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28 Seiten

Fisteip - Teil 12

Romane/Serien · Spannendes
Lea war bei lauter Musik dabei, die Kaffeemaschinen zu reinigen. Das Schild „sorry, we’re closed“ hing an der Tür. Sie hatte die Zeit vergessen, jedenfalls kam es ihr so vor, denn als sie fertig war und auf die Uhr sah, war es kurz nach neun.
„Verflixt“, murmelte sie. Da saß Tommy jetzt allein zu Hause, hatte vielleicht schon was zu essen gemacht und fragte sich, wo sie steckte.
Nein, dachte sie, dann hätte er angerufen.
Sie nahm ihr Mobile zur Hand und es bestätigte ihr, dass sie keinen Anruf oder Kurzmitteilung verpasst hatte.
Er hat was von Überstunden gesagt, dachte sie, und er ist auch einfach in der Arbeit stecken geblieben. So wird’s sein. Jetzt aber nach Hause, kleine Sheba.
Sie räumte das Reinigungszeug weg, fegte noch einmal die letzten Krümel vom Boden und schaltete die Musik ab. In der Bewegung, als sie sich von der Theke wegdrehte, den Rücken der Kaffeemaschine zuwandte, sah sie die Gestalt, die vor der abgeschlossenen Tür stand. Sie fuhr erschrocken zusammen. Selbst in Horrorfilmen konnte sie solche Szenen nicht ausstehen, und erst recht nicht im wirklichen Leben. Sie sah sofort, dass es nicht Tommy war, in den ersten Schrecksekunden raste ihr Herz und sie hörte nur noch ihren kurzen panischen Atem, dachte ungläubig an einen Überfall. Fieberhaft überlegte sie, wo sie sich in Sicherheit bringen konnte, war aber unfähig sich zu bewegen und den Gedanken in die Tat umzusetzen. Der Mann vor der Tür hob die Hand und machte eine winkende Bewegung, deutete auf das Pappschild an der Innenseite der Tür (er winkt, damit ich mich sicher fühle und ihm aufmache, eine Falle!), und Lea erkannte Douglas, der ihr deutete, sie solle ihm endlich die Tür aufschließen.
Sie war so erleichtert, dass es ihr nicht in den Sinn kam, wie albern sie ausgesehen haben mochte, hypnotisiert wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Sie kam heran, drehte den Schlüssel herum und schob die Tür auf. Der Wind pfiff scharf durch den Spalt. Sie trat zur Seite und sagte zu Douglas, der ein Stück zur Seite getreten war: „Kaffee ist aus für heute, Mr. Officer, aber ich kann dir noch ein paar trockene Kekse anbieten.“
Douglas senkte den Kopf und betrat das Café, war das überdeutliche Abbild eines Überbringers von schlechten Nachrichten, was Lea aber noch immer nicht realisierte. Sie war noch immer zu erleichtert darüber, an diesem Abend nicht von einem Drogen-Junkie überfallen und ausgeraubt zu werden.
„Lea“, sagte Douglas, „ich bin nicht privat hier.“
„Können wir das auf dem Weg nach draußen besprechen? Ich hab rumgetrödelt, Tommy wartet sicher schon und ich muss auch noch...“
Douglas berührte so vorsichtig ihren Arm, als sei sie aus Glas, ließ sie nicht ausreden.
„Ich war schon bei euch zu Hause“, sagte er, „dort war er nicht. Lea, bitte setz dich einen Moment.“ Dann fügte er seltsam vorsichtig hinzu: „Wir haben den Nissan gefunden.“
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. „Den Nissan gefunden?“
Was in ihrem Kopf erschien, war der Gedanke, dass jemand Tommys Auto geklaut haben könnte, deshalb war er auch noch nicht zu Hause. Und Douglas hatte den Wagen jetzt gefunden. Aber etwas war falsch an diesem Bild – da war ein schrilles Warnsignal, was im Hintergrund auftauchte und sich langsam nach vorn schob, unmöglich zu ignorieren. Und trotzdem versuchte sie es, denn was konnte Tommy schon passiert sein?
„An der Lake Street, direkt hinter der alten Tankstelle, die Bob Symes vor zwei Jahren aufgegeben hat. Er stand entgegen der Fahrtrichtung am Seitenstreifen und wir haben Bremsspuren gefunden.“
„Was meinst du damit, ihr habt den Nissan gefunden? Wenn er wieder einen Unfall hatte, warum sagst du mir das nicht?“
„Es scheint nicht nur ein einfacher Unfall gewesen zu sein, denn Tommy ist verschwunden.“
Er sah auf seine Schuhspitzen, setzte seufzend hinzu: „Ich hatte gehofft, er wäre hier.“
Lea sah ihn verständnislos an und ihre Gedanken schweiften ab, sie fragte sich, ob das bei Tommy jetzt zur Gewohnheit wurde, alle drei bis vier Tage einen Unfall zu bauen. Sie blendete den Rest einfach aus, hörte und vergaß es sofort wieder, weil sie es nicht akzeptieren konnte, dass etwas so beunruhigendes passiert war. Douglas machte einen Wink zur Sofaecke hinüber, damit sie sich endlich setzte und er ihr erklären konnte, was er glaubte, was passiert sein könnte. Er machte sich Sorgen um Tommy und das konnte er ihr nicht sagen, es hätte sie noch mehr beunruhigt, wenn sie denn endlich begriff, was passiert war. Sie hockte auf dem Sofa, tastete mit der rechten Hand nach ihrem Gesicht. Es fühlte sich taub an, gleichzeitig meldete sich wieder die Panik in ihrem Hinterkopf. Da war eine Stimme, die ihr zu erklären versuchte, dass Tommy verschwunden war, dass etwas schlimmes, Unvorhergesehenes passiert und er verschwunden war. Douglas setzte sich neben sie und ließ sie einen Moment nachdenken.
„Lea“, begann er, sie hob die Hand und sagte: „Verstehe ich das richtig? Tommy ist verschwunden? Aus seinem Nissan ausgestiegen und weg?“
„Wir wissen noch nicht, was passiert ist, aber anhand der Spuren auf der Straße ist noch ein anderer Wagen beteiligt gewesen. Wir haben Reifenspuren gefunden und es könnte sein, dass es nicht nur ein Unfall gewesen ist. Von dem anderen Wagen fehlt jede Spur.“
Er sagte ihr nicht, dass sie Patronenhülsen gefunden hatten. Er sagte ihr nicht, dass einer der nächsten Nachbarn, ein alter Farmer, der noch ein paar Milchkühe hielt, eine Reihe von Schüssen gehört und sich gewundert hatte, welcher Amateur da wie auf einem Schießstand auf Elche ballerte. Er hatte die Cops angerufen und sie hatten nach dem Rechten gesehen, dann Tommy verlassenen Nissan an der Straße gefunden. Douglas beobachtete Leas Reaktion darauf, machte sich darauf gefasst, dass sie in Tränen ausbrechen würde, aber als sie ihn direkt ansah, war davon nichts zu sehen.
„Ich glaube an alles andere, aber nicht daran, dass er einen Unfall hatte und Fahrerflucht zu Fuß begangen hat. Ich muss nach Hause, Douglas.“ Sie stand auf. „Ich muss deinen Dad anrufen.“
„Wieso meinen Dad?“
„Tommy hat mir gesagt, dass ich Joe informieren soll, wenn irgendetwas Seltsames passiert. Die drei haben bei uns zu Hause stundenlang zusammen gesessen und diskutiert.“
„Welche drei, Lea?“
„Tommy, dein Dad und ein alter Freund von Tommy. Er hieß Sean.“
„Worüber haben sie gesprochen?“
Sie versuchte, sich den Abend ins Gedächtnis zurückzurufen, schüttelte den Kopf.
„Sie haben sich geheimnisvoll benommen, ich weiß nur noch, dass Tommy und dieser...“ Sie musste wieder überlegen, „Sean auf irisch gesprochen haben die meiste Zeit. Ich war nicht dabei, aber ich habe gehört, dass sie viel gelacht haben zwischendurch. Ich dachte, sie hätten eine nette Zeit zusammen, wärmen alte Geschichten auf und so was. Eigentlich hätten sich Kerle an so einem Abend gepflegt besoffen, aber das haben sie nicht, wohl aus Rücksicht auf Tommy.“
„Und trotzdem weißt du nicht, um was es ging?“
„Ich weiß nur, dass dein Dad nicht so viel gelacht hat wie die beiden und dass Tommy mir später sagte, ich solle zu ihm gehen, wenn etwas passiert.“
„Ich begleite dich nach Hause“, sagte Douglas, „und dann rufen wir meinen Dad an.“
Sie hatte eine Menge Fragen, aber keine von denen hätte Douglas beantworten können, das wusste sie. Deshalb sprach sie sie nicht laut aus. Niemand konnte sagen, was passiert war oder wo Tommy hin verschwunden war, sie konnte nur vermuten und hoffen, dass es sich schnell aufklären würde.
Könnte doch sein, dass er jemandem helfen musste und keine Zeit mehr hatte, eine Nachricht zu hinterlassen, dachte sie, aber warum geht er dann nicht an sein Mobil?
Wie in Trance fuhr sie nach Hause, hatte noch die Tageseinnahmen in der Tasche und vor dem Haus angekommen, sah sie, dass niemand zu Hause war.
Ich hatte so gehofft, dass er hier wäre, dachte sie.
Sie parkte den Wagen, trug ihre Taschen zur Tür. Die Katzen waren noch im Garten, jagten den späten Motten und Faltern nach und hatten nur einen desinteressierten Blick für den fremden Besucher. Sie kamen erst angerannt, als Lea die Tür öffnete, dann wischten ihr sie ihr durch die Beine ins Haus.
„Entschuldige die Unordnung“, sagte Lea mit abwesender Stimme, „in diesem Haus ist immer Chaos angesagt.“
Douglas sah sich vorsichtig um und entdeckte keine nennenswerte Unordnung in dem Haus, aber vielleicht war er durch sein eigenes Chaoshaus auch nur abgestumpft. Er machte sich nützlich und fütterte die Katzen auf der Veranda, suchte in der Küche alles für einen Kaffee zusammen, während Lea mit seinem Vater telefonierte. Er bekam abgehackte Gesprächsfetzen mit und hörte Leas Bestätigung, dass Joe sofort vorbeikommen würde. Das hieß, dass irgendetwas an dieser Sache brandeilig war, so wie er befürchtet hatte.

