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13 Seiten

Rocking Chairs - Teil 8

Romane/Serien · Nachdenkliches
© Tintentod
8
Im Haus drehten sich alle Gespräche für den Rest des Tages nur um Carlos, der sehr erfolgreich den Clown spielte, Tennisbälle durch das Haus jagte, aus der Luft auffing und ein paar alberne Kunststücke vorführte. Rick hatte sich vor einer eisigen Atmosphäre gefürchtet und hätten sich seine Ahnungen bewahrheitet, wäre er aus dem Haus verschwunden. Nicht aus Blue Hill, das Handtuch hätte er nicht geworfen, aber er hätte in dem Haus nicht schlafen können. Vermutlich hätte er sonst die ganze Nacht geglaubt, er sei wieder in Ft. Lauderdale im Haus seiner Mutter.
Er überließ es Sophie, die Fragen zu beantworten, sie hatte sich neben ihn gesetzt, vermied es allerdings, ihn zu berühren oder ihn anzusehen. Rick stutzte über die Art, wie sie sich bewegte, wie sie sich setzte und wieder aufstand, sich eine Handvoll Süßes holte und es unauffällig aß – und er wusste, was Mascot gemeint hatte, als er sagte, er solle ihr die Frage stellen. Es schien so offensichtlich, dass er sich fragte, weshalb es ihm nicht sofort aufgefallen war.
Als es spät wurde, sich alle für die Nacht vorbereiteten, sagte Rick: „Kommst du noch mit auf eine Runde mit Carlos?“ und Sophie nickte. Sie zog ihren langen Wintermantel über, stopfte ihr Haar unter eine Wollmütze und nahm ihren Schlüssel vom Schlüsselbrett.
„Es schneit noch immer“, sagte sie, „zieh dir was über den Kopf.“
Rick zog die Kapuze des Sweaters aus dem Kragen der Jacke und sie machte ein resigniertes Gesicht.
Carlos lief knapp vor ihnen die Straße hin und her, die Nase am Boden, sprang über Schneehaufen und sah immer wieder zurück, ob die beiden ihm auch folgten. Nach den Tagen in der Klinik (alles hatte ihn an seine Zeit im Tierheim erinnert und das war schrecklich gewesen) war er ein wenig ängstlich, er könnte seine Leute aus den Augen verlieren.
„Sophie“, sagte Rick, „wenn es irgendeinen Grund gibt, dass du hier bleiben willst, ist das Okay für mich, dann bleibe ich auch hier. Oder in der Nähe. Wenn du einen Grund hast, nicht nach New York zurückzuwollen, ich meine…“ Er verfluchte sich, dass er sich nie so ausdrücken konnte, wie er wollte, die Worte waren klar in seinem Kopf, aber sie verdrehten sich, sobald sie versuchten, seinen Mund zu verlassen. Sie schienen dort irgendwo anzuecken, sich zu verdrehen und ihre Reihenfolge zu ändern. „… wenn ich nicht direkt der Grund bin, weshalb du nicht zurück willst.“
„Ich hab meinen Job verloren“, sagte sie.
„Du hast noch die Wohnung.“
„Die ist vermietet. Ich werde sie vermutlich verkaufen.“
„Du willst nicht zurück, weil du schwanger bist, stimmts?“ Es war die Frage, die er ihr stellen musste. Die ganze Zeit über hatte es in ihm genagt, wenn er auch jetzt noch nicht sicher war, ob er mit seiner Vermutung Recht hatte.
Rick hatte befürchtet, sie könnte entweder stehen bleiben oder davonlaufen und jede weitere Unterhaltung zunichtemachen, aber sie seufzte nur, gab dabei einen so theatralischen Ton von sich, dass er sie zweifelnd von der Seite ansah. Sie schlenderten weiter die Straße hinunter, umgeben von dicken Schneeflocken, dem milchigen Licht der Straßenbeleuchtung, den erhellten Fenstern der Nachbarshäuser. Irgendwo heulte die Alarmanlage eines Autos.
„Ich frage erst gar nicht, wie du das rausbekommen hast. Ich wollte es dir zuerst nicht sagen, nachdem du aufgetaucht bist, dann war es nie der richtige Zeitpunkt. Verdammt noch mal. Ich habe es erst auf den Stress geschoben, dass ich meine Periode nicht bekommen habe, aber ich war immer pünktlich und ich hatte immer Stress. Ich bin bis nach Portland gefahren, um einen Arzt aufzusuchen, der nicht in der Nähe wohnt und meine Mutter mit der guten Nachricht beglückwünscht, während die beiden im Supermarkt an der Kasse stehen. Herzlichen Glückwunsch, sie werden Mutter. Sie sind im dritten Monat. Mir wird schlecht, wenn ich nicht ständig etwas esse, ich habe schon jetzt das Gefühl, als hätte ich zwanzig Kilo zugenommen. Und das wirklich Schlimme ist, ich freue mich so wahnsinnig darüber und kann es meiner Familie nicht sagen.“
