286


5 Seiten

Tell You My Story - 10. Kapitel

Romane/Serien · Spannendes
Als ich am späten Nachmittag das Schulgebäude verließ, war meine Laune noch schlechter als am Morgen. Nicht mal die Bandprobe nach der letzten Stunde hatte mich aufheitern können. Und wenn nicht mal mehr Singen half war mir wirklich nur noch schwer zu helfen.
Der Spanisch-Test am Vormittag war nicht gerade rosig gelaufen und die Note wollte ich lieber gar nicht wissen. Auch von Bio und den darauf folgenden Stunden hatte ich nicht wirklich viel mitbekommen, weil meine Gedanken immer wieder um den Brief und den unbekannten Anrufer kreisten. Das musste aufhören!
Ich lief über den Campus, die Sonne versteckte sich gerade hinter den hohen Bäumen und ich war froh endlich den grauen Mauern des Colleges zu entkommen. Vom Sportgelände her tönten noch die Stimmen der Baseballer beim Training. Ich achtete nicht auf meine Umgebung, meine Arme hielten meinen Ordner umschlungen und mein Blick war auf den Boden gerichtet. Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und hob den Kopf – allerdings nicht schnell genug. Ich sah den blonden Jungen nur noch hinter den Bäumen verschwinden. Ich kniff die Augen zusammen. Das war doch… ach, was soll’s. Selbst wenn er es gewesen wäre – ich würde ihm nicht hinterher rennen. Er würde seine Chance morgen im „Big Apple“ haben, nicht früher oder später. Diese eine Chance und keine mehr! Und insgeheim betete ich, dass er auftauchen würde…
Der Parkplatz vor dem Campus hatte sich bereits geleert, nur ein paar vereinzelte Autos standen einsam in der Gegend herum. Ich legte die Stirn in Falten, als ich eine hoch gewachsene Gestalt an meinem Golf lehnen sah. Als ich näher kam erkannte ich Leo, den Kapitän unseres Baseball-Teams, mein katastrophales Date vom letzten Wochenende… Ich stöhnte. Was wollte der denn noch? Ich dachte, ich hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass ich keinen Wiederholungsbedarf hatte.
Dennoch setzte ich ein Lächeln auf und beschloss freundlich zu ihm zu sein. Als ich nur noch wenige Schritte von meinem Wagen entfernt war, drückte ich den Knopf auf meinem Autoschlüssel und der Golf gab ein klackendes Geräusche von sich, als sich die Schlösser entriegelten. Leo sah auf, die Arme vor der Brust verschränkt, und lächelte.
„Mia!“ Seine Stimme klang erfreut, als er mich auf sich zukommen sah. „Ich dachte schon, Du tauchst gar nicht mehr auf!“
Ich warf einen flüchtigen Blick auf meine Armbanduhr, soweit das mit meinem Ordner möglich war. Es war gerade zwanzig nach fünf – eine normale Uhrzeit, um den Campus zu verlassen, wenn man an einem der außerschulischen Angebote teilnahm, wie auch Leo es tat – oder tun sollte.
„Jetzt bin ich ja hier.“ Meine Stimme blieb freundlich, war ich doch zu gespannt, was mich erwartete. Ich lief an ihm vorbei und öffnete meinen Kofferraum. Erleichtert, dass dieser Tag endlich vorbei war, ließ ich meine Tasche von der Schulter gleiten und platzierte den Ordner daneben.
Während ich meine Sachen verstaute, ließ sich Leo auf der Kante des Kofferraums nieder.
„Ich wollte mich entschuldigen für letztes Wochenende. Das war nicht ganz das, was Du erwartet hattest, oder?“
„Nicht ganz das“ war noch leicht untertrieben. Ich hatte mich wirklich auf dieses Date gefreut, weil Leo so ziemlich der begehrteste Junge am ganzen College war und annähernd jedes Mädchen die Finger nach ihm ausstreckte. Als er mich Anfang der Woche gebeten hatte mit ihm auszugehen, war ich beinahe abgehoben vor Freude, doch genauso schnell hatte mich unser Date wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wahrscheinlich hatte er einfach eine Begleitung für diesen Abend gebraucht, damit er vor seiner Mannschaft nicht wie ein Idiot da stand. Jemand wie Leo McKenzie interessierte sich nicht für Mädchen wie mich. Da war so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz.
