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35 Seiten

Point Hope - Teil 4

Romane/Serien · Spannendes
***
Mit den Füßen auf dem Schreibtisch hockte Reining in dem kleinen Büro, glücklich darüber, dass sein Kollege irgendwohin verschwunden war und hoffentlich die Absicht hatte, nicht so bald zurückzukommen. Er wollte in Ruhe telefonieren, den Standort der Frachtschiffe ausmachen, die den unglücklichen John Doe an Bord gehabt haben konnten. Er hatte sich mit Svenssons Erlaubnis eines der Logbücher mitgenommen, blätterte darin herum, während er auf eine Verbindung wartete. Am anderen Ende der Sattelitenverbindung meldete sich eine quäkende Stimme, die höflich aber schon genervt klang, typisch für jemanden, der einen Job am Telefon fristete und irgendwann nicht mehr merkte, wann seine Stimme nachließ und ins Negative abglitt. Über Funk kam die Verbindung schnell zustande, aber die Qualität ließ zu wünschen übrig – es rauschte und krachte, immer wieder brach für Sekunden alles zusammen und zerhackte das mühsame Gespräch in unverständliche Einzelteile.
Jeden Satz schrie er mindestens zweimal in den Telefonhörer, beugte sich dabei nach vorn, als würde ihn das lauter und deutlicher machen, alles aus der Not heraus auch verstanden zu werden; ebenso machte es der Mann auf der anderen Seite, bis sie sich abgehackte Satzfragmente zuriefen und sich dabei vorkamen wie ein lang verheiratetes schwerhöriges Ehepaar. Nick Reining würde sich nicht damit rumquälen, auch mit dem Funker der Van Dijk so herumzubrüllen, er machte sich eine kurze schriftliche Notiz und würde die Anfrage per Telex losschicken. Später konnte man immer noch dem Kutter hinterher telefonieren.
Er nahm in einer dezenten nebensächlichen Bewegung die Füße von der Tischplatte, als Bragas zurückkam, in dessen Bart sich so viele Schneeflocken angesammelt hatten, dass er wie frühzeitig ergraut aussah, freilich aber nicht lange – es schmolz schnell zusammen in dem warmen Raum und unter seinem Atem.
„Ich hab den Standort der Van Dijk“, sagte Reining, „bei den Hydes werde ich ein Telex aufgeben und sie anfunken lassen.“
„Was ist mit den anderen Schiffen?“
„Ich muss erstmal warten, bis mein Gehör zurückgekehrt ist.“
Außerdem war Ian zurück und Nick war viel zu neugierig darauf, was er zu erzählen hatte, als dass er wegen der Frachter auf den Weltmeeren einen solchen Aufstand gemacht hätte. Ihr Mörder oder Todschläger mochte noch in Point Hope herumlaufen oder längst sein eigenes Seemannsgrab gefunden haben. Mittlerweile mochte Nick Reining die Vorstellung, dass das Gottesgericht ihnen zuvorgekommen sein könnte.
Die anderen Eisbrecher waren die Rouven und ein Frachter mit einem wirklich unaussprechlichen orientalischen Namen, den Reining nur mühsam notieren konnte, bei bestem Willen keine Ahnung hatte, wie man diese Abfolge von Konsonanten über die Lippen bringen sollte. Die Rouven lief unter der niederländischen Flagge, schipperten seit über zwanzig Jahren von einem Verladehafen in den nächsten und kam dabei auch immer wieder nach Point Hope.
„Sie verfolgen die Spur weiter?“ fragte Bragas.
„Ich bleibe dran.“
Ich bleibe an allem dran, auch, wenn es vorübergehend anders aussieht. Wenn es so aussieht, als hätte ich die Orientierung verloren, dann ist das nur der äußere Schein, manchmal muss man die Leute um sich herum glauben lassen, man hätte das Ziel aus den Augen verloren, dann benehmen sie sich wieder unbefangen, fallen zurück in ihre alten Gewohnheiten, machen Fehler. Ich muss nur die Augen offen halten. Bragas mag eine andere Arbeitsweise vorziehen; ich warte und beobachte.
Auf dem kurzen Weg zu Hydes Laden kam ihm Albie Newton entgegen, der glücklich vor sich hingrinste, als könne er sich über ein Geheimnis freuen. Sie betraten gemeinsam das Geschäft.
„Ich brauche eine neue Kopfbewegung“, rief Albie, steuerte sofort die Regalwand mit den Styroporköpfen an, die die Hüte, Mützen und Kappen des Sortiments trugen, marschierte die Reihe auf und ab, die Hände auf dem Rücken gefaltet. Nick grinste über das Wort ‚Kopfbewegung‘.
„Was würde mir wohl am besten stehen?“ rief er, den Kopf in den Nacken gelegt. Helen beugte sich über die Theke, zwinkerte Nick Reining zu und rief zurück: “Was hast du denn nur vor, Albie? Suchst du einen schicken Hut für ein Rendezvous?“
Mit in die Seiten gestemmten Fäusten drehte Albie sich zu ihnen herum, mit einem wirklich empörten Gesichtsausdruck, als habe er so etwas noch nie auch nur in Erwägung gezogen.
„Helen, ich brauche einfach nur etwas gegen den Wind und die Kälte, es muss praktisch sein und ein wenig nach was aussehen. Sowas hast du hier doch irgendwo, oder?“
„Ich werde dir was Passendes raussuchen.“
Sie drückte sich durch den schmalen Durchgang auf die andere Seite der Theke, murmelte dabei vor sich hin, dass sie einiges darauf wetten würde, dass Albie Newton ein Rendezvous in Kotzebue hatte und es nur nicht zugeben wollte, was ihm mal wieder ähnlich sähe. Percy übernahm die verwaiste Kasse, verkaufte eine Ladung Konserven und zwei blaue T-Shirts an eine Tlingitfrau, die in Point Hope mit ihrem unübersichtlichen Haufen Kinder lebte, wandte sich dann an Reining.
„Ich möchte ein paar Telexe aufgeben“, sagte Nick, „der Inhalt ist streng vertraulich, kann ich mich auf sie verlassen?“
„Ich soll tot umfallen, auf der Stelle tot umfallen, wenn irgendjemand etwas davon erfährt“, erwiderte Percy, „kommen sie mit rüber an den Schalter.“
Er schickte ein Telex direkt an den Eisbrecher Van Djik, eines an den Seefunkdienst, wobei der Text fast identisch war, so kurz gefasst, dass er Ähnlichkeit hatte mit dem mühsamen Telefonat mit dem Seefunkdienst via Satellit. Die sollten die Aufgabe übernehmen, die Rouven und den Eisbrecher mit dem unaussprechlichen Namen anzufunken, um Antwort wird gebeten.
Percy Hyde gab sich deutlich Mühe, dem FBI behilflich zu sein, versprach, dass die Telexe noch am gleichen Tag rausgehen würden, und obwohl Reining ihm ansah, dass es ihn vor Neugier fast zerriss, stellte Hyde keine Frage, er hielt sich tapfer zurück.
„Kann ich sonst noch was für sie tun?“
„Ich muss Ians Vorratsschrank auffüllen“, er wandte sich um, ratlos, was er alles mitnehmen sollte, „stellen sie einfach irgendein Sortiment zusammen von den Dingen, die er sonst auch immer nimmt, Okay?“
„Kein Problem, wird gemacht.“
Albie präsentierte den Anwesenden eine hellbraune Fellmütze mit flappenden Ohrklappen, die ihn wie einen Setter aussehen ließ, von der er aber begeistert war und sie direkt auf seine Rechnung setzen ließ.
„Was hat der Junge vor?“ fragte Percy seine Frau, nachdem Albie verschwunden war.
„Du hast ihn doch gehört, es ist keine Frau im Spiel.“
„Das glaubst du doch selber nicht.“
Nick sagte: „Ich nehm die erste Ladung schon mal mit, den Rest kann Ian später holen, wenn er vorbeikommt.“
Er hatte eine Menge der Fleischkonserven verbraten, während er in Ians Hütte allein gehaust hatte, und das zusätzlich zu den Mahlzeiten, die Helen Hyde ihm zubereitet hatte, aber trotzdem hatte er kein Gramm zugenommen. Die eine knappe Hose, die er in der Hütte trug, saß noch immer knapp, wurde aber nicht enger, eher weiter.
Ich friere mich hier schlank, dachte er.
Sein Weg führte ihn wieder zurück ins Gemeindehaus, nachdem er Ian zu Hause nicht angetroffen hatte, schon von weitem die Straße hinunter, konnte er beobachten, wie Carla das Gebäude verließ, einem der Kinder noch den Verschluss der Kapuze unter dem Kinn zumachte, ihm aufmunternd auf den Hintern klapste und nach Hause entließ. Sie drehte sich auf dem Absatz herum, als Agent Bragas hinter ihr die Tür aufschob, sie ansprach und bei ihr stehen blieb. Nick machte sich sofort Gedanken, was er von ihr wollen konnte und ob er nur einfach plauderte, sich noch mal für das gemeinsame Essen bedankte. Die Art, wie Carla dastand, sich abzuwenden versuchte und er ihrer Bewegung folgte, ließ Nick daran denken, dass er sie wohlmöglich ausquetschte und er ging einen Schritt schneller. Carlas Gesicht war nicht panisch, als er sie näher sah, aber sie war verärgert und auf dem besten Wege dahin, richtig wütend zu werden, sollte Bragas sie nicht in Ruhe lassen. Ihre Stimme war verhalten und sehr deutlich, sie bohrte Bragas den spitzen Zeigefinger in die Brust, punktierte damit ihre Antwort auf Agent Bragas Drängen. Den Kopf hielt sie hoch erhoben, das Kinn hochgereckt; obwohl Nick sie nur schräg im Profil sehen konnte, entging ihm nicht das Funkeln in ihren Augen.
„Jetzt hören sie mir mal eine Minute zu, Agent Bragas“, herrschte sie, „sie dürfen mir jede Frage stellen, die sich ihr verdrehtes Polizistenhirn ausdenken kann, aber erwarten sie nicht, dass ich ihnen darauf antworten werde. Das werde ich nicht tun und wenn sie mich dafür einsperren wollen, bitte schön.“
„Wer redet hier von einsperren?“ Carla drehte sich zu Nick Reining herum, gab ihre kämpferische Haltung auf, als sie sich seiner Hilfe sicher sein konnte, verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Bragas an. Nur, weil ihr Reining zur Hilfe kam, musste sie nicht das schwache Weib spielen.
Natürlich hatte sie Bragas nicht gerade eingeheizt; er lächelte breit und schien amüsiert über ihre Reaktion. Er mochte ihren Wutausbruch vorhergeahnt haben, möglicherweise ging es ihm eher um ihre Reaktion als um eine Antwort auf seine Fragen.
„Niemand sagt etwas von einsperren“, wiegelte Bragas ab, als sei das alles nur ein Scherz gewesen, „ich mache hier nur meinen Job.“
„Kann ich gehen?“ Carla wartete nicht auf die Erlaubnis, warf Bragas noch einen strafenden Blick zu, den sie sicher oft genug bei den Kindern geübt hatte und stapfte davon.
„Was sollte das gerade?“ fragte Reining.
„Ich wollte nur etwas über ihren buddy rauskriegen.“
Keinen Sinn, ihm etwas vorzumachen, dachte Nick, wenn er meint, man würde ihn hinters Licht führen wollen, verbeißt er sich noch mehr in die Sache.
„Ich kann ihnen das erklären“, sagte er ruhig, „aber nicht hier. Gehen wir nach oben.“