Sie blieb stehen, sah Rick an und gab wieder einen komischen Laut von sich. Carlos war einer interessanten Spur gefolgt, hob bei dem Geräusch den Kopf und kam zu den beiden zurück. Wenn sie umdrehten, wollte er den Moment nicht verpassen. Vielleicht durfte er auch wieder ein paar Bälle fangen, die der Chef ihm aus Schnee knetete. Aber die beiden schienen mit sich selbst beschäftigt und beachteten ihn nicht. Er setzte sich neben sie und wartete.
„Ich werde meiner Familie nicht sagen, dass ich schwanger bin und mein Kind allein großziehen werde, weil du nicht in der Lage bist, dein Leben zu ändern und endlich erwachsen zu werden. Ich kann mit dir nicht zusammenleben, wenn du alle aufgestellten Regeln und Vereinbarungen nach deinen Bedürfnissen abänderst und übergehst. Verstehst du das? Das funktioniert, wenn man zu zweit ist, aber das funktioniert nicht, wenn du die Verantwortung für ein Kind übernimmst. Kannst du das, Rick? Kannst du alles hinter dir abbrechen und die Verantwortung für die nächsten zwanzig Jahre tragen?“
Sie kramte aus ihrer Manteltasche ein Taschentuch hervor, putzte sich geräuschvoll die Nase, aber sie konnte das Weinen nicht aufhalten.
Kannst du, hatte sie gefragt, nicht willst du. Sie wusste, dass er schon sehr vieles gewollt und dann doch versagt hatte.
Rick hatte seltsamerweise vor Augen, wie er mit Hollis am Strand die Waffe ins Meer geworfen hatte, in der Hoffnung, sie würde nie wieder auftauchen und aus ihrem Leben verschwunden sein. Könnte er sein altes Leben ebenso einfach wegwerfen, würde er es sofort tun. Aber das war etwas anderes als eine lästige Waffe loszuwerden, mit den Drogen oder mit dem Rauchen aufzuhören – zu viele Dinge, die er nicht beeinflussen konnte.
„Lässt du mich es versuchen?“ fragte er. Er wusste, wenn er jetzt etwas Falsches sagte, würde es alles zerstören.
„Ich frag dich nicht, was ich machen oder lassen soll, lass es mich einfach versuchen. Ich habe mit José telefoniert und er gibt mir zwei Monate. Lass mich zwei Monate hierbleiben und dann wissen wir beide, ob ich es kann oder nicht.“
Ein anderes Gespenst tauchte auf, die Erinnerung an die geflüsterten Worte „Abschaum wie du sollte sich nicht weiter vermehren“ und die Obsession seiner Mutter, er habe alles Schlechte nur von seinem Großvater geerbt, dem alten Duane McGuire. Was, wenn er alles Schlechte, was er war, was er getan hatte, was er noch tun würde, an seine Kinder weitergab?
Mascot flüsterte wie aus einer herunterrieselnden Schneeflocke: Sag dir einfach, das Kind wird mehr nach der Mutter kommen. Du hast eine ganze Ladung in sie hineingeschossen, vermutlich durch ein löchriges Kondom hindurch, ohne es gemerkt zu haben, aber nur ein einziger Kamerad hat sich durch ihre Eizelle gebohrt. Vom Größenverhältnis her hat sie schon gewonnen.
„Nach allem, was ich von José weiß und es niemals zugeben werde, was ich alles weiß, wird er dich nicht gehen lassen.“ Ihre Stimme war belegt, sie schluckte die letzten Tränen hinunter, putzte sich ein letztes Mal die Nase.
„Du beantwortest meine Frage und ich kümmere mich um die Sache mit José.“
Sie drehte sich zum Rückweg um, hakte sich mit ihrem linken Arm bei ihm unter und dachte: Mom hat immer gesagt, achte darauf, wer von euch beiden auf welcher Seite geht. Die rechte Seite übernimmt immer die Führung. Die Männer mögen meinen, sie haben das Sagen, aber wenn du auf der rechten Seite gehst, hast du die Hosen an.
„Okay“, sagte sie, „ich will sehen, wie du dich schlägst. Du bekommst deine Chance.“
Er packte sie bei der Taille, hob sie ein Stück von den Füßen und setzte sie vorsichtig wieder ab, hielt sie einen Moment fest und flüsterte, dass er allerdings eine Bedingung stellte.
„Ich schlaf nicht im Gästezimmer“, sagte er, „so was machen richtige Kerle nicht.“