„Um mir das zu sagen, hast Du Deine Mannschaft beim Training im Stich gelassen?“, antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Leo stand auf, sodass ich die Heckklappe schließen konnte.
„Die kommen auch mal ohne mich zurecht. Du warst mir wichtiger. Das hier war meine letzte Idee, nachdem wir uns ja sonst nicht über den Weg laufen…“
Was wohl daran liegen könnte, dass ich darauf geachtet hatte ihm aus dem Weg zu gehen…Aber irgendwie war es richtig nett von ihm sich zu entschuldigen.
Ich ging um mein Auto herum und öffnete die Fahrertüre. In Gedanken formulierte ich bereits einen intelligenten Satz, um das Gespräch zu beenden, während ich hinters Lenkrad rutschte. Doch für Leo schien das Gespräch noch nicht beendet zu sein. Er lehnte sich an meine geöffnete Tür und sah mich an.
„Also, was hältst Du davon, wenn wir das noch mal versuchen? Das mit der Verabredung, meine ich!“, fügte er hinzu, als er mein Stirnrunzel sah. „Dann aber wirklich nur wir beide!“
Ich biss die Zähne zusammen, damit mir vor Überraschung und Freude nicht die Kinnlade herunterfiel. Leo McKenzie bat mit um eine Verabredung – schon wieder! Was hätte ich anderes antworte sollen als „Ja“?
Leo grinste. „Gut, dann Freitag, selbe Uhrzeit? Ich hol Dich ab!“
Ich nickte nur. Leos Grinsen wurde breiter, als er meine Autotüre zuschlug und leichten Schrittes über den Parkplatz Richtung Sportgelände lief.
Ich schüttelte den Kopf. Surreale Ereignisse waren wirklich meine Stärke.
Eine Weile blieb ich regungslos sitzen und grinste dümmlich vor mich hin. Erst als ich den Motor startete, bemerkte ich den cremefarbenen Umschlag, der mit der Adresse nach unten unter meinem Scheibenwischer klemmte. Er war adressiert an mich.
Amelia Wright.

Ich fuhr nicht nach Hause. Ich fuhr direkt zu Tanita. Noch einmal würde ich so einen Brief nicht alleine öffnen!
Der Brief schien tonnenschwer in meiner Tasche zu liegen, als ich über den gepflasterten Weg Richtung Haustüre lief und mit fahrigen Fingern die richtige Klingel suchte. Als der Summer ertönte, stemmte ich mich mit meinem ganzen Gewicht gegen die alte Holztüre, um diese zu öffnen. Je näher ich Tanitas Wohnung kam, desto nervöser wurde ich und auch das leise Surren des Aufzuges hatte nicht die gewohnt beruhigende Wirkung auf mich.
Tanita stand bereits in der Türe, als die Aufzugstüren aufglitten.
„Na, hattest Du Sehnsucht nach mir?“, flachste sie, doch als sie mein ernstes Gesicht sah, wurde auch sie ernst. „Was ist los?“
Mit einem raschelnden Geräusch holte ich den Brief aus meiner Tasche. Das Rascheln war mir schon zuvor aufgefallen und ich rätselte, was dieses Geräusch verursachte. Das war kein Rascheln, das vom Papier herrührte.
Auch Tanita hatte das Geräusch bemerkt, als sie den Brief an sich nahm, und legte die Stirn in Falten.
„Wo hast Du den her?“ Sie trat einen Schritt beiseite, um mich eintreten zu lassen.
Ich ließ meine Tasche zu Boden sinken und hängte meine Jacke an die Garderobe.