Carla warf die Tür hinter sich ins Schloss, ohne daran zu denken, dass Ian bei ihr ins Bett gekrochen sein könnte, um dort auszuschlafen; kam er nach einiger Zeit nach Hause, tat er das gerne. An solchen Tagen kam sie in die Hütte, wunderte sich über seine Stiefel vor dem Schrank, dass die Tagesdecke vom Bett gezogen war, entdeckte dann die Umrisse seines Körpers unter den Decken und beruhigt darüber, dass er wohlbehalten zurückgekommen war.
Jetzt achtete sie nicht auf herumliegende Sachen, die am Morgen noch nicht da gewesen waren. Ian war im Morgengrauen zurückgekommen, hatte seine Sachen in seiner Hütte abgeladen und war nur auf einen kurzen Besuch bei Carla vorbeigegangen. Er hatte einen selten munteren Eindruck gemacht, war mit dem Motorschlitten direkt in Richtung Hafen weitergefahren, um zu sehen, ob dort irgendwas angekommen war während seiner Abwesenheit.
Nach der deutlichen verbalen Attacke des Agents fühlte Carla sich nicht mehr wohl in ihrer Haut, obwohl sie davon überzeugt war, sich gut verkauft zu haben. Sie wollte es Ian beichten und seinen Rat hören, was sie tun sollte; sollte er doch die Last seiner Vergangenheit von ihr nehmen und Bragas erklären, wieso es niemand wissen durfte, dass er früher Polizist gewesen war.
Sie machte ein wenig Ordnung im Haus, dachte dabei darüber nach, dass Reining seinen Kollegen einweihen würde, natürlich würde er das tun, um die Situation zu entschärfen. Vielleicht war es doch nicht nötig, Ian von dem Ärger zu erzählen.
Beim Abwasch rutschten ihr zwei Teller durch die nassen Finger und zerschellten auf dem Holzfußboden, die Splitter sprangen durch die ganze Küche bis unter die Möbel und vor lauter Frust hätte sie am liebsten den Rest auf der Spüle auch noch hinterher geworfen. Der locker geflochtene Zopf löste sich auf, dicke Strähnen fielen über ihre Schultern, als sie die Scherben und Splitter einsammelte und sorgfältig auf das Kehrblech legte. Mit unbeherrschten Bewegungen steckte sie die Strähne zurück in den Zopf.
Ian würde nicht stundenlang im Hafen bleiben, es war nur ein einziges Schiff angekommen und wenn er etwas auszuliefern hatte, war das schnell erledigt. War er zurück, würde sie ihm von Bragas erzählen, aber sie würde auslassen, dass er sie wie eine Kriminelle behandelt hatte, um aus ihr herauszubekommen, weshalb ein anständiger FBI Agent wie Nick Reining sich dazu verleiten ließ, einen offensichtlich untergetauchten Kriminellen, mit dem sie Umgang pflegte (so hatte er sich ausgedrückt) zu decken und zu schützen.
Carla griff nach ihrer Jacke, schlüpfte in ihre Boots und verließ die Hütte, ging eilig an den anderen Häusern vorbei, zog dabei den Knoten in ihrem Haar wieder straff, dass es ihr die Kopfhaut nach hinten zog. Sie hatte es sich schon wieder anders überlegt, besser, sie begegnete Ian noch nicht, dann kam sie auch nicht in Versuchung, es ihm zu erzählen. Sie hoffte, dass Susannah zu Hause war, Zeit hatte für eine Tasse Kaffee und Shortbread.

Im Hafengebäude, in dem noch immer ein richtiger Hafenmeister fehlte, weil niemand Lust auf diesen Job hatte, stand ein Karton mit eingedrückten Ecken und aufgeplatzten Klebestreifen, der so klein war, dass man ihn sich unter den Arm klemmen konnte, aber gleichzeitig so schwer, dass Ian sich das zweimal überlegte. Der Absender sagte ihm nichts und der Empfänger war die Familie Myers aus dem Forschungslager. Wenn der Doktortitel vor den Namen stand, machte sich der Absender wichtig und behauptete damit, es sei dringend, anstatt es dick aufs Paket zu schreiben. Die würden sich freuen, eine beschädigte Ladung zu erhalten und den Ärger würde er sich wieder einhandeln, garantiert. Ian war im Moment nicht scharf darauf, wieder zu ein Eierköpfen rauszufahren, deshalb ließ er das Paket noch einen Tag stehen. Vor Monaten hatte er mit den Forschern dicken Ärger bekommen wegen einer Medikamentenlieferung, die nicht angekommen war und sie ihm die Schuld daran gaben, bis sich herausstellte, dass die Kiste in Anchorage nicht verladen worden war, weil man dort dachte, bei den Flaschen mit weißen Pulver könnte es sich um Drogen oder schlimmeres handeln. Jemand hatte die Kiste im Regen stehengelassen und die Beschriftung „Medikamente“ war unleserlich geworden, ebenso wie Absender und Empfänger. Die Myers gingen schon so weit, ihn verklagen zu wollen, beschuldigten ihn, die Lieferung unterschlagen und vertickt zu haben. Ian fand das nur lachhaft, konnte das aber nicht auf sich sitzen lassen und führte selbst ein paar Telefonate mit den Frachtzentren. Plötzlich tauchten die Frachtpapiere wieder auf, die Kiste wurde neu verpackt und nach Point Hope geschickt, wo sie termingerecht ankam. Nur Jimmy Myers Mutter entschuldigte sich für die Anschuldigung bei Ian, und das wohl auch nur aus Berechnung, schließlich fuhr Ian Jimmy regelmäßig zur Schule und wieder nach Hause.
Ian schob das Paket mit dem Fuß in die Ecke, tastete die Taschen seiner Jacke ab und stellte fest, dass er seine Zigaretten vergessen hatte. Der Laden der Hydes war nur wenige Meter entfernt, aber die Praxis von Doc Roberts war direkt auf dem Weg. Ian polterte dort in den Empfang, der nicht mehr war als ein breiter Flur mit einem Schreibtisch für Yeil der Assistentin, die nur vormittags anwesend war und ansonsten den Platz für Doc Roberts räumte. Er sah sich um und griff über den Schreibtisch hinweg in eine der Schubladen, die er vorsichtig aufgezogen hatte. Yeil hatte dort ihre Schachtel liegen, weil sie zu Hause nicht rauchen durfte. Sie war siebzehn und ihr Vater hatte das Sagen im Haus.
Das dröhnende Signalhorn ertönte in dem Moment, als Ian sich eine Zigarette aus der Packung geangelt hatte, sich gerade wieder auf die richtige Seite des Schreibtisches zurückrollen wollte. Der dumpfe durchdringende Ton bescherte ihm eine Gänsehaut, obwohl er das Horn der Eisbrecher gewohnt war.

Carla und Susannah fuhren zusammen, ihre Kaffeetassen klirrten und sie kicherten erleichtert, als sie begriffen, dass es nur ein einfahrendes Schiff war, was sich ankündigte.

Doc Roberts, der ein Nickerchen auf seiner Behandlungsliege gehalten hatte, wachte mühsam auf, sah sich um und hörte jemanden draußen vor der Tür, rief, er würde sofort kommen, einen Moment, bitte.

Agents Nick Reining und Gregory Bragas sahen sich gespannt an, hatten beide die Vision eines Erdbebens, aber die Erschütterung und das Chaos blieben aus.
„Ein Schiff?“ mutmaßte Reining, nickte und sie kamen zum Thema zurück.

Die Kinder, die sich im Hydes herumdrückten und sich schon seit einer Stunde nicht entscheiden konnte, wofür sie ihr knappes Geld ausgeben sollten, ignorierten das Signalhorn, so wie ihre Altersgenossen die Hupe eines Autos ignoriert hätten. Helen Hyde dachte sofort an die wöchentliche Postlieferung, obwohl die im Sommer von der Bering Air erledigt wurde und die Beechcraft keine tutende Signale von sich gab, wenn sie landete – trotzdem brachte sie das eine mit dem anderen in Verbindung. Sie wartete schon seit Monaten auf einen Brief ihrer Tochter, die in Idaho lebte und schon selten genug von sich hören ließ. Sie hatten schon seit Jahren nur noch an Weihnachten und Thanksgiving miteinander telefoniert und selbst bei diesen Gelegenheiten hatten sie sich scheinbar nichts mehr zu sagen gehabt. Es lief nur noch darauf hinaus, das Helen fragte, ob sie mittlerweile einen netten jungen Mann an ihrer Seite habe und dann nur barsch zu hören bekam, dass Mutter nicht in der Lage sei, sie ihr eigenes Leben leben zu lassen, noch immer müsse sie sich unter Druck setzen lassen. Helen wusste, dass ihre erwachsene Tochter mehr auf Frauen ausgerichtet war als auf Männer, wollte das aber nicht wahrhaben. Percy war ihr zweiter Ehemann und ihm hatte sie nie etwas erzählt, selbst das machte ihre Tochter ihr zum Vorwurf.

Der einzige, der neugierig vor die Tür trat und in Richtung Hafen wanderte, war Officer Svensson und das auch nur, weil er nichts zu tun hatte und einfach mal sehen wollte, welches Schiff eingelaufen war. Schließlich musste er seine Journale auf dem aktuellen Stand halten.

Es war einer der großen japanischen Walfänger, dessen stolze Harpune feuerbereit auf dem Bug stand, und dem scheinbar nichts etwas anhaben konnte, mochten sich auch noch so viele Greenpeace-Aktivisten an seine Außenhaut ketten oder zu entern versuchten. Der Name des Schiffes stand in senkrechten japanischen Schriftzeichen, dem Katakana und darunter auf Englisch „Tsuma“ – Ehefrau. Svensson blinzelte gegen das Licht, kam einen Schritt näher und blinzelte noch mal und es entfuhr ihm ein lautes Stöhnen.
„Die Tsuma“, rief er, obwohl niemand in der Nähe war, der ihn hören konnte, „Herr im Himmel, die Tsuma!“
Er rannte erst Richtung Hafen und auf das Schiff zu, dann machte er kehrt, als habe er es sich blitzartig anders überlegt und spurtete mit schnellen kleinen Schritten die Hauptstraße hinauf, bis er an den Holzstegen ankam, die die einzelnen Häuser miteinander verbanden. Die Holzplanken waren immer für eine Rutschpartie gut, ob vereist oder regennass, Svensson verlor etwas den Halt auf ihnen, fing sich rudernd wieder und riss die Tür zu Hydes Laden auf. Sein Gesicht war verzerrt in einer Mischung aus Schrecken und fiebernder Erwartung, wie bei einem Kind, das den Weihnachtsmann erwartet und sich dabei nicht ganz sicher ist, was passieren wird, sollte er wirklich auftauchen.
„Bo“, rief Percy hinter den Schneeschaufeln hervor, „was ist los?“
Die Kinder starrten den Officer an, wagten aber nicht näher zu kommen. Es machte sie ängstlich, dass ein erwachsener Mann sich so seltsam benahm.
„Die Tsuma ist eben eingelaufen“, sagte Svensson, als habe er in Gedanken gehabt: Die Aliens sind gelandet.
„Das war die Tsuma?“ rief Helen, „wir haben nur das Signalhorn gehört.“
Bo Svensson machte auf dem Absatz kehrt, er wollte nicht in dem Laden bleiben. Er musste draußen für Ordnung sorgen, denn jeder, der hörte, dass die Tsuma angelegt hatte, würde in den Hafen laufen, um zu sehen, was passieren würde.
„Gehen wir nach draußen?“
„Kinder, ihr bleibt im Laden“, herrschte Helen und Percy meinte: „Vielleicht ist er gar nicht mehr auf der Tsuma.“

Doc Roberts trat in den Flur, versuchte die Spuren seines Nickerchens zu beseitigen. Er hatte seinen langen Kittel nicht ausgezogen, als er sich hingelegt hatte, alles war verknittert und faltig, der Kragen ließ sich nicht mehr glatt streichen. Er fuhr sich mit den Händen über das Haar, sah sich im Flur nach dem Besuch um, den er gehört hatte, aber in der offenen Eingangstür stand nur Ian, der den Kopf nach draußen streckte, dabei sein empfindliches Bein entlastete, indem er es seitlich wegstreckte und auf dem anderen balancierte.
„Brauchst du was, Ian?“
Er drehte sich zu Roberts herum, unrasiert und noch immer mit eingetrockneten Blutspritzern am Hals und am Kinn, weil er noch nicht zum duschen gekommen war.
„Bo ist eben wie eine angestochene Sau vorbei gerannt“, sagte er, „hast du das Signal gehört? Ich glaube, das ist die Tsuma.“
„Dann ist es kein Wunder, dass er gerannt ist.“
Vor dem Plankenweg trafen sie auf neugierige Einwohner, die Kinder strömten aus dem Hydes auf die Straße, obwohl Helen sie zurückzuhalten versuchte und alle wandten die Köpfe in Richtung Hafenbecken, wo die Tsuma hoch über der Kaimauer aufragte, eine grau-weiße schwimmende Festung. Walfänger sahen alle gleich aus, aber Ian brauchte nur einen Blick um festzustellen, dass es wirklich die Tsuma war. Er grinste, suchte die Straße ab, ob Carla irgendwo herumstand, aber er konnte sie nicht finden.