Rick schaffte sich seinen Tagesablauf, der sich um einiges von dem der anderen Familienmitglieder unterschied, weil er viele Dinge, die anderen wichtig waren, einfach ignorierte. Er stand früh auf, um mit Sophie und der Familie zu frühstücken, hatte aber nur einen schwarzen Kaffee und eine Zigarette vor der Tür und zog dann mit Carlos los, um den Strand abzuklappern oder sich in Blue Hill umzusehen. Durch eine alte College-Freundin bekam Sophie den Auftrag, sich für die Lokalzeitung ein paar Werbeanzeigen einfallen zu lassen und arbeitete entweder in der kleinen Redaktion oder von zu Hause. Die Arbeit war nur ehrenamtlich, aber sie machte ihr Spaß. Das Leben im Haus ihrer Eltern, das Leben mit ihren Eltern und ihrer Schwester war angenehm, aber sie merkte immer mehr, dass sie in New York in einer völlig anderen Welt gelebt hatte. Die Unterschiede waren ihr nie so klar gewesen. Dort hatte sie Dinge getan, an die sie in ihrem Elternhaus nicht einmal zu denken wagte und dabei war der Sex am frühen Morgen mit Rick nicht einmal inbegriffen. Sie spielte mit dem Gedanken, wusste aber, dass es ihre Eltern fürchterlich beleidigen würde, sich ein Apartment in der Nähe zu suchen.
Ab und zu versuchte sie herauszufinden, was Rick den ganzen Tag machte, wenn er unterwegs war, aber wenn sie ihn direkt fragte, sagte er nur, er sei mit Carlos am Strand gewesen. Gelegentlich fuhr er mit Martha zum Einkaufen und half beim Ein-und Ausladen. Jedenfalls beruhigte es sie, dass er weder stoned noch betrunken nach Hause kam.
Rick konnte am besten nachdenken, wenn er in Bewegung war und deshalb war er ständig in Blue Hill unterwegs. Carlos war aus Gewohnheit immer an seiner Seite, selbst bei dem schlechten Wetter und sie wärmten sich an ihren neuen Stützpunkten auf, die sie in Blue Hill und über die Stadtgrenze hinaus angelegt hatten. Wall Marts, Bars, Tankstellen, die Münzwäscherei, zwei Autoreparaturwerkstätten, in denen Rick nach einem Aushilfsjob gefragt hatte, ein Schallplattenladen, ein Friseursalon.
Er konnte keinen festen Plan machen, um zu beweisen, dass er sich ändern konnte, er musste sein ganzes Verhalten verändern, ohne dass Sophie ihm vorwerfen konnte, er habe sich in einen stereotypen Zombie verwandelt. Nach einigen Tagen hatte er keinen Plan, aber die grobe Richtung, in die er gehen wollte. Er versuchte, sich eine Landkarte vorzustellen, auf der er eine Richtung angegeben hatte und diese grobe Richtung war festgesteckt mit einzelnen großen und kleinen Zielen, die er erreichen musste. Am Ende der Karte, am Ende der drei Monate, stand: Ein neuer Rick Scanlon. Vermutlich noch immer in alten Jeans und verwaschenen Sweatern und einer Menge böser und übler Erinnerungen, aber ein vollkommen neuer Kerl, der es mit allen freiwilligen Feuerwehrmännern aus Blue Hill aufnehmen konnte.
Landmarke eins: Einen Job finden.
Landmarke zwei: Mit Zigaretten und Dope aufhören.
Landmarke zweieinhalb: Mit dem Trinken aufhören hatte er wieder gestrichen, weil Landmarke zwei schon ein zu großes Ding war, was er stemmen musste. Er hatte lange überlegt, was von beiden er anvisieren sollte und sich für das Rauchen entschieden. Es konnte nicht gesund sein, weder für ihn noch für das Kind. Zwar mochte er auch betrunken einen schlafenden Säugling fallen lassen, aber da würde hoffentlich sein gesunder Menschenverstand vorher Alarm schlagen.
Landmarke drei: Keine krummen Dinger mehr drehen.
Und erst nach einigen Tagen, als er sich mit seiner persönlichen Landkarte so beschäftigt hatte, wurde ihm klar, dass es das war, was zwei Personen von ihm seit Jahren verlangten und es nie geschafft hatten, und beide nicht den blassesten Schimmer davon hatten.