Spike hatte lange mit sich gehadert, und als er bei einer der Vorlesungen hörte, dass Tommy unter seltsamen Umständen verschwunden sei, zögerte er nicht mehr. Alles, was er im Internet zusammengetragen hatte, lag nun ausgedruckt vor ihm. Sein Laserdrucker war heiß gelaufen an diesem Abend, weil er die Fotos, die er gefunden hatte, so hoch aufgelöst wie möglich hatte drucken wollen. Obwohl er noch zögerte, ob es das richtige war, steckte er sich den Ausdruck in den Rucksack, in dem er seine Kamera mit sich herumtrug, schwang sich auf sein Rad und verließ den Campus. Das Rad benutzte er trotz des Schnees, er kam mit dem rutschigen Untergrund zurecht, außerdem fuhr er mitten auf der Straße, die geräumt und gestreut war. Er fuhr zuerst zum Café, das er geschlossen vorfand, drehte dann in die Sandy Street ab. Während er gegen den Wind und die Kälte anstrampelte, überlegte er sich, wie er es anfangen sollte. Zunächst entschuldigen und wenn Lea dann in der Lage schien, ihm zuzuhören, würde er erzählen, was er herausgefunden hatte. So legte er es sich zurecht, bis er vor dem Haus stand, sein Rad ordentlich an der Veranda abstellte und an die Haustür klopfte. Er wartete geduldig und als Lea öffnete, machte er eine linkische Handbewegung zur Begrüßung. In der selben Sekunde dachte er ‚Oh Scheiße, ich hab’s schon verbockt’, denn Lea machte ein abweisend-entschuldigendes Gesicht und sagte: „Entschuldige, Spike, aber weswegen du auch hier bist, es muss warten. Würde es dir etwas ausmachen, später wieder zu kommen?“
„Entschuldige“, sagte Spike, „ich weiß, was passiert ist und deshalb bin ich hier. Es geht um Tommy. Ich möchte mit dir über ihn reden. Und ich muss dir etwas zeigen.“

Joe überredete Lea, das Café bis auf weiteres zu schließen, sagte ihr sehr eindringlich, dass er nicht wollte, dass sie wie eine Schießbudenfigur in ihrem Laden stand, für jedermann sichtbar und angreifbar. Sie stimmte zu, das Café für unbestimmte Zeit geschlossen zu lassen, weil sie Angst hatte, dass sie die Kaffeemaschinen über Nacht laufen ließ, einen Kurzschluss verursachte und den gesamten Gebäudekomplex abfackelte.
Nicht auch noch so was, lieber Gott, dachte sie, und schrieb in ordentlichen übergroßen Buchstaben BIS AUF WEITERES GESCHLOSSEN. Sie überlegte einen Augenblick und fügte hinzu, etwas kleiner darunter DANKE FÜR IHR VERSTÄNDNIS. Noch hatte sie keine Vermisstenanzeige aufgegeben, trotzdem mussten mittlerweile alle über Tommy bescheid wissen, so was sprach sich blitzschnell herum. Der verlassene Wagen, der an der Straße gestanden hatte. Douglas drückte sich noch immer davor, Einzelheiten zu erzählen, aber über die Kleinstädtischen Informations-Schleichwege hatte Lea etwas von einer Schießerei gehört, von gefundenen Patronenhülsen, Blutspuren und den Spuren eines zweiten Wagens. Das einzige, woran Lea jetzt noch denken konnte, war Tommys Warnung, sich an Joe zu wenden. Joe wüsste, was zu tun sei. Das konnte sie jetzt nicht mehr beruhigen, denn Joe wich ihr nicht mehr von der Seite und wollte trotzdem nicht damit rausrücken, was wirklich los war. Er wusste sehr genau, was los war, aber er wollte es nicht sagen. Und die Bemerkungen mit der Schießbudenfigur ließen sie auch nicht schlafen.
„Joe?“ sagte sie, „würdest du’s mir denn sagen, wenn du wüsstest, dass er tot ist?“
Darauf antwortete Joe nicht.
Später sagte er, Lea solle sich Gedanken darüber machen, ob sie die Katzen mitnehmen oder jemandem überlassen wolle.
„Mitnehmen? Wohin mitnehmen? Wovon redest du? Das hört sich verdammt noch mal so an, als würde wir evakuiert werden.“
Sie wurde wütend, so fürchterlich wütend, dass sie den Punkt überschritt, an dem sie sich noch hätte zusammen reißen können. Sie schrie ohne Ende, weinte, bis sie keine Luft mehr bekam. Joe war kurz davor, einen Krankenwagen zu rufen, geschah ihm ganz recht, wenn er vor Anspannung einen Herzschlag bekam, und als er versprach, von dem zu berichten, was sie bei ihrem Palaver zu dritt gesprochen hatten, beruhigte sie sich. Joe versuchte ein Lächeln, reichte ihr ein Taschentuch.
„Okay“, sagte Lea, „lass hören, was du zu sagen hast.“
„Das meiste wird Tommy dir selbst erzählen wollen“, begann er, „aber soviel kann ich jetzt sagen. Es sind Leute hinter ihm her, mit denen man sich nicht anlegen sollte. Sie sind aus seiner Vergangenheit. Möglich, dass er sich heute oder morgen meldet – vielleicht hat er nicht so viel Glück gehabt. Ich will dir nichts vormachen. Ich fürchte, dass sie ihn erwischt haben.“
„Was sind das für Leute?“
„Es geht um Politik. Sie werden ihn zurück nach Irland bringen.“
Sie dachte: Dann hat Spike recht gehabt. Oh mein Gott. Lieber Gott, er hat recht gehabt.
Sie sagte nichts darüber, sie wollte es in sich vergraben und nicht auch noch von Joe hören, dass es nicht klug war, wenn noch jemand in dieser Sache bescheid wusste. Und was war mit David? Niemand schien sich mehr darum zu kümmern, dass auch David verschwunden war.
Joe benutzte eine Notlüge, um nicht darüber reden (oder nachdenken) zu müssen, was sie wirklich mit Tommy gemacht haben könnten oder noch tun würden, wenn er ihnen wirklich in die Falle gegangen war. Leas verwirrtes Gesicht, ihre Verzweiflung war kaum mit anzusehen, aber Joe konnte ihr nicht mehr erzählen. Es schmerzte in seinen Knochen, sein Schädel pochte und brummte und bevor Lea weiterfragen und nachbohren konnte, flüchtete er sich in die Küche, machte eine Kanne Tee.
„Ach, doch keinen Tee“, flüsterte Lea, putzte sich erneut die Nase.
„Mein Kaffee wird mit deinem nicht mithalten können“, erklärte Joe, „ich werde dir noch vieles erklären müssen, und dazu ist etwas Tee perfekt.“
Als er ihr andeutete, dass sie ihr Heim vorübergehend verlassen müsse, sollte etwas darauf hinweisen, dass ihr Leben in Gefahr sei, nickte sie und sagte, sie könne einen Koffer packen, die Festplatte ihres PCs ausbauen und mitnehmen und die Katzen in einen Transportkäfig stecken, kein Problem. Aber sie nahm es nicht wirklich wahr, sie verstand es nicht. Joe dachte, dass es vielleicht nötig war, ihr einen Tag Zeit zu geben, um über alles nachzudenken. Er hatte Tommys Stimme im Ohr, dass es möglicherweise um Stunden ging, wenn sich die Ereignisse einmal überschlugen. Jetzt war Tommy verschwunden, unter etwas anderen Umständen, als wäre er nur in den Bus gestiegen und aus der Stadt gefahren. Die Polizei suchte nach ihm, hatte Spuren gesichert, bearbeiteten das ganze und arbeiteten darauf hin, zu irgendeinem Ergebnis zu kommen. Hatten sie noch Zeit, Lea sich an die Situation gewöhnen zu lassen? Unter anderen Umständen hätte Joe mit seinem Sohn zusammengearbeitet, hätten gemeinsam die Köpfe rauchen lassen, aber Tommy hatte davon nichts wissen wollen.
Keine Cops, hatte er gesagt, das ist etwas, wo wir uns nicht an die Regeln halten können, und wenn Douglas und seine Kollegen davon Wind kriegen und ihre Finger drin haben, binden wir uns selbst die Hände. Keine Cops.
Bis auf die schleppende Suche nach Tommy gab es keine nennenswerte Regungen in Lewiston.
Lea schloss das Café, und sie wurde in Ruhe gelassen. Es gab nur ein paar Anrufe von Tommys Kollegen, die ihre Hilfe anboten und einen Anruf eines Reportes von der Zeitung, den Lea freundlich abwimmelte. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie kaum in der Lage sei, einen klaren Gedanke zu fassen und deshalb wolle sie keine Fragen beantworten. Ohne Zweifel würde der Reporter sich an die Polizei wenden und mit deren Hilfe seinen kleinen Artikel schreiben. Darüber dachte Lea nach, als sie mechanisch die Katzen fütterte – wie würde der Artikel aussehen? Und dann fiel ihr ein, dass bis auf das Foto, das am Bates in der Personalakte steckte, es wohl kein anders gab, mit dessen Hilfe man eine Suchaktion starten konnte. Sie erstarrte mitten in der Bewegung, merkte erst, dass sie weinte, als sie keine Luft mehr bekam. Ihre Sicht war verschleiert, die Nase verstopfte und als Joe sie fragte, ob alles in Ordnung sei, brachte sie sehr undeutlich hervor, dass sie ihn niemals finden würden, denn ohne ein ordentliches Foto seien sie nicht in der Lage, Plakate zu machen. Joe nahm sie das erste Mal in den Arm, sehr vorsichtig und nicht sicher, ob er das richtige tat, aber als sie erst einmal an sich gedrückt hatte, wusste er, dass es richtig gewesen war. Er sagte, dass sie keine Suchplakate zu drucken brauchten – und er sagte auch, dass es dazu zwei Gründe gab.
„Er hat ein verdammt bekanntes Gesicht in der Stadt, richtig? Wir werden es gar nicht nötig haben, Fotos von ihm aufzuhängen. Und der zweite Grund ist noch offensichtlicher. Er wird zurück sein, noch bevor du das erste Plakat in Druckauftrag geben kannst. Das fühle ich. Da bin ich mir ganz sicher.“
Lea nickte – obwohl ihr eine hässliche kleine Stimme einflüsterte, dass Tommy sicher nicht einfach wieder so auftauchen würde; schließlich war er nicht auf Geschäftsreise und verspätete sich um ein paar Tage. Die Wahrheit lag ganz woanders.
„Okay“, flüsterte sie, „was machen wir jetzt? Abwarten, bis die Polizei etwas findet?“
Joe trichterte ihr den Tee ein, bis sie zur Ruhe kam und die Katzen taten ebenfalls ihr bestes – sie folgten ihr in den Sessel und machten sich auf ihrem Schoß breit.
„Ich werde nicht schlafen können“, sagte sie, „unmöglich. In meinem Kopf dreht sich alles. Es ist nicht abzuschalten, ich mache mir solche Sorgen...“
Nach einer weiteren Kanne Tee und gutem Zureden konnte Joe sie ins Bett stecken, das Licht löschen und den Katzen (wie kleinen Kindern) sagen, dass sie gefälligst leise sein sollten. Das kleine Geheimnis war die Zutat im Tee, die er hineingeschmuggelt hatte. Lea konnte so etwas schlafen und Joe war in der Lage, sich einen Plan für die nächsten Tage zurechtzulegen.