Den fehlenden Hafenmeister ersetzte meist Ian oder Svensson, je nach dem, wer gerade in der Nähe war, um die Schiffe zu empfangen, die Taue zu befestigen und die Rampen zu sichern, aber diesmal schien Svensson nicht scharf darauf zu sein, sich dem Hafen zu nähern, Ian machte eine fragende Handbewegung und er schüttelte wild den Kopf, worauf Ian sich die geklaute Zigarette hinter das rechte Ohr steckte und eine gespielt verzweifelte Geste zu Doc Roberts hinüber machte.
„Wenn der nächste bissige Hund vor deiner Tür steht und dich nicht raus lässt“, murmelte er, „dann kannst du sehen, wo du bleibst. Und wenn du dich durchs Klofenster quetschen musst, das ist dann auch nicht mehr mein Problem.“
Nick Reining hatte am Fenster des Flures gestanden und nach unten auf die Straße gesehen, konnte aber den Hafen nicht sehen, der auf der anderen Seite des Gebäudes lag. Bis auf einige Passanten und balgende Hunde gab es auf der Straße nichts zu sehen, und wäre Albie Newton nicht aufgetaucht und hätte ihn breit grinsend herunter gewunken, hätte er das ganze nicht mitbekommen. Bragas hatte keine Worte der Entschuldigung gefunden für den ruppigen Umgang mit Carla, weil das einfach ein normaler Teil seiner Polizeiarbeit war, aber schließlich hatte er sich davon überzeugen lassen, dass Ian kein aus Marion entsprungener Killer war, wenn Bragas auch deutlich unzufrieden darüber war, nicht die ganze Geschichte erzählt zu bekommen.
„Wenn sie mir sagen, dass sie sich einfach nur von früher kennen, hätte es keinen Grund gegeben, das zu verheimlichen und mir was vorzumachen, Reining. Was glauben sie, weshalb ich misstrauisch geworden bin? Mit dem stimmt doch irgendwas nicht.“
„Er war Drogenfahnder bei der Bundesbehörde, aber weil er seine Ruhe haben will, soll das hier niemand wissen, so viel muss reichen. Es kann nicht unser Interesse sein, sein Leben aufzurollen und es vor allen auszubreiten. Wenn wir einigermaßen in Einklang miteinander arbeiten wollen, lassen wir die Sache mit Ian auf sich beruhen.“
Er hatte mit Engelszungen geredet, als müsse er eine arme Seele vor der Verdammnis bewahren, aber er kannte Bragas und er ahnte schon, dass er nur fürs erste klein beigeben würde. Das Fenster ließ sich nicht öffnen und noch immer stand Albie da unten und fuchtelte mit den großen roten Händen über seinem Kopf herum, deutete immer wieder in Richtung Hafen.
„Bragas? Vielleicht sollten wir uns da draußen was ansehen.“
Sie liefen auf die Straße und um das Gebäude herum, je näher sie dem Hafen kamen, desto mehr Menschen standen wartend herum, als würde sich jeden Moment irgendeine Sensation ereignen.
„Die sehen so aus, als sei der Zirkus in die Stadt gekommen“, sagte Bragas, und hinter ihnen kicherte Albie Newton, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank.
„Nennen sie mir nur einen Grund, weshalb es hier niemand wissen darf, dass Ian bei der DEA war. Ist er entlassen worden, weil er die Seiten getauscht hat?“
„Ich hab ihnen doch schon gesagt, dass er absolut sauber ist. Reden sie etwas leiser, Mann.“
„Das ist ein Schiff aus der japanischen Walfängerflotte“, rief Albie von hinten, trabte an, bis er auf gleicher Höhe war und steckte die Hände in die Jackentaschen, „aber die Tsuma ist immer allein unterwegs. Die Matrosen haben mir mal erzählt, dass der Captain in irgendeinem Hafen auf zwei Tierschützer gestoßen ist und einen hat er ins Hafenbecken geworfen und dem anderen hat er die Faust auf die Nase gegeben und als er am Boden lag, hat er ihm so lange in den Hintern getreten, bis ihn seine Leute überwältigt haben. Und als er das letzte Mal hier an Land gegangen ist...“
„Albie“, rief Reining, „kannst du für einen Moment den Mund halten?“
Albie schwieg, grinste aber noch immer.
Weit vor ihnen die Straße herunter, die in einem leichten Bogen auf den Hafen zulief, marschierte jemand auf die Tsuma zu, ließ sich die Taue nach unten werfen, kettete den Steg fest und sah zu dem Schiff hinauf, den Kopf in den Nacken gelegt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Ist das Ian?“ wollte Nick wissen, aber Albie antwortete nicht, weil er ihm den Mund verboten hatte.
Der Platz unmittelbar zwischen Hafengelände und Walfänger schien das Zentrum einer Inszenierung geworden zu sein, wobei sich niemand auf die Bühne wagte; die Menschen sammelten sich rund herum, keiner kam näher, alle warteten darauf, was sich auf dem Schiff wohl als nächstes tun würde.
Reining und Bragas legten einen Schritt zu, als ein Matrose, ein kleiner dünner Japaner, die Rampe herunterkam. Sein blauer Arbeitsoverall schien kaum geeignet für die Temperaturen in dieser Gegend, obwohl er noch eine Daunenjacke darüber trug, an den Füßen hatte er schwere schwarze Schuhe. Sein Haar war kurz geschoren und er hatte große runde Segelohren, im Ganzen sah er aus, als hätte Mama ihn nur unter Protest von zu Hause weggelassen. Er blieb wenige Schritte vor Ian stehen, deutete eine Verbeugung an, dann reichten sie sich die Hände und kamen das Hafengelände herunter, auf die versprengte Gruppe Neugieriger zu, die sich nicht zu rühren wagten.
„Das ist Katayama“, flüsterte Albie Newton.
Plötzlich schienen alle enttäuscht, besonders Svensson, der sich nicht nach vorn gewagt hatte, das nur ein kleiner Matrose das Schiff verlassen hatte und nun auf sie zugeschlendert kam, mit Ohren wie Radarsegel. Ian und er flüsterten in einem seltsamen Sprachen-Mischmasch miteinander, aus dem schwerlich etwas herauszufiltern war, Ian zupfte sich die Zigarette hinter dem Ohr hervor und steckte sie sich an. Katayama schloss zu der Gruppe auf, die sich gebildet hatte, machte wieder seine höfliche Verbeugung. Albie, Reining, Bragas, Svensson und Roberts begrüßten ihn jeder auf seine Art und Weise, auf der anderen Straßenseite standen die Hydes, umgeben von Kindern, denen es schnell langweilig wurde und die wieder zurück in den Laden strömten.
„Er ist ganz scharf auf ein paar der neuen Videofilme, die ihr auf Lager habt“, rief Ian zu den Hydes hinüber, „ich bezahl für ihn, wenn er auch nichts ordentliches anbieten kann. Der Tsuma sind die Vorräte ausgegangen.“
„Was will er denn dann mit Videos?“ fragte Nick Reining und Ian murmelte zu ihm herüber: „Wenn du ein paar Monate ununterbrochen auf See wärst, wüsstest du, was er damit will.“
„Diese halbe Portion erklärt auch noch nicht die Aufregung, die hier herrscht“, sagte Bragas, Katayama sah ihn aufmerksam an, reagierte aber nicht.
„Sie sind Agent Bragas?“ erwiderte Ian, kniff ein Auge zusammen, als der Wind ihm den Qualm ins Gesicht trieb, „wissen sie eigentlich, was ihr Name im Spanischen bedeutet?“
„Wenn es ihnen keine Umstände macht, möchte ich sie höflich bitten, mir zu erlauben, einige Filme auszusuchen, bevor ich zurück an Bord gerufen werde, bitte“, sagte Katayama, kippte den Oberkörper etwas nach vorn, den Blick auf die Hydes gerichtet. Ian grinste, machte eine einladende Handbewegung zum Laden hinüber, drehte sich noch mal zu Bragas herum und sagte: „Einige komplette Sätze bekommt selbst ein Japaner zusammen, Bragas.“
Albie Newton bezeugte wieder sein kindliches Gemüt, als er laut in die Runde fragte: „Was bedeutet denn Bragas in unserer Sprache?“
Ian legte Katayama eine Hand auf die Schulter, flüsterte ihm etwas zu und der Japaner drehte sich mit ernstem Gesicht herum und rief zu der Gruppe zurück: „Damenunterhose.“
Nick Reining stellte seinen linken Fuß oben auf den Rechten, um sich daran zu erinnern, wo er war und dass er nicht laut loslachen durfte. Bragas fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger einmal durch den Bart. Er wollte zurück in sein Büro, den Unsinn hier vergessen und sich wieder seiner Arbeit widmen, drehte sich halb um und sah einen weiteren Mann vom Schiff herunter kommen. Der Japaner war deutlich größer und schwerer, kam in eiligen breitbeinigen Schritten den Steg herunter und steuerte auf die Straße zu. Er strahlte ernste Ruhe aus, die leicht ins Negative kippen konnte. Anhand seiner Kleidung war sein Rang nicht zu erkennen, aber sein hoch erhobener Kopf, sein breiter Gang und die Hände in den Hosentaschen sprachen ihre eigene Sprache. Er war der Captain der Tsuma, der Mann, der dem Greenpeacler in den Arsch getreten hatte. Sein Name war Nishino. Niemand wusste, wie alt er war. Ähnlich wie bei den italienischen Weibern konnte man sagen, je älter desto breiter – und Nishino war sehr breit, ohne dabei fett zu wirken. Sicher war, dass er in Kobe geboren war und es ihn schon sehr früh zur See gezogen hatte. Manche der Matrosen behaupteten, er habe die Hochschule unfreiwillig verlassen als Resultat seines ständigen Aufbegehrens, aber andere meinten, das seien nur dumme Gerüchte und in Wirklichkeit habe er versucht Kabuki-Schauspieler zu werden und nachdem das nicht geglückt war, sei er aus purer Verzweiflung zur Walfangflotte gegangen.
Was jedoch niemand abstreiten konnte war die Tatsache, dass er aus einem vollkommen nichtigen Grund im letzten Sommer Amok gelaufen war. Und dass Svensson richtig Angst vor ihm hatte.
Nishino trug schwarze weite Hosen, darüber einen grünen US-Army-Parka mit Kapuze, dessen Reißverschluss bis an sein Kinn hochgezogen war. An den Füßen hatte er schwarze Gummistiefel, mit denen er bedenkenlos durch Waleingeweide waten konnte. Sie alle bemerkten ihn, als Bragas ganz ahnungslos fragte, wer das denn jetzt sei; ihre Gespräche verstummten und sie alle erstarrten.
Wie ein Platzhirsch marschierte Nishino durch sie hindurch, ohne irgendjemandem einen Blick zu gönnen. Ganz leise fluchte Officer Svensson vor sich hin, dass es ein verdammtes unkalkulierbares Risiko sei, diesen Irren durch Point Hope laufen zu lassen, aber er würde sich ihm nicht entgegenstellen, um ihn daran zu hindern. Er war, wie immer, unbewaffnet und ohne geladene Waffe würde er Nishino nicht einmal guten Tag sagen. Nick Reining drehte sich zu ihm herum und fragte: „Würde er ein hallo verstehen? Spricht er englisch?“
Sehr zerknirscht antwortete Svensson, zog dabei den Kopf zwischen die Schultern: „Wir hatten noch nie die Gelegenheit mit ihm zu reden.“
Im Hydes packten Ian und Katayama ein paar Kartons Videos aus, beurteilten die meisten Filme als blöden Schrott und erst, als die Kinder verschwunden waren, erlaubte Percy ihnen, an den einen besonderen Karton zu gehen. Katayama suchte etwas für einsame Stunden, er wollte Fleisch, keine Action oder Tiefgang. Diese besonderen Filme hielten die Hydes immer versteckt, offiziell gab es sie gar nicht; sie lagen in einem doppelt und dreifach zugeklebten Karton, der verschämt vielsagend mit drei großen XXX gekennzeichnet war.
„Hier haben wir es“, flüsterte Ian geheimnisvoll, schnitt das Klebeband mit einer Kinderbastelschere auf. Sie knieten auf dem Fußboden, den Karton zwischen sich, grinsten sich erwartungsvoll an und Katayama hatte die Ehre, die Laschen auseinanderzuklappen und einen ersten Blick zu riskieren. Bereits die kleinen, unscharfen Bilder auf den Videohüllen bewiesen, dass sie drei X wert waren, aber Ian musste den Japaner darauf hinweisen, dass die Filme in Originalsprache waren – auf schwedisch.
„Ist nicht wichtig, was sie sagen, Ian-San, wen interessiert das schon.“
Er suchte sich sehr zielstrebig vier Filme aus, legte einen zurück und gab nach ausführlicher Betrachtung der Standfotos einem anderen Film den Vorzug. Percy Hyde hatte die Filme nicht ausgezeichnet und Helen hätte diesen Karton nicht einmal aufgemacht geschweige denn Preisschilder aufgeklebt. Katayama steckte die Videos in seine Jacke und Ian nahm sich im vorbeigehen eine handvoll bunter Lakritze aus dem Glas.
„Was habe ich zu bezahlen?“
„Das nächste Mal“, erwiderte Ian, „dann bringst du mir was von der Tsuma mit.“
Katayama verbeugte sich höflich, wandte den Kopf und sah Nishino mit nach außen gedrehten Knien auf das Hydes zusteuern, als habe der Captain zu dicke Eier, um normal laufen zu können.
„Katayama“, flüsterte Ian, „ich werde nicht versuchen, ihn zu überwältigen, dass das klar ist.“
Das hatte er als Scherz gemeint, aber natürlich kam es nicht so an und hätten sie noch Gelegenheit für eine Unterredung gehabt, bevor Nishino den Laden betrat, hätte Katayama sehr höflich und in vielen Worten betont, dass er es nicht von Ian verlangen könnte, den Captain aufzuhalten, sollte der sich wieder in eine für alle Beteiligten höchstpeinliche Situation bringen. Katayama war wegen seiner schmutzigen Filmchen an Land gekommen, obwohl offiziell kein Landgang erlaubt worden war, und er wusste, das Nishino ihn dafür ermahnen würde; nicht bestrafen, das war nicht seine Art. Wenn er jemanden trat oder schlug, dann im Affekt und nicht als überlegte Bestrafung, aber trotzdem würde eine Ermahnung schlimm genug sein.
Nishino hatte einen Schritt in den Laden gemacht, die Glöckchen über dem Türrahmen schlugen an, er hielt die Hände in den Hosentaschen und zog dadurch den natogrünen Parka an den Seiten in die Höhe, er stand einfach nur da und sah sich um. Dabei drehte er nicht nur den Kopf sondern auch die Schultern, als habe er einen steifen Nacken. Katayama näherte sich ihm sehr vorsichtig, während er die Videofilme unter seiner Jacke fest an sich drückte, ängstlich, sie könnten rausrutschen und dem Captain vor die Füße fallen. Er erkundigte sich umständlich, ob er etwas tun könnte, ob der Captain etwas wünschte, aber Nishino reagierte auf diese Angebote nicht, er sah sich nur um, stumm und mit unbeweglichem Gesicht. Sein Verhalten brachte Katayama dazu, immer schneller und hektischer seine Hilfe anzubieten, wollte Kaffee oder Tee besorgen oder etwas zu essen, was immer Nishino haben wolle und was der Laden hergebe, und Ian wünschte, er wäre irgendwo anders, obwohl er kein Wort von dem verstand, was Katayama aus dem Mund schwirrte. Dieser bullige breite Kerl mochte kein Samuraischwert unter seinem Parka verborgen haben, aber trotzdem machte ihn das nicht ungefährlicher.
„Nishino-San“, flüsterte Katayama, beugte den Rücken noch ein wenig mehr, „sagen sie mir, was ich ihnen bringen kann, ich werde es sofort erledigen. Der Kaffee ist sehr gut hier, Nishino-San, vielleicht kann ich ihnen einen kleinen Vorrat besorgen, für ihren privaten Genuss, wenn wir wieder auf See sind?“
Endlich reagierte der Captain – er nickte knapp und schon sauste Katayama los und griff sich zwei Packungen Kaffee, die er sich in die Seitentaschen seiner Jacke stopfte. Er tauschte einen Blick mit Ian, der ihm nur den nach oben gestreckten Daumen zeigte, alles in Ordnung.
Was Nishino ursprünglich auf so direktem Weg ins Hydes geführt hatte, war nicht klar und es würde nie jemand erfahren, wenn er nicht von allein zu reden begann; denn fragen würde ihn niemand. Er sah sich eine Weile um, während alle nichts anderes taten als darauf zu warten, dass er etwas sagte und sich dabei Mühe gaben, ihn nicht anzustarren, dann machte er eine kurze Kopfbewegung und marschierte aus dem Laden. Katayama folgte ihm, warf einen dankbaren Blick in die Runde.
„Was wollte er?“ fragte Percy.
„Jedenfalls nichts aus deinem Laden“, erwiderte Ian, eine Handfläche gefüllt mit Lakritzbonbons, die er sich mit zwei Fingern einzeln hinter die Zähne schob.
„Das ist eine schlechte Angewohnheit“, sagte Percy mahnend, „nie bezahlst du für die Lakritze.“
Percy hatte noch immer die Bilder vor Augen, als Nishino wie ein Berserker, das Schwert nach rechts und links durch die Luft schwingend, die Straße runtergerannt war, in seiner Sprache brüllend und mit Schaum vor dem Mund, aus Leibeskräften schreiend und unaufhaltsam. Wer konnte sagen, was der Auslöser gewesen war – ob jemand aus seiner Mannschaft seinen Befehlen nicht gefolgt war oder eine ungebührliche Antwort gegeben hatte.
Nishinos Hände waren von der Arbeit grob und prankenhaft, man traute diesen dicken Fingern zu, Seile und Taue zu greifen, Wale über die Bordwand zu ziehen, sie allein mit seinem Samuraischwert zu zerteilen, aber es schien undenkbar, dass er mit ihnen Briefe zusammenfalten oder Zigaretten drehen konnte. Er war ein harter Klotz von einem Mann, aber als sie ihn beobachteten wie er mit Katayama im Gefolge die Straße zurück zum Schiff hinuntermarschierte, blieb er plötzlich stehen, hob etwas vom Boden auf, hielt es zwischen zwei Fingern, die Hand hoch über seinem Kopf erhoben. Er machte eine federleichte Bewegung, steckte das kleine Ding in seine Jackentasche, marschierte weiter.