„Der klemmte unter meinem Scheibenwischer, als ich nach meinem sehr interessanten Gespräch mit Leo McKenzie in mein Auto stieg.“
„Moment mal – Leo McKenzie und ein Brief?“ Tanita zog eine Augenbraue hoch. „Mia – Wohnzimmer – wir beide – jetzt! Und Du erzählst mir jedes schmutzige Detail!“
Das erste Mal seit ich den Brief entdeckt hatte, wurde das flaue Gefühl in meinem Magen weniger. Ich ließ mich in den großen Ohrensessel gegenüber von Tanita fallen. Das Gespräch mit Leo umriss ich nur grob, erzählte aber selbstverständlich von unserem erneuten Date am Wochenende, was Tanita ein breites Grinsen entlockte. Ich war zu sehr gespannt, was es diesmal mit dem Brief auf sich hatte, ob der unbekannte Verfasser sich zu erkennen geben würde, als dass ich Lust hatte, weiter auf Leo einzugehen.
Auch Tanita merkte, dass ich nicht mehr über mein Zusammentreffen mit ihm erzählen würde und nahm den Umschlag, den sie zuvor auf den Tisch gelegt hatte, wieder in die Hand. Sie hielt ihn ins Licht und drehte ihn hin und her. Dabei wurde das Rascheln wieder deutlich hörbar. Tanita sah mich neugierig an.
„Darf ich ihn öffnen?“
Fast erleichtert über diese Frage nickte ich. Ich war richtig froh darüber, dass sie mir diese Aufgabe abnahm. Meine Hände wären wahrscheinlich auch zu zittrig gewesen, um ihn zu öffnen.
Während ich Tanita dabei beobachtete, wie sie vorsichtig die Lasche öffnete, um das Papier nicht zu zerstören, dachte ich einmal mehr darüber nach, wie nahe mir der Unbekannte gekommen sein musste. Außerdem musste er wahnsinnig schnell sein, denn der Brief war mir nicht aufgefallen, als ich an mein Auto gekommen war. Er hatte also ungefähr eine Minute Zeit gehabt, als ich meine Sachen in den Kofferraum gepackt hatte.
Tanita zog einen Briefbogen aus dem Umschlag, doch der Umschlag war noch nicht leer. Ich nahm ihn an mich und schüttete den restlichen Inhalt in meine Hand. Die goldene Kette mit dem kleinen Schlüssel daran kringelte sich kalt in meiner Handfläche. Ich zog die Nase kraus. Was sollte das nun wieder?
Tanitas Augen huschten über die geschriebenen Zeilen auf dem cremefarbenen Briefbogen. Ihr Gesicht ließ keine Regung erkennen. Nach einigen Minuten ließ sie das Blatt sinken und sah mich entgeistert an.
„Vielleicht solltest Du langsam doch mal die Polizei einschalten!“ Sie reichte mir den Brief.
Ich begann zu lesen – und was ich las, ließ mich schaudern. In diesem Brief gestand mir jemand in den blumigsten Worten seine Liebe und beschrieb detailgetreu meine Tätigkeiten der letzten Tage. Wie sehr er es genoss mir zuzusehen.
Der Bogen war eng beschrieben und nur am Ende war ein Hinweis auf die Kette zu finden: „Nur Du hast den Schlüssel zu meinem Herzen. Trage ihn stets bei Dir, sonst weiß ich nicht, was mit meinem Herzen geschehen wird. In Liebe…“
Angewidert war ich die Kette auf den Tisch. Vielleicht hatte Tanita Recht. Wenn mir jemand sogar die Farbe meines Pyjamas nennen konnte, war es wirklich Zeit die Polizei einzuschalten. Andererseits… was würde sie schon groß unternehmen? Es war nichts passiert – noch nicht!
„Warte mal!“ Tanita nahm mir da Blatt aus der Hand und betrachtete es genau. „Wusste ich es doch! Mum, kannst Du bitte mal kommen?“, rief sie laut.
Ich runzelte die Stirn. Welchen Geistesblitz hatte sie nun wieder gehabt?
Tanitas Mutter erschien in der Türe. „Was gibt es, mein Schatz?“
„Mum, das ist doch Briefpapier aus eurem Geschäft, oder?“
Mrs Wallace war mit