, etwas über die Realität zu erfahren. Alles, was das Denken sich ausdenkt, ist nichts als Theorie. In den Moment, wo Du etwas tust, wird es zur Realität und wird sich solange an der Wirklichkeit reiben, bis es im Einklang mit ihr steht. Wenn du dabei so ehrlich wie es nur geht, selbst das unmögliche für möglich hältst, vielleicht siehst du dann den Schatz der Wahrheit. Mit welcher Methode du die Wirklichkeit von der Unwirklichkeit trennst, ist so egal wie der Schnee von gestern. Aber selbst bei der Suche nach der richtigen kannst du dich verlieren und wirst bis an deinem Lebensende nach der richtigen Methode suchen. Also fange endlich an Henry.
Henry verabschiedete sich mit einer leichten Verbeugung und ging die 600 Meter zum Fluss hinüber. Am Ausgang vom Seminarraum hatte er sich noch Bleistift und Papier mitgenommen, was er jetzt hervorholte, bevor er sich auf einen umgeworfenen Baumstamm setzte. Nachdem er schon lange auf dem Baumstamm saß, er wusste nicht mehr wie lange er dort schon saß, begann er zögerlich an zu schreiben.
Ich kann nichts dafür, dass ich geboren bin.
Ich kann nichts dafür, dass ich Bedürfnisse habe.
Ich kann nichts dafür, dass Gedanken kommen.
Ich kann nichts dafür, wie ich meine Umwelt beurteile.
Ich kann nichts dafür, wie meine Umwelt mich beurteilt.
Ich kann nichts dafür für meine krumme Nase.
ich kann nichts dafür, dass meine Beine zu kurz sind.
Ich kann nichts dafür, dass mein Vater meine Mutter mich nicht geliebt haben.
Sie können nichts dafür. Wer weiß ob sie geliebt worden sind.
ich sollte es versuchen, es hinzunehmen.
Aber ich kann was dafür, wenn ich Sklave dieser Gedanken werde.
Ich kann was dafür, wenn ich keine Verantwortung für meine Gedanken übernehme.
ich kann was dafür, wenn ich nicht anfange, mir zu Vertrauen, auch wenn ich Fehler mache. Denn nur durch Fehler lerne ich.
Nachdem Henry diese Zeilen aufgeschrieben hatte, faltete er ein Papierboot, setzte es in den Fluss und schaute den Boot lange nach, bis er aufstand, um in seine Unterkunft zu gehen.
Plötzlich überkam ihn ein Gefühl von stiller Freude, sein Körper erschien ihn tausendmal leichter, die Farben der Bäume, Blumen, der Vögel, der Insekten leuchteten intensiver. Der Gesang der Frösche und Zikaden erklang heller als er es für möglich gehalten hätte. Es strömte förmlich in Henrys Körper herein. Und dann dieser betörende Duft, der in der Luft lag. Warum hatte er von all dem beim hinabgehen nichts bemerkt?
Völlig losgelöst legte er sich in seine Hängematte, wo er von eine Art Wachtraum davongetragen wurde. Die Sprache, die sonst sein Bewusstsein so dominierte, verschwamm zu einer Flut von Bildern, die sich über eine weite Landschaft aus grünen Hügeln, schneebedeckten Bergen, bis hin zu einem Meer in weiter Ferne ergoss. Einzelheiten, kaum wahr genommen, verschwanden wieder, so das Henry keine Chance hatte, Bedeutungen oder Urteile abzugeben. Dann zog es ihn tiefer, immer tiefer in einem Bewusstseinszustand, wie ihn wahrscheinlich ein Atomphysiker sieht. Die Bilder wurden zu reinem Licht. Er sah die Elementarteilchen vor seinen inneren Auge flimmern, so ähnlich, als würde der Fernseher ohne Sender laufen. Die Teilchen tanzten ineinander, übereinander, mal dunkel, mal heller, nahmen kurz Formen an oder war es nur sein Bewusstsein, was verrückt spielte? Egal dachte er,es ist wunderschön und langsam veränderte sich das Bild, so als wenn langsam ein Sender hereinkommt. Die Formen wurden immer deutlicher, doch er schlief langsam ein. Als er am Morgen erwachte, erinnerte er sich nicht mehr an die Bilder. Egal, dachte Henry, er fühlte sich einfach nur glücklich.
Heute stand eine wichtige Aufgabe im Kloster an. Daran beteiligten sich alle, wirklich alle, auch die Meister. Um die Aufgabe zu erklären, muss man das Konzept des Klosters verstehen. Es besteht hauptsächlich darin, möglichst autark leben, wobei es bei diesem Kloster so gut funktioniert, das sogar ein Überschuss an Energie für ein Dorf weiter unten im Tal erzeugt wird.
Ausgangspunkt war ein kluger Zen Meister, mit den seltsammen Namen Gbjcmeat, der vor 32 Jahren das Kloster aus seinem Dornröschenschlaf weckte, um, wie er sagte, das alte Wissen mit den neuen Wissen zu einer Symbiose zu verbinden, damit das Kloster auch in Zukunft ein lebendiger spiritueller Ort bleibt.
Sein weiter Grundsatz war, dass es kein größerer Lehrmeister als die Natur mit ihrer Vielfältigkeit gibt, um ein Überleben zu sichern. Von Laotse inspiriert, der lange vor ihm schrieb „Es ist besser nichts zu tun, als mit viel Aufwand nichts zu schaffen“ fügte er hinzu, dass mit nichts schaffen tote, zum Untergang geweihte Sachen gemeint sind. Von den alten Traditionen übernahm er die alten Bauweisen aus Naturmaterialien sowie die Feldwirtschaft, da sie wie uns die Natur es vormacht, Kreisläufe sind. Es gab keinen Abfall, sondern aus Alten entstand wieder Neues. Zusätzlich führte er die Moderne durch die Elektrizität ein, weil er der Meinung war, dass Bequemlichkeit eine Kraft im Menschen ist, die für die Entwicklung des Geistes notwendig ist. Nur ein Mensch, der um die Notwendigkeit des täglichen Überlebenskampfes befreit ist, kann überhaupt erst Überlegungen über sich und die Welt anstellen. Dann erst öffnet sich der Weg zu einer wahren spirituellen Suche, der ihm die Wahrheit näher kommen lässt.
Dieses Konzept überzeugte Henry, als er sich auf der nach der Realität sich selbst sowie Wege aus der Sucht im Internet recherchierte.
Das Kloster ließ sich die Elektrizität nicht einfach vom Staat liefern, sondern baute mit Hilfe von westlichen Novizen, die im Kloster von ihrer Sucht befreit wurden, ein eigenes Netz auf. Wie die Natur setzten sie dabei auf Vielseitigkeit. Auf dem Berg steht ein grünes Wind-Rad. Von Weitem war es kaum zu erkennen, hatte es man mit Hilfe eines Hubschraubers mitten in die Bäume gesetzt, so dass nur die Flügel sichtbar sind. Weiter unten hat man wie früher die Müller den kleinen Fluss mit Hilfe eines Grabens umgeleitet, womit man zwar keine Mühle, aber einen Generator antreibt.
Da es hier oft nachts ziemlich kalt wird, hat man die Gästehäuser komplett anders gebaut. Sie sind rund, das Dach mit der höchsten Stelle befindet sich außen, so das sich in der Mitte mit der tiefsten Stelle die Sonnenstrahlen bündeln. Das Wasser wird durch eine Öffnung in eine unter dem Haus liegende Zisterne geleitet. Das doppelte Rohr wirkt dabei wie ein Tauchsieder, wobei die gebündelte Sonnenenergie erhitzt wird und so das Wasser in der Zisterne erwärmt wird, was dann wiederum als Fußboden-Heizung über einen Natursteinspeicher verwendet wird, der gleichzeitig als Fußboden dient. Eine weitere Energiequelle, die genutzt wird, ist der organische Abfall, der im Garten, in der Küche und bei der Pflege entsteht. Er wird in einem größeren Kompost-Haufen, der mindestens 2Meter Durchmesser hat, da es ansonsten nicht funktioniert, aufgesetzt. In diese Kompost-Haufen, der sich auf 65-70Grad erwärmt, werden Rohre so verlegt und miteinander verbunden, dass ein Kreislauf entsteht wie bei einer Schwerkraftheizung. In der Mitte des Rohres ist ein Rad eingebaut, welches die Energie in eine Drehbewegung nach außen transportiert, die dann ein Generator in Elektroenergie umwandelt. Dies funktioniert ziemlich gut, hat aber einen Hacken. Der Kompost-Haufen muss
jede Woche durch alle Kloster-Bewohner, sofern sie nicht krank sind, umgesetzt werden. Maschinen kommen dabei nicht zum Einsatz, da sie die eingebauten Rohre beschädigen würden.
Nun, das war also die Aufgabe, die Henry mit den anderen heute bewältigen sollte. Er arbeitete mit einen Algerier namens Romain zusammen. Immer zwei Mann bildeten ein Team, um den Kompost zwischen den Rohren weg zu schaufeln und frischen Kompost wieder einzustampfen. Henry machte es sichtlich Spaß, sich mal wieder so richtig auszupowern, kleine Späße mit den anderen zu machen, sowie keine quälende Gedanken zu haben. Ein starkes Gefühl von Gemeinsamkeit und aufgehoben sein überkam ihn. Er schob dabei seine Schubkarre locker und leicht vor sich her. Was heißt schob? Sie fuhr ja fast von allein dank einer lustigen Idee von Meister Lee Pu, der ebenfalls im Kloster lebte. Wie bei einem Spielzeug-Auto, was durch eine Feder Kraft speichert, wenn es mehrmals nach hinten gezogen wird. Und wenn mann es dann plötzlich loslöst, fährt es davon. Meister Chen Pu baute so eine Feder in die Radnarbe der Schubkarre ein, die sich dann bei Leerfahrten oder bergab auflud. So konnte bei voller Schubkarre oder unebenen Gelände mit Hilfe eines Hebels diese Kraft freigesetzt werden. Das sie bei Leerfahrten ein wenig schwerer ging bemerkte Henry kaum.
Irgendwann kam Henry ein bisschen mit Romain ins plaudern, wobei er seinen vollen Namen verschwieg, da er, wie er sagte, ein paar Probleme mit der Polizei hat. Nichts schlimmes, versicherte er, doch wird gleich ein Krimineller aus dir, wenn du beim Besitz von Haschisch erwischt wirst. Sie, er meinte wohl die Staatsmacht, pulvern Millionen für die Bekämpfung der Kriminalität sowie des Drogenhandels aus. Dabei ist es doch schon seit 30 Jahren bekannt, dass nur die Nachfrage sowie die Kriminalisierung von einfachen Konsumenten den Preis und die Beschaffungskriminalität erhöht. Mit jeden verhafteten Drogenhändler rutschen zwei neue, vielleicht noch harmlose kleine Dealer nach. Was solls. Sie werden eh nicht schlau. Dabei könnte es doch so einfach sein. Drogenabhängige könnten als „Kranke“ eingestuft werden, etwa wie Diabetiker, wovon viele davon auch nur krank sind, weil sie sich ungesund ernährt haben. Damit ist allen geholfen, die Beschaffungskriminalität, der Drogenmarkt bricht zusammen und vor allem könnte der Staat mit den Steuereinnahmen die Krankenkassen finanzieren, die der Drogensüchtige natürlich braucht. Freier Handel ist freilich genauso sinnlos, da es in einer Marktwirtschaft letztendlich immer um Gewinn geht, selbst dann noch, wenn es eigentlich um Willen der Gesundheit anders sein müsste. Dies kann jeder wer will zum Beispiel bei Wolfgang Schmidtbauer, Jürgen von Scheid nachlesen.