Nach fünf Tagen war Tommy plötzlich wieder da. Es war kurz vor zehn Uhr morgens, als er scheinbar aus dem Nichts auftauchte. Wie von einem Raumschiff heruntergebeamt saß er auf der steinernen Umrandung eines Blumenbeetes vor dem Supermarkt, in dem Lea und er ihre Einkäufe machten, wenn sie nicht bis in die Mall fahren wollten. Dort saß er, rauchte scheinbar seelenruhig eine Zigarette, die er zwischen den Fingern der linken Hand hielt, weil er die Rechte nicht gebrauchen konnte. Passanten gingen an ihm vorbei, dann kehrte einer von ihnen um und kam zurück. Es war Mr. Leneau, der das Friseur-Geschäft neben Leas Café hatte. Lea hatte mit ihm gesprochen und ihm erzählt, dass sie das Café bis auf weiteres schließen würde. Leneau war ein kauziger alter Kerl, bei dem man sich wunderte, dass sein Laden sich überhaupt noch über Wasser hielt, aber man konnte nicht von ihm behaupten, dass er sich nicht um seine Mitmenschen kümmerte. Er blieb vor Tommy stehen, beugte sich vor und hatte das Gesicht zu einem irritierten Grinsen verzogen, was nicht wirklich ein Grinsen war. So stand er da, überlegte, beugte sich noch etwas vor, als wolle er Tommy genauer inspizieren, bevor er ihn auch nur ansprach. Tommy blinzelte zu ihm hoch, rauchte unbeirrt weiter. Was Leneau schließlich dazu brachte, ihn zu fragen, ob alles in Ordnung sei, waren die Blutflecke auf Tommys Kleidung, die er nach genauer Betrachtung nicht mehr mit Schmutz- oder Ketchupflecken verwechselte. Was Tommy auf seine Frage erwiderte, brachte ihn dann dazu, in hektischen Schritten bis zur Polizeistation zu laufen. Er hätte es leichter gehabt, ein Telefon zu benutzen, aber an diese Möglichkeit dachte er erst später. Manchmal war es ihm, als würde er in Stress-Situationen einfach vergessen, dass es so etwas wie mobile Telefone gab.
Als er in die Polizeistation hastete, wurde er von Heather Cushman in eine Plauderei verwickelt. Seine Frau und Heather trafen sich ab und zu an Bingoabenden oder bei Veranstaltungen der Kirchengemeinde, allerdings war Leneaus Frau seit einiger Zeit an Asthma erkrankt und sie ging nur noch selten vor die Tür. Heather fragte ihn, ob er einen Kaffee mittrinken wolle, es sei so wenig zu tun an der Zentrale, dass ein wenig Ablenkung ganz gut tat. Dann erst fragte sie, was ihn zum hereinschneien veranlasst habe und Leneau sagte: „Wegen Tommy.“
„Ist es nicht seltsam, dass er verschwunden ist?“ seufzte Heather, schüttelte den Kopf und hob entschuldigend die Hand in Leneaus Richtung, als das Telefon klingelte. Sie nahm den Anruf entgegen, stellte ihn zu einem der Männer durch, die Bürodienst hatten.
„Demoliertes Auto“, erklärte sie in die Leitung, legte auf und fuhr fort: „Jetzt bin ich wieder für dich da. Ich geh uns schnell einen Kaffee holen.“
Mit dem Headset am Ohr eilte sie davon, bevor Leneau ihr noch sagen konnte, dass es dringend war. Er versuchte geduldig zu bleiben, trat auf der Stelle und sah sich hilfesuchend um. Hätte er einen der Cops gefunden, hätte er ihm die Neuigkeit verraten und wäre sofort wieder verschwunden. Er hatte keine Lust, den ganzen Tag auf dem Revier zu verbringen, um das Protokoll aufnehmen zu lassen. Aber es war niemand in der Nähe und als Heather mit zwei Becher Kaffee zurückkam, brachte er ein Lächeln zustande und nahm seinen Becher entgegen.
„Danke“, sagte er, „es ist so, dass...“ Er verbrühte sich die Zungenspitze am Kaffee, musste sich von Heather anhören, dass er hätte vorsichtig sein sollen – sie hatte doch erwähnt, dass der Kaffee frisch aufgebrüht war. Mit wunder Zunge sagte er, undeutlich murmelnd: „If hab ihn vor dem Fupermarkt gefehen.“
„Wen?“
Ich werde jetzt tagelang nichts essen können, dachte er, verdammter Kaffee. Und schmeckt nicht einmal.
„Tommy Gallagher“, sagte er, „er sitzt vor dem Supermarkt.“
Sie starrte ihn seltsam an, als habe sie sich verhört oder er sie zu veralbern versuchte, dann stellte sie ihren Kaffee ab und drückte sich an ihm vorbei. Noch bevor sie die Tür zu den Büroräumen erreicht hatte, rief sie mit durchdringender Stimme: „Wir haben ihn!“
Über Funk informierte sie Douglas, der auf Streife unterwegs war, fast in den Vordermann gefahren wäre, weil er sich auf den Funk konzentrierte, als er den Anruf bekam.
„Wo ist er?“ schrie er, kurvte an den Seitenstreifen, „ist er Okay?“
Heathers quakende Stimme aus dem Funkgerät verkündete, dass sie das noch nicht wüsste, Leneau sei gerade hereingekommen und habe gesagt, dass er vor dem Supermarkt säße und sie habe bereits zwei Mann losgeschickt, genau in dieser Sekunde, um nach ihm zu sehen.
„Ich komm in die Zentrale“, rief Douglas, „ich bin draußen in Rumford und beeil mich. Halt mich auf den Laufenden.“
Er beeilte sich nicht nur, er schaltete Licht und Sirene ein und gab Gummi. Kurz vor der Stadtgrenze nach Lewiston krachte das Funkgerät ein statisches Husten und Heathers Stimme sagte: „Es ist kein Scherz. Er ist es.“
Im Hintergrund sagte jemand: „Wieso sollte das ein Scherz gewesen sein?“
„Halt den Mund, Leneau. Sie bringen ihn zum durchchecken ins General. Christer hat gesagt, dass mit ihm irgendwas nicht stimmt.“
„Habt ihr Lea schon bescheid gesagt?“
„Nein“, erwiderte sie, „dazu war noch keine Zeit. Soll ich dem Chief bescheid sagen?“
„Das will ich übernehmen. Ist Blake in der Zentrale? Hat er es mitbekommen?“
Heather wusste, dass Chief Blake später ins Revier kommen wollte, am Vortag hatte er etwas von einem privaten Termin gesagt. Wenn ihn zu Hause niemand angerufen hatte, wusste er noch nichts.
„Gut“, sagte Douglas, „ich komme zum General und sehe nach ihm, dann rufe ich Lea an. Ich muss wissen, wie’s ihm geht, bevor ich ihr sage, dass er wieder da ist.“
Und ich muss wissen, was passiert ist. Hoffentlich wird er mit mir sprechen. Wie soll ich ihm helfen, wenn er mir nicht sagt, was los ist?