Die andere Straßenseite vis a vis Hydes Laden schien sicher genug und gleichzeitig gut geeignet, um bei einer Katastrophe in der ersten Reihe zu stehen, dieser Meinung war jedenfalls Bragas, aber Nick Reining vermutete, dass er einfach nur nicht näher heran wollte, weil er die Situation nicht ausreichend einschätzen konnte.
„Wenn sie nicht gleich wieder rauskommen“, sagte Nick, „geh ich da rein und seh nach dem rechten.“
„Weshalb sind sie so ungeduldig?“
Ich hab allen Grund, in einer solchen Situation ungeduldig und nervös zu sein, dachte Nick, aber weshalb, das kann ich dir nicht sagen, Kollege. Du würdest es vielleicht nicht mal verstehen, weshalb ich nach dieser Katastrophe versucht habe, ein Auge auf Ian zu haben, ihm zu helfen und wieder aufzubauen, nachdem sie ihn seinen Job nicht weitermachen lassen wollten. Das schlimmste, was sie ihm hätten antun können und sie haben es getan, diese Schreibtischhengste von der DEA.
Ein kurzes Schulterzucken musste als Antwort in dieser Situation reichen. Fast wäre er in den Laden marschiert, weil er ungeduldig wurde, aber schon öffnete sich die Tür und der breite Japaner kam heraus, gefolgt von seinem Untergebenen, der ein erleichtertes breites Grinsen auf dem Gesicht hatte, soweit das ein Nicht-Asiate überhaupt beurteilen konnte. Auf der Straße stoppte er, sah zu Nick und Bragas hinüber, senkte den Kopf zur japanischen Ehrerbietung, besann sich dann aber plötzlich und war rührend bemüht, sich irgendwie amerikanisch zu benehmen, wobei er aber einige Sekunden lang nicht wusste, wie er sich geben sollte und dann den Rücken gerade durchdrückte und das Victoryzeichen an weit vorgestreckter Hand machte. Er fuhr blitzschnell in seine übliche Haltung zurück, als Nishino sich zu ihm herumdrehte und ihn harsch anblaffte.
Letztendlich musste Katayama seinem Captain wieder auf den Walfänger folgen, folgte ihm auf dem Fuß und schien jede Individualität zu verlieren, je näher er dem Schiff kam. Seine Schritte wurden kürzer, er senkte den Kopf und wurde noch etwas kleiner und schmaler; als wüsste er, was ihn an Bord erwarten könnte.
Er beobachtete, wie sein Captain eine kleine bunte Vogelfeder von der Straße aufhob, sie durch das Sonnenlicht betrachtete und vorsichtig in seine Tasche steckte.