„Das klingt ja alles ziemlich verbittert“, antwortete Henry. „Wie bist du denn da rein gerutscht?“
„Ach ja“, winkte Romain ab,“so wie viele. Ich wollte einfach mal probieren und es hat mir gefallen. Immer wenn mich was angekotzt hat oder wenn ich was erleben wollte, habe ich es immer öfter genommen, bis ich dann jeden Tag gut drauf sein wollte und es ohne dem Zeug nicht mehr ging. Und bei dir“, fragte er Henry?
„Heute kann ich darüber lachen über den Spruch ,ein Bier zum Abend, zum entspannen. Naja, irgendwann waren es dann zwei, drei dann zum Mittag und so weiter. Brauche ich Dir ja nicht zu sagen.“ Damit hob Henry seine Schubkarre an, um auszuleeren. Unterwegs überlegte er sich, was die Gemeinsamkeit aller Abhängigen sein könnte. Schließlich kam er zu den Endschluss, dass es der Wunsch sein könnte, seinen momentanen Gefühlszustand zum positiven zu verändern. Freudig teilte er dies Romain mit, nachdem er seine Schubkarre zum beladen abgestellt hatte, worauf dieser ergänzte.
„Wenn jetzt jemand glaubt, ihn kann so etwas nicht passieren, der irrt ganz gewaltig. Vielleicht wird er nicht drogenabhängig, weil ihn der Drogenabhängige um die Ecke abschreckt, aber alles, was ihm interessiert, ob Arbeit, Sex, Computer, einfach alles kann benutzt werden, um sich aus dem Alltag oder seinen Problemen wegzudenken. Aber lass uns heute damit aufhören, es ist so ein schöner Tag. Wir haben ein Ziel,welch herrliches Gefühl. Nur eins noch. Es gibt eine neue Droge, die genauso gefährlich ist. Es ist die Suche nach dem Glück. Denn jeder, der es verspricht, wird angebetet ohne darüber nachzudenken, dass weniger oft mehr ist, sowie leiden oft Ursache vom größten Glück sein kann, ganz abgesehen davon, dass die Buddhisten hier Recht haben, dass es nichts gibt, ohne sein Gegenteil. Nichts und ich meine nichts: Denk mal darüber nach.“
„Ok. mach ich“, versprach Henry und setzte seine Schubkarre in Bewegung.
Gegen Abend waren sie fertig und Henry ging kaputt, aber glücklich nochmal zum Fluss. Er wollte noch ein wenig allein sein, aber am Ufer saß Meister Huang so, dass er nicht umdrehen wollte, um den Eindruck des Ausweichen zu vermeiden. Aber das war bestimmt auch nur ein altes Denkmuster von ihm. Störte es doch niemandem hier, denn es wurde allgemein hier respektiert. Außerdem freute er sich Meister Huang zu treffen. Als Meister Huang Henry bemerkte, forderte er ihn auf, sich zu setzen.
Welch schöne Abendstimmung. Hörst du die Zikaden, den Wind, der in den Wipfeln rauscht? Welch ein erhabenes Gefühl hier zu sitzen und nur zu sein. Ich wollt, die Zeit bleibt stehen. Als Henry bemerkte, dass sein Meister völlig gelöst schien, wurde er ein wenig unruhig und
nahm all seinen Mut zusammen, um ihn, wie er dachte eine heikle Frage zu stellen, die ihm schon lange bewegte.
„Meister Huang“, und nach einer Pause, als er ein aufforderndes „Ja“ hörte nochmal. „Meister Huang, wie hast du es geschafft dich vom Sozialismus zu lösen und warum ist er deiner Meinung gescheitert.“
Was jetzt folgte, war ein langes Schweigen, wobei Henry schon befürchtete, er hatte den schönen Abend verdorben. Doch als er sich schon entschuldigen wollte, begann Meister Huang bedächtlich an, zu sprechen.
„Es tut mir heute noch weh, wenn ich daran denke, dass dieser Traum von einer gerechten Gesellschaft, wo sich jeder nach seinen Möglichkeiten entwickeln sollte, platzte. Wie viele Menschen sind für diesen geglaubten Traum in den Tod gegangen. Wo sind sie geblieben? Für was? Was stimmte mit diesem Traum nicht! Ich sag dir was Henry. Er war schon tot, bevor er geboren wurde. Nach meiner Auffassung funktioniert eine Gesellschaft ähnlich wie die Psyche. Ist sie doch von ihr gemacht.
Wir sind hier um uns zu erkennen, denn nur wer sich selbst erkennt, wird nicht zum Spielball von fremden Wünschen sowie Vorstellungen. Der eine erkennt das früher, der andere später, manche nie. Du hast die Wahl, Erkennen oder leidvoll erfahren. Da hilft auch auch kein leugnen, weg schauen oder was du sonst noch anstellst, um nicht zu wissen, was du längst schon weißt. Der Psychiater Jung drückte das so aus „Wir halten Ausschau nach demjenigen der Ausschau hält“
Zurück zur Gesellschaft! Wie ein Kind was von Anfang geschlagen und gedemütigt wird, spült es die aggressiven, auf Abwehr bedachten Kräfte hoch, die dann die Führung übernehmen und damit der Gewalt ausübenden Kraft, in diesem Fall der Eltern, die Rechtfertigung geben, noch mehr Gewalt auszuüben, sofern es nicht gebrochen wird. Übertragen auf den Sozialismus kamen am Anfang die aggressiven Führungskräfte zur Macht. Aber das ist nicht der Grund, warum er gescheitert ist. Es ist nur interessant, da er ausgerechnet den Kapitalismus menschenfreundlicher gestaltete. Marx hatte das Wesen des Frühkapitalismuses gut erkannt, konnte aber nicht voraussehen, dass durch Arbeitskämpfe die Arbeitskraft Mensch zu teuer und unberechenbar wurde, so dass der Kapitalismus, indem er anders als in Alexandria, wo Wissenschaft nur für wenige interessant war, sich der Wissenschaft bediente, um Produktionsmethoden zu entwickeln, was die Arbeit effizienter machte. Dazu brauchte er gebildete Arbeiter.“
„Das ich dich jetzt richtig verstehe“, erwiderte Henry und schmunzelte dabei. „Durch die Angst vorm Sozialismus wurden die Gewerkschaften stärker, die Produktionsbedingungen besser sowie die allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen verbessert. Was für ein Witz der Geschichte ist das den.“
„Naja, vereinfacht gesehen schon, aber ein wichtiger Punkt fehlt noch,“ erwiderte Meister Huang.
„Ich will ja den ollen Marx nicht zu nahe treten, aber von Psychologie und Menschenkenntnis ist in seinen Theorien wenig zu spüren. Er ging davon aus, wenn die Produktionsmittel allen gehören, trägt jeder das Bewusstsein in sich und gibt sein Bestes. Das mag vielleicht am Anfang, wo mit Enthusiasmus an einen Neuanfang geglaubt wurde noch möglich gewesen sein, aber irgendwann kommen allein durch die unterschiedlichen Denkweisen, Unterschiede in der Natur wie Rohstoffvorkommen, landwirtschaftliche Verhältnisse, Klima, sowie erbliche und erzieherische Unterschiede zu Ungerechtigkeiten. Diese Ungerechtigkeiten sind der Nährboden aller Konflikte.
Dabei kann der einzelne Mensch nichts dafür, muss er doch gezwungenermaßen die Welt von seinem Standpunkt beurteilen. Diese Betrachtungsweise, die wiederum von seiner Umwelt, Erziehung und vom Zufall abhängt, führt zu einer Art von ,bitte Stör dich nicht an diesem Wort, „Egoismus“.
Irwitzig, aber nachvollziehbar war die Tatsache, dass Loyalität zum System höher bewertet wurde als Fachkompetenz. Das Besitz als kapitalistisch eingeordnet wurde und zu überwinden galt, brauche ich dir ja nicht zu sagen, da du selber aus der DDR kommst.“
„Stimmt“, meldete sich Henry zu Wort.“Meine Schwiegermutter hatte ein zwei Familienhaus, durfte als Hausbesitzerin nur 45 Mark Miete für 88 Quadratmeter Keller, Garage sowie Garten für die Nutzungsüberlassung nehmen. Sie war verpflichtet, den Mietern sechs Kohleöffen zu stellen, wo jeder einzeln allein schon 400 Mark gekostet hat. Darum braucht sich niemand zu wundern, dass bei uns die Häuser so kaputt waren.“
„Stimmt Henry. Der Mensch muss in der Wirklichkeit erfahren, dass es auch was bringt, wenn er seinen Arsch bewegt und sich nicht nur im Kreise dreht oder sogar minus macht. Ansonsten tritt ein weiteres Naturgesetz in Kraft, das Energiespargesetz. Auf den Menschen angewandt besagt es, tue nur das was unbedingt nötig ist, um das zu erhalten, was du willst. Ausnahmen gibt es nur, wenn du es aus Angst, Neugier, Überzeugung oder Spaß tust.“
Henry schaute traurig auf den Fluss und sagte leise kaum hörbar. „Gibt es denn überhaupt keine Chance auf eine Gesellschaft, in der es gerecht, friedlich und eine freie Entwicklung möglich ist? Sind wir verdammt egoistisch zu denken und schließlich zu handeln?“
„Henry“, sagte Meister Huang ganz laut, so das Henry erschrack.
„Um das zu beantworten, musst du dir nur die Macht anschauen. Sie ist der extremste Egoismus, die natürlich gut getarnt als Samariter, Beschützer, Erhalter von Werten oder sonst was daherkommt, natürlich alles rein unegoistisch im Namen der Nation, der Firma, der Familie oder sogar in deinem Interesse, als wenn die Macht wissen könnte, was dich interessiert.
Schau hin! Schau hin Henry, was für Psychopathen die Geschichte hervorgebracht hat. Wie sie wie ein Süchtiger aus Angst an ihr festhalten. Wie sie Menschen umbringt, foltert, kontrolliert oder es versucht.“
Meister Hoang lachte komisch dabei und Henry kam es wie Hohn vor, doch war es jetzt unmöglich ihn in seinen Redeschwall zu unterbrechen.
Als wenn Kontrolle jemals von Dauer wäre. „Haha. Wie bei einer Sucht macht es den Menschen immer isolierter, er kann immer wenigeren Menschen vertrauen. Er hat zwar viele Menschen um sich, aber er weiß nie ob wegen ihn oder wegen ein Vorteil. Dazu kommt, er lebt in einer Angst, bewusst oder unbewusst, dass die ihm umgebenen Menschen seine Schwächen erkennen, um selber an die Macht zu kommen. Er möchte gerne Mensch sein und traut es sich doch immer weniger. Angst, auch wenn oder gerade dann wenn er sie nicht zugibt, führt auf lange Sicht ähnlich wie die Sucht in die Depression, Aggression und Betäubung. Es sei denn, ja, es sei denn ich gehe darauf zu.
Was für ein Leben soll das denn sein? So ein Macht-Mensch sieht immer weniger die Schönheit der Natur, des Lebens und wird dabei immer gefühlsärmer. Was kostet die Lärche auf dem Feld, die kaum erkennbar ihr einsames Lied singt?
Ja aber wie, wie könnte es wirklich gehen“, fragte Henry?