Der Anruf erreichte Joe eine Stunde später. Er nahm den Anruf in Leas Haus entgegen, weil sie sich gerade hingelegt hatte und zu schlafen versuchte. Nachdem sie wieder die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte, ruhelos durch das Haus gewandert war, hatte Joe sich am Morgen wirklich Sorgen um sie gemacht. Sie versuchte den Kopf hoch zuhalten und stark zu sein, aber sie brachte kein Frühstück herunter, trank nur etwas Kaffee und sprach kaum ein Wort. Joe schlief auf der Couch, obwohl sie ihm das Gästezimmer anbot. Sie ahnte, weshalb. Passierte etwas im Haus, war er im offenen Wohnzimmer schneller zur Stelle als aus dem kleinen separat liegenden Zimmer heraus. Würde etwas passieren in diesem Haus? In dieser Straße oder draußen im Garten? Diese Fragen hatte sie Joe gestellt in der Nacht, als sie herumgelaufen war und ihn dadurch geweckt hatte.
„Ich rechne nicht damit, Lea.“
„Und weshalb ziehst du es dann vor, auf der Couch statt im Bett zu schlafen?“
„Ich bin gerne übervorsichtig“, hatte er geantwortet und sie hatte ihre Wanderung wieder aufgenommen. Die Katzen spürten, dass etwas im Argen lag – Tommy fehlte und ihr normaler Tagesablauf war gestört, nichts war so, wie sie es gewöhnt waren und deshalb zogen sie es vor, den größten Teil des Tages im Garten zu verbringen. Sie argwöhnten eine dauerhafte Veränderung, die ihnen nicht gefallen würde, Veränderungen von außen waren immer übel, wenn man ein Geschöpf mit Fell und vier Pfoten war. Nachts lagen sie auf Tommys verwaister Bettseite, um den Augenblick nicht zu verpassen, wenn er zurückkommen würde. Als Lea keinen Schlaf fand, war es Feo, der ihr meckernd folgte, bis sie ihn auf den Arm hochnahm, seine dicken Pfoten drückte und ihm ein wenig nötige Aufmerksamkeit schenkte. Emelda schlich nach draußen, krallte sich mit eleganten Sprüngen den alten toten Baum bis in die Astgabel, von der aus sie den besten Überblick über das Haus und den Garten hatte.
„Sie schläft“, sagte Joe zu seinem Sohn, „zumindest hoffe ich, dass sie endlich Schlaf gefunden hat, nachdem sie wieder die ganze Nacht herumgelaufen ist. Aber ich kann sie wecken, wenn du sie sprechen willst. Wenn es wichtig ist, Doug. Kann es warten, würde ich sie gerne ein oder zwei Stunden weiterschlafen lassen.“
Douglas’ Stimme hatte einen hallenden Nachklang, als stünde er in einer großen Halle. Der Hintergrund war erfüllt mit Lautsprecherdurchsagen und Stimmengewirr.
„Dad“, sagte er, und seine Stimme klang nach langer Zeit wieder so, wie Joe sie gewöhnt gewesen war, bevor seine Ehe in die Krise geraten war, „weck Lea und fahr sie ins General. Tommy ist hier. Und stell mir jetzt keine Fragen, für die ich keine Zeit habe. Pack sie ein und komm her.“
Joe legte den Hörer auf, starrte auf den Apparat und zuckte gewaltig zusammen, als eine Stimme hinter ihm sagte: „Wer war das?“
Lea stand in der Tür, mit bleichem Gesicht und rot geweinten Augen, schien vergessen zu haben, dass sie nur ein langes T-Shirt trug, ihre nackten Beine vorzeigte, die unter normalen Umständen immer einen Blick wert gewesen wären. Joe gab sich Mühe, diese Beine zu ignorieren. Er wollte es nicht riskieren, sie in Verlegenheit zu bringen, indem er ungeniert auf ihre Knie starrte. Eine Sekunde lang wusste er nicht, wie er es ihr sagen sollte; er hatte selbst so wenige Informationen bekommen, dass es ihn furchtbar nervös machte. Lea starrte ihn an, sagte keinen Ton, um ihn endlich zum reden zu bekommen. Sie hatte Angst, dass es schlechte Neuigkeiten sein könnten, und obwohl es die quälende Ungewissheit beendet hätte, wollte sie nichts davon hören. Sie wollte nur noch aus diesem Albtraum aufwachen. Ihr ganzes Leben hatte sich in etwas verwandelt, aus dem es keinen Ausweg zu geben schien, sie war dazu gezwungen, untätig herumzusitzen und darauf zu warten, dass etwas passierte, was sie aus dieser Situation herausholen würde. Später, als sie sich darüber immer wieder Gedanken machte, wurde ihr klar, dass sie in Zukunft alles daran setzen würde, nicht mehr in die Defensive gedrängt zu werden. Sie würde nicht mehr herumsitzen und darauf warten, dass jemand etwas tat; ihr wurde klar, dass sie das auf einen Weg brachte, der nur in eine Richtung funktionierte. Nahm sie die Sache in die Hand, änderte sie sie durch ihr eingreifen, und dann würde sie auch mit den Ergebnissen leben müssen.
„Tommy ist wieder aufgetaucht.“

Lea kam erst wieder richtig zu Bewusstsein, als sie bei Tommy am Bett saß, seinen Arm festhielt und ihm immer wieder über den Handrücken strich. Erst da fügte sich alles wieder zusammen und sie glaubte zu verstehen, weshalb Tommy aus allem ein Geheimnis gemacht hatte. Noch hatte er nicht viel gesagt, nur ein ganz undeutliches „Tut gut, dich zu sehen“, bevor er wieder weggedämmert war. Sie hatten ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben und durch seinen schlechten Allgemeinzustand war er sofort ins Land der Träume abgedriftet. Keine Chance für Douglas, Joe und die anderen, ihm Fragen zu stellen. Bisher hatte nur der Stationsarzt, der ihn in der Notaufnahme gesehen hatte, ein paar Informationen geben können.
Lea wollte noch nichts davon hören – es reichte ihr, ihn vor sich zu sehen und zu wissen, dass alles wieder verheilen würde. Seine Verletzungen waren schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich, sie hatten seine gebrochene Hand gerichtet und eingegipst, die Wunden genäht, seinen Schädel und den Rest von ihm geröntgt, ihm Fusionen in die Venen gesteckt. Lea brauchte sich den Stationsarzt nicht anzuhören, um zu wissen, was passiert war; dazu brauchte sie Tommy nur anzusehen. Er war fünf Tage verschwunden gewesen und schien in dieser Zeit weder gegessen noch getrunken zu haben, die Verletzungen stammten nicht von einem Unfall, sicher war er weder einen Abhang hinuntergefallen, noch hatte er unangeschnallt einen Auffahrunfall gehabt. Das brauchte Lea sich vom Arzt nicht bestätigen zu lassen. Sollten das die Cops übernehmen.
Lea setzte sich bei den Ärzten durch, auch in der Nacht bei ihm bleiben zu dürfen. Sie nickte nur für kurze Zeit ein in dem Stuhl neben ihm, döste etwas und murmelte sehr leise mit ihm. Auch, wenn er zu schlafen schien, wusste sie, dass er sie trotzdem hören konnte.
Douglas tat seine Arbeit, versuchte herauszufinden, wie er vor den Supermarkt gekommen war, ohne dass ihn jemand gesehen hatte. Joe kam zu ihr, als es kurz vor elf Uhr abends war, legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte, er würde nach Hause fahren.
„Bist du nicht müde, Lea?“
„Nicht sonderlich.“
„Du willst also nicht mitfahren?“
„Nein, ich bleibe hier bei ihm. Fahr ruhig.“
Auf der Station trat Ruhe ein, vor der Tür hörte Lea die leisen huschenden Schritte der Stationsschwestern auf ihren Gummisohlenschuhen, die Durchsagen und das Quäken der Alarmsignale wurden seltener. Die Zeit kroch dahin, nachdem sich Joe und Douglas verabschiedet hatten und Lea konnte die innere Anspannung etwas lösen. Sie weinte lautlos und ohne das Gesicht zu verziehen, die Tränen rollten stumm ihre Wangen herunter, und es tat gut, die Tränen herauszulassen. In den letzten Stunden voller Sorgen hatte Lea nur nach außen gefasst und ruhig gewirkt, innerlich war sie zerrissen gewesen und kaum noch in der Lage, die Fassade aufrecht zu erhalten. Allein an Tommys Bett sitzend konnte sie sich entspannen, erleichtert weinen und endlich begreifen, dass alles wieder in Ordnung kommen würde. Jetzt hatte sie nicht mehr das Gefühl, alles allein durchstehen zu müssen. Obwohl sie überhaupt nicht damit gerechnet hatte, bewegte Tommy sich plötzlich, brummte kaum hörbar und öffnete mühsam die Augen. Lea beeilte sich, die Tränen wegzuwischen, rieb dann Tommys Handrücken, um seine wiedererwachende Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Zunächst reagierte Tommy nicht – es schien ihn zu sehr anzustrengen, die Augen zu öffnen. Sein Brummen klang fast wie eine Frage an jemanden, den er im Raum glaubte und von dem er keine Antwort bekommen würde. Lea flüsterte seinen Namen, beugte sich über ihn, hoffte, er würde nicht bemerken, dass sie wieder geweint hatte.
Du bist so blöd, dachte Lea, natürlich wird er annehmen, dass du geweint hast. Warum also willst du verhindern, dass er deine Tränen sieht?
Sie beantwortete sich die Frage selbst – sie hoffte, er würde sich besser fühlen, wenn er glaubte, das ganze hätte sie nicht so mitgenommen wie sicher befürchtet. Gab es jetzt noch einen Grund zu weinen?
Ich weine vor Erleichterung, sagte sie sich, wischte noch einmal mit dem Handrücken unter ihre Augen. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, sie solle mit den Fingern aus dem Gesicht bleiben – man konnte nie wissen, welche Bakterien und Erreger an ihnen hafteten. Gewöhnlich hatte sie dann auch von Eiter verklebten Augen gesprochen und obwohl Lea es nicht bewusst war, vermied sie es noch immer, sich mit scheinbar ungewaschenen Fingern ins Gesicht zu fassen.
Tommy würde es kaum auffallen, dass sie nicht geschminkt war und ihre Augen verquollen aussahen – er sah sie blinzelnd an, versuchte sie in dem halbdunklen Raum zu erkennen, von dem er glaubte, es sei ein Keller, in dem er jetzt wach wurde. Seine Gedanken waren wie dünne Fäden ohne Anfang und ohne Ende, sein Kopf war von den Schmerzmitteln benebelt und er wusste nicht einmal mehr, was in den letzten Tagen passiert war. Trotz der Medikamente schmerzte seine rechte Hand, er schien den ganzen Arm nicht bewegen zu können und als er es trotzdem versuchte, jagte ein gemein stechender Schmerz bis in seinen Ellebogen hinauf. Schlagartig erinnerte er sich an den Zimmermannsnagel und auch an den Rest. Wo kam Lea plötzlich her? Sie sollte die Sache mit den Nägeln besser nicht sehen, und er versuchte ihr zu sagen, dass sie besser auf seiner linken Seite bliebe, aber sein sediertes Sprachzentrum griff nur auf die alten Sprachmuster zurück. Seine Stimme war leise und heiser und er sprach einen so ausgeprägten Belfaster Akzent, dass Lea kein Wort davon verstand. Zunächst versuchte sie, ihm zu folgen, aber als sein Gemurmel kein Ende nahm, es nicht deutlicher wurde, beugte sie sich über ihn und sagte mit verzweifelter Stimme: „Ich kann dich nicht verstehen, Tommy. Ich versteh dich nicht.“
Er schien sie nicht zu hören und erst mit der Zeit wurde sein Murmeln leiser und verstummte schließlich. Sein müder Blick suchte ihr Gesicht und er formte das erste Wort, das sie sicher verstehen konnte.
„Una?“ Er blinzelte und sein Gesicht verzog sich. War er wieder in dem Keller? Wo waren die anderen? Er konnte nichts hören, nur eine Menge piepsender Apparate. Hörten sie ihn ab? Was machte Una hier bei ihm? Lea konnte es zunächst nicht definieren, dann begriff sie, dass er zu lachen versuchte, ihn aber die Schmerzen daran hinderten. Solche Aktionen gingen noch über seine Kräfte.
„Wie komm ich auf Una?“ flüsterte er, bewegte seine Hand unter ihrer, drehte sie herum, damit er sie fassen konnte. „Die war doch immer so gut dabei, dass du zweimal in ihre Kleider gepasst hättest. Welchen Tag haben wir heute?“
Er drückte ihre Hand. Sekundenlang dachte er daran, was mit seiner anderen Hand passiert war und hoffte, dass Lea sie ohne schützenden Verband nicht so schnell zu Gesicht bekommen würde.
„Donnerstag“, sagte Lea, „du warst fünf Tage nicht auffindbar.“
Fünf Tage hatte Tommy stark vermutet, es aber nicht wirklich glauben können, denn er hatte den Männern vom Geheimdienst eigentlich zugetraut, ihn zwei Tage in die Mangel zu nehmen und dann abzuservieren. So hätte er es zumindest getan. Fünf Tage.
„Später“, murmelte er, „erklär ich dir, was los war, aber nicht jetzt und nicht hier.“