Ian griff sich eine letzte Handvoll Lakritze, zog die Schultern hoch und ging vor die Tür. Er wollte weder Bragas und Reining begegnen. Nach den Tagen, die er draußen verbracht hatte, um die Zivilisation von sich abzuschütteln, fielen ihm die einfachen normalen Dinge des Lebens wieder etwas leichter, weil er sich ihnen bewusst wurde, aber gleichzeitig fühlte er sich unwohl, wenn er von zu vielen Menschen umgeben war und wenn er genötigt war, ein langes Gespräch zu führen. Seine kleinen Selbstzweifel, die er pflegte, überwand er gewöhnlich schnell, wenn er sich daran erinnern konnte, wie wertvoll eine heiße Dusche war. Seine Hunde waren bei George gut aufgehoben, sie waren vor dem Schlitten trainiert, und vielleicht würde er Nick wirklich auf eine kleine Tour über das Eis einladen.
Agent Bragas machte ihn misstrauisch, wenn er auch nicht sagen konnte, was genau ihn an dem Mann störte. Es war nur eine Ahnung, ein schlechtes Gefühl. Der Lakritzgeschmack blieb lange in seinem Mund, seine Zunge fühlte sich pelzig an und er wollte zurück in Hydes Laden, um einen Kaffee zu trinken, aber Nick auf der anderen Straßenseite hob die Hand und kam zu ihm hinübergetrabt.
„Hey“, sagte er munter, „du siehst verdammt wild aus. Was ist da passiert im Laden? War jemand in Lebensgefahr?“
„Ich hab mit George gesprochen wegen eurem Eismann. Er hat Zeit für dich.“ Er wollte nicht erzählen müssen, was in dem Laden passiert war.
„Schön, dass du mir doch hilfst bei der Sache.“
Ian machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Wenn du mit George und den anderen Jungs da draußen reden willst, setzen wir uns auf den Skidoo und fahren morgen rüber. Du wirst Wodka mitbringen müssen, dir alte Geschichten anhören und vielleicht kannst du dann nebenbei deine Fragen loswerden. Aber es wird nicht viel bringen.“
„Sagt dir das dein Gefühl?“
Ian fuhr sich mit der linken Hand über den Nacken, ein Geräusch von nassem Sandpapier, bewegte die Schultern hin und her und meinte seufzend: „Die haben da draußen noch überhaupt nichts mitbekommen. Hätte einer von Georges Clan den Mord begangen, wäre er nicht so dumm gewesen, die Leiche hinterm Hafen liegenzulassen. Es gibt eine Million bessere Plätze dafür. Gibt’s noch was, Nick? Ich muss nach Hause.“
„Du brauchst ’ne Dusche.“
„Schon seit Stunden.“
Nick warf einen Blick zu Bragas zurück, schlug Ian auf die Schulter.
„Du steigst unter die Dusche, ich erledige noch ein paar Sachen und dann köpfen wir ein paar Flaschen Bier zusammen.“
Ian bereitete schon die Vorstellung Kopfschmerzen, aber er sagte zu.
Nick nahm Kontakt zu den beiden Frachtern auf, plauderte mit den Funkern und dankte für die Zusammenarbeit. Es war ein greifbares Ergebnis, so weit so gut, aber es brachte sie nicht weiter.
„John Doe hat einen Namen“, murmelte er.
Er schrieb den Namen sehr sorgfältig auf ein Stück Papier, ging hinüber zum Flipchart und benutzte den Sprühkleber, um den Namen über das Polaroidfoto zu kleben. Er vermutete, dass den Namen so falsch geschrieben hatte, wie man einen finnischen Namen nur falsch schreiben konnte, aber er hatte das Gefühl, dem Toten ein Stück seiner verlorenen Identität zurückzugeben.
„Er heißt Mätti Hemmo und war der zweite Koch auf der Rouven, einer von der Sorte, die man eigentlich nicht an seinem Essen herumfummeln lassen möchte“, sagte Nick, als Gregory Bragas den Schulraum betrat, „niemand kam wirklich mit ihm aus. Nach dem letzten Landgang in Point Hope am 17. November ist er nicht zurück an Bord gekommen und sie sind ohne ihn davongeschippert. Auf nach Nimmerland.“
„Die haben es nicht gemeldet?“
„Der Zahlmeister hat nur eine entsprechende Notiz in seinen Büchern, das ist alles.“
„Bringt uns das weiter?“
„Nein“, sagte Reining, „aber morgen früh werde ich als erstes einen Bericht schreiben und darauf warten, ob man uns abzieht oder weitergraben lässt.“
Bragas hob ein imaginäres Glas zum Toast.
„Dem kann ich mich nur anschließen.“
Ein weiterer Abend, den Bragas allein in seiner Hütte verbringen würde, während er mit Ian ein Bier nach dem anderen kippte und er konnte nicht behaupten, dass es ihm ein schlechtes Gewissen machte. Mit Sechserpacks so viel er tragen konnte, stand Nick vor Ians Hütte, drehte ihr den Rücken zu und trat mit dem Absatz gegen die Tür.
„Oh“, machte er, als Carla die Tür öffnete und ihn herein ließ.
„Ich werde euren Herrenabend nicht stören“, sagte sie, „ich hab euch nur was zu essen gemacht – eine Kleinigkeit.“
Sie zwinkerte, rief nach hinten: „Dein Gast ist da!“
Er setzte das Bier ab, kontrollierte bei einer kurzen Umdrehung schnell, ob er getragene Socken oder schlimmeres hatte herumliegen lassen, aber alles sah in Ordnung aus, sämtliche schmutzige Wäsche schien im Wäschekorb gelandet zu sein.
„Ich hab den Kühlschrank auffüllen lassen“, sagte Nick, „ich musste mich auf die Hydes verlassen, aber ich weiß, dass er so ziemlich alles isst, was es gibt.“
Ian war noch aufgeheizt von der Dusche, sein Haar hing ihm in dunklen Strähnen ins Gesicht, während er es mit einem Handtuch trockenrieb, dazu nur eine Hand benutzte, weil er in der anderen eine Tasse Kaffee hielt. Es sah aus, als sei er mit dem Kaffee unter die Dusche gestiegen.
„Hi“, sagte er, „hast du Hunger mitgebracht?“
Er trug ein altes olivgrünes Army-T-Shirt und kurze Hosen, seine Arme waren braun gebrannt, seine Beine käsig.
„Seid ich hier am Ende der Welt bin, habe ich ständig Hunger. Und noch dazu, wo Carla eine so gute Köchin ist.“
Er drehte sich zu ihr herum und lächelte, worauf Carla fast entschuldigend die Schultern hob. Ian sah zwischen ihnen hin und her, als versuche er hinter ein Geheimnis zu kommen, bis Carla erklärte: „Ich hab für die beiden gekocht, als du unterwegs warst, zusammen mit Helen.“
Sie hakte sich bei Reining unter. „Wir hatten einen netten Abend.“
„Den hatten wir.“
Ian reagierte nicht, jedenfalls nicht sichtbar, er trocknete sich weiter das Haar, legte sich danach das Handtuch über die Schulter und setzte sich in den alten Ohrensessel, in dem Nick Reining jeden Abend kurz vor dem zu Bett gehen noch einen Whiskey getrunken und in den Unterlagen gelesen hatte; dieser Sessel war todgemütlich und stand so im Raum, dass man einen Blick durch das kleine Fenster nach draußen werfen konnte, und auch die alten Fotos an der gemauerten Wand konnte man aus diesem Sessel betrachten.
„Ihr kommt zurecht, ihr beiden?“
„Wir haben eine Menge zu bereden.“
Ian hob den Kopf und sah Nick erwartungsvoll entgegen, Carla verabschiedete sich mit einem Handkuss und erst, als sie gegangen war, sagte Ian: „Bin gespannt, was wir zu bereden haben. Schmeiß mir ein Bier rüber.“
In dem Zweisitzer, in dem Nick Platz nahm, lagen ein Stapel Tageszeitungen und Sportmagazine, die er beiseite legen musste, dabei ganz nebenbei ein paar Akten abdecken konnte, die noch herumlagen. Er wollte kein Geheimnis aus diesen Unterlagen machen, aber er wollte sich auch nicht unbedingt darüber unterhalten müssen, was die Untersuchungen an dem Eismann ergeben hatten, nicht an diesem Abend. Sie kippten das erste Bier und Ian erzählte von der Jagd und von den beiden Jungs, die das erste Mal mit dabei gewesen waren, von dem einen, der sehr in sich kehrte danach und der andere, der nur noch mit stolzgeschwellter Brust herumlief und sich aufführte, als habe er mit seinem ersten erlegten Elch die gesamte Tlingit-Gesellschaft vor dem Untergang gerettet.
„Was glaubst du wohl, welcher von den Beiden sich durchsetzen wird?“ fragte Nick.
„Tuma wird nicht hier bleiben“, sagte Ian, „der ist schneller auf dem Weg in die Großstadt, als es sich seine Familie ausdenken kann, er weiß es nur noch nicht. Vermutlich wird er untergehen und zu stolz sein, wieder nach Hause zu kommen. Adamee würde immer den Kürzeren ziehen, aber er hat Charakter, er ist ein guter Junge. Einer von der Sorte, der sich zu Herzen nimmt, was man ihm sagt. In der Familie ist er gut aufgehoben, es wird sich immer ein Platz für ihn finden.“
„Du machst dir Gedanken darüber, was aus fremden Leuten wird.“
„Das sind keine fremden Leute, das ist meine Familie.“
Nick Reining sah Ian eine kurze Weile einfach nur an, dachte dabei an die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, und an die Lücke, die mit Ians plötzlichem Verschwinden entstanden war. Sein Beruf brachte es mit sich, Menschen kurz und intensiv kennenzulernen, war dabei aber meist bemüht, nichts von diesen Begegnungen an sich heran zu lassen, nur manchmal schaffte er das nicht. Ian hatte er an sich herangelassen, weil ihm nichts anderes übrig geblieben war in dieser vertrackten Situation.
„Wenn du was essen willst, hol’s dir aus der Küche. So lange es noch heiß ist.“
„Was ist mit dir?“
„Ich krieg nichts mehr runter.“
Ians Haar trocknete langsam, er schob es zurück, nahm den nächsten Schluck Bier, rieb geistesabwesend an der alten Bruchstelle an seinem Bein.
„Wir konnten dem Eismann einen Namen geben“, sagte Nick, „und wir wissen, von welchem Schiff er gekommen ist.“
„Aber das hilft euch nicht weiter, oder?“
„Nein, nicht wirklich.“
„Was hat dein Kollege geglaubt, wer ich bin?“
„Hat Carla erzählt...“ begann Reining, hielt inne, weil er Ians besorgtes Gesicht sah. Er hatte keinen Grund, sich Sorgen zu machen, er hatte eine reine Weste, wie man so sagte, aber seine neue Familie sollte von den alten Geschichten nichts wissen.
„Carla hat gar nichts erzählt, aber es reicht, wenn ich sie mir ansehe und wenn ich deinem Kollegen begegne. Er ist ein Arschloch.“
„Er hat dir das mit seinem Nachnamen übel genommen.“
„Hoffentlich.“
Sie beugten sich vor und ließen die Dosen aneinanderklicken und prosteten sich zu.
„Ich schreibe den Bericht und warte darauf, was die Zentrale sagt.“
„Dann hast du ja Zeit für einen Ausflug. Zu deinen Polarbären.“
„Nur, wenn ich dich nicht von irgendwas abhalte.“
„Ich muss sowieso noch eine Kiste ausliefern, es liegt alles auf dem Weg. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.“
„Wenn ich schon nicht drum herum komme – er dachte, du wärst zur anderen Seite übergelaufen oder ähnliches.“
„Damit kann ich leben.“
Reining holte sich einen gut gehäuften Teller aus der Küche, balancierte ihn zurück in den Sessel, und während er aß, redeten sie nur über Dinge, die man in Alaska plötzlich vermisste, und von denen man nie gedacht hätte, sie überhaupt vermissen zu können; Autolärm, Ampeln, verschwitzte Oberhemden, Kaugummis auf der Betondecke der Straßen. Ian meinte, wirklich vermissen würde er nur diesen Geruch des Sommers auf dem Land, obwohl er diesen Geruch nicht beschreiben konnte. Es war nur die einzige positive Erinnerung, die er an seine Kindheit in Stockton, Kansas hatte und die sich nicht abschütteln ließ.
Der Wind pfiff scharf um die Hütte, rüttelte an allen losen Teilen und versuchte, sie mit sich zu reißen, und Reining dankte Gott, das sie nicht wieder draußen im Garten vor dem verschwundenen Hundezwinger saßen, um sich langsam vollaufen zu lassen.
„Wenn du Carla fragst, was sie am meisten vermisst, wird sie sagen, es ist ein ordentlicher Friseur. Sie jammert über ihr Haar, wenn es was zu jammern gibt und dann bekommst du sie nicht mehr abgestellt.“
„Du solltest dir erst Sorgen machen, wenn sie’s nicht mehr tut.“
„Das werde ich mir merken.“ Ian machte eine Pause, in der er aus dem Fenster sah. „Ich muss ihr die Wahrheit sagen, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.“
Sie quatschten stundenlang, lachten und stritten sich scheinbar, aber im Grunde waren sie einer Meinung in den Dingen. Sie sahen nicht auf die Uhr, sie gähnten nicht, obwohl es spät wurde, ab und zu stand einer auf, um auf die Toilette zu gehen oder sich noch einen Snack aus der Küche zu holen. Ian behauptete, es gäbe nur noch eine Handvoll Musiker, die man auch als solche bezeichnen konnte und Nick meinte, die größte Tragik sei die Tatsache, dass es keine Talente mehr in der klassischen Musik gab.
„Stell dir vor, in zweihundert Jahren fragen sich unsere Nachkommen, welche Musik wir hervorgebracht haben. Sie werden furchtbar enttäuscht sein.“
„Vielleicht macht auch nur das Alter den Reiz aus.“
„Wenn du Scheiße hundert Jahre liegen lässt, wird noch lange kein Gold daraus.“
„Nein“, sagte Ian, „aber aus Dinoscheiße ist Erdöl geworden.“
Sie kicherten und glucksten, malten sich dann aus, wie Bragas wohl seinen Abend verbrachte, ob er vor dem Fernseher eingeschlafen war oder irgendetwas anderes tat und dabei heftig an eine nackte Frau dachte – was auch immer.
„Ich halte ihn dir vom Leib“, sagte Nick, „aber leider musste ich ein paar Infos geben, um ihn von der Fährte abzubringen. Ich hab ihn im Griff, aber ich kann dir nichts versprechen.“
„Das musst du auch nicht.“
Bragas war ein Arschloch von unbekannter Größe, möglicherweise gab er sich damit zufrieden, den Applaus einzuheimsen und als die Nummer eins nach Hause zu fliegen.
„Ist das japanische Schiff wieder ausgelaufen? Ich hätte zu gerne ein paar Worte mit diesem Kerl gewechselt.“
„Svensson glaubt, er sei irre, aber das ist er nicht. Er kann sich nur alles erlauben, weil er der Boss ist.“
„Nishino.“
„Der geht über Leichen.“
„Ian, ich hatte nie richtig die Gelegenheit, mich für die Kugel zu entschuldigen. Das wollte ich schon die ganze Zeit nachholen.“
„Du bist ja besoffen, Mann.“
Ian wollte keine Entschuldigung hören, es gab nichts, was Nick Reining falsch gemacht hatte bei der Banksache, die so furchtbar in die Hose gegangen war.
„Ich sollte mich bei dir bedanken, dass du nicht zwischen die Augen gezielt hast.“
Ian grinste, aber er konnte sehen, dass es Nick kalt den Rücken herunterlief bei der Erinnerung, wie er angelegt und abgedrückt hatte, um einen der vermeintlichen Bankräuber außer Gefecht zu setzen. Wohlmöglich hatte er wirklich zunächst auf lebenswichtige Organe gezielt, sie vielleicht verfehlt oder absichtlich daneben geschossen, und erst Sekunden später erfahren, dass ein verdeckter Ermittler in der Bank sei. Er versuchte es abzuschütteln, aber die Gänsehaut blieb.
„Du hättest nicht geschossen, wenn du von Anfang an gewusst hättest, dass ein Agent eingeschleust war. Also gibt es keinen Grund, sich für irgendwas entschuldigen zu wollen.“
„Carla weiß davon nichts.“
„Davon wird sie auch nichts hören.“
Sie hatte nie Fragen gestellt wegen der Narben, den vielen alten Verletzungen, die er mit sich herumtrug, Carla wusste, dass er darüber nicht sprechen wollte. Nur Doc Roberts hatte bei seinem Anblick Fragen gestellt und das auch nur einmal, worauf er keine richtige Antwort bekommen hatte.
„Mätti Hemmo war ein drittklassiger Ersatzkoch, kaum zu glauben.“
„Mätti wer?“ fragte Ian. Er war noch nicht richtig betrunken, aber er fühlte sich verdammt kopfschwer, was auf den übermäßigen Wodkagenuss der letzten Tage zurückzuführen war und er dachte, dass ihm der Name Mätti wie-auch-immer etwas sagen sollte. Es tickte etwas in seinem Hinterkopf, etwas rief undeutlich ‚Hallo! Hallo? Erinnerst du dich nicht?’ Aber wie sollte er sich erinnern, wenn er nur einen Namen hörte; er hatte in das tote Gesicht des Eismannes gesehen und konnte nicht sagen, ob er ihn kannte und ob er schon öfters in Point Hope gewesen war.
„Mätti Hemmo ist unser Tiefgekühlter. Ich hab jedes Mal ein komisches Gefühl, wenn ein John Doe seinen Namen bekommt, egal, um wen es sich dabei handelt. Schon seltsam, wie anonym ein Mensch wird, wenn ihm der Name fehlt.“
„Findest du?“
Ian unterbrach sich selbst, als er für zwei Minuten aufs Klo verschwand, das Thema aber wieder aufgriff.
„Die alte Mrs. McFadden wollte mich damals überreden, meinen Familiennamen zu behalten, sie meinte, ich müsste etwas von meiner Identität bewahren, der Name wäre ganz unabhängig von den Dingen, die passiert waren. Aber ich wollte McFadden heißen, ich wollte nichts so sehr wie einen anderen Namen. Ich fühlte mich dadurch nicht besser, aber ich wollte verhindern, dass mir jemand auf die Spur kommt. Du heißt Carver mit Nachnamen, Junge? Da klingelt bei mir was... Wir waren im ganzen Land in den Zeitungen, ich hätte nirgends in Ruhe zur Schule gehen können.“
„Du hattest es verdient, in Ruhe gelassen zu werden.“
„Ich hab es noch immer verdient, oder?“