Sophie war bei der Zeitung, Candy in der Schule und Sidney noch bei der Arbeit, Martha war vom Einkaufen zurück und fuhrwerkte in der Küche herum, wie sie es meistens tat, obwohl sie selten kochte. Rick hatte keine Ahnung, was sie dort die ganze Zeit machte, denn meistens kochten Candy und Sophie für die gemeinsame Mahlzeit am Abend.
„Martha“, rief er in die Küche, stand halb im Eingangsbereich und fluchte halblaut, weil er sich mit Carlos gerauft hatte und der Hund kein Ende fand – er hatte sich in seinen Schuh verbissen und zerrte an seinem ausgestreckten Bein, dass es aussah, als habe er spastische Zuckungen.
„Kann ich schnell nach New York telefonieren?“
„Du kannst dir dabei auch Zeit lassen“, rief sie zurück.
Er griff sich das Telefon aus der Ladestation, ließ sich auf das Sofa fallen und lenkte Carlos mit einem Hundekuchen ab, den er quer durch das Wohnzimmer warf. Doms Büronummer tippte er wie im Traum ein, ohne Recht zu wissen, was genau und wie viel von dem er ihm eigentlich erzählen wollte. Es stand für ihn fest, dass er Dom und nicht seinen Bruder Curtis zuerst anrief. Curtis war zwar Familie, aber wenn er die Neuigkeiten ihm zuerst erzählte, wusste es viel zu schnell auch der Rest der Bande.
„Hi“, sagte er, „kann ich Dom sprechen?“ Der rothaarige Vorzimmerdrachen hätte seine Stimmer erkannt und Dom vorgewarnt, wer ihn da sprechen wollte, aber die weibliche Stimme an Ricks Ohr war jünger und sprach mit einem asiatischen Akzent. Es hörte sich niedlich an. Er wurde weiterverbunden, es knackte in der Leitung und Dom meldete sich mit einem Abwesenden „Ja?“
„Hi“, sagte Rick, „ich bin’s.“
„Wo steckst du?“ erwiderte Dom fast nebensächlich, dabei war das immer die erste Frage, wo er war und in welcher prekären Situation er mal wieder steckte.
„Ist gar nicht so wichtig, wo ich bin“, sagte Rick, „bei dir alles in Ordnung?“
„Oh, sicher, nachdem du mal wieder mitten in einem Auftrag verschwunden bist?“
„Ich musste schnell weg.“
Dom lachte kurz ins Telefon und erwiderte: „Komm schon, raus mit der Sprache. Wo steckst du? Hast du Ärger?“
Natürlich hatte er Ärger, nur eine andere Sorte von Ärger, als Dom erwartete. Rick grinste die ganze Zeit, weil er sich Doms Gesicht vorstellte, wenn er langsam mit der Sprache rausrückte und Dom begriff, was los war. Nein, diesmal musste er ihn nicht aus irgendeiner Scheiße rauspauken, er musste ihm kein Geld leihen, weil er seine Schulden bei unangenehmen Leuten nicht bezahlen konnte.
„Keinen Ärger, bei dem du mir helfen könntest. Ich wollte mich nur melden, damit du weißt, was los ist. Ich komme in nächster Zeit nicht zurück.“ Er wartete eine Sekunde und fügte schnell hinzu: „Ich bin nicht im Knast, wenn du das denkst.“
„Jetzt bin ich wirklich gespannt, was du mir zu erzählen hast.“ Dom rückte geräuschvoll etwas auf seinem Schreibtisch von rechts nach links, murmelte abwesend vor sich hin und sagte lauter: „Warst du mit Hollis unterwegs? Ich hab gehört, dass ihr beiden verschwunden seid, aber Hollis habe ich gestern gesehen. Er ist vor mir davongelaufen, als hätte er etwas ausgefressen.“
„Keine Ahnung, weshalb er dir nicht begegnen wollte. Vielleicht wusste er nicht, wie er dir hätte sagen sollen, dass ich bei Sophie in Maine bin.“
„Ein Winterurlaub ist zumindest einmal etwas anderes. Du hättest mir nur vorher bescheid sagen können, dann hätte ich mich rechtzeitig nach einem Ersatz für dich umgesehen.“
Deshalb explodiert er nicht, dachte Rick, er hat jemanden gefunden, der die kleinen dummen Aufträge für ihn erledigt.
Er grinste noch immer, selbst bei dem Gedanken an einen Winterurlaub. Er wusste nicht wirklich, was er darunter verstehen sollte. Skifahren? Dom würde kaum von ihm denken, dass er sich schmale Holzlatten unter die Füße schnallte und einen Berg runtersauste.
„Gut, wenn du mich im Moment nicht brauchst. Ich meld mich dann einfach wieder, wenn…“
„Sag mir endlich, weshalb du anrufst.“
Rick fühlte es erneut, dieses Kribbeln und Sausen in seinem Kopf, als er begriffen hatte, dass Sophie schwanger war. Von ihm schwanger war. Sie beide ein Kind erwarteten. Sie eine Familie sein würden. Wenn alles gut lief. Mochte passieren, dass sie in einem Trailerpark endeten, doch wieder von krummen Geschäften lebten und ihre Kinder ebenfalls als Abschaum auf der Straße landen würden. Etwas, was Laurenson ihm vorhergesagt hätte, wenn er noch auf den Straßen der Bowery unterwegs gewesen wäre.
Wir kommen schon zurecht, dachte er, wenn ich es auf die Reihe bringe, kommen wir schon zurecht.
Er konnte nicht sagen, wie lange er seinen Gedanken nachgehangen hatte, Dom riss ihn in die Gegenwart zurück mit einem ungeduldigen: „Rick? Ich will jetzt wissen, was wirklich los ist. Du verschwindest doch nicht mit Sophie in einen absonderlichen Winterurlaub, wo du dir eine gute Zeit in Atlantic City machen könntest. Ich hab schon gedacht, dich hätte es mal wieder nach New Mexico verschlagen bei dem Wetter hier, also jetzt raus damit. Bevor ich richtig wütend werde.“
Könnte sich lohnen, ihn noch ein letztes Mal richtig wütend werden zu lassen, dachte Rick, wenn ich so schnell nicht wieder nach New York kommen werde.