Obwohl die Polizei, bestehend aus Chief Blake, immer wieder darauf bestanden hatte, eine Vernehmung noch vor der Krankenhausentlassung vorzunehmen, war es nicht dazu gekommen. Jedesmal war Tommy stundenlang bei medizinischen Untersuchungen gewesen oder hatte einen akuten Rückfall erlitten und war eingeschlafen, sobald sich eine Uniform im Zimmer zeigte. Der Staatsanwalt hatte kein großes Interesse an dem Fall – es war kein Verbrechen geschehen, jedenfalls fehlten dazu genügend Beweise, selbst wenn man die Patronenhülsen bedachte. Der Staatsanwalt saß in seinem Büro in Auburn und hatte dringendere Dinge zu tun – so viele Drogendelikte wie nie zuvor. Wen interessierte da schon das kurze Verschwinden eines Mannes, der zwar übel verletzt wieder aufgetaucht war, aber nicht die Anstalten machte, seine Angreifer zu nennen und anzuklagen. Also blieb Chief Blake nichts anderes übrig, als auf Tommys Entlassung zu warten und ihn dann ins Revier zur Befragung zu bitten.
Lea öffnete das Café wieder, machte allerdings zwei Stunden früher zu, um ins General zu fahren. Täglich brachte sie Genesungswünsche der Gäste zu Tommy, und einige Kollegen aus dem Bates besuchten ihn fast täglich.
„Ihr werdet langsam lästig“, sagte Tommy, als wieder Besuch an seinem Bett stand, aber er grinste. „In ein paar Tagen bin ich hier raus“, sagte er, „und dann komm ich schnell wieder arbeiten.“
„Mit einem so monströsen Gipsarm?“
„Halb so schlimm.“
Tatsächlich war seine Handverletzung noch längst nicht das schlimmste, wenn auch die schmerzhafteste, die er erlitten hatte, aber das konnte er weder seinen Kollegen noch Lea sagen. Sie sahen nur den dicken Gipsarm, aus dem die Fingerspitzen herausschauten, nicht aber die Verbände unter der Bettdecke und deshalb machten sie sich nur Sorgen wegen seines Gipses. Das war gut so. Sie wussten alle nicht, wie sein Röntgenfoto ausgesehen hatte, wussten nicht, was der Nagel und der Hammer angerichtet hatten. An was sie dachten, war ein gebrochener Knochen, mehr nicht. Obwohl er in absehbarer Zeit nach Hause kommen würde, war es gar nicht sicher, wann er wieder am Bates arbeiten konnte, jedenfalls hatten die Ärzte ihm gesagt, er sei in allenfalls einem Monat wieder fit. Dr. Grant versuchte noch immer herauszufinden, wie Tommy zu den Verletzungen gekommen war, aber er gab vor, sich nicht daran erinnern zu können.
„Ich weiß nur noch, dass ich vor dem Supermarkt gesessen habe. Ab und zu glaube ich, ich könnte mich an was erinnern, aber das ist sofort wieder weg.“
Die medizinische Seite war den Ärzten klar und Tommy unterband ihre Fragen und Diskussionen, sobald Lea in der Nähe war. Davon würde er ihr zu Hause erzählen, denn es war nicht eilig; erst einmal musste er die nächsten Ereignisse abwarten.