**
Agent Bragas trank nicht im Dienst. Und er war noch im Dienst, als Nick und Ian sich langsam die Kante gaben. Er war damit beschäftigt, die letzten Fakten und Ergebnisse zusammenzufassen, um einen guten Bericht zu erstellen. Das alles war Teil seines Jobs, einen Teil, den er nicht mochte, der aber getan werden musste. Reining wollte diesen Bericht morgen schreiben, war dumm genug, ihm die Möglichkeit zu geben, ihm zuvorzukommen. Sein Name würde unter dem Bericht stehen und noch in dieser Nacht würde er ihn wegschicken. Gregory Bragas würde seine Unterschrift darunter setzen und auf Antwort warten, wobei dann niemand behaupten konnte, er habe den ganzen Tag mit dem Daumen im Hintern herumgestanden.
Er konnte sich bereits ausmalen, wie sich das Telefonat mit der Zentrale in Atlanta anhören würde, wobei er nicht auslassen würde, dass Reining mehr Zeit damit verbrachte, sich um alte Freunde zu kümmern, als seine Arbeit zu tun. Darin war er richtig gut – Andeutungen fallen lassen, sich Informationen scheinbar aus der Nase ziehen lassen und dann sich selbst in den Mittelpunkt schieben. Das hatte er schon mehr als einmal durchgezogen, so war die Karriereleiter nach oben gestiegen. Noch immer war er davon überzeugt, dass Reining ihm nicht alles über seinen seltsamen Kumpel erzählt hatte, er musste noch ein wenig graben und kratzen, was ihm bei der netten Carla ein reines Vergnügen sein würde. Als Bragas endlich das Licht ausmachte und schlafen ging, dachte er über eine neue Taktik nach, die er bei Carla anwenden wollte, ein wenig geheucheltes Verständnis, eine Geschichte aus seinem eigenen Fundus, um zu zeigen, dass auch er einen weichen Kern hatte. Ein Opfer seines harten Jobs, bei dem man schon mal vergaß, dass man es mit Menschen zu tun hatte. Er grinste noch, als er langsam einschlief. Das sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn er Carla nicht weich geklopft bekam.

Bragas hatte gehofft, am frühen Morgen mit den Antwortschreiben der Zentrale herumwedeln zu können, aber in dem Fax lag keine Antwort. Noch einmal kontrollierte er den Sendebericht und vergewisserte sich, dass sein Schreiben rausgegangen war. Er kontrollierte es zweimal. Bragas erledigte folgendes sehr sorgfältig – er legte den Bericht und das Sendeprotokoll in die Plastikablage, wo Nick Reining es direkt ins Auge fallen würde. Sie hatten sich nicht verabredet, trotzdem war Bragas enttäuscht, als Reining nicht auftauchte. Es minderte seinen Triumph etwas. Unten, eine Etage tiefer, strömten die Kinder in den Klassenraum, sie lachten und schrien, ihre Stimmen wurden abrupt gedämpft, als sie vom hallenden Flur ins Klassenzimmer gingen und sich die Tür hinter ihnen schloss. Carla Winman begann ihre erste Unterrichtsstunde.
Agent Bragas öffnete seine Bürotür, trat auf den Flur und an die Treppe und horchte. Carlas Stimme war deutlich herauszuhören, sie rief die Kinder zur Ruhe und dann überlegte er, was sie wohl diesmal für modische Scheußlichkeiten am Leib haben mochte, obwohl ihn das nur zweitrangig interessierte. Er wartete zehn Minuten am Treppengeländer, bereitete seinen Schlachtplan vor und machte sich schließlich auf den Weg, als Reining nicht auftauchte. Diesen Morgen ließ er gemütlich angehen.