„Wie es die Natur uns vormacht Henry. Die Natur ist selten extrem, weder in die eine noch in die andere Richtung und wenn sie extrem ist, ist sie es nur, um neues zu schaffen.
Mit tausenden kleinen Verbesserungen. Psychologie in der Schule zum Beispiel, wodurch die Selbsterkenntnis jedes einzelnen gefördert wird. Denn in der Selbsterkenntnis jedes einzelnen liegt der Schlüssel zu einer allmählich besseren Gesellschaft ohne Revolution. Derjenige, der sich selbst erkennt, kann sich aus Manipulationen lösen und wird freier. Zuerst innerlich, dann äußerlich, selbst dann wenn er äußerlich gebunden ist.“
Henry wurde jetzt richtig neugierig und schaute Meister Huang in die Augen.
„Und“,fragte Meister Huang. „Und wer sollte ein Interesse haben sich aus Manipulationen zu befreien. Die Mächtigen etwa?“
„Niemand außer ich“, lachte Henry!
„Und du musst dabei auch egoistisch sein. Auch wenn du das Wort, sowie deiner Meinung nach zu verurteilende Bedeutung nicht gut findest“, sprach Meister Huang weiter. „Aber bitte keine Ideologie mehr Henry. Ich habe genug davon.
Ideologien sind der Abfall der Geschichte. In der Natur ist Abfall der Dünger für neues Leben.
Wir sollten es wie hier das Kloster es macht kleine, dynamische, offene-geschlossene funktionierende Systeme schaffen, verbunden mit anderen offenen aber auch geschlossenen Systemen. Sie sollten selbst in der Lage sein zu überleben, so wie es uns wiederum die Natur vormacht, wobei alles letztlich frei und doch verbunden ist.
Dies führt zu der Frage wie ein solches System funktionieren könnte, ohne übermäßige Kontrolle. Kontrolle sollte immer nur die Funktion eines Messinstruments haben, etwa so wie der Körper die Temperatur misst und gegeben falls eingreift. Die Frage bei übermäßiger Kontrolle lautet doch „Wer kontrolliert den Kontrolleur
und wohin führt so ein Kontrollsystem“ oder anders ausgedrückt. „Kann wirklich alles kontrolliert werden?“ Nein, es führt nur dazu, dass ein System, was auf Kontrolle setzt außer Kontrolle gerät.
Also nach meiner Meinung“, fuhr Meister Huang fort,“haben alle Teile des Systems ihre Bedeutung und sollten daher auch berücksichtigt werden. Sagen wir, sie haben eine Stimme. Wird sie nicht gehört, verschafft sie sich anders, meist durch die Hintertür Gehör. Dann aber meist mehr als ihr gebührt.“
Henry wollte etwas sagen, wurde aber von Meister Huangs Blick abgehalten.
„Ich weiß was du sagen willst. Nein eben nicht, es führt nicht ins Chaos, sondern in ein Gleichgewicht der Kräfte, sowohl auch in einem natürlichen Anker zur Wahrheit.
In der Natur kommen Extreme nur vor, wenn Systeme auseinander fallen, wodurch zwar neue Systeme geschaffen werden, aber für das bestehende System das eintritt, was wir tot nennen.
Natürlich gibt es eine Führungskraft. Das sind in der Natur die Naturgesetze, in der Gesellschaft sowie bei jeden einzelnen die Überlebenskraft, wobei die Natur, wie bei einer russischen Matroschka, den Menschen übergeordnet ist.
Du aber, mein Henry, bist hier um mehr über dich zu erfahren. Deswegen ist es für dich so wichtig, dass du ein Gleichgewicht zwischen deinem Körper, der Psyche und diesem so genannten „Ich“ herstellst. Dieses „Ich“ sollte dein Anker, und jetzt wird’s schwierig, in
der wie auch immer unseren Bewusstsein nur schwer zugänglichen mit Hilfe der Sprache, Technischen Hilfsmitteln nur schemenhaft erkennbaren Wirklichkeit sein. Dies muss aber noch lange nichts mit der eigentlichen Wirklichkeit, die du Henry ja suchst, zu tun haben.
Einfach gesagt heißt das, lass uns aus Freude spielerisch nach dieser Wirklichkeit oder auch Ur-Realität suchen. Etwa so, wie die Kinder Türme aus Bausteinen bauen. So bauen wir wortreiche Theorien, um sie dann freudig umzuschmeißen, nur um neue zu bauen.
Zurück zu deinem Anker. Er sollte für dich Priorität haben, denn der hält dich fest, verhindert, dass du krank wirst und er ernährt dich. Er sagt dir, wenn etwas nicht stimmt. Etwa so, wie ein Vater, der nicht autoritär, aber bestimmt dir Grenzen setzt und dich beschützt. Oder wie eine Mutter, die dich nährt, tröstet und dich liebt. Höre auf dein „Ich“, deinem Körper, denn dann geht es dir gut. Betäube ihn nicht. Sei ihm treu und vertraue ihm, denn nur du kannst wissen, was du gerade brauchst. Lass dir nicht vorschreiben, was andere meinen, was du brauchst. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Ich weiß, du kannst Egoismus nicht leiden, aber nur wenn du dich kennst, kannst du auch andere wirklich kennen lernen. Nur wenn du dich wirklich liebst kannst du auch andere lieben und verstehen.“
Es war inzwischen dunkel geworden und die Sterne leuchteten wie Diamanten vom Himmel. Meister Huang legte seine Hand auf Henrys Kopf und gemeinsam schauten sie in die Nacht.
Nach einer Weile sagte Henry: „Ja, du hast Recht. Obwohl das ein ziemlich großer Bauklotz -Turm ist, was du da gerade gebaut hast.
Mein Turm ist ziemlich wackelig. Ich habe das Gefühl, dass es in der heutigen Zeit recht wenige Ankerplätze gibt. Die Zeit, wo das Leben sich in relativ gesicherten Grenzen abspielt mit den dazugehörigen Rollen des „Ichs“, wie zum Beispiel als Fischer, Handwerksmeister und so weiter scheint mir fast vorbei zu sein. Nirgendwo scheint es mehr Sicherheit zu geben. Aber ich glaube auch, dass es so etwas wie Sicherheit, ultimative Wahrheit, Realität oder Wirklichkeit, wie wir sie gerne hätten, sich nur in unseren Köpfen abspielt. Eher glaube ich, dass wir sicher nicht die einzigen im Universum mit Bewusstsein sind und das es Milliarden erlebte und gefühlte individuelle Betrachtungsweisen gibt. Mal angenommen, dass Rohmaterial der Materie wäre ein Sandhaufen. So stell ich mir die Wirklichkeit als die daraus gemachten Formen vor. Doch fehlt ihnen das Bewusstsein. Denn was wäre der Kosmos ohne einen Betrachter der liebt, Freude erlebt sowie auch leidet. Freude und Leid hängt dabei wie alles magisch mit seinem Gegenteil zusammen.“
„Ja, du hast recht Henry. Deine Vorstellung ist genauso richtig und auch falsch wie jede andere Vorstellung“, erwiderte Meister Huang. „Du musst begreifen, dass es nur eine Vorstellung bleibt. Aber nochmal zurück zu deinem Anker. Ich gebe dir recht, dass die Zeiten nicht einfacher geworden sind. Doch gebe ich zu bedenken, dass der Anker ohne das Schiff, also du selbst, ohne Bedeutung ist. Was ich damit sagen will Henry, du kannst den Anker des Schiffes ruhig hochziehen und dich in der ganzen Welt umschauen, wo du vor Anker gehen willst. Dein „Ich“ ist das Schiff und dein Ziel ist die Psyche, wobei du auch nur die Segel setzen brauchst und dich überraschen lassen kannst, wohin dich deine Reise führt. Für die Ordnung am Deck musst du natürlich selbst sorgen. Übrigens, irgendwo habe ich mal diesen Spruch auf geschnappt „Wäre Columbus bei jedem Sturm umgekehrt oder gar von Bord gegangen, hätte er Amerika nie eindeckt““.
Nun nahm Meister Huang einen faustgroßen Stein und forderte Henry auf, es ihm gleichzutun. Dann sprach er zu ihm: „Wir wollen nun unsere Theorien in diesem Stein packen und anschließend in den Fluss werfen.“ „OK.“
Henry nickte nur.
Platsch und kurz darauf platsch.
Eine angenehme fast überwältigende Stille trat ein, bis nach etwa einer halben Minute das Abendkonzert der Zikaden und Frösche zögerlich wieder begann.
Nach einem festem, traumlosen und erholsamen Schlaf wachte Henry am nächsten Morgen mit einem Drang etwas zu unternehmen auf.
Gestern Abend hatte er die Zeit völlig vergessen und wusste auch nicht mehr, wie und wann er in seine Hängematte gekommen ist. Es war einfach zu schön.
Nun gut, dachte er, ich besuche heute mal das Dorf weiter unten. Ich wollte mir sowieso ein paar Sandalen kaufen und kann dabei mir gleich das Dorf anschauen.
Als er sich auf den Weg machte, begegnete er Romain, der ebenfalls überlegte, was er tun könnte.
Sie waren sich einig, dass ihnen die relativ sichere Umgebung hier im Kloster gut tut. Sie brauchten sich wenig Gedanken über das tägliche Besorgen von Nahrungsmitteln zu machen. Anderseits tut es gut, etwas vor zu haben. Also beschloss Romain mitzukommen.
Es war ein herrlicher Ausblick, den die zwei da genossen, als sie vom Berg halber Höhe, wo das Kloster lag, herabstiegen. Von hier oben sah das Dorf eingebettet unten im Tal wie eine Spielzeuglandschaft aus. Henry musste unvermittelt an die Bauklotz-Theorie denken. Ein
Lächeln überzog sein Gesicht.
Es war ein frischer, kühler Morgen. Der Tau hing an den Gräsern und Spinnen hatten überall ihre Fäden gezogen.


DER MORGEN

Jung und frisch strömst du herein
unbelastet nichts scheint festgelegt
Doch langsam bricht der Tag herein
mit all dem Urteil und den Sorgen
Ach Morgen, könntest du nicht auch am Tage bei mir sein


Nach einer Weile, wo jeder für sich den Morgen genoss, sagte Henry zu Romain wie schön er den Morgen fand und er am liebsten dieses Tal der ganzen Welt zeigen würde.
Romain wendete seinen Blick abrupt zu Henry.
„Als wenn nicht jetzt schon alles vermarktet wird? Willst du, dass die letzten schönen Flecken auch noch bebaut werden?“
Erschrocken auf die unerwartete Reaktion erwiderte Henry hastig. „Nein nein, so meine ich das nicht! Nur anschauen, nicht besitzen, was ja sowieso reine Illusion ist. Wirklich besitzen kann ich gar nichts, außer mich selbst. Wenn ich etwas besitze, kann ich es zwar verändern aber besitzen kann ich es trotzdem nicht.
Ich dachte da mehr ans Internet zum anschauen. Aber, vielleicht glücklicherweise, funktionieren hier Akkus nicht lange.“
„Eigentlich wäre das kein Problem“, sagte Romain. „Es gab da mal eine Uhr, die hat sich allein durch die Körperbewegung aufgeladen. Das wäre bestimmt auch mit Akkus möglich.“
„Das gibt es bestimmt schon irgendwo“, wendete Henry ein. „Ich hatte da auch mal so eine verrückte Idee, fällt mir gerade ein und musste dabei grinsen.