Bei seiner Entlassung eine Woche später lag der Schnee fast einen Meter hoch und Tommy bewegte sich auf dem Weg zum Wagen so vorsichtig, dass er bei sich dachte: Hier kommt Tommy, hundertfünfzehn Jahre alt aber noch immer ein junger Spring-ins-Feld.
Lea neben ihm bemerkte sein leises Grunzen, sah ihn neugierig an, fragte aber nicht, was in seinem Kopf herumging. Die meisten Wege und Straßen waren vom Schnee freigeschaufelt, die aufgetürmten schmutzig-weißen Schneeberge an den Straßenrändern sahen aus wie deplazierte abgeschlagene Bergspitzen. Der Himmel war stahlgrau verhangen, die dicke Wolkendecke zeigte erste Vorboten von mehr Schneefall und Tommy beeilte sich, in den Cherokee zu kommen. Lea fuhr vorsichtig nach Hause, nicht schnell und mit übertriebenen Fahrmanövern, was Tommy schnell zur Bemerkung verführte: „Sollen wir noch diesen Winter zu Hause ankommen?“
„Die Straße ist glatt“, sagte Lea, aber sie begann zu lachen, als Tommy ein entnervtes Gesicht zeigte.
„Was ist mit meinem Wagen?“ fragte er plötzlich. Sie bogen gerade in die lange Zufahrtsstraße zu ihrem Haus ein.
„Der steht noch bei der Polizei zur Untersuchung“, murmelte Lea, „aber frag mich nicht, wer von den Vorstadtidioten in Uniform die Untersuchung durchführen will. Ich erinnere mich noch an die jährlichen Aktionen im Revier, wenn es darum ging, den Schülern Fingerabdrücke abzunehmen. Wir hatten die schwarze Prötte überall, nur nicht an den Fingern.“
„Die was?“
„Die Druckerschwärze oder was immer es war.“ Lea machte eine ungeduldige Handbewegung. „Aber davon rede ich doch gar nicht. Es geht darum, dass sie irgendetwas an dem Wagen zu finden glauben.“ Sie warf Tommy einen Seitenblick zu.
Zu Hause angekommen drängte es ihn, einen Kontrollgang zu machen, um im ganzen Haus nach dem rechten zu sehen, aber Lea zwang ihn an den Küchentisch, wo sie sich mit ihm unterhalten und gleichzeitig etwas zu essen machen konnte.
„Du hast mir eine Menge zu erklären“, sagte sie. Es klang nüchtern und ohne eine Spur von Humor in der Stimme.
„Ich überlege noch, wo ich anfangen soll“, erwiderte Tommy. Seine verletzte Hand pochte halb verborgen vor sich hin, ebenso wie seine Seite, die wie ein herbstlicher Sonnenuntergang aussah. Für die Nacht hatte er Pillen bekommen mit der Anweisung, nicht mehr als drei auf einmal zu nehmen. Nicht, dass es ihn interessiert hätte – wenn er nicht schlafen konnte vor Schmerzen, würde er auch das ganze Röhrchen schlucken. Er sah zu Lea, die ganz nebenbei das Essen vorbereitete, dachte Sekunden daran, mit der Geschichte zu warten, bis sie kein Messer mehr in den Händen hielt.
Sie greift dich nicht an, sagte eine Stimme hinten aus seinem Kopf, wenn sie so wütend wird, wie du erwartest, wird sie das Messer zur Seite legen, ins Schlafzimmer gehen und deinen Koffer packen. Sie wird es sich nicht nehmen lassen, ihn selbst vor die Tür zu tragen.
Während der Zeit im Hospital hatte er einige Gelegenheit gehabt, sich über die Erklärung an Lea Gedanken zu machen und er war nicht wirklich zu einer Lösung gekommen. Es machte ihm Angst, an diese Konfrontation zu denken und jetzt, wo sie kurz bevor stand, konnte er es nur noch auf sich zukommen lassen. Das, was er zu sagen hatte, konnte er kaum in harmlose Worte fassen, er konnte es nicht beschönigen und wollte es auch gar nicht. Das, was er getan hatte, war noch immer ein Teil von ihm und so, wie er Lea kannte, würde sie ihm eher vorwerfen, ihn jahrelang belogen zu haben.
„Wir haben Zeit“, sagte Lea, „fang lieber weiter hinten an, wenn du dich soweit erinnern kannst.“
Er fand es unnötig, sie dran zu erinnern, dass das alles unter ihnen bleiben müsse und schließlich begann er irgendwo in seiner Vergangenheit. Die Worte kamen zunächst zögernd aus ihm heraus, aber es wurde besser, als Lea sich zu ihm setzte, der Kaffee und das Essen zwischen ihnen auf dem Tisch. Die Katzen tobten durch den Garten, schienen eine große Ratte oder etwas ähnliches zu jagen, alberten aber die meiste Zeit nur herum.
„Ich bin in Belfast groß geworden“, sagte er, „die Zeiten waren nie einfach, aber damals waren sie die Hölle. In den katholischen Wohnvierteln mussten alle jederzeit damit rechnen, aus den Wohnungen getrieben oder verhaftet zu werden. Arbeit gab es kaum und wenn, dann war sie lächerlich schlecht bezahlt. Die britischen Soldaten fuhren ständig Patrouille in den Gegenden, und als die Ausgangsperre verhängt wurde, bauten wir Barrikaden, um sie nicht mehr herein zu lassen. Die britischen Soldaten. Die IRA war überall in den katholischen Vierteln, sich ihnen anzuschließen war für niemanden ein Problem. Man musste nur achtzehn sein und durfte sich nicht dumm anstellen. Mein Vater hat sein Leben lang versucht, die Familie durchzukriegen, hat jede Arbeit angenommen, die es gab und hat seinen Kindern immer beizubringen versucht, dass sich die Zeiten irgendwann ändern würden. Ich hatte drei Schwestern und drei Brüder, eigentlich waren es noch drei Kinder mehr, aber die lebten nicht einmal lange genug, um laufen zu lernen. Als ich zehn war, haben wir Kinder die Straßenbarrikaden bewacht und Steine auf die Soldaten geworfen. Wir waren täglich Zeugen, dass sie kein Recht hatten, in unserem Land zu sein, es zu besetzen und uns aufzudrücken, was sie Politik nannten. Die älteren Jungs aus unserer Nachbarschaft traten der IRA bei, sobald sie alt genug waren, es war so natürlich, als würden sie in die höhere Schule wechseln. Niemand sprach darüber, aber jeder wusste es. Als ich sechzehn war, bin ich beigetreten. Eigentlich war ich zu jung, aber ich sah älter aus und niemand fragte nach meinem Ausweis. Ich war dabei und fertig. Ich kann dir nicht sagen, was in den Jahren alles passiert ist.“
Lea sah ihn mit großen Augen an und als er nicht weiter sprach, sagte sie: „In Ordnung, ich hör dir zu. Ich werde dich nicht unterbrechen, um dumme Fragen zu stellen oder einen hysterischen Anfall zu bekommen.“

(flashback)
Tommy, sein Kumpel Simon und ein Mann aus einer anderen Brigade, der sich als Reggie vorgestellt hatte, trafen sich am Hinterausgang eines Pubs, wo sie in aller Ruhe sprechen und schnell noch ein Glas trinken konnten. Der Hinterhof war eng und von hohen Backsteinmauern umgeben, eigentlich war dort nur Platz für die Mülltonnen, aber für ein kurzes Treffen zur Lagebesprechung war es ideal. Simon, der älteste in der Runde, war seit drei Wochen in Belfast, kam ursprünglich aus Portadown und so, wie er sagte, war ihm das Pflaster dort zu heiß geworden. Jetzt war er in Belfast und würde sich für eine Weile um den Transport dringend benötigter Güter kümmern.
„Schmuggel“, sagte Tommy bei der ersten Runde Whiskey, „steht ganz oben auf meiner Kotzliste.“
Er war gut in Form zu dieser Zeit. Es war Frühling, die Luft war warm und kam man auf das Land, hatte man wieder Gelegenheit, sich den guten Gefühlen des Lebens hinzugeben. Er hatte einige Zeit auf einer Farm verbracht in den letzten Wochen und dort nichts anderes getan als körperlich hart zu arbeiten und zu essen wir ein Scheunendrescher. Es hatte ihm gut getan, es hatte seinen Geist zurechtgerückt und obwohl er seinen Whiskeykonsum dort nicht eingeschränkt hatte, hätten seine Freunde Stein und Bein geschworen, er habe sein Alkoholproblem endlich in den Griff bekommen. Die Wahrheit war, dass er sich auf einen gleich bleibend hohen Whiskeyspiegel eingependelt hatte, bei dem niemand merkte, dass er überhaupt betrunken war. Kam er von diesem Pegel runter, ging es ihm schlecht, soff er zuviel, schlug es ihn aus den Socken. Er arbeitete also an dem perfekten Gleichgewicht und hoffte, es so über das nächste halbe Jahr zu schaffen. Sollte er dann im Einsatz getötet werden, brauchte er sich auch über eine ruinierte Gesundheit keine Gedanken mehr zu machen. Er wusste sehr wohl, dass er sich seit seinem fünfzehnten Lebensjahr mit Alkohol umzubringen versuchte, aber was machte das schon in einer Welt, in der man jederzeit abtreten konnte, nur weil man als Katholik erkannt wurde.
Sie hatten den Auftrag bekommen, in Inishowen eine Lieferung Munition zu übernehmen. Reggie hatte diese Tour bereits einige Male gemacht und meinte, sie würden es ohne Probleme in einer Nacht schaffen. Von Antrim bis nach Drumfree würden sie auf einem Lastwagen mitfahren, der Rest der Strecke war für einen Fußmarsch reserviert. Das heikle war, unbemerkt wieder nach Belfast rein zu kommen und keiner Patrouille in die Arme zu laufen. Tommy war froh, dass es in dieser Nacht endlich losging – vertrödelte man zu viel Zeit mit Vorbereitungen, konnte die ganze Aktion in die Hose gehen. Nach Sonnenuntergang trafen sie sich in einer Seitenstraße, alle drei hatten Rucksäcke dabei und machten nicht viel Worte. Reggie übernahm die Führung. Bis nach Antrim kamen sie gut voran, dort stiegen sie in den wartenden Lastwagen und Tommy nahm in der Dunkelheit einen Schluck aus der Flasche, die er in der Jacke stecken hatte. Simon hatte verdammt gute Ohren und wohl auch eine gute Nase, denn er zischte aus der Dunkelheit zu ihm hinüber: „Schränk das Saufen ein, Tommy.“
Auf dem Boden der Ladefläche, auf der sie hockten, lagen Kartoffeln und kleine Steine vom Feld, Tommy griff sich eine Kartoffel und warf sie hart auf Simon. Der stieß einen Fluch aus, spuckte auf den Boden, als sei er am Mund getroffen worden.
„Ich bin noch immer klar genug, um dich im Dunklen zu treffen“, sagte Tommy, „also lass mich in Ruhe.“
Nach dieser Aktion sagte niemand mehr etwas wegen seiner regelmäßigen Schlucke aus der Flasche. Sie waren lange unterwegs bis nach Inishowen und die Fahrt wurde schnell so langweilig, dass Tommy die Beine lang ausstreckte, die Arme vor der Brust verschränkte und einschlief. Simon ärgerte sich darüber, nahm sich vor, ihn sich nach Beendigung der Aktion zur Brust zu nehmen. Es konnte nicht angehen, dass er sich über Regeln hinwegsetzte, wie es ihm gerade passte, nur weil er genau wusste, dass ihm niemand etwas konnte. Er hatte ein halbes Jahr als Sniper gearbeitet und nur ganz nebenbei erwähnt, wie viel Soldaten er abserviert hatte dabei und das war nur ein Punkt von vielen, die ihn unantastbar machten. Welchen Auftrag er auch bekam, er erledigte alles mit einer scheinbaren Gelassenheit und Zuversicht, dass jemand aus dem Headquarter auf ihn aufmerksam geworden war. Es war deutlich, dass sie ihn irgendwo einsetzen würden, wo nicht jeder aus Belfast hinkommen würde.
Dich werden sie auch irgendwann erwischen, dachte Simon, und dann bin ich gespannt, wie es dir ergehen wird.
Kurz vor Drumfree, auf der R238, weckten sie Tommy mit einem Rippenstoß und stiegen vom Lastwagen. Der Fahrer würde sie am frühen Morgen wieder abholen und zurückfahren, dann würden sie auf Kartoffelsäcken sitzen müssen. Davor lag ein gewaltiger Fußmarsch durch Moor und über steinige Hügel, durch niedriges Gestrüpp und hüfthohes Rietgras. Reggie flüsterte ihnen zu, sie sollten ihre Waffen bereit halten und extrem vorsichtig sein, denn sie würden keine festen Wegen folgen bis zum Treffpunkt, und sollten sie Menschen begegnen, würden es wohl keine einfache Bauern sein.
„Dort gibt es ein paar Farmer“, flüsterte Reggie, „aber die werden in ihren Betten liegen und ihre Frauen im Arm halten, wenn sie klug sind. Sollten wir vor dem Treffpunkt auf jemanden stoßen, gehen wir in Deckung. Und dann los jetzt.“
Sie folgten ihm, Tommy direkt hinter ihm und Simon als letzter, sie hielten sich in seinen Fußspuren, um im weichen Moorboden nicht unterzugehen, sollten sie eine tiefe Stelle erwischen. Wäre die Nacht nicht ab und zu wolkenlos gewesen, hätten sie die Taschenlampen benutzen müssen, aber so erhellte der Mond gerade soweit die Szenerie, dass sie ihren Weg finden konnten. Das Ufer des Lough Fad war ihr Ziel. Tommy hatte die Hand am Revolver, der in seiner Tasche steckte und er bemühte sich, aufmerksam zu bleiben. Er lief bei langen Fußmärschen immer Gefahr, halb wegzudämmern. Er dachte darüber nach, was der Mann aus dem Hauptquartier zu ihm gesagt hatte – sie hatten bei ihrem Treffen in einer alten Fabrik über gemeinsame Zukunftspläne gesprochen und er hatte Tommy die Frage gestellt, ob er bereit sei, für die Sache noch mehr auf sich zu nehmen.
„So viel ich tragen kann“, hatte Tommy geantwortet.
Das war die Wahrheit, und dem Mann, den er als O.C. ansprach, hatte er nichts von seinen Beweggründen erklären müssen. Er musste nur an die Kinder in den katholischen Straßen denken, die eine bessere Zukunft verdient hatten und war bereit, alles dafür zu tun. Der Mann hatte etwas von einer Sondereinheit zur Verhörabwehr erzählt und ob Tommy sich vorstellen könne, dort mitzumachen.
„Ich geh auch nach Manchester, wenn ihr es wollt. Wenn ihr meint, dass ich es machen soll.“
Aber die Bombenkampagnen waren nichts für ihn; dort wurden die Männer eingesetzt, die nach den Anschlägen sofort wieder untertauchen mussten. Dafür war Tommy zu präsent in Belfast. Sie brauchten ihn in den Straßen, sie brauchten ihn, wenn es darum ging, bei den Straßenkämpfen gegen die protestantischen Gruppen Köpfe einzuschlagen. Kam es zum Kampf Mann gegen Mann, nahm er es mit dreien dieser tätowierten Glatzköpfe auf, so hart sie auch sein mochten.
An diesem Tag im Treffpunkt, hatte der O.C. ihn zu einer vierstündigen Bewachung eines Gastes eingeteilt. Der Gast, ein amerikanischer Journalist, sollte im Gebäude herumgeführt werden, und Tommy sollte immer in seiner Nähe bleiben, darauf achten, dass sie alle Skimasken trugen, wenn er in der Nähe war und vielleicht auf die Idee kam, seine Kamera laufen zu lassen oder Fotos zu schießen.
„Du klebst an ihm“, hatte der O.C. gesagt, „er wird eine Menge Fragen stellen, das ist in Ordnung, aber du achtest darauf, dass sie ihm niemand beantwortet. Er redet nur mit mir, verstanden? Er will einen Artikel schreiben.“
Zusammen mit dem Journalisten hatte er gut drei Stunden auf einer Couch sitzend verbracht, gemeinsam hatten sie darauf gewartet, dass der O.C. Zeit für ihn hatte.
„Ich bin Rory“, hatte er gesagt, „ich will den amerikanischen Lesern das Leben hier in Belfast näher bringen. Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um hier rein zu kommen. Das ist ein echter Erfolg für mich. Sind sie schon lange dabei?“
Tommy zog es vor, ihn nur von der Seite anzusehen und durch die Schlitze in der Maske eine Zigarette nach der anderen zu rauchen. Als er sich für zehn Minuten ablösen ließ, um schnell pinkeln zu gehen, kam ihm in den Sinn, direkt einmal auszuprobieren, was er sich unter Verhörabwehr vorstellte. Er kam zurück, schickte den Kollegen mit einem Kopfnicken weg und setzte sich wieder neben den Journalisten. Statt nur stumm dazusitzen und die endlosen Fragen über sich ergehen zu lassen, tippte er ihm auf den Oberschenkel und zischte ihm zu: „Wenn du auch nur ein falsches Wort über uns schreibst, erledige ich dich höchst persönlich.“
Er schaffte es, dass dem Journalisten weitere Fragen im Halse stecken blieben. Dann stupste er ihn wieder an, reichte ihm die Packung und fragte: „Zigarette?“