**
Ian hatte Nick so früh am Morgen geweckt und aus dem Tiefschlaf gerissen, dass dieser zunächst nicht wusste, wo er eigentlich war und was ihm passierte. Er kam mit einem Grunzen hoch, ruderte sich aus den Decken frei und bemühte sich, deutlich zu fragen, was zum Henker los sei.
„Die Sonne ist ja noch nicht mal aufgegangen.“
„Der Stand der Sonne ist in unserem Land zweitrangig“, antwortete Ian, riss ihm schwungvoll die oberste Decke weg, marschierte durch bis in die Küche, wo er für sich eine Zigarette und eine Tasse Kaffee für Nick holte.
„Du bekommst heute deinen Polarbären“, rief er.
Nick überlegte eine Sekunde, verfiel dann in Hektik, wie ein Kind, das sich plötzlich an seinen eigenen Geburtstag erinnerte nach dem Aufwachen. Nur kurz zögerte er, als ihm einfiel, was noch an Arbeit auf ihn wartete und fast hätte er abgesagt, aber beim schnellen Rasieren betrachtete er sich im Spiegel, wischte nachdenklich das beschlagene Glas ab und murmelte: „Was soll’s, Mann. Auf dem Weg ins weiße Nichts machen wir einen kleinen Abstecher zu den Eingeborenen und den anderen Irren, die da draußen hausen, dann ist das kein privater Ausflug, den wir machen. Wir ziehen los, um noch die letzten Aussagen einzuholen.“
Er nickte seinem Spiegelbild zu, beendete die schlampige Nassrasur, weil sich an ein paar Stoppeln in seinem Gesicht niemand stören würde. Sie tranken schwarzen Kaffee, den Ian aufgebrüht hatte, beim ersten Schluck runzelte Nick die Stirn und grinste Ian vorwurfvoll an.
„Was ist da drin?“
„Ein kleiner Aufpepper, es wird kalt auf dem Schlitten.“
„Ich hoffe, du setzt uns nicht besoffen in eine Gletscherspalte oder gegen einen Iglu. Oder was auch immer.“
„Ein winziger Schluck Whiskey, nicht mal ein Esslöffel voll, stell dich nicht so an.“
Nick war dick eingepackt, trug eine Fellmütze, in der er sich albern vorkam und befürchtete, man könnte ihn für Albie Newton halten, hatte nur eine kleine Tasche mit ein paar Sachen und seinem Fotoapparat dabei. Er hätte mehr mitgenommen, aber Ian meinte, das sei nicht nötig, er habe alles Wichtige in seinem Rucksack gepackt.
„Was ist mit einem Gewehr?“
„Was soll damit sein?“
„Hast du eins?“
„Klar.“
„Nehmen wir es nicht mit? Nur, um sicher zu gehen?“
„Du denkst, wir kommen in die Situation, dass ein Bär auf uns zukommt und wir ihn stoppen müssen?“
„Ein Bär könnte uns verfolgen und schneller sein als der Motorschlitten, das denke ich. Mit einem Gewehr könntest du ihn in Schach halten.“
Ian erwiderte trocken: „Oder du könntest ‚Stehen bleiben, FBI!’ brüllen.“
„Du nimmst meine Sorgen nicht ernst.“
„Nein, Ma’am.“
„Wir kommen nicht nah genug ran für eine Attacke, Okay? Versprich mir das.“
„In die Hand, kein Problem.“
Auf dem Motorschlitten saß Nick hinter Ian, hielt sich an der dicken Jacke fest, fühlte sich dabei wie auf einem etwas breiterem Motorrad, das nicht so schnell fuhr wie auf einer festen Straße, aber immerhin so schnell, dass der Fahrwind ihm ins Gesicht schnitt, wenn er den Kopf an Ians Schulter vorbei schob. Das schwache Licht der unsichtbaren Sonne verwandelte die weite Ebene in eine Märchenlandschaft ohne Kanten und Winkel, Schnee und Eis nahmen einen kobaltblauen Ton an, nur etwas heller als der Himmel, der Übergang am Horizont war kaum auszumachen, alles war blaues Aquarell. Nick Reining fühlte sich frei wie ein Vogel, sein Atem ging so schnell, dass ihm schwindelig wurde, er drehte den Kopf nach hinten und stieß einen Schrei aus, der Ian dazu brachte, erschrocken am Lenker zusammenzuzucken, das Schneemobil machte einen Schlenker, kam dann wieder in die Spur zurück. Es war nicht ersichtlich, welchem Weg Ian folgte, aber er fand das Dorf der Tlingits ohne Probleme. Einmal angekommen, gab es keine Möglichkeit, schnell wieder zu verschwinden, alle Dorfbewohner strömten zusammen, um die Besucher zu begrüßen. In einem großen Holzhaus voller Schnitzereien und Skulpturen kamen sie mit allen zusammen, Ian hielt sich im Hintergrund, als sei er nur der Chauffeur in dieser Sache, beobachtete aufmerksam, wie Nick hilflos in der Klemme saß, eingekeilt zwischen zwei dicken Weibern, die ihn nötigten Tee zu trinken und alles mögliche von ihm wissen wollten. George Koonook erschien, schickte die Frauen weg und sagte den herumstehenden Jungs, sie sollten einen Moment nach draußen gehen.
„Was führt sie zu uns, Agent Reining?“
Nick wandte sich kurz zu Ian um, erklärte dann, dass er nur ein paar Aussagen aufnehmen wolle und niemand solle sich Sorgen machen deswegen.
„Wen möchten sie befragen?“
„Ich möchte mit ihnen sprechen, George Koonook, wenn sie Zeit für mich haben. Ich weiß, dass sie mit den Dingen, die in Point Hope vor sich gehen, nicht viel zu tun haben, aber vielleicht hat doch jemand aus ihrer Familie oder von ihren Nachbarn etwas am 17. November gesehen oder gehört, was uns weiterhelfen könnte.“
George ließ Wodka und Gläser bringen. „Stellen sie ihre Fragen“, sagte er nach einer Ewigkeit.
Sie tranken und redeten, Ian wurde dazu gerufen und er trank den Wodka mit bewegungslosen Zügen. Bei jeder Frage lehnte George sich zurück, musterte Reining eindringlich, er musste für die Antwort lange überlegen.
„Ich weiß nichts von den Schiffen, die am Hafen anlegen. Wenn der Wind richtig steht, hören wir manchmal die Flugzeuge oder die Schiffe, aber das ist auch alles. Ich vermeide es, nach Point Hope zu gehen. Leider kann ich ihnen nicht weiterhelfen, ich weiß nur, dass Duke um diesen Zeitraum verschwunden ist. Duke war Ians Hund.“
„Davon hab ich gehört.“
Nick machte eine Kopfbewegung zu Ian hinüber, der inzwischen aufgestanden war und zwei Jungs daran hinderte, weiter durch den Raum zu rennen und sich gegenseitig Schneebälle an den Kopf zu werfen; er versperrte ihnen den Weg, klemmte sich einen der Jungen unter den Arm und packte sich den anderen an der Fellkapuze. Die Jungen protestierten und zappelten, aber das taten sie nur halbherzig; einen richtigen Aufstand wagten sie nicht, wo George anwesend war. Ian drehte ihnen den Rücken zu und Nick nutzte die kurze Gelegenheit.
„Glauben sie, das Verschwinden des Hundes könnte etwas mit dem Toten zu tun haben?“
„Ich glaube an viele Dinge, aber das soll nicht heißen, dass sie deshalb wahr sind. Ich weiß von Ians alten Leben und ich würde es nicht wagen, irgendeine Mutmaßung zu äußern, nur, um ihren Job zu erleichtern. Das kann nicht funktionieren. Er ist wie ein Sohn für mich.“
„Ich muss allen Spuren nachzugehen. Es liegt auch in meinem Interesse, dass Ian hier in Ruhe weiterleben kann.“
„Was habt ihr vor, Ian? Bleibt ihr bei uns?“ rief George zur Tür hinüber, als Ian zurückkam.
„Wir fahren raus zu den Bären.“
„Eigentlich fahren wir zum Camp der Wissenschaftler“, warf Nick ein, „aber da wir schon mal auf dem Weg sind, hoffe ich, noch einen Bären vor die Linse zu bekommen.“
Vor der Hütte standen wieder die zwei Frauen, die zuvor Nick in die Mangel genommen hatten, sie steckten die Köpfe zusammen und kicherten.
„Die dickere ist Dis, eine von Georges Töchtern“, sagte Ian und winkte zu ihnen hinüber, „er wollte mich mit ihr verheiraten, aber Dis hat damit gedroht, sich vor den nächsten Eisbären zu werfen, falls er sie dazu zwingen sollte. Sie meinte es ernst. George hat’s dann zum Glück aufgegeben.“
Nick sah zu dem kräftigen Mädchen hinüber, die ihre Freundin etwas zuflüsterte, worauf die Beiden vor lauter Lachen in Tränen ausbrachen und sich nicht mehr halten konnten. Sie machte keinen dummen Eindruck und wenn sie auch nicht gerade die klassische Schönheit war, mochte sie eine gute Partie sein. Als Tochter des Clanchefs.
„Wieso wollte sie dich nicht?“ rief Nick. Sie saßen schon wieder auf dem Motorschlitten, sausten über einen schneebedeckten Trampelpfad, dem Equivalent einer Straße für Alaskaverhältnisse.
„Sie sagte, ich sei ihr nicht kräftig genug.“
Reining fürchtete, dass das nette Mädchen statt Popband-Poster Fotos von Sumoringern an den Wänden ihres Zimmers hatte.
Das unglaubliche blau des Morgens war verschwunden. Das Eis war farblos und der Himmel zeigte ein stahlgrau, das Nick noch mehr frösteln ließ. Ian gab sich unbeeindruckt von der schrecklichen Farbe, er meinte nur, dass bestimmte Wolken schlimmer seien, sie würden einen aufziehenden Sturm ankündigen und dann könnten sie für Stunden oder Tage festsitzen, aber noch habe er solche Wolkengebilde nicht ausgemacht. Die Container schienen eine Fata Morgana in der Schneewüste zu sein, aber sie wurden immer realer, je mehr sie sich ihnen näherten. Über den Dächern waren kleine Windräder und Antennen angebracht, die sich im Wind tapfer hielten, eine Satellitenschüssel war ins Nichts ausgerichtet. Wo bei den Tlingits Jung und Alt zusammengeströmt war, um den Besuch zu begrüßen, ließ sich hier bei den Forschern niemand blicken. Nicht einmal ein Hund bellte.
„Denk nicht, die wären so beschäftigt, dass sie keine Zeit hätten, nachzusehen, wer da angekommen ist“, sagte Ian, „die wollen nur nicht raus aus ihrer geheizten Bude.“
Nick Reining hatte volles Verständnis dafür, er ließ Ian den Vortritt, an die Tür des ersten Containers zu klopfen und dann einfach einzutreten.
Irgendwo ratterte ein Generator und aus den anderen angrenzenden Räumen drangen Stimmen zu ihnen hinüber, aber es klang nicht so, als habe jemand von den Bewohnern bemerkt, dass sie Schnee ins gute Heim schleppten. Ian kannte sich aus in diesem verwinkelten Labyrinth, er folgte dem engen Gang, durchquerte einige verlassene Räume, drehte sich grinsend zu Nick herum und sagte: „Jedes Mal denke ich, dieses Ding ist von innen größer als es von außen aussieht, komisch, was?“
„Genau das hab ich auch gerade gedacht.“
Vor einer Tür, auf der PRIVAT stand und auf der Tierklebebilder in Kinderaugenhöhe klebten, blieb Ian stehen, klopfte wieder an und horchte. Die Tür wurde von innen geöffnet, von einem Mann, der einen Kaffeebecher am Henkel trug, auf der Tasse war eine tanzende Kaffeebohne abgebildet, während über dem Rand das Papierschildchen eines Teebeutels hing.
„Hallo, Ian“, sagte der Mann. Er hatte langes blondes Haar und eine beginnende Glatze, das ließ ihn wie einen Hippie aussehen, einen Hippie, der übertrieben weit vom Weg abgekommen war. Er versuchte ein freundliches Gesicht zu machen, aber das gelang ihm nicht, seine Miene blieb hart und das Resultat war, dass Ian in Lethargie fiel, kam aufsah und nur noch murmelte.
„Ich hab Agent Reining vom FBI hergebracht“, sagte er.
„Oh, hallo“, antwortete der Hippie, „ich bin Ramsey Ault. Was kann ich für sie tun?“