In den Industrieländern haben doch viele Probleme mit Übergewicht und andere durch Bewegungsarmut ausgelöste Krankheiten. Man könnte die Geldgier der Menschen mit Hilfe eines Fahradgenerators, der als Fitnessgerät in jeder Wohnung steht, die Bewegungsenergie in Strom umwandelt. Das mag vielleicht einzeln lächerlich sein, aber nun stell dir mal vor, Millionen Menschen machen es und glaube mir, wenn der Stromzähler rückwärts läuft, dann strampeln sie wie verrückt.“
Jetzt lachte auch Romain bei dieser Vorstellung und setzte noch einen drauf, indem er sagte. „Wie die Hamster im Laufrad.“
Beide scherzten noch so eine Zeit lang. Aber je näher sie dem Dorf kamen, umso ernster wurden sie. Es lag vielleicht an den vielen Plastikmüll, der jetzt überall herum lag, obwohl sie noch so weit vom Dorf entfernt waren. Kein Mensch schien sich darum zu kümmern.
„Romain, was meinst du? Worin liegt die tiefere Ursache der Sucht“, fragte Henry. „Ich habe darüber schon einige Bücher gelesen, wobei mich Andreas Winter am meisten überzeugt hat.“ Mein Anspruch ist nicht seine Überlegungen genau wiederzugeben, aber soweit ich ihn verstanden habe, geht er davon aus, dass Menschen, die es nicht oder weniger verstehen sich von den Vorstellungen, Meinungen und vor allem Ansprüchen seiner Umwelt zu distanzieren, am meisten gefährdet sind. Er verlagert somit die Auseinandersetzung mit etwas um doch noch siegreich zu sein.
Die Heilung erfolgt demzufolge über eine gesunde Trotzphase, durch Entspannung sich diesen Erwartungstruck zu entziehen, um seine eigene Persönlichkeit zu schützen.“
„Das klingt gut“,meinte Romain. „In meinen Augen liegt die Ursache noch tiefer. Tut mir leid Henry, aber ich muss dazu etwas weiter ausholen.
Wenn du auf diese Welt kommst.“ Verdutzt schaute Henry Romain an, „so ist dein Bewusstsein in einem Gefühl der Einheit mit seiner Umwelt. Ein ähnliches Gefühl entsteht, wenn du dich richtig, also so richtig verliebst. Leider hat auch die Liebe ein Hauch vom Ego. Selbst wenn sie sonst wie uneigennützig daherkommt. Logischerweise geht sie von deinem eigenem „Ich“ mit Ego aus, dass vielleicht unbewusst, aber doch messbar erwartet vom anderen „Ich“ mit Ego geliebt zu werden. Nebenbei bemerkt gehört es zwar nicht zum Thema, aber ich sag es dir trotzdem. Solange die „Ichs“ sich lieben, ist alles in Ordnung. Aber wehe, die Egos kommen ins Spiel. Dann folgen mit ihnen Eifersucht, Manipulation und Machtspielchen mit all sein Kameraden. Aber zurück zum Thema. Was passiert dann?
Irgendwann nach der Geburt, wobei der Zeitpunkt nicht festzulegen geht und auch keine Rolle bei meinen Überlegungen spielt, geschieht es dann.
Du spürst dein „Ich“ getrennt von deiner Umwelt.“
Romain blieb unvermittelt stehen.
So standen sie auf einem kleinen Hügel unweit des Dorfes und schauten sich an.
Mit leicht erregter Stimme fuhr Romain fort.
„Dann spürst du das gefühlte, getrennte „Ich“ am Stärksten, wenn du dich im Konflikt mit deiner Umwelt, meist den Eltern, befindest.
Und jetzt Henry, pass auf. Es geht hier nicht nur um Sucht. Es geht um Konfliktbewältigung.
Du bist abhängig von deiner Umwelt. Du fühlst es, du weißt es. Wie entscheidest du dich. Die Ursache des Konflikts ist uninteressant. Du hast einfach etwas ganz unschuldig getan, was deinen Eltern missfällt. Sag. Wofür entscheidest du dich?
Fühlst du dich trotz dieses Konfliktes von deinem Eltern angenommen? Wirst du dich für die Wahrheit entscheiden, was zur Folge hat, das du dich gestärkt fühlst? Es entsteht eine andere Persönlichkeit mit anderen Gefahren.
Es ist aber ein Scheideweg. Der andere Weg heißt Lüge.
Henry, bitte wehr nicht ab, nur weil gerade ich das sage.
Es ist so, als wenn ich hier auf den Hügel einen Eimer Wasser ausschütte. Es ist nicht möglich genau zu sagen, welche Seite des Hügels das Wasser herab fließt.
Es hängt zutiefst mit der Angst zusammen, die du in diesem Augenblick empfindest.
Du kannst nichts dafür, wie du dich entscheidest.
Aber die Folgen sind mangelndes Selbstwertgefühl. Deine Abgrenzung mit deinem ich ist geschwächt.
Soweit ist es zwar schlimm, aber nicht unheilbar, wie es dir zum Beispiel Andreas Winter zeigt.
Wirklich schwierig wird es erst dann, wenn du anfängst, dich selbst zu belügen. Die Lüge wird dir so selbstverständlich, dass du sie nicht mehr hinterfragst.
So kann sie zusammen mit der Angst ungeniert die Macht in deiner Persönlichkeit übernehmen. Sie wird dein Vater, deine Mutter. Ausgerechnet Ihr vertraust du, weil du allen anderen nicht vertraust.
Wenn du dich selbst belügst, dann lebst du ein abhängiges, unselbstständiges Leben.
Es geht dabei um Freiheit. Nicht die Freiheit von Abhängigkeiten, sondern um die Freiheit, sich seine Abhängigkeiten aussuchen zu können. Und so schließt sich der Kreis.
Der Weg aus diesen viel zu engen Kreis kann nur über eine gnadenlose Ehrlichkeit dir selbst gegenüber führen.
Nicht unbedingt der Umwelt gegenüber, denn sie ist auch nicht ehrlich zu dir, wobei es ihr auch gut tun würde.
Aber das können wir beide nicht ändern.
Außerdem kannst du Wahrheit und Lüge sowieso nicht mehr unterscheiden. Du musst erst mal lernen, deine Persönlichkeit zu schützen, um dich dann auch wieder öffnen zu können. Doch diesmal mit dem Unterschied, dass du jetzt weist, was dir wichtig ist.
Manchmal sind die Gründe, die zur Sucht führen auch ganz banal.
Sie gingen nun langsam weiter.
Wir wollen schöne Gefühle, ohne was oder nur wenig was dafür zu tun.“
Langsam gingen sie weiter, nun aber waren sie beide ziemlich nachdenklich geworden.
Erst unten im Dorf wurden sie wieder aufmerksam und achteten auf ihre Umgebung.
Das Dorf schien menschenleer zu sein. Nur aus den offenen Fenstern und Türen dröhnten Fernseher.
Irgendwie schien eine merkwürdige Stimmung in der Luft zu liegen. Zumindest kam es Henry so vor. Nur ein paar ältere Leute saßen vor ihren Häusern. Sobald fanden sie auch den Sandalenmacher, der eine alte mürrische Frau war. Sie schien irgendwie im Widerspruch zu sein, wollte sie doch etwas verkaufen.
Nach dem Austausch von ein paar Höflichkeitsfloskeln fasste die alte Frau Vertrauen zu Henry und Romain. Sie hieß Nomina und verstand etwas deutsch. Sie wiederholte ständig, wie schön es doch früher war. Seitdem Touristen und elektrischer Strom ins Dorf gekommen ist, den sie als Teufelswerk beschimpfte, verhalten sich die Menschen wie hypnotisierte Resusaffen, den man eine Banane hinter eine Glaswand hält, die sie dann immer zu greifen versuchen.
Früher saßen alle Menschen abends draußen.
Früher spielten Kinder im Hof. Früher half jeder jedem. Früher hatten Geld nicht wichtig. Früher, Früher, Früher.
Henry hatte zwar nicht jedes Wort verstanden, aber er wusste, was Nomina meinte. Dadurch, dass die Menschen hier im Dorf wenig Geld besaßen, brauchte jeder jeden, so dass sie untereinander besser miteinander redeten, sich dadurch besser verstanden und halfen. Heute dagegen kocht jeder sein eigenes Süppchen.
Komisch, je besser es den Menschen geht, umso mehr kommt der Egoismus zum Vorschein. Bei Katastrophen rücken sie wie die Kaninchen bei Kälte zusammen.
Jedenfalls waren Henry und Romain froh, wieder in die Natur zurück ins Kloster zu gehen.
„Nur ein Gedanke noch Henry“,sagte Romain, „und dann lassen wir das Philosophieren sein. Einen Vorteil hat ja die neue Technik wie Fernseher, Playstation, Computer und Co. Es trampeln weniger Menschen in der Natur herum. Es erschließen sich neue Welten. Alle Kontinente sind erobert. Der Weltraum ist noch nicht offen, also schaffen wir virtuelle Welten, in denen wir uns dann hemmungslos austoben können.“
Den restlichen Weg gingen sie dann schweigend nebeneinander her. Vielleicht lag es daran, dass es anstrengender war als bergab zu gehen oder Durst und Hunger zu haben. Vergisst der Mensch doch alles philosophieren, sobald es dringende Bedürfnisse zu befriedigen gilt. Ja, das geht sogar soweit, dass kurze Problemlösungen der Vorrang eingeräumt wird.
„Tschüss Henry und vergiss nicht, dich von allem zu trennen, was dir nicht gut tut.“ Nachdem Henry sich verabschiedet hatte, gegessen und getrunken hatte, ging er in die Meditationshalle. Dort setzte er seine Meditationsbrille auf und ließ sich in andere Dimensionen fallen.
Eine Meditationsbrille ist eine klostereigene Erfindung, um westliche ungeübte Novitzen zu helfen, sich in die Meditation zu versenken. Im Grunde genommen ist sie nur eine Kombination aus MP3 Player und dreidimensionalen Diabildern, die zum Beispiel eine Meeresbewegung vortäuschen. Dies klappt so gut, dass nach kurzer Zeit, wobei vorher Monate gebraucht wurden, die Meditation gelernt wird.
Meditation ist in seiner einfachen Form nichts anderes als Konzentration, Aufmerksamkeit und Versenkung, um von einem ansonsten fragmentierten Bewusstsein los zukommen, wobei sich dann merkwürdigerweise neue Räume erschließen.
Henry merkte, wie er sich immer tiefer und tiefer entspannte. Er hatte zwar Gedanken, nur kam es ihm jetzt so vor, als würde er sie beobachten. Eine gänzlich andere Qualität des Bewusstsein begann Oberhand zu gewinnen. Statt wie üblich Gedanken zu beurteilen, tauchten Bilder aus dem nichts auf, deren Inhalte ihm meist völlig überraschten. Er hatte hier gelernt, wie er bewusst umschalten konnte. Sich zwischen gewollte Entspannung, ohne es mit Gewalt zu erzwingen, sich auf die aufkommenden Bilder einzulassen, wobei kein Urteil über die Bilder erfolgte.
Als Henry wieder in sein normales Tages-Bewusstsein erwachte, fühlte er sich völlig entspannt und gelöst. Es folgte ein unwiderstehlicher Drang, mit Meister Huang zu sprechen, um endlich Klarheit über seine seit Kindertagen aufgestauten Gedanken zu sprechen, die ihm periodenhaft beschäftigen.
