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Fenster

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ein Fenster, zwei Geschichten


Der Ausblick aus der Fensteröffnung der alten Burg entsprach genau dem Photo, das er heute Morgen per Post erhalten hatte.
Fast den gesamten Ausschnitt einnehmend dominierte auch in der Realität die Kirche mit ihren Klosteranbauten. Von der alten Burg aus betrachtet, lag sie etwas niedriger, aber doch erhöht auf einem kleinen Hügel im Vergleich zu den anderen Gebäuden der kleinen Stadt. Niedrige Ein- und Zweifamilienhäuser, ein größerer, gelb getünchter Komplex war die Schule, dahinter, in modernerer Architektur vielleicht das Rathaus. Friedlich dehnte sich der Ort unter der Burg aus. Unterbrochen durch viel Grün streckte er sich dem Fluss entgegen, der eine schillernde Linie zu den sanften Hügeln im Hintergrund bildete.
All dies nahmen seine geschulten Augen im Bruchteil einer Sekunde wahr. Zuerst direkt durch die Mauerlücke schauend, Augenblicke später durch den Sucher seines Zielfernrohres.
Sein Auftraggeber hatte den Platz gut gewählt. Von hier aus konnte er genau in die drei Fenster des hinteren Klosteranbaus sehen – und zielen.
Nur einen Moment dachte er an den Aufruhr, der seine Tat in dem idyllischen Ort entfachen würde. Bis dahin sollte er längst mit seinem Verdienst im Flugzeug sitzen.
Es geschah eben nicht alle Tage, dass der Pfarrer einer deutschen Kleinstadt während seiner Messvorbereitungen erschossen wurde.
* * *
Wieder stehe ich am Fenster, wieder schaue ich hinaus. Hinab auf das Dorf, das sich unter der alten Burg entwickelt hatte.
Die kleine Kirche nimmt immer noch fast den gesamten Ausschnitt ein, den die Öffnung im Mauerwerk bietet. Immer noch erfreute ich mich des satten Grüns der vielen Bäume. In der Ferne schillert der Fluss, der schon seit jeher eine natürliche Grenze für die Ausdehnung des Ortes war. Die Häuser haben sich seit damals verändert. Aus den Hütten sind stabile und schmucke Häuser geworden.
Einige Gebäude fallen mir besonders auf. Ein gelb getünchter größerer Bau, von dem gesagt wird, dass es sich um eine Schule handelt. Versetzt dahinter erkenne ich ein modernes Bauwerk, das neue Rathaus.
Ein Stöhnen entflieht meiner Brust. Wie sehr liebe ich diesen kleinen Ort. Meine Heimat, nie verlassen!
Aber der Ort und seine Menschen haben mich nie geliebt. Damals nicht, heute noch weniger.
Wie damals greife ich zum Fensterkreuz, nur spüre ich heute nichts in meiner Hand. Die Maueröffnung hat seit langem kein Fenster mehr.
Ich öffne das Fenster und steige etwas schwerfällig auf den Sims.
Wie damals schweift mein Blick Abschied nehmend über das geliebte Tal.
Wie damals lasse ich mich fallen.
Wie damals, 1112 - und morgen wieder.
 
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Kommentare  

Danke euch beiden :)
Jepp, Jochen, so ist es gedacht und entstanden: aufgrund eines Photos, aufgenommen aus den Ruinen einer mittelalterlichen Burg, den halben Mauerrahmen eines Fensters mit dem dahinterliegenden Ausschnitt des Ortes darstellend.
Die beiden Passagen haben lediglich diese Örtlichkeit gemeinsam und sollen bewusst unterschiedliche Genre bedienen.
Ich hoffe, damit etwas klarer :)
Wieso sollte ich etwas löschen, Doska? Ich möchte durch die Rückmeldungen lernen und mich weiterentwickeln :)

Liebe Grüße euch beiden,

Shan :)


Shannon O'Hara (20.04.2009)

Hallo Doska, vielleicht ist es aber auch nur so gemeint, dass es zwei grundverschiedene Erlebnisse sein sollen, die sich vor dem selben Fenster abspielen ( Wäre toll, wenn sich Mareike mal dazu äußern würde) Für diese Möglichkeit sind mir allerdings die Geschichten etwas zu kurz, um da richtig rein zu kommen.

Jochen (20.04.2009)

Hallo Shannon!
Ich freue mich wirklich riesig, dass du noch etwas von dir veröffentlicht hast. Ich weiß, dass du hervorragend schreibst und dieser Text ist auch wieder stilistisch sehr gut geschrieben, aber ich muss dir ehrlich sagen, ich verstehe nicht ganz, was du meinst. Entweder bin ich zu blöd dazu, oder du hast dich etwas unklar ausgedrückt. Bitte lösche deinen Text nicht gleich wieder (das machen nämlich manche), denn es wäre schade um die spannende Geschichte.
Ich sage dir jetzt mal, wie ich alles verstanden habe.
Erste Gechichte.
Da ist jemand beauftragt worden den Pfarrer zu erschießen.
Zweite Geschichte.
Jemand bringt sich um, und das muss er seit damals wohl immer wieder tun. Siehst du, und das verstehe ich eben nicht. Ist es die gleiche Person die den Pfarrer erschossen hatte und die zur Strafe vielleicht ein Geist geworden ist, der stets auf `s Neue Selbstmord verüben muss? Was aber bedeutet die Jahreszahl 1112. Redest du da vom Mittelalter? Dann könnte dieser Mensch schlecht jener Killer sein. Um wirklich beide Geschichten verstehen zu können, glaube ich, musst du doch noch mehr erklären und hinzu fügen.


doska (19.04.2009)

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