Reggie führte sie durch eine Gegend, in der weitläufig Bäume verstreut standen, obwohl der Boden so sumpfig war, dass ihre Schuhe bei jedem Schritt einsanken, kamen sie gut voran. Als Tommy etwas von der Spur abwich, platschte er mit seinem Stiefel in ein Sumpfloch und fluchte darüber, dass ihm das Wasser in die Socken lief.
„Bleib hinter mir, bis wir hier durch sind“, flüsterte Reggie, und Tommy murmelte zurück: „Bloody hell, ja ja ja.“ Nach diesem Aussetzer war er wieder hellwach, seine Sinne schienen so überreizt, dass ihn selbst Frösche, die sich springend in Sicherheit brachten, zusammenzucken ließen. Was er brauchte, war ein kleiner Schluck aus der Flasche, aber es war unmöglich, auf jeden Schritt in diesem Gelände zu achten und Reggies Tempo zu halten und gleichzeitig mit einer Hand die Flasche zu öffnen und an den Hals zu setzen. Damit würde er bis zum nächsten Halt warten, so lange würde er es aushalten. Am Ende des Sumpfes, als sie einer Senke folgten, die mit jungen Bäumen und Gestrüpp zu beiden Seiten zugewachsen war, rannte ein riesiger Dachs quer über den Weg vor ihnen davon. Simon stieß einen abgehackten komischen Schrei aus, stolperte einen Schritt zurück und setzte sich fast auf den Hintern. Reggie zischte ihm zu, er solle ruhig sein. Tommy hatte die Waffe gezogen und entsichert, begann zu kichern, als er begriff, dass es nur irgendein Tier gewesen war. Es war so verflucht dunkel, dass man gerade mal Umrisse erahnen konnte, wenn die Wolken sich vom Mond verzogen. Sicher war es nicht der Dachs, der seine Nerven blank liegen ließ – es mochte die anhaltende Dunkelheit sein und die Tatsache, dass sein Gehör jedes Knistern und jedes Geräusch um ihn herum war nahm. Er glaubte, fremde Stimmen zu hören; Männer die, auf sie zukamen und an deren Stimmen er erkannte, dass sie keine Freunde waren. Sie sprachen keinen irischen Akzent, das wusste er sofort und er reagierte automatisch und ohne darüber nachzudenken. Er hätte mit geschlossenen Augen schießen können, so deutlich hörte er die drei Männer oben am Rand der Senke; wie sie eine Weg nach unten suchten und einer von ihnen sagte, sie sollten auf sein Kommando warten. Das hallte in seinen Ohren nach, löste Panik aus, die über ihn hinwegrollte, dass er nicht einmal die Schüsse hörte. Er kam erst wieder zu sich, als Simon ihm in den Arm fiel, ihm den Revolver aus der Hand nahm und ihn wieder sicherte.
Was hab ich getan? dachte er, starrte verwirrt in die Dunkelheit. Oh Mann, hoffentlich hab ich nicht getroffen.
Aber eine Stimme aus seinem Inneren, die sehr kaltblütig und humorlos klang, erwiderte: Du solltest hoffen, dass du gut getroffen hast. Denn sonst fängt der Tanz jetzt erst an.
Diese Stimme jagte ihm schreckliche Angst ein und als er Simons Stimme erkannte, antwortete er mit einem knappen: „Ich kümmere mich um das Problem.“
Simon und Reggie verschwanden, um sich am Lough Fad mit dem Waffenschmuggler zu treffen. Tommy stand unbeweglich da, bis er sie nicht mehr hören konnte, dann machte er sich auf die Suche nach den drei Männern.