Unauffällig machte Ian ein paar Schritte zurück, um Nick den Vortritt zu lassen und sein Anliegen erklären zu können. In der warmen zirkulierenden Luft, die durch die Gänge und Räume der Container gepustet wurde, begann Ians Schädel zu brummen, der Kater meldete sich zurück und kratzte mit scharfen Krallen an der Tür. Er reagierte erst beim zweiten Mal, als Hippie Ault ihn ansprach und wissen wollte, ob nicht endlich die Lieferung von der University Fairbanks angekommen sei.
„Die Kiste hab ich draußen auf dem Schlitten.“
„Wie lange steht die schon bei euch in dem Lager herum?“
„Nicht lange“, erwiderte Ian müde, ließ damit offen, ob er die Kiste absichtlich stehengelassen oder nur einfach vergessen hatte. Er sah Ramsey Ault entgegen, als würde er eine Wand ansehen, wartete auf irgendwas oder hatte vielleicht auch nur wieder abgeschaltet. Nick bemühte sich diese Wandlung zu ignorieren, konnte es aber kaum ertragen, als Ault wirklich ungemütlich wurde.
„Wir warten auf das Gerät schon seit Wochen, Ian, das weißt du. Du wirst dafür bezahlt, Herrgott noch mal, dass du uns die Geräte sofort herbringst und jetzt tauchst du hier auf und erzählst mir, dass die Kiste noch nicht lange im Hafen herumsteht?“
Er hielt noch immer die Tasse in der Hand, hatte aber alles freundlich hippiemäßige abgelegt. Ian machte dicht. Sollte Ault auf eine Entschuldigung auf den Knien warten, musste er Ausdauer mitbringen – die würde er von Ian nie zu hören bekommen, egal, welche Vorwürfe er ihm noch an den Kopf warf.
Nick sagte, Ian sollte die Kiste endlich reinbringen und er würde seine Fragen loswerden, für etwas anderes habe er auch keine Zeit. Ian drehte ab und verschwand nach draußen, wobei die Sache für Ault noch nicht vorbei war, er stellte die Tasse weg, stemmte die Hände an die Wand und sagte im vertraulichen Ton: „Wenn man dem nicht ab und zu in den Hintern tritt, passiert gar nichts. Ich kann nicht verstehen, wie ein erwachsener Mann so verdammt wenig aus seinem Leben machen kann. Ein totaler Versager. Für solche Menschen hab ich kein Verständnis.“
Darauf hätte Nick Reining fast das Passende geantwortet, aber er machte nur eine scheinbar zustimmende Geste und ließ es darauf beruhen. Ian schleppte die Kiste herein, stellte sie an der Tür ab und verschwand wieder, ohne jemanden anzusehen.
„Was machen sie hier eigentlich? Was untersuchen sie?“
Ault vergaß seinen Ärger über Ian und erzählte so begeistert von dem wissenschaftlichen Projekt, dass er gar kein Ende finden konnte. Das einzige, was Reining mit Sicherheit verstand war, dass sie in den verschiedenen Eisschichten und im Permafrostboden irgendwie die CO2-Werte messen und damit dann Rückschlüsse auf die Klimaerwärmung ziehen konnten. Nick Reining wollte in dieses Thema nicht tiefer eingeführt werden, es reichte ihm, dass er einen Teil der technischen Analysegeräte und Computerprogramme erklärt bekam. Bei dem Gang durch das Labor kam ihnen Jimmy Myers unter die Füße gelaufen, der seinem ferngesteuerten Rennwagen hinterher flitzte, dabei weder nach rechts noch nach links sah. Bevor Ault ihn packen konnte, war er zur offenen Tür hinaus und verschwunden, nur noch das elektrische Surren des Rennwagens war zu hören.
„Wäre es möglich, mit den anderen Bewohnern kurz zu sprechen? Es wird nicht lange dauern.“
Sie sind ja alle so beschäftigt, dachte Nick, so furchtbar beschäftigt, dass gerade noch die Zeit bleibt, eine Tasse Lindenblütentee durch die Gegend zu tragen.
Er hatte sein Notizbuch dabei, aber alles, was er hineinschrieb, war vollkommen unwichtig und würde sie nicht weiterbringen, die einzige Begründung für diese Interviews war, dass er sich nicht vorwerfen lassen wollte, nicht alle Einwohner befragt zu haben. Ein Paar nutzte die Befragung durch das FBI offenbar, um einem persönlichen Streit aus dem Weg zu gehen, sie saßen zusammen, aber sie hatten keinen Blick füreinander und sprachen beide in kurzen kühlen Sätzen, ohne ein lockeres Lächeln. Nick Reining bedankte sich nur und entschuldigte sich noch mal für die gestohlene Zeit, klappte das Notizbuch zu und tat so, als seien es furchtbar wichtige Informationen, die er gesammelt hatte. Beim Verlassen des Containers, zurück in der eisigen Luft, rief Nick: „Was ich da drin gerochen habe, war das Lagerkoller?“
„Mit Sicherheit, aber wenn du die klugen Köpfe da drin fragen würdest, die würden es abstreiten. Und ich bin verdammt froh, dass wir weg sind, bevor sie merken, dass das Teil auf dem Transport zu Bruch gegangen ist, worauf sie so lange gewartet haben.“ Ian zog sich die Wollmütze über die Ohren. Seien gute Laune kam nur sehr langsam zurück, wie eine große alte Schildkröte brauchte sie ihre Zeit, um an die Oberfläche des Meeres zu kommen. Nicks Herzklopfen begann bei dem Schild, das vor Polarbären warnte und Motorschlitten untersagte und vielleicht stieg sein Puls nur, weil Ian unbekümmert das Schild passierte und einfach weiter fuhr. Er hatte geglaubt, das weite Eis sei leicht überschaubar und es gäbe keine Überraschungen, aber schnell sah er die Bruchstücke und Kanten von meterdickem Eis, um das sie herumfahren mussten und hoffte nur noch, dass sich dahinter nicht gerade ein Eisbär an den Füßen spielte und nur darauf wartete, dass ein motorisiertes Fresspaket vorbeikam.
„Was fressen die hier draußen eigentlich?“
„Hauptsächlich Robben. Sie warten an den Luftlöchern in der Eisdecke weiter draußen und wenn ihnen das nicht reicht, kommen sie auf einen Snack auf die Mülldeponie. Ich hab einen schon ’ne Autobatterie fressen sehen.“
Die Fotos, die Nick schließlich schießen konnte, würden ihn furchtbar enttäuschen, denn er hatte sie alle verzittert und auf dem einen, was Ian von ihm machte, mit einem desinteressiert schnüffelnden Bären ganz ganz weit im Hintergrund, machte er ein so panisches Gesicht, dass er es niemandem zeigen mochte.
Das Fotografieren selbst jedoch war eine aufregende und einmalige Sache, die er nicht mehr vergessen würde. Der gelblich-graue Bär, den Ian am Horizont ausgemacht hatte, schien schon viel zu nahe zu sein und Nick sträubte sich dagegen, Ians Vorschlag zu folgen und ein wenig näher zu fahren.
„Auf den Bildern wird nicht viel zu sehen sein“, sagte er und Nick erwiderte: „Das ist schon in Ordnung. Lass es uns mal nicht übertreiben.“
Die Strecke zurück musste Ian langsam fahren, weil es schon wieder dunkel wurde, das herrliche blau und die Polarlichter kehrten zurück und sie hatten Zeit, sich über Dinge zu unterhalten, die nicht zur Sprache gekommen wären, wenn sie nicht allein unterwegs gewesen wären. Nick fragte, wie Carla hier gelandet war und erfuhr, dass sie ihre erste Stellung als Lehrerin in San Francisco begonnen hatte, dort aber alles schief gelaufen war. Sie hatte Kredite aufgenommen, um sich eine Wohnung und ein Auto leisten zu können und war nach wenigen Monaten gekündigt worden. Man hatte ihr gesagt, sie sei noch zu grün für die Stelle, sie habe die Kinder nicht unter Kontrolle gehabt und sie sei dem Druck noch nicht gewachsen. Sie saß plötzlich ohne Job da, kam mit den Ratenzahlungen in Verzug, verkaufte das Auto und zog in eine Absteige und kellnerte, um sich über Wasser zu halten. Als ihr dann ein Kunde ein Angebot machte, nahm sie es an, weil sie weder ein noch aus wusste.
Noch etwas, was Bragas nicht erfahren sollte, dachte Nick.
„Sie hat für den Kerl in einem Begleitservice gearbeitet“, sagte Ian, „über ein Jahr lang, bis sie die Kredite abbezahlt hatte. Noch am gleichen Tag hat sie ihre Koffer gepackt und ist in den erstbesten Bus gestiegen, um von ihm wegzukommen. Danach kamen zwei Monate Bewerbungsschreiben und noch immer kein Job in Aussicht. Dann hat sie eine Anzeige gelegen, in der eine Schule in Fairbanks eine Lehrkraft suchte und sie ist für ein Vorstellungsgespräch hingefahren. Frag mich nicht, wie lange sie unterwegs gewesen ist, jedenfalls kommt sie hin und der Job ist weg. Der Frau in dem Schulbüro muss das sehr peinlich gewesen sein, Carla hat in dem Büro gesessen, abgehetzt, verlottert und verzweifelt, und nur noch geheult wie ein Baby.“
Die Sekretärin hatte beteuert, man habe versucht, sie zu erreichen und es täte ihr sehr leid. Als Carla sich nicht beruhigte und sagte, es sei ihre letzte Chance gewesen und sie habe das letzte Geld für die Busreise ausgegeben, warf sie einen Blick in ihre Unterlagen und sagte, es gäbe noch eine freie Stelle als Lehrerin etwas weiter nördlich.
„Ich dachte, das hier ist schon weiter nördlich“, hatte Carla geantwortet.
Sie war die einzige Bewerberin für die Schule in Point Hope und dazu hatte sie noch eine schriftliche Empfehlung aus dem Schulbüro in Fairbanks und so hatte sie den Job bekommen. Am Anfang wollten sie ihr einen Jahresvertrag geben, der dann immer wieder verlängert werden sollte, weil es in Point Hope niemand lange aushielt, aber schon nach vier Monaten hatte sie einen unbefristeten Vertrag unterschrieben. Niemand wusste etwas von dem Jahr in der Agentur und das würde auch so bleiben.
„Hier hat jeder seine kleinen Geheimnisse, selbst, wenn er hier geboren ist wie Albie“, sagte Ian.
„Was hat Albie für ein Geheimnis?“
„Das ist sein Geheimnis“, schrie Ian über seine Schulter zurück, „was hast du denn gedacht?“
Das Gelände veränderte sich nicht, Nick versuchte gar nicht erst, sich markante Punkte zu merken und war überrascht, wie urplötzlich die Häuser von Point Hope auftauchten, als er nach vorn an Ian vorbeiblinzelte. Der Wind ließ seine Augen tränen und endlich dachte er daran, die Sonnenbrille aufzusetzen, die die ganze Zeit nutzlos vor seiner Brust herumbaumelte. Mit einer Hand hielt er sich weiter an Ians Jacke fest, schob sich die Brille ins Gesicht und verdunkelte seine Sicht etwas. Das Weiß der Umgebung wurde etwas milchiger, die Silhouetten verschwommen und Nick Reining geriet ein wenig in Trance angesichts der Farben und der Weite des Landes. Er hing der Begegnung mit dem Eisbären nach, drehte den Kopf zurück, sah in den Himmel, bis ihm schwindelig wurde. Fast wäre er vom Skidoo gefallen, als er noch immer in den Himmel starrte und Ian einen Schlenker machte, um einem Hindernis auszuweichen. Nick geriet in Schräglage, packte nach Ians Schultern und zog sich wieder auf den Sitz. Erst, als er wieder richtig saß, hielt Ian an und wollte wissen, ob er eingeschlafen sei da hinten. Nick erwiderte, er fühle sich betrunken, aber das sei vollkommen in Ordnung.
 
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Kommentare  

Und wie immer bilden bei dir viele kleine Erlebnisse ein großes Ganzes. Besonders gefallen haben mir dabei Bragas Annäherungsversuche an Carla und die beiden Japaner. Nick muss nun doch Gregory Bragas ein wenig über die Vergangenheit Ians aufklären, doch wird der Ruhe geben, werden ihm diese knappen Informationen genügen?

doska (16.05.2009)

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