Leider hatte Henry das Gefühl nie eine befriedigende Antwort zu bekommen, egal was er auch versuchte.
Die Begrüßung war wie immer herzlich, so das Henry sich aufgehoben fühlte und sich öffnen konnte.
Da er wusste, dass er Schwierigkeiten mit dem genauen Formulieren seiner Fragen hatte, versuchte er sich so klar wie nur möglich, in der Hoffnung, dass Meister Huang ihm verstand, auszudrücken.
Also begann er etwas unbeholfen.
„Meister Huang,Meister Huang. Manchmal wenn ich spüre, dass doch alles, wirklich alles zu Staub zerfällt. Es ist doch nur eine Frage der Zeit.“
Henry suchte nach Worten, mit denen er sich verständlich machen konnte. „Manchmal suche ich nach dem Sinn hinter dem Sein, nach Gott, nach der Wirklichkeit oder wie du es auch immer nennen willst. Ich habe schon viele Bücher darüber gelesen, wissenschaftliche, religiöse, alles mögliche, nur eine befriedigende Antwort konnte ich nicht finden. Dann ärgere ich mich über mein Spatzengehirn, dass es offenbar nicht begreift.
in diesen Momenten beneide ich Menschen, die offenbar naiv glauben und leben können, ohne sich zu fragen, was das eigentlich soll.
Ich weiß, Meister Huang, dass auch du mir keine befriedigende Antwort geben kannst, aber vielleicht bist du ja weitergekommen wie ich und kannst mir helfen, so zu leben, als gebe es diese Frage nicht, wenn du hoffentlich einigermaßen verstehst, was was ich meine.“
„Oh ich verstehe dich sehr gut“, wobei Meister Huang, Henry,tief in die Augen schaute.
„Du ringst um Klarheit und ja, ich kann dir weiterhelfen. Allerdings versuche ich deine Gedanken ein wenig zu sortieren.
Für viele Menschen, die scheinbar selbstsicher daherkommen, sind diese Fragen nur deswegen entschieden, weil sie sich mit einer Antwort zufrieden geben, die ihnen vorgesetzt wurde oder sie sind einfach nur stecken geblieben. Manche haben auch keine Lust mehr, zu suchen was ironischer weise richtig sein kann, lässt sich doch die Kern Wirklichkeit mit unseren Mitteln, wie Sprache, Gefühle, Sinnesorgane, nur Augenblicke manchmal kurz erfassen. Außerdem passiert beim suchen, dass vergessen wird, wie gelebt wird.
Die Frage nach Sinn ist sinnlos. Entsteht Sinn nur aus der Sache selbst, wie es zum Beispiel passiert, wenn du Vater wirst. Dann fragt keine Mutter, kein Vater mehr nach Sinn.
Ach mein Henry, du und deine Bücher. Sie werden oft um zwei, drei Kernausagen geschrieben und sind am Markt orientiert was nicht heißen soll, dass es keine guten Bücher gibt.
Eine große Gefahr beim Suchen besteht auch in der Weise, wie gesucht wird. Oft wird der Wald vor Bäumen nicht gesehen.
Wenn ich zum Beispiel an meine geliebte Wissenschaft denke, sehe ich das ganz deutlich.
Ihre größten Erfolge verdankt sie der Theorie von der Wahrheit ihrer Versuchsanordnung. Also Theorie-Experiment-Beweis oder Gegenbeweis gegebenenfalls Theorieänderung.
Um Ergebnisse zu erzielen, musste sie gezwungenermaßen fokussieren oder ausschließen. So weit so gut. Will ich etwas verstehen, muss ich scharf stellen. Wenn ich ein Baum verstehen will, kann ich weder ein Blatt nur betrachten, noch kann ich drüber fliegen. Ich erkenne dann ja nur einen grünen Punkt. Doch wie ist es mit einen Ökosystem in Puncto verstehen. Ich müsste meinen Fokus erweitern, um es zu verstehen. Merkst du was? Wir können nicht anders. Wir spüren unsere Grenzen. Trotzdem, zum überleben reichts. Wir sind weit gekommen, doch als Teil des Ganzen können wir nicht das ganze verstehen oder vielleicht doch?
Weg ist hier zu Ende.
Wir werden noch viele neue Ideen haben, nur zur Erkenntnis des Ganzen wird es nicht reichen.
Aber es gibt neue, alte Wege, die es wieder zu betreten gilt.
Einer dieser neuen Wege der Wahrheit auf die Schliche zu kommen ist, die Quantentheorie. Sie besagt, Henry ich bemühe mich, sie so einfach wie nur irgendwie möglich darzustellen, dass sich die Realität erst beim Betrachten entfaltet. Es lässt sich einfach nicht vorhersagen, wie sich die Realität entfaltet. Es gibt nur Wahrscheinlichkeiten. Beim Betrachten wird sie, sagen wir kurz, eingefroren. Es gibt kein eindeutiges „Das ist so“, sondern ein sowohl als auch.
Die Buddhistische Lehre besagt dies so ähnlich, wobei sie von den Wissenschaftlern zur Religion herab gewürdigt wurde und somit in das Reich des Glaubens und nicht des Wissens gehört.“
„Meister Huang“, unterbrach Henry, „aber genau das ist es doch. Der Glaube ist doch der Schlüssel zur Realität. Woran ich glaube, dass wird oder ist zu mindestens für mich Realität.“
„Du hast recht Henry. Es reicht zwar nicht, wenn du sagst, ich muss nur an das glauben, was ich mir wünsche, was dir viele weismachen wollen. Wichtiger ist das du auch glaubst, was du glaubst. Du erkennst es an deinen Gefühlen, ob es echt ist.
Leider erkennen wir die Realität nur an seinen Gegenüber, so wie es der Buddhismus schon lange erkannt hat. So wie kalt-warm.
Ein Gegenstand, wie eine Tasse, ist nur durch die Lehre dazwischen und die sie umgibt, eine Tasse. Tag und Nacht. Stell dir doch mal vor, es gebe nur Licht. Wie willst du mir dann die Nacht beschreiben.“
Henrys Augen leuchteten auf, als wenn er ein Stück von der allumfassenden Wahrheit gesehen hätte. Ja klar, selbst wenn die allumfassende Wahrheit mich völlig umgeben würde. Ich könnte sie nicht erkennen, weil es keinen Gegenüber gibt dachte er.
„Ach wenn die Menschen diese Erkenntnisse doch mehr in Betracht ziehen würden“, fuhr Meister Huang fort.
Henry sah seine innere Bewegung.
„Die Wissenschaftler denken zum Beispiel über das innere Wesen der Schwerkraft nach und überlegen warum sich der Weltraum ausdehnt. Dabei hat Einstein doch schon den Tipp gegeben, dass die Erscheinungen nur relativ zum Betrachter stehen. Der Beobachter und sein Standort muss mit einbezogen werden.
Trauriger stimmt mich da aber, dass in der Politik und Wirtschaft die Erkenntnis von sowohl als auch noch nicht eingedrungen ist. In der Wirklichkeit gibt es kein Sozialismus, kein Kapitalismus, kein Amerika, kein Afrika.
Es gibt Menschen, die versuchen, sich an ihre Umwelt und deren Regeln anzupassen.
Die Regeln sollten daher so sein, dass sie den Menschen dienen und nicht einen nebulösen Gott namens Geld.
Natürlich muss sich dabei Leistung lohnen, aber auch alle Sozialleistungen. Dies kann ich nicht erzwingen oder an irgendeine Moral, die der Mensch nun mal nicht hat, abgeben, wie im Sozialismus. Ich kann aber auch nicht Ausbeutung, Unterdrückung, reine Geldgeschäfte belohnen, wie im Kapitalismus.
Wut aber Henry kommt in mir auf, wenn ich darüber nachdenke, was in vielen Religionen geschieht.
Da sucht nun ein kleines Menschenkind, dass sich allein in dieser oft grausamen, kalten Welt fühlt, nach Halt, Sicherheit, Regeln und Liebe.
Es merkt, da sind keine Regeln oder es gibt welche, die es nicht versteht und ihm oder ihr aufgedrückt werden. Es sucht schon fast verzweifelt nach dem Erschaffer dieser Realität einschließlich sich selbst.
In diesem Moment biederen sich die Religionen an, dass sie wissen, wer Gott ist und was er von dir will.
Glaub nur an meinen Gott und halt dich an unsere Gesetze, dann wird es dir gut gehen. Wenn nicht jetzt, dann später im Himmel oder im Paradies. So ihr Versprechen.
Um Gottes Willen, dass kann unmöglich Gott sein, der da spricht.
Er hat wenn schon alle erschaffen. Christen, Moslems, Juden, Buddhisten, alles, einschließlich der Bakterien und Viren, alles eben auch das aus unserer Sicht Böse.
Nun ist mir klar, dass, wenn ich gerade von einer Grippe heimgesucht werde, nicht gerade gut finden kann. Trotzdem, in der Realität ist es eine Frage des Betrachters. Aus Sicht der Viren bin ich eine optimale Nahrung.
Als sich zum Beispiel die Pflanzenwelt entwickelte, hat sie sich durch ihren Stoffwechsel ein Umfeld erschaffen, was auf längere Sicht zu ihren Untergang geführt hätte, so das sie aus sich selbst heraus die Tierwelt erschuf, um ein Gleichgewicht herzustellen. Aus Sicht der Pflanze die Geburt des Bösen.
Damit, Henry, habe ich für mich schon mal Gut und Böse von den Religionen getrennt.“
Henry merkte, wie sich Meister Huang immer mehr in die Sache rein steigerte und wollte schon versuchen, ihm zu unterbrechenm da zeigte Meister Huang durch eine Handbewegung, dass er es genoss, sich so aufzuregen.
Und so fuhr Meister Huang fort.
„Wenn schon ein gemeingültiges Gesetz, dann nur eines. Tue nichts, was du nicht willst, das anderen es dir antun.
Ansonsten gilt, Regeln werden von Menschen gemacht für Menschen und werden und wurden auch gemacht, ob es nun Gesetze, Anordnungen oder auch umgeschriebene Normen sind.
Das gilt auch oder erst recht, wenn anderes behauptet wird. Ansonsten wird Religion zur reinen Macht. Frage mit deren Hilfe ich andere Menschen manipuliere. Sie wird dann sogar in dieser Welt tatsächlich Realität. Schön für sie. Doch ist sie dann uninteressant als Vermittler zu der Realität, die du und viele andere suchen.“
Meister Huang machte eine Pause.
Henry nutzte die Pause und eifriger als er wollte, platzte es aus ihn heraus.
„Das ist es ja gerade. Der Glaube fehlt mir. Alles tun basiert auf einem Glauben an irgendwas. Ich weiß nicht mehr an was ich glauben soll. Selbst mit Gott habe ich es schon versucht. Mir ist meine Realität, die sich für mich eröffnet nicht oder nur teilweise glaubhaft. Ich suche nach Halt und Stabilität. Dann aber wieder nicht, weil ich neues entdecken will.“
„Ja Henry, ich weiß was du meinst. ich werde dir morgen etwas zeigen, was dich ein wenig erlöst von deiner Unsicherheit.
Aber heute ist es für mich wichtig, dir die Sache mit Gott aus meiner Sicht aufzuhellen.
Wenn ich alle überflüssigen Glaubensfragen ausklammere, bleibt tatsächlich noch der wirklich interessante Teil übrig, den ich wer oder was ist Gott nennen möchte.