Aber das schien nicht vereinbar mit seinem neuen Ich, das er zu entwickeln versuchte. Mascot hätte sich bepisst vor Lachen, wenn er diese Aktion mitbekommen hätte.
„Sophie hat sich was einfallen lassen, um mich umzukrempeln“, sagte er, legte die Hand zwischen Mund und Muschel des Telefonhörers, damit Martha in der Küche, sollte sie lange Ohren machen, von diesen Neuigkeiten nichts mitbekam, „wir haben es noch keinem erzählt, du bist der Erste, den ich anrufe. Und ich komm persönlich bei dir vorbei und reiß dir die Haare an deiner empfindlichsten Stelle raus, wenn du es Curtis erzählst, bevor ich ihn anrufen kann.“
„Was hat sie…“ begann Dom und Rick legte auf. Er hatte selbst oft genug von Doms Bürotelefon aus durch die Gegend telefoniert und wusste, dass er die Telefonnummern von seinem Apparat wieder anwählen konnte.
Es dauerte keine zehn Sekunden und das Telefon klingelte.
„Da hat mich jemand aus der Leitung geworfen“, sagte Dom launig, „soll ich meine Frage wiederholen oder weißt du sie noch?“
„Ich wollte nur, dass du zurückrufst, damit das Telefonat über deine Rechnung läuft. Deine Frage? Wie soll ich es sagen, sie hat mich am Wickel. Wir haben wohl in einem unbedachten Moment nicht aufgepasst und das Schicksal hat zugeschlagen. Sollte ich unbewusst versucht haben, meine Spermien mit den ganzen Drogen an ihrer Bewegungsfreude zu hindern, ist es mir scheinbar nicht gelungen.“
Dom brauchte zwei Atemzüge, bis er begriffen hatte, was Rick damit sagen wollte. Und er reagierte genau so, wie Rick es von ihm erwartet hatte.
„Wenn das ein Scherz sein soll, Rick, habe ich lange genug darüber gelacht, während ich die Rückruftaste gedrückt habe. Erzähl mir lieber, du hast mal wieder Bockmist gebaut. Erzähl mir, dass du den Schrottplatz wiedereröffnest, diesmal richtig mit allem Pomp, mit Luftballons und bunten Flatterbändern und Süßigkeiten für die Kinder. Darüber kann ich dann wirklich lachen.“
Rick machte ein unbestimmbares Geräusch und wartete. Er drehte sich prüfend zu Martha um, aber die schien sich aus der Küche nicht herausbewegt zu haben.
„Es ist kein Scherz? Sophie ist schwanger? Das habt ihr doch nicht… ich meine, ihr habt das doch nicht etwa geplant, oder?“
Genau diese dumme Frage hatte Rick erwartet – als wenn er jemals wirklich gute Dinge in seinem Leben geplant hätte – geschweige denn, sich auch nur Gedanken darüber gemacht hätte, Kinder in die Welt zu setzen.
„Das ist eine der Fragen, die du dir selbst beantworten kannst. Und ich beantworte auch direkt deine Nächste: Ja, natürlich.“
Freut ihr euch darüber, hatte Dom fragen wollen, die Antwort auf diese Frage schien noch wichtiger zu sein als die Erste. Rick würde alles daran setzen, aus dieser Situation das Beste zu machen, wenn er wusste, wofür er es tat. Wenn er mit seiner Seele dabei war. Er kannte ihn lange genug, und wenn Rick auch immer für Überraschungen gut war, er zog Dinge durch, die er für richtig hielt.
„Verdammt, ich freu mich für euch. Wenn du hier wärst, würde ich dir einen ausgeben. Sagst du Sophie liebe Grüße von mir? Ich hoffe, sie hat nicht die üblichen Beschwerden.“
„Sie stopft sich den ganzen Tag Süßes rein, die einzige Beschwerde, die sie haben wird, sind zwanzig Kilo zusätzlich auf den Hüften.“
Martha rief ihm etwas aus der Küche zu, er drückte den Telefonhörer gegen seine Brust und rief: „Ich häng noch am Telefon!“
Bevor Dom noch mehr sehr persönliche Fragen stellen konnte, fragte Rick, wer seinen Job, der gar kein richtiger Job gewesen war, bekommen hatte. Er kannte den Namen nicht, es musste einer der Büroangestellten sein.
„Werauchimmer“, sagte Rick, „bin gespannt, wie lange er es mit dir ungnädigem Furz aushält.“
Wieder drückte er sich den Hörer an die Brust, um Doms Antwort nicht zu hören, grinste in sich hinein und legte auf.
Martha sagte, als er in der Küche erschien: „Entschuldige, dass ich dein Telefonat gestört habe.“
„War nichts Wichtiges. Was gibt’s?“
Sophies Mutter hatte sich noch nicht wirklich an seinen Umgangston gewöhnt, aber sie sagte nichts deswegen. Sie nahm einfach an, dass es kaum möglich sein würde, ihn zu ändern, aber sie tat sich schwer, sich daran zu gewöhnen.
„Hast du Zeit, mir ein wenig zur Hand zu gehen? Eigentlich sollte Sidney mir helfen, aber er hat es wohl mal wieder vergessen. Er wird heute Abend nach Hause kommen und vorgeben, es vergessen zu haben. Und dann wird es ihm sehr leidtun, aber ich weiß genau, dass er es nur vorgibt.“
Rick machte eine kleine Bewegung in ihre Richtung, als wolle er sagen, ich stehe dir ganz zur Verfügung. Er dachte noch immer an das Telefonat mit Dom und ob er Curtis sofort anrufen sollte, bevor Dom es doch tat, weil er diese Art von Neuigkeit nicht für sich behalten konnte. Es war Monate her, dass er mit Curtis gesprochen hatte.
Martha klopfte ihm mit einer weichen Hand auf den Unterarm. Es war eine so mütterliche Geste, dass Rick sie eine Sekunde lang als sehr unangenehm empfand, weil er es nicht zuordnen konnte. Dann begriff er, dass es etwas vollkommen Normales war. So, wie eine Mutter zu ihrem Kind sein sollte.
„So, junger Mann“, sagte sie munter, „hol dir aus dem Mud Room die Trittleiter und dann fangen wir an.“

