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Es begann mit einem Damenbart

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
© Sinnfrei
Kaum habe ich mich meiner Socken entledigt, die Lampe ausgeknipst, mich mit dem gewohnten Seufzer der Erleichterung in mein Bett gelegt, mich in die korrekte Einschlaflage gebracht und die Augen geschlossen, da höre ich plötzlich dieses penetrante Piepen. Dieses unverkennbare, unerträgliche, nervtötende, hohe Geräusch. Die gewohnte Handbewegung, untermalt von einem verschlafenen Murren, in Richtung Wecker, dann der zielstrebige Schlag auf den Knopf, der die Erlösung verheissen sollte.
Wieder einer dieser Morgen, an deinen ich mich nicht daran erinnern kann, geschlafen zu haben. Ich schiebe die Decke zur Seite, richte mich langsam auf, so wie es mir mein Gynäkologe aufgrund des zu tiefen Blutdrucks geraten hat. Mehr Zombie als Mensch torkle ich zum Bad, am andern Ende meiner 3 ½-Zimmerwohnung. Wieso musste ich Idiotin das Schlafzimmer auch am andern Ende einrichten? Der Weg mutiert förmlich zu einem Erlebnisparcours: Dort die nicht aufgeräumten Schallplatten von gestern, daneben das offene Buch „Die neuen Leiden des jungen W.“,- Scheissfassung - ,......... oh Gott, und dort hab ich die Sauerei der umgekippten Kerze auch noch nicht geputzt! Und heut juckts mich wieder am Bart, Mensch! ........Halt mal..............- sagte ich gerade „Bart“? Nein, das kann nicht sein.......
Ein überprüfendes Gleiten unter meine Nase gibt mir die erschreckende Antwort: Ich habe einen Damenbart gekriegt! Mein Schritt beschleunigt sich Richtung Bad. Hoffentlich sieht man’s noch nicht! Doch der Blick in den Spiegel offenbart mir mehr, als ich glauben kann. Mehr als ich sehen will. Nein, das darf nicht wahr sein! Was werden meine Freunde sagen?? Oh Gott, wie sieht denn das aus bei der Arbeit!! Nein, das ist unmöglich! Ich drehe den Kopf weg, atme tief durch – sicher nur so eine Art „Morgenhalluzination“ (der Damenbart übrigens auch!).......Hab ich schon erwähnt, dass mein Gesicht von allen als „weiblich“ bezeichnet wird? Könnte das daran liegen, dass ich weiblich bin??
Ein weiterer Blick Richtung Spiegel verschafft mir die Gewissheit: ich bin ein Mann! Aber so darf ich doch nicht vor die Tür! Was sollte ich auch anziehn?? ,......... und was mach ich jetzt bei der Arbeit?? Der Chef sagte, wenn ich das nächste mal unentschuldigt fehle, schmeisst er mich raus. – Ok, Kim, denk nach! Wie wäre es, wenn ich mich (in jetziger „Form“) zum Chef schicke, mit der Begründung, ich (als wahres „ich“) sei krank und würde mich (in jetziger „Form“) schicken? Ok, das mach ich!
Eilig, denn ich bin wie immer zu spät – wasche ich mich (so klein ist die Sache ja gar nicht geraten.....), geh auf die Toilette (ok, es ist „gewöhnungsbedürftig“) und zieh mich an (zum Glück bin ich selbst als Mann so gebaut, dass ich noch ideal in meine Klamotten passe).
Gestresst steige ich um mich blickend ins Auto. Hoffentlich sieht mich niemand aus meiner Tür kommen, sonst wird mir noch von Meyers ein Verhältnis mit mir angehängt!
Der Stau wie üblich, der Uhrzeiger rast wie immer. Die Einfahrt zur Agentur naht. Ich spure ein, stell mein Auto hin, steige aus und verschliesse das Auto. Als ich aufschaue, sehe ich Daniel, mein Freund, an die Wand gelehnt. Mein Herz rast. Oh Gott, was soll ich jetzt bloss tun? Er wird mich jetzt unmögliche erkennen! Diese Geschlechtsgeschichte wird er mir nicht glauben!! „Morgen Kim!“ Er kommt zu mir und küsst mich. „Schön, dass du doch noch kommst, hab schon auf dich gewartet“ Was hat er? Gewartet? Warum erkennt er mich?? „Stimmt was nicht?“ – „Doch doch, bestens.“ – „Du bist so schweigsam. War’s gestern beim Arzt nicht gut?“ Zum Teufel was für ein Arzt? Was sag ich denn jetzt?? „So wie immer, ich kriege noch Bescheid.......“ „Ja, das kennen wir ja von den Ärzten! Nachher um 10 im Café, ok?“ Welches Café? Mensch was ist denn bloss los? „Ja, ist in Ordnung.“, antworte ich. Daniel winkt mir noch, dann steigt er in sein Auto und fährt weg. Ich winke irritiert hinterher.........- Wo waren wir? Ach ja! Mein Gott, der Chef!
Schnell zum Eingang, durch den Korridor, 1. Etage links, die Glastür. Ich höre seine laute Stimme. Kein gutes Zeichen. Ich klopfe schnell und trete beschämt ein. Was soll ich denn dem jetzt sagen, wer ich bin?? ........ Zum Glück, er telefoniert noch, dann kann ich mir noch was ausdenken. ........... Sieht der mich an? Er ruft mich mit einer Handbewegung zu sich. Dann streckt er mir den Telefonhörer entgegen: „ Für Sie! Das mit der Verspätung klären wir nachher!“, meint er nachdrücklich. „Wer ist denn dran?“ – „Irgendein Dr. Hefti...“ Hefti? Ich nehme den Hörer entgegen „Ja, Kohnkultski am Apparat.....“ – „Hier Dr. Hefti, können Sie sich daran erinnern, gestern in meiner Praxis gewesen zu sein?“ – „Nein, warum sollte ich?“ – „Sie haben sich für eine Geschlechtsumwandlung angemeldet. Ich habe Ihnen dann einen Hormonzusatz mitgegeben, um ihren Körper auf den Eingriff vorzubereiten...“- „Ach haben Sie?“ – „Ja, nur mit dem Problem, dass ich ihnen das Falsche Medikament mitgegeben habe.......“ – „Warum? Was hat denn das für Auswirkungen??“ – „Vorübergehender Langzeit-Gedächtnisverlust, geistige Verwirrung, in einigen Fällen Anflüge von Persönlichkeitsspaltung, mein Herr!“
 
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Kommentare  

Ich musste direkt lachen und fand die kleine Geschichte lustig. Die Auswirkungen verschwinden ja wohl hoffentlich wieder.

Fan-Tasia (09.06.2009)

Hallo Sinnfrei!
Das ist dir auch geglückt. Ich mag deinen Schreibstil :)
@Jochen, so`ne mitfühlende Ader kenn ich bei dir gar nicht?


Petra (07.06.2009)

nun ja, mich amüsiert mehr diese kafkaeske ader, die dann durch den dreck gezogen wird....

Sinnfrei (07.06.2009)

Das ist ja ein ganz verblüffender Schluss, den du uns hier lieferst. Sehr zum Lachen war mir deshalb nicht. Mir tat der Typ leid. Aber vielleicht können sich andere mehr darüber amüsieren. Mir liegt heute ohnehin das graue Wetter irgendwie auf dem Gemüt.

Jochen (07.06.2009)

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