Bevor ich darauf eine ehrliche Antwort finde, sollte ich mir bewusst sein, dass der Suchbegriff der Fragestellung meine Antwort beeinflusst.
Nun stelle ich die Frage, wen oder was ich als Gott meine. Ist es das, was die Religionen Urvater, Urmutter nennen, der oder die das Universum erschaffen hat, so stillt das zwar meinen Hunger nach Anlehnung, Trost und Sicherheit, ist aber meiner Meinung nach ungeeignet, meinen ebenfalls als Hunger zu bezeichnende Neugier auf die Wirklichkeit, die ich zu erkennen oder auch begreifen versuche.
Wenn ich diese Sichtweise anerkenne, kann ich mich, wenn ich will, damit abfinden und auf die mit unseren Mitteln der Sinnesorgane auf die Unbegreiflichkeit verweissen.
So weit so gut. Aber was jetzt!?
Für mich ist damit das Problem nur eine Stufe nach oben gerückt.
Denn, wer oder was erschuf dann Gott.
Wenn ich einmal soweit bin, kann ich den Begriff Gott selber in Frage stellen. Sagen wir doch lieber. Wir suchen nach der Realität, die hinter allen Sein steckt.
Und weiter. Komm mit mir Henry.
Die Realität nach der wir suchen, müsste unabhängig von dir selbst sein. Sie darf ihre Gültigkeit nicht außerhalb von einer Religion verlieren.“
„Was ist dann mit der Glaubenserfahrung, was es doch unbestreitbar und trotz allem gibt“, rief Henry ungeduldig dazwischen.
„Warte noch, ganz langsam, Henry, habe noch ein bisschen Geduld, aber gut das du das fragst.
Ich meine zu glauben, dass es so ähnlich ist als wenn du dich verliebst und dich ganz für den anderen aufgibst. Umgedreht kannst du dich auch auf einem extremen Egotripp befinden.
Immer, wenn du euphorisch an etwas glaubst, bist du mittendrin in einer verzehrten Wahrnehmung der Wirklichkeit.
Wenn ich mir aber ein Bild von der Realität machen will, müsste ich sie so ähnlich wahrnehmen, wie die Luft oder das Wasser. Ich könnte beidem zwar verschiedene Namen geben mit Freude, Schmerz und allen möglichen Emotionen belegen, jedoch die Grunderfahrung der Elemente ist bei allen Menschen gleich. Es wäre natürlich interessant, wie die gleichen Elemente andere Lebewesen erleben. Leider ist das nicht möglich, doch erlaubt uns diese Vorstellung einen Blick auf die Eigenschaft der ursprünglichen Realität.
Henry schaute Meister Huang nachdenklich an und nickte nach einer Weile zustimmend den Kopf.
Meister Huang fragte er dann. Meister Huang, der Glaube ist doch so wichtig, weil er sich in der Wirklichkeit materialliesiert und somit den Glauben weiter verstärkt. Warum geht mir der Glauben einfach verloren.“
„Blödsinn“, mein Henry. „Du hast den Glauben nur an eine Seite der Medaille verloren, da du dich weigerst, die andere Seite nicht sehen zu wollen. Noch besser ausgedrückt, das sowohl als auch macht dich jetzt durch den Glaubensverlust der anderen Seite darauf aufmerksam.
Fertig.
Du bist mit deinen Gedanken bei der Suche nach der Wahrheit nun schon soweit vorgedrungen Meister Huang. Wo stehst du eigentlich jetzt“, fragte Henry und wie weit ist es überhaupt möglich, die Realität zu erkennen.“
„Also gut“, antwortete Meister Huang, „diese letzte Frage für heute will ich dir gerne noch beantworten, doch dann wird es Zeit, sich auf morgen vorzubereiten. Dies wird dein Tag Henry, den du hoffentlich immer bei dir trägst.“ Seine Augen blinzelten, dabei bemerkte Henry.
„Bevor ich dir eine Antwort gebe“, begann Meister Huang, „ist es wichtig, dass du dir klarmachst, dass du deine eigenen Antworten suchen musst, denn es gibt nicht die ultimative Antwort auf die ursprüngliche Realität.
Ich habe die allumfassende Realität schon erleben dürfen, nur kann ich sie unmöglich in Worten wiedergeben. Worte funktionieren wie du ja schon weißt nur im Alltag, so dass ich sie nicht beschreiben noch erfassen kann.
Am ehesten gelingt es vielleicht noch in der Quantentheorie. Doch die verstehen, geschweige begreifen nur wenige. Leider muss ich sagen, denn sie ist eine Möglichkeit, ein umfassendes neues Weltbild zu schaffen, dass auf recht sicheren Füßen steht. Dieses Weltbild würde im Gegensatz zum reinen Glauben auf recht sicheren Füßen stehen. Einen Abstecher Henry, sei mir deswegen erlaubt.
Wenn du tief genug in die Materie eindringst, kommt es zu den Schluss, zu mindestens aus meiner Sichtweise heraus, dass alle Konflikte, alle Verschiedenheit der Dinge, alle Schönheit, alles Negative eine Grundursache hat. Sie ist in einer Eigenschaft der Materie verwurzelt.
Solange wir uns im subatomaren Feld bewegen, spielt Raum noch nicht die entscheidende Rolle. Steht er doch dort noch unbegrenzt zur Verfügung. Sobald sich aber Atome organisieren, ist Raum das entscheidende Kriterium. Sie konkurrieren um den nun begrenzten Raum und verändern sich dabei mitsamt ihren Eigenschaften. Ein Wasserstoffatom würde zum Beispiel ewig ein Wasserstoffatom bleiben, stünde genügend Raum zur Verfügung. Zusammen mit der Schwerkraft ist sie Schöpfer und Zerstörer. Sie ist meinetwegen Gott. Wer das Wesen dieser Kraft erkennt, sieht die Schöpfungsursache dieser Welt. Aber Vorsicht! Sie ist wiederum nur ein Teil einer noch größeren Realität.
Es ist ein bisschen so, wie bei einer russischen Matroschka. Immer wenn du meinst, du hältst das Original in den Händen, kommt eine neue Puppe zum Vorschein.
Wir haben aber tatsächlich noch eine andere Möglichkeit die ursprüngliche Realität zu erleben. Und diesmal zu erfahren. Irgendwie ist diese Möglichkeit in jeden Menschen vorhanden, nur wird sie von den normalen Altagsbewusstsein total überlagert. In außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen haben wir Zugang zu ihr. Für unsere Vorfahren war das sogar Alltag.
Das diese Wege durch Geschäftemacher und Machtmissbrauch oft unpassierbar geworden sind, brauche ich dir Henry ja nicht zu erzählen. Meditation, Trance, ich könnte jetzt viele Methoden aufzählen, funktionieren aber trotzdem.“
Nun stand Meister Huang auf und Henry tat es ihm gleich.
Als sie Richtung Ausgang gingen, legte Meister Huang väterlich seinen Arm um Henrys Schulter. „Ach Henry , nein, an deinen Glauben liegt es nun wirklich nicht.
Nur weil du jetzt weißt, dass zufiel Besitz du dessen Sklave wirst. Das Konfliktlösung mit Gewalt nur neue Gewalt erzeugt. Das die Macht nur soviel Macht hat, weil sich zu viele für ohnmächtig halten. Nur weil du dich fragst, warum das Geld nicht den Menschen dient sondern wir dem Geld. Wieso wir es nicht schaffen, eine Ökonomische, Ökologische Gesellschaft zu formen, die Kreisläufe schafft, statt die Rohstoffe unserer Enkel zu verballern, damit es eine Zukunft gibt. Warum die Wissenschaft keine Sprache wählt, dass den Menschen die Welt mit ihren Worten erklärt. Ja, warum die Zeitungen an nichts sagenden Informationen überfließen. Warum Erziehung, Bildung nicht den Stellenwert erhält, der ihr gebührt.
Aber das alles Henry, ist im Vergleich nicht wirklich wichtig.
Wichtig, wirklich wichtig ist die Selbsterkenntnis.
Die Welt lässt sich nicht durch Revolution oder blinden Glauben an eine ultimative Lösung verändern, sondern nur, dass sich immer mehr und mehr Menschen über den Weg der Selbsterkenntnis ein Bild von der Welt sich machen, um nicht weiter manipulierbar für andere zu sein. Glaube an dich und deine Fähigkeiten, dann liegst du richtig.“
Als Henry dann wieder am Ufer des Flusses saß und die Abendstimmung genoss, überkam ihn ein Gefühl, als wenn sich alles zu einem Bild fügte. Er hatte bis jetzt nur Einzelheiten wahrgenommen, aber nun konnte er bereits den Rahmen sowie Zusammenhänge erkennen.
Beim Heimweg dachte er noch, was Meister Huang wohl meinte „Morgen ist dein Tag.“
Trotz, dass er die Nacht in einem komischen Wach- Schlaf zustand verbrachte, fühlte sich Henry am nächsten Morgen fit, wenn nicht sogar euphorisch. Merkwürdiger Traum dachte er. Klar und übersichtlich, aber auch als wenn die Zeit, die ja sonst so wichtig ist, keine Rolle spielt. Alles fand gleichzeitig statt und doch wieder nicht. Alles fügte sich ineinander.
Plötzlich hörte Henry eine vertraute Stimme hinter sich, die ihm mit einen Schlag in die Gegenwart zurückholte.
„Na, alles klar Henry“, rief Meister Huang, „ dann kann es ja losgehen“, ging er ohne auf eine Antwort abzuwarten an Henry vorbei Richtung Berg und Henry folgte ihm.
Schon nach kurzer Zeit umgab sie eine würzige Waldluft. Schweigend liefen sie hintereinander an einen kleinen Bach, der lautstark, als sei er ein großer Fluss, den Hang herab kam. Nach zwei, drei Stunden ,keiner von beiden konnte genau sagen wie lange, überquerten sie einen kleinen Steg, woran sich eine kleine Lichtung erstreckte. Dort machten sie eine Pause, wo sie eine Kleinigkeit aßen.
Meister Huang zeigte auf den tosenden Bach. „Siehst du das Wasser dort Henry.“
Henry wusste natürlich, dass er etwas anderes meinte, sagte aber trotzdem ja.
„Manchmal denke ich, dass die universelle Realität, nach der wir so lange oft vergeblich suchen, sich so ähnlich entfaltet, wie das Wasser.“
„Wie meinst du das“, fragte Henry.
„Naja, es ist nur ein Vergleich und vergleiche hinken immer irgendwo.
Und es ist nur ein Versuch, die universelle Realität anschaulich darzustellen.
Wasser verdunstet ja bekanntlich über dem Meer. Sagen wir, dies entspricht unserer Geburt. Es wird als Wolke irgendwo hin geweht, wo das Wasser dann zur Erde fällt. Wo das statt findet, kann kaum jemand voraussagen. So wie die Menschen in Australien, Afrika oder sonst wo geboren werden.
Ist das Wasser einmal am Boden, kann es in viele Lebewesen, Flüsse und so weiter gebunden werden.
So geht es auch uns Menschen. Wir nehmen die Kultur, ein Beruf, ein Charakter an. Wie das Wasser als reiner Bergbach in der gebundenen Schönheit einer Blume oder als Jauche in der Gosse, so kann der Mensch reich sein, arm an Bildung, materiellen Wohlstand, Kultur und Bewusstsein oder ums überleben kämpfend, verbissen, unglücklich sein.