Als Sophie nach Hause kam, räumte Martha gerade wieder die Tee-und Kaffeetassen in den Oberschrank, in dem Rick die beiden schief hängenden Türen repariert hatte.
„Das ist sehr schön, dass du dich nützlich machst“, rief sie, „wie hast du ihn dazu überredet, Mom? Hast du ihn bestochen?“
„Du hast einen sehr schrägen Humor“, rief Rick zurück.
Er überredete sie, eine Runde am Strand spazieren zu gehen, Carlos musste seine Abendrunde drehen und er wollte sie nicht allein machen.
„Du brauchst eine dickere Jacke, wenn du hier bleibst“, sagte sie, „und Winterschuhe. Der Winter hat nicht einmal angefangen.“
Sie marschierten durch den Garten und zum Strand hinunter, Carlos lief ihnen voraus und rannte sofort hinüber zum angrenzenden Grundstück der Nachbarn, um deren Labrador mit einer Duftmarke zu ärgern. Es war mörderisch kalt und Rick zitterte in seiner Lederjacke, obwohl er zwei dicke Pullover darunter trug.
„Die Sonne geht so früh unter“, sagte Sophie, hakte sich bei ihm ein und drehte sich dem letzten Licht des Tages entgegen, „das ist das Einzige, was ich an dieser Jahreszeit hasse.“
„Gib mir ein Stück von deinem Schal ab.“
Sie folgten dem Strandabschnitt, liefen nebeneinander her, Rick mit dem linken Ende des Schals um seinen Hals, Sophie mit dem rechten Ende, eng eingehakt und passten ihre Schrittlänge exakt aufeinander ab.
„Ich überlege gerade, ob du mich noch leiden kannst.“
Sophie zog an ihrem Ende des Schals und antwortete: „Ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht mehr leiden kann. Ich hasse einige der Dinge, die du getan hast, das ist der Unterschied.“
„Dann wirst du die Dinge, die ich demnächst tun werde, lieben“, sagte Rick, benutzte dabei eine alberne Comic-Stimme, bei deren Klang Sophie an einen alten Mexikaner mit Schnauzbart denken musste, „denn ich werde von nun an alles richtig machen.“