„Es ging alles so schnell“, sagte Tommy, „drei perfekte Schüsse und sie waren tot. Was danach kam, ging nicht ganz so schnell und das war der wahre Horror an der Sache.“

Die Toten lagen oben am Rand der Senke, wo sich Wildtiere einen Durchgang geschaffen hatten, um durch die Ebene auf die andere Seite zu gelangen, einer hatte sich noch einen halben Meter weit in den Torf geschleppt, war dann endgültig liegen geblieben. Tommy musste sich beeilen bei dem, was er tun musste, deshalb konnte er nicht darauf warten, dass der Mond durch die Wolken brach. Die meiste Zeit arbeitete er im Dunkeln, tastete sich umher, schaufelte das Loch in den weichen schweren Boden mit seinen Händen, mit Ästen und einem weggeworfenen Plastikeimer den er in der Nähe gefunden hatte und der noch immer nach chemischem Futtermittelzusatz roch. Die Arbeit war schwer und schweißtreibend, sein Schädel begann zu pochen, dann zu hämmern, als er kopfüber in der Grube hing, den schweren Lehmboden nach oben beförderte. Die Leichen hatte er am kurzen oberen Ende der Grube abgelegt, behielt sie ständig im Auge aus Angst, dort könnte sich noch etwas rühren – er könnte sich geirrt haben mit der Annahme, sie seien wirklich tot. Selbst den Whiskey in seiner Tasche hatte er vergessen. Er kam zu der Überzeugung, dass seine Sauferei an allem Schuld war; hätte er einen klaren Kopf behalten, wäre die Situation nicht eskaliert, ohne eine Chance auf Überprüfung, wer diese Männer waren. Vielleicht hatte er sich auch geirrt, als er meinte, britischen Akzent zu hören. Vielleicht waren es harmlose Bauern gewesen auf der Suche nach entlaufenen Rindern. Diese Gedanken schlichen sich nach und nach in seinen Kopf, bis er davon zu platzen drohte. Nachdem das Loch groß genug war, sich am Boden bereits das Grundwasser sammelte und er bis zu den Hüften und zu den Ellebogen mit Lehm überzogen war, versuchte er die erste Leiche in die Grube zu ziehen, aber sie rutschte ihm aus den zitternden Fingern. Tommy ließ sich auf den Boden fallen, hockte dort keuchend und zitternd, bis ihn ein einsetzender Nieselregen wieder hochjagte.
Los jetzt, dachte er, wenn der Boden noch mehr aufweicht, bekomme ich hier nichts mehr bewegt.
Mit letzter Kraft rollte, schob und zog er die Toten in das Grab, ließ sie verschwinden und betete, er würde nie wieder daran denken müssen. Als er endlich die Erde über sie verteilt hatte, sie feststampfte und Laub und Reisig darüber verstreute, war er in Schweiß gebadet, sein schmerzender Rücken schien zerbrechen zu wollen und er konnte seine Arme nicht mehr heben. Wie ein Gelähmter fummelte er endlich die Whiskeyflasche aus seiner Jacke, betrachtete sie und schleuderte sie von sich ins Torfmoor hinaus. Er war fertig damit. Vielleicht würde er in zwei Tagen in Belfast anders darüber denken, vielleicht ging er dann mit fünf Flaschen Whiskey in den Keller eines alten Hauses und trank sich tot, aber im Moment hatte er das Gefühl, dass er nie wieder einen Schluck trinken würde.
Bei den ersten Anzeichen, dass es heller wurde, die Sonne aber noch nicht am Horizont aufgegangen war, kamen Simon und Reggie zurück, die Rucksäcke schwer beladen und es schien, dass auch sie am Ende ihrer Kräfte waren. Sie hatten die Munition, die Tommy hätte tragen sollen, unter sich aufgeteilt.
„Hast du’s erledigt?“ fragte Reggie. Wieder nickte er nur. Dazu gab es nichts mehr zu sagen. Simon war es, der sich räusperte und durch seine Zigarette hindurch sagte: „Egal, wie diese Sache ausgeht, wir werden darüber zu niemandem ein Wort verlieren. Das vergraben wir in unseren Erinnerungen. Wir wissen nicht, wer die Männer gewesen sind und was sie hier gemacht haben. Ich habe keine Lust, herumzuerzählen, dass wir drei Brits jenseits der Grenze erledigt hätten, um dann zwei Wochen später zu hören, dass wir oben am Lough Fad drei unserer eigenen Leute verloren hätten. Verstanden? Wir halten dicht – egal, ob es nun Brits, Bauern oder andere Schmuggler gewesen sind.“
Reggie sagte, dass er damit sehr gut leben könne.
Auf dem Rückweg kamen sie nur langsam voran und außerdem waren sie Stunden zu spät dran und Reggie sagte, wenn sie nicht rechtzeitig zum Treffpunkt kamen, würde der Fahrer ohne sie nach Belfast fahren. An einer Farm, an der sie vorbeikamen, organisierte Tommy einen Esel, den er am Strickhalfter hinter sich herzog und dem sie die Rucksäcke auf den Rücken legen konnten. Sie fanden schnell heraus, dass sie ihn besser vor sich hertrieben, als ihn zu ziehen und kamen gerade noch rechtzeitig zum Treffpunkt. Den Esel, dem Reggie zum Abschied einen Kuss zwischen die Ohren drückte, banden sie an einen Baum an, hängten ihm einen Zettel an den Pinselschwanz, auf dem stand, von welcher Farm er kam. Irgendjemand würde ihn schon wieder nach Hause bringen. Tommy hatte noch ein krakeliges „Danke“ darunter geschrieben.
Im Lastwagen, auf den beuligen Kartoffelsäcken sitzend, schwiegen die drei, dachten über diese Nacht nach und über den Schwur, den sie abgegeben hatten. Sie kamen unbehelligt an Derry vorbei und wieder herein bis nach Belfast, kamen wieder in ihr Viertel, wo sie die Munition in einem Mauerloch versteckten.
„Das haben wir gut gemacht, oder?“ sagte Simon beim Abschied, kein Gedanke mehr daran, Tommy das Fell über die Ohren zu ziehen. Tommy war noch immer grau im Gesicht und war so steif im Rücken, als würde er bei einer falschen Bewegung einfach durchbrechen. Ihre Wege trennten sich an diesem Morgen und Tommy ging nicht nach Hause zum schlafen. Der getrocknete Lehm und alles andere klebten noch immer an ihm und er lief durch die Straßen bis zum Haus eines Freundes, der in einer Fleischfabrik arbeitete. Sie waren die ersten zwei Jahre gemeinsam zur Schule gegangen und trafen sich noch immer auf Hochzeiten, Beerdigungen und an jedem Wochenende im Pub.
Er klopfte Cracker aus dem Bett, stand vor seiner Tür und sagte: „Ich kann nicht nach Hause gehen.“ Cracker trat in seinen grauen Unterhosen zur Seite und machte eine einladende Handbewegung. Durch den Vorhang aus wirren Haaren, die ihm in die Augen hingen, betrachtete Cracker seinen alten Saufkumpanen und murmelte verschlafen: „Wasch dich in der Küche, bevor du in mein Bett kriechst.“
Er konnte noch zwei Stunden schlafen und das ließ er sich nicht nehmen. Vor ihm lag eine Doppelschicht in der verdammten Fabrik und danach würde er sich im Pub besaufen. Wenn Tommy Lust hatte, konnte er ihm dann noch immer erzählen, was passiert war. In der Küche, die von zwei Familien benutzt wurde, die klein, schäbig und alles andere als sauber war, zog er sich aus und wusch sich in der Küchenspüle. Er versuchte nicht mehr herauszufinden, ob der getrocknete Dreck Blut oder Lehm war. Unter der Spüle fand er einen Eimer, in dem er seine Klamotten waschen konnte. Er musste sie lange einweichen, bis sie einigermaßen sauber wurden. In Unterhosen und T-Shirt, an den Füßen die schwarzen Doc Marten’s, saß er am Küchentisch und hatte Tee gemacht, wartete, dass Cracker aufstand und sich dazu setzte. Cracker hieß er schon seit seiner Kindheit, als sein Vater von ihm behauptet hatte, er sei nicht ganz richtig im Kopf, und niemand erinnerte sich mehr an seinen richtigen Vornamen. Natürlich war er verrückt. Sein Vater hatte ihn als Junge die Flurtreppe herunter gestoßen und er war auf den Kopf gefallen. Seine Mutter hatte drei Tage und Nächte an seinem Bett gebetet, dass er überleben möge und die heilige Jungfrau Maria hatte ihre Gebete erhört. Der Junge war nicht gestorben, und obwohl er danach nicht mehr ganz richtig tickte, nicht mehr zur Schule gehen konnte, überlebte er erst seinen Vater, dann seine Mutter und bekam einen Job in einer Fabrik. Dort war es den Leuten egal, wenn er mit sich selbst sprach, man mit seinen Vorlieben für streunende Hunde und Tageszeitungen nichts anfangen konnte. Er fütterte die Hunde auf dem Fabrikgelände, obwohl man es ihm verboten hatte und zu Hause sammelte er Tageszeitungen, obwohl er kaum in der Lage war, die Überschriften zu lesen. Die Buchstaben verschwommen vor seinen Augen und bereiteten ihm Kopfschmerzen. Er hasste die Fabrik, ging aber trotzdem jeden Tag hin, und er ahnte nicht einmal, dass er noch weniger als den Mindestlohn bekam für seine Arbeit.
„Ich hab Tee gemacht“, sagte Tommy und Cracker setzte sich zu ihm. Es gab nur zwei Stühle an dem alten wackeligen Tisch.
„Hast du ’ne Zeitung mitgebracht?“
„Das nächste Mal wieder“, sagte Tommy.
Sie tranken den Tee, während Tommys Klamotten am Fensterkreuz trockneten. Dann ging Cracker zur Arbeit und Tommy kroch ins Bett und schlief sofort ein.
 
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Es muss ein schreckliches Gefühl sein, drei Menschen getötet zu haben, von denen man noch nicht einmal weiß, ob es vielleicht sogar die eigenen oder andere harmlose Leute gewesen sind. Kein Wunder, dass Tommy schreckliche Albträume hat. Er war für fünf Tage verschollen. Jetzt ist er zurück, doch was hat er erlebt? Hat man ihn in die ´Mangel`genommen oder ist er durch einen Kampf so schwer verletzt worden? Wie konnte er entkommen? Ich muss sagen, dass ist eines der spannensten Kapitel von Fisteip. Dem entsprechend neugierig warte ich natürlich auf das nächste.

Petra (22.04.2009)

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