Aber egal wie lange es dauert oder in welcher Gosse du lebst. Du bleibst in deinen Ursprung rein und wirst wieder rein sein, sobald du das Meer erreicht hast.“
Der Weg, den sie nun weiter nach oben gingen, wurde immer steiler und steiler. Keuchend, nach Luft ringend, so das Henry ihm kaum verstand, rief Meister Huang .
„Weißt du......Henry.,...wenn du......wieder.... einmal....... an der Realität....zweifeltest ....Dann halte....dich ....an die ......Fakten.“
Meister Huang blieb jetzt kurz stehen.
„Sie sind zwar kalt und nüchtern, manchmal manipulierbar, doch lange nicht so voreingenommen, wie unsere wundervollen Gefühle. Siehst du den Ausblick hier oben. Er ist überwältigend. Fakt ist aber, ich sollte aufpassen, wo ich hintrete, sonst bin ich schneller wieder unten als mir lieb ist.“
Komisch, Henry hatte das leicht beunruhigende Gefühl, diesen Weg, die Umgebung ja selbst die Worte, die Meister Huang sprach, sind ihm irgendwie vertraut. So, als ob er alles schon mal gesehen und gehört hatte, obwohl er wusste, dass es nicht sein kann.
Er tat es gedanklich damit ab, dass der Wissenschaft dieses Phänomen als Deschawü bekannt war.
Trotzdem, das Gefühl verstärkte sich. Dazu kam das Gefühl, irgendwie nach Hause zu kommen. Ja, es überwältigte ihn förmlich.
Nach Hause, nach Hause dachte er unentwegt und seine Augen glänzten.
Völlig unerwartet blieb Meister Huang stehen, so das Henry fast aufgelaufen wäre.
„Hilf mir Henry, den Stein dort weg zu rollen,“ wobei er grinsend wie ein Kleinkind, den ein Streich gelungen war, in das verdutzte Gesicht Henrys sah. Henry fragte nochmal nach. „Er ist doch viel zu groß für uns.“ Aber Meister Huang lachte nur.
Er holte zwei starke Äste und begann zu hebeln. Und tatsächlich. Als Henry es ihm gleich tat, bewegte sich der Stein und legte eine Öffnung frei.
Schließlich war die Öffnung so groß, dass ein Mensch hinein passte.
Merkwürdigerweise schien aus der Höhle, die sich ihnen eröffnete, Licht zu kommen.
Meister Huang schubste Henry voran und nach ca. zehn Metern sah er etwas unglaubliches. Es überwältigte ihn förmlich.
Wie eine kleine Kathedrale hat sich der lange Gang geöffnet. Von oben viel Licht durch eine drei Meter Öffnung und weil es gerade Mittag war, stand die Sonne genau darüber.
Ihr Licht spiegelte sich in einem kleinen See in der Mitte der Höhle.
Auf halber Höhe kam ein kleiner Bach den Felsen herunter gemurmelt, wo er in einem kleinen See sich ergoß.
Die Akustik war unglaublich.
Was aber Henry am meisten beeindruckte, war dieses blau, womit die ganze Höhle bemalt war. Dieses unendliche, verführerische blau, wo seine Augen keinen Halt mehr fanden, wurde nur unterbrochen von einer weißen Bilderschrift.
Aber wie um Gottes Namen war das möglich. Henry konnte diese Bilderschrift immer noch entziffern. Sie musste doch schon hunderte von Jahren alt sein. Wie war das möglich.
Sie bestand aus weißen Sprüchen und Ratschlägen, wie ein rechtes Leben möglich ist. Es waren Bilder, wobei selbst Emotionen verständlich eingraviert waren.
Henry viel sofort das Internet ein, wo momentan die unterschiedlichen Sprachen, ein Haupthindernis bei einer weltumfassenden Kommunikation ist. Diese Bildersprache hier könnte sofort verwendet werden, ohne die langwierige zu Missverständnissen führende Übersetzung.
Eine Schrift oder besser Bilderschrift fiel ihm besonders auf. Sie brachte ihm wieder näher an die Antwort auf die Frage zur Beschaffenheit der ultimativen Realität.
Die Wirklichkeit, so stand da, ist ziemlich nüchtern.
Sie geschieht einfach.
Sie wird nur durch unser Denken und die daraus folgenden Emotionen in Zusammenspiel mit den Gefühlen interessant.
Wir sind es, die die Wirklichkeit gestalten oder mitgestalten.
Kaum zu glauben, dachte Henry, dieses Wissen soll schon so viele Jahre alt sein.
Aber schon holte Meister Huang Henry aus seiner Verklärtheit.
„Es gibt noch vieles, was ich dir auf deinem Weg mitgeben kann, doch gibt es eine Angelegenheit, die nur dich selbst betrifft. Dies kann nur in der Stille, wo nur das Echo des eigenen Gehirns erklingt, erfahren werden.
Dort fängt jede Suche an.
Mit viel Lärm und Getöse suchst du, wie ein Scheinwerfer in der Nacht an allen möglichen und unmöglichen Freuden und leiden der Welt festzuhalten.
Dieses herrliche Leben, wo jeder seinen eigenen Wahn verfällt und doch alles zusammengehört.
Schau dir all die so genannten Führer und kleine wie große Diktatoren an. Was für jämmerliche Gestalten angesichts des Todes. Und noch immer hat der einzelne nichts dazugelernt. Immer noch denken zu viele bei irgendwas, bei irgendwem ihr Heil zu finden.
Am wichtigsten, so scheint mir, ist es uns, die Schuldfrage zu klären.
Wenn nur der böse Nachbar, das andere Land Frieden gebe, so denken wir. Natürlich denkt der andere über den anderen genauso. Wir vergessen dabei. Wenn ich denke, dass der, die anderen so denken, muss ich als Voraussetzung selber so denken.
So weit sind wir gekommen. Wie aber nun weiter?
Soll den dieser herrliche Planet mit den Menschen als reflektierendes Bewusstsein, der dies auch wahrnehmen kann verschwinden.
Für die Natur sicher kein Problem.
Wenn der böse Nachbar, das kriegerische Land verschwindet, dann tritt die große Stille ein. Nichts fürchten wir mehr, als die große Stille.
Deswegen mein Henry lass ich dich jetzt allein.
Ich bin aber trotzdem immer bei dir, wenn du mich brauchst. Du musst mich nur rufen. Nimm ruhig ein Bad und warte was geschieht. Wenn nichts geschieht, ist es trotzdem gut. Diese große Stille ist ein Tor Henry. Es lässt sich nicht mit Gewalt öffnen.
Kennst du die Geschichte, wie Buschmänner Affen fangen. Kurz beschrieben, sie stoßen ein Loch in einen Termitenhügel, gerade groß genug, um die gestreckte Hand eines Affen durchzulassen. Dann legen sie Leckereien in das Loch. Der neugierige Affe kommt und will die Leckereien greifen. Jetzt fängt der Buschmann den Affen, da der Affe beim greifen eine Faust gemacht hat und somit zu groß für das Loch geworden ist.
Somit verliert er seine Freiheit und vielleicht das Leben. Er hätte nur loslassen brauchen. Pech gehabt.
So geht es uns Menschen. Wenn wir nur loslassen könnten von Religionswahn, Ideologien, Macht, Gier, dann, ja dann würden wir merken, dass jede Art von Wahn langfristig denjenigen zerstört, der ihm verfallen ist.
Also Henry, sei ehrlich zu dir. Das ist das wichtigste überhaupt. Du bist ein einzigartiger, wundervoller Mensch, gerade auch durch deine Fehler.
Warum hast du so Angst, Fehler einzugestehen und machst Geheimnisse. Ich verstehe dich ja. Geheimnisse sind nur deswegen Geheimnisse, weil sie auf Intoleranz stoßen und somit oftmals nur das Ego anderer befriedigen.
Deswegen hast du Angst. Du gehst einen Weg weiter, den du schon lange als falsch erkannt hast. Es ist wieder mal die Angst, die ja nur Berater sein soll.
Du musst nicht mehr sein, was du nicht sein willst.
Du musst nicht irgendwo ankommen, du bist schon zu Hause.
Was geschieht, geschieht. So wie das Wasser immer im Fluss.
Es gibt keine Wahrheit. Es gibt sowohl als auch.
Nichts, absolut nichts existiert ohne das andere.
Es ist ein ganzes und doch wieder nicht.
Lass uns doch ohne Macht und Gier, Religionswahn und Ideologien die Zukunft gestalten Henry.
Jeder bei sich anfangend.“
Mit diesen Worten ging Meister Huang und ließ einen leicht verwirrten Henry zurück.
Henry konnte all den auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen Meister Huangs nur mühsam folgen.
Sein ganzes Denken war von Geburt an immer nur zweigeteilt.
Sozialismus-Kapitalismus, gut-schlecht, kalt-warm, Tag-Nacht.
Doch langsam, ganz langsam verstand er.
Die Morgen und Abenddämmerung brach nicht nur wörtlich über ihm herein. Es dämmerte ihm langsam. Es war weder Tag noch Nacht.
Henry ging mit gemächlichen Schritten zum kleinen See herüber.
Erstaunlicherweise war das Wasser, trotz der leicht kühlen Höhle warm. Wieder so ein Beispiel, dachte er, wo unsere eingefahrenen Denkmuster nicht mit der Realität übereinstimmen.
Schamhaft um sich blickend begann er sich auszuziehen.
Dieses Gefühl nackt zu sein, eigentlich was ganz natürliches.
Vorsichtig ging er ins Wasser, wo er so etwas wie einen Liegeplatz vor fand. Es waren bestimmt schon viele hier, dachte Henry und fühlte sich mit ihnen irgendwie verbunden.
Als er sich hingelegt hatte, durchströmte ihn ein wohliges Gefühl von Freiheit. Freiheit, auf die er so lange gewartet hatte. Seine Muskeln entspannten sich vollkommen. Er spürte es intensiver als jemals zuvor.
Henry spannte seine Muskeln nochmals richtig an, als wenn er sich vergewissern wollte, dass sie noch da sind. Darauf folgte eine noch intensivere Entspannung.
Was dann aber folgte, kann nicht mit Worten begreiflich gemacht werden.
Es war einfach auf seine Weise unwirklich und doch, für Henry wirklicher als die Wirklichkeit.
Tief aus der Höhle kam der Klang einer alles durchdringenden Glocke.
Es schien von allen Seiten zu kommen, um dann wieder in die unendlichen Tiefen der Höhle zu verschwinden.
Irgendwas stimmt nicht, irgendwas stimmt nicht mit der Realität, dachte Henry noch als er tiefer und tiefer in sein Bewusstsein vordrang.
Plötzlich, wie aus dem nichts, sah er sein ganzes Leben vor sich. Dabei folgte es keinerlei zeitlichen Abfolge, wie er es sonst so kennt.
Es schien, dass er alle Begebenheiten gleichzeitig wahrnahm. Selbst die er schon vergessen geglaubt hatte, erschienen ihm.
Doch was war das? Es erschien plötzlich völlig logisch. Selbst die Begebenheiten, die er sonst bereute.
Was ist das? Wer bin ich? Wer ist dieser Henry? Was ist das, ein Gedanke?
Was ist der Gedanke, ich bin Henry?
Gleichzeitig mit den Fragen bekam Henry oder sein „Ich“ die Antwort.
Dieses „Ich“, was nicht lokalisierbar ist. Scheinbar eingegrenzt, im Körper gefangen, durch die Nahrung, die Atmung, die Sinnesorgane nach außen geöffnet und doch sind alles nur Gedanken.