Bei nächster Gelegenheit fuhr er mit Sophie in das Einkaufszentrum, kaufte eine gefütterte Jacke, einen Walkman und einen Haufen Batterien, dazu einige Rock’n Roll CDs, knöchelhohe Winterschuhe, eine dunkelrote Wollmütze und dazu noch einen grauen Sweater mit Kapuze, der im Angebot war. Sophie wollte ihn zu mehr Besorgungen überreden, aber er sagte, sein Budget sei bereits überzogen.
„Ich hab mir von deiner Schwester was geliehen. Ich kann’s nicht gleich alles auf den Kopf hauen.“
Es war nicht nur Candys Geld, was er noch mit sich herumtrug, der größte Teil stammte noch aus dem letzten gemarderten Auto in Blue Hill. Es war nicht wirklich in Ordnung, aber es verstieß auch nicht gegen die neue Regel, nichts mehr anzustellen.
Auf der Rückfahrt fragte er: „Was stellen wir heute Abend an?“
„Candy hat einen Freund eingeladen.“
Sie spielten bis spät in die Nacht Karten. Candys Freund Pete war vom College rübergekommen und blieb für eine Woche bei seinen Eltern in Blue Hill. Sollte er mit seinem Besuch bei ihr etwas anderes geplant haben, zeigte er seine Enttäuschung darüber nicht, dass sie die ganze Nacht zu viert in Candys Zimmer hockten und Karten spielten. Weil Sophie keine Ausrede dafür suchen wollte, weshalb sie keinen Alkohol trank während des Spiels, machte sie am Anfang des Spiels klar, dass es nach ihren Regeln laufen würde – keinen Alkohol, um das Ganze nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Sie hatten Fingerfood und kalte Getränke bereitgestellt und Pete brach in schallendes Gelächter aus, als Rick mit sehr ernstem Gesicht vorschlug, Strippoker zu spielen. Er ballte die Hand zur Faust, Rick tat das Selbe und sie klopften über dem Tisch hinweg die Knöchel zusammen.
„Das könnte euch so passen“, sagte Sophie und Candy murmelte, dass sie die Idee gar nicht schlecht fände.
„Ich bin älter als du“, erwiderte Sophie, „aber glaub mir, meine Figur schlägst du nicht.“
„Hab schon bemerkt, dass deine Titten größer geworden sind.“ Pete sah Candy ungläubig an, wagte dann einen vorsichtigen Blick zu Sophie hinüber. Die Schwestern grinsten sich an.
Sie spielten bis in den frühen Morgen, Rick beantwortete Pete’s neugierige Fragen und versuchte dabei nicht zu lügen, aber einige der Fragen konnte er nur mit einer kleinen freundlichen Lüge beantworten. Nach einer Weile ging er dazu über, selbst viele Fragen zu stellen, um seine Ruhe zu haben. Pete war mit vier Brüdern aufgewachsen, zwei davon waren Zwillinge und sie alle bogen sich vor Lachen, als er erzählte, was sie gemeinsam angestellt hatten.
Was hätte ich erzählen können? dachte Rick, ich hätte mir mal wieder schöne Lügen einfallen lassen, etwas Schräges und gleichzeitig Lustiges. Die Wahrheit ist nichts für eine gemütliche Runde in der Familie und unter Freunden. Oh, richtig, ich könnte von Mascot erzählen.
„Du bescheißt schon wieder“, sagte Sophie und knuffte ihn in die Seite, „du kannst unmöglich schon wieder gewonnen haben, ohne zu bescheißen.“
„Ich bin noch immer dafür, dass wir zum Strip-Poker wechseln“, sagte Pete, „ich leg’s nicht darauf an, ihn…“ er deutete zu Rick hinüber, „nackt zu sehen, aber bei euch beiden…“
Candy klapste ihm die flache Hand auf den Kopf, sprang auf und holte aus den Tiefen ihres Schreibtischs, der überladen war mit Büchern und CDs, eine Flasche Wodka und vier Gläser.
„Nicht mehr ganz sauber“, murmelte sie, „aber durch den Alkohol werden wir’s nicht merken.“
„Candy, wir hatten eine Abmachung.“
„Komm schon, nur ein Glas. Und dann sehen wir mal, wer sich hier ausziehen wird.“
Sophie legte die Karten auf den Tisch vor sich, warf Rick einen kurzen Seitenblick zu. Sie musste kein Wort sagen, nicht einmal eine auffordernde Bewegung machen.
Bitte, dachte sie, ich will nicht als Spielverderberin dastehen, bitte sag du den beiden, dass wir keine Sauferei veranstalten werden. Ich bin die ältere Schwester, ich kann mich nicht hinstellen und sagen, wenn ich nicht trinken darf, dürft ihr es auch nicht.
Rick nahm Candy die Flasche ab und stellte sie auf den Tisch.
„Lassen wir das für später, wenn es langweilig wird“, sagte er, „und glaub mir, den da…“ er deutete mit dem Kinn zu Pete hinüber, der breit grinste, „… willst du bestimmt nicht nackt sehen.“
Sie spielten Hearts Runde um Runde, bis Pete sagte, er wolle nach Hause und noch eine Stunde an der Matratze horchen, bevor er zur Arbeit musste.
Rick und er rauchten eine letzte Zigarette auf der Veranda.
„Was war das mit dem Wodka?“ fragte Pete.
„Hmh? Oh, ich versuche kürzer zu treten. Und es hätte mich wahnsinnig gemacht, wenn ihr drei euch hemmungslos zugedeckelt hättet.“
Pete zog ein letztes Mal an der Zigarette, warf die Kippe in den Schnee und trat sorgfältig mit dem Absatz darauf.
„Vielleicht sollte ich das auch tun“, murmelte er, „ich trinke nur am Wochenende, aber dann so, dass ich am nächsten Morgen nicht mehr aus den Augen sehen kann.“
„Inklusive Blackouts?“
„Oh“, machte Pete, zog ein Gesicht, als versuche er wie Steve Martin auszusehen, „zwei Blackouts. Schwarz wie die Nacht. Sechs Stunden, die komplett verschwunden sind. Ich habe nicht gewagt, meine Freunde zu fragen, was ich angestellt haben könnte in der Nacht.“
„Was wäre das Leben ohne Herausforderungen“, sagte Rick.