Noch kann mir niemand sagen, was ein Gedanke ist. Ich kann ihn nicht greifen noch begreifen.
Ich kann noch nicht einmal sagen, ob die Gedanken, die ich habe, nicht vom Körper so wie Software von der Hardware mitbestimmt werden. Ich kann dies nur mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen.
Das wir alle eine ähnliche Wahrnehmung der Umwelt haben, liegt an unsere Bauweise.
Aber schon bei der Beurteilung unterscheiden wir uns.
Ganz anders sieht das schon bei den Tieren aus, die eine völlig andere Wahrnehmung der Umwelt haben.
Also wie wirklich ist dann meine Wirklichkeit noch mit diesem Hintergrund?
Also gut, tschüss du ultimative, alles umfassende grenzenlose Wahrheit oder Realität. Ich komme dir ja doch nicht auf die Schliche.
Ich las dich jetzt gehen, aber du willst nicht, denn ich bin ein Teil von dir. Ich bin zu Hause in deinem Schoß.
Was für ein Quatsch, bäumte sich Henrys „Ich“ nochmals auf. Wenn du so weiter machst, landest du noch in der Psychiatrie.
Fakten, nichts als Fakten zählen, versuchte er schon fast verzweifelt diesen schmalen Weg der Realität wiederzufinden. Rechts und Links dieses Weges ist Dschungel, unbekanntes Land.
Ich weiß ja noch nicht einmal, wohin dieser Weg führt. Anderseits ist es vielleicht gar nicht so wichtig.
Es zählt doch nur der Augenblick. Lässt sich doch sowieso nichts dauerhaft festhalten.
Mein Bewusstsein mit seiner Aufmerksamkeit ist mal hier, mal dort.
Und was ist schon die Realität außerhalb meines Gehirns.
Soweit ich die Information Einheiten, die mein Gehirn erreichen, richtig deute, sehe ich folgendes.
Ich wohne auf einem Planeten, die im unendlichen Raum hängt. Mich umgeben Milliarden Galaxien mit Milliarden Sonnen. Auf der Erde kämpft alles ums überleben, um am Ende doch nicht dauerhaft zu bestehen. Und dann der Mensch mit seinen unsozialen, egoistischen, umweltzerstörerischen Verhalten, wo die gesellschaftliche Wirklichkeit von wenigen bestimmt wird und somit vielen nur die Statisten Rolle bleibt.
Der einzelne, der immer wieder die gleichen Fehler der vergangenen Generationen macht.
Dieses Leben, ja dieses wundervolle Leben ist viel zu kurz, um es zu begreifen. Wie, ja wie soll ich das begreifen, was mich da umgibt.
Und es ist einsam. Verdammt einsam sogar. So einsam, dass wir alles tun, damit uns dieser Umstand nicht bewusst wird. Jeder lebt auf seiner Insel des Bewusstseins.
Und doch geht es nicht anders.
Ich komme ja mit meinen eigenen Bewusstseinsteilen kaum zurecht. Ich kann ja selbst den kleinen Ausschnitt meiner Umwelt kaum verstehen.
Doch dieses „Ich“, was mich in die Einsamkeit schickt, ist auch das „Ich“, was mich teilnehmen lässt an diese Welt.
Dann tauchte ein mächtiger Gedanke in Henrys Kopf auf, so das er leicht erschrak.
Die Wirklichkeit existiert streng genommen nur in meinem Kopf. Nur das ist absolut sicher. Es denkt etwas, es gibt einen Henry, der in seiner Umwelt lebt.
Ach so war die Aussage von Descartes gemeint „Ich denke,also bin Ich“
Es erfüllte ihn kurz mit Freude, die aufkommt, wenn das Gefühl entsteht, etwas begriffen zu haben.
Aber was für eine Gemeinheit. Es verät mir wieder mal nichts über die Beschaffenheit der universellen Realität oder Wirklichkeit.
Und trotzdem musste Henry plötzlich lachen.
Es ist Wahnsinn.
Milliarden Neuronen bilden sich ein, die Welt zu sein.
Ein Gedanke erhebt sich aus der Erregung, einer Ansammlung von Neuronen. Zugegeben, die Erregung erfolgt oft von außen. Doch das Ergebnis bleibt das selbe.
Die Welt in der Nussschale des Gehirns.
Erst jetzt bemerkte Henry, dass seine Hände sich schon wieder zur Faust geballt hatten.
Jetzt begann er, stolz auf was er bereits gelernt hatte, zu sein, sie bewusst zu öffnen und die Gedanken los zulassen.
Warum muss ich nur dauernd so ein Blödsinn denken und kann nicht einfach, wie so viele, das Leben genießen, so wie es kommt.
Die Antwort kam prompt aus den aus dem Hintergrund der Gedanken.
Weil du es genießt. Das einzige, was dich daran oft ärgert ist, dass du so oft an deine Grenzen stößt.
Aber langsam, ganz langsam lösten sich Henrys Gedanken, von seinem Bewusstsein und es trat etwas unerwartetes ein. Etwas, was erlebt werden muss, um es zu begreifen.
Sein „Ich“, was scheinbar so wichtig ist, um in der realen Welt zu bestehen, trat dabei völlig in den Hintergrund, um nicht zu sagen es verschwand.
Die Erfahrung begann ganz harmlos. Henry oder besser gesagt „Es“ sah Bilder in seinem Kopf aufsteigen. Schöne und schreckliche, die kaum in Worte zu fassen sind. Doch nichts musste erklärt oder begreifbar gemacht werden, denn er hatte das Gefühl, alles zu begreifen.
Später konnte Henry sich nur an einen Zustand äußerster Zufriedenheit erinnern, den er in seinem normalen Wach Bewusstsein mitnehmen durfte. Ja durfte, denn es herrschen in diesem Zustand Regeln, die es einzuhalten gilt, sonst kann es passieren, dass es keine Rückkehr gibt.
Henry wollte diesen Zustand aber auch nicht näher erklären, weil es ihm unmöglich erschien. Jemanden, der so etwas noch nicht erlebt hat, würde es einfach nur lächerlich finden.
Eins weiß er aber jetzt ganz sicher. Es kann ihn jeder erreichen.
Dorthin gibt es keinen Weg oder bestimmte Ziele, die es zu erreichen gilt. Dieser Zustand ist einfach da. Er ist immer da. Er wird nur durch das laute Geschnatter des Normalbewusstseins überlagert.
Da Zeit in diesen Zustand keine Rolle spielt, konnte Henry nicht sagen, wie lange er so verweilte.
Langsam, so das er es kaum merkte, veränderte sich die Situation.
Es war jetzt ganz still, in der Mitte seines Bildes war jetzt ein See.
Dieser See war ruhig und klar, genau wie ein Spiegel seines momentanen Bewusstseins.
Nur die Sehnsucht, diesen Zustand, indem Alltag mit zunehmen, belastete ihn ein wenig, denn dass das hier ein Traum ist, war ihm seltsamerweise bewusst.
Für ihn bedeutete Alltag Informationsüberfluss, ohne das wirklich was gesagt wird. Wo er orientierungslos nach den Weg sucht, zumindest manchmal.
Ja paradoxerweise wissen wir immer mehr über uns, doch ist dieses Wissen emotionslos und fühlt sich kalt an.
Für Henry bedeutete dies, dass so eine Informationsgesellschaft schleichend zu einen gefühlten leeren Leben führt. Dies wäre dann doch mehr etwas für eine künstliche Intelligenz, der wir dann den Weg bereiten.
Nun wurde es allmählich lauter am See.
Henrys „Ich“ hatte ihn schon wieder erfasst. Er hörte jetzt ein leichtes murmeln, was immer stärker wurde und seine Aufmerksamkeit forderte. Es schien von überall her zukommen.
Woher kam es? Was ist das? So fragte er sich.
Da stand plötzlich ein kleiner Junge vor ihn.
„Woher kommst du“, fragte Henry völlig verdutzt.
Doch der kleine Junge schien sehr schüchtern und ängstlich zu sein.
Doch nach einer Weile fragte er: „Wieso? Ich war doch schon immer hier.
Wie heißt du denn?“
„Henry.“
„Wie Henry.“ Henry war jetzt ganz verwirrt.
Nur hatte er keine Zeit zum denken, wurde es doch jetzt lauter und lauter. Die Höhle füllte sich mit immer mehr Kindern sowie Erwachsenen, die alle aus den blauen nichts der Höhle zu kommen schienen.
Aber irgendwie kamen sie Henry alle bekannt vor.
Da war einer, der wie ein Führer wirkte. Er war kraftvoll und voller Tatendrang. Dort war jemand, den die Leidenschaft ins Gesicht geschrieben schien.
Alle möglichen Personen gab es da. Ängstliche, Erwartungsvolle, alle Eigenschaften des Menschen schienen hier vertreten.
Und da dämmerte es Henry. Was er hier sah war er selbst.
Es war eine Versammlung seiner eigenen Persönlichkeit, die hier mit allen Charaktereigenschaften, quasi aus den nichts in sein Bewusstsein auftauchten.
Endlich konnte er sich mit jeder Persönlichkeit austauschen, die sein ich verkörperte.
Der kleine Junge aber, den er nun endlich in den Arm nahm, war ihm besonders ans Herz gewachsen.
Dieser kleine Junge hatte nun schon so lange darauf gewartet.
Als dann sogar Tränen flossen, sagte er väterlich zu ihm. „Es ist gut. Du bist in Ordnung, so wie du bist.“
Allmählich schien sich die Situation seines Bewusstseins abermals zu verändern.
Henry wollte so gerne bleiben, doch was er als Gemurmel der vielen „Ichs“ seiner Person wahrnahm, wurde lauter und lauter.
Als es die Schwelle des unerträglichen überschritt, wollte er schon aufschreien. Da merkte er, dass er gar nicht mehr am See war.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich sein Bewusstsein neu strukturiert hatte.
Was er jetzt sah, überraschte ihn zwar, doch war es ihm völlig vertraut.
Was da so laut schrie, war sein Wecker, der ihn ermahnte, aufzustehen.
Verdutzt schaute er um sich. War das alles nur ein Traum? Er war so klar und deutlich. War das alles nur eine Ausgeburt seiner Psyche?
Und wenn schon, dachte Henry.
Er sah an sich herab. Sah seine Arme, seine Beine. Vorsichtig bewegte er diese. Sie funktionieren und ein Gefühl der Freude durchströmte seinen Körper.
Langsam stand er auf und ging ans Fenster. Als er es öffnete, kam die frische Morgenluft herein.
Tief, so als wäre es der erste Zug überhaupt in seinem Leben, zog er sie in seine Lungen.
Was für ein Genuss.
Zug um Zug atmete er ein und aus. Er war ganz darauf konzentriert.
Über den Horizont stieg langsam die Sonne auf und färbte den Himmel in leuchtenden Farben.
Jetzt wusste er, ein neuer Tag hat begonnen. Es geht weiter, Atemzug um Atemzug, solange ich lebe.
Dazu vielen ihm folgende Worte ein.

Milliarden Sonnen
unendliche Räume
großartige Erde
ich war hier

Majestätische Berge
am Strand der Meere
mit Blick in die Ferne
ich war hier


Wahre Gefühle
Wenn möglich keine Lüge
Überwältigende Liebe und
ich war hier
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Buddhistische Gedanken können einem sehr viel geben. Ich glaube, du machst damit sehr vielen Menschen Mut.

Petra (02.04.2009)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Henry, seine Reise zu sich selbst - Inhaltsangabe  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De