„Danke“, murmelte Sophie. Sie lag bereits im Bett, hatte sich unter die zwei Decken gewühlt und nur das kleine Licht brennen lassen. Rick versuchte zu erraten, ob sie unter den Decken nackt oder dick in Frottee eingepackt war. Er zog sich aus, ließ die Klamotten auf den Boden fallen und schob sie mit dem Fuß ordentlich zu einem Haufen zusammen.
„Wofür danke?“
Ihre Hand kroch unter der Decke zu ihm hinüber, bis zu der Stelle, wo sie weiche Haut fand.
„Dass ich nicht die dämliche große Schwester spielen musste, die die lustige Runde mit Wodka und neckischen halb nackten Spielen boykottiert.“
„Das mit den halb nackten Spielchen können wir nachholen.“
Er fand heraus, dass sie kein Frottee trug.
 
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Kommentare  

Oh, das ist aber toll. Der süße Ricky bekommt ein Baby. Aber kann er auch wirklich ein guter Vater sein und auf seinen bisherigen Lebenswandel verzichten?

Petra (17.01.2011)

Rick und Vater? Sophie gibt ihm eine Chance. Rührend wie er sich wirklich fest vornimmt, so einiges an seinem Lebenswandel zu ändern. Irgendwie schließt man ihn schon wieder ins Herz und drückt ihm die Daumen. Auch Carlos hat mich begeistert, einfach drollig , der kleine Kerl.

Jochen (30.10.2010)

...Besser, viel Besser...irgendwie habe ich das Gefühl, das da noch eine schlimme Wendung kommt, oder vieleicht doch noch grobes Unheil...du hast ein Talent, die Leute bei " er Stange zu halten"...aber muss jetzt ma n bisschen ausruhen oder so...beste Grüße

Jürgen Hellweg (24.10.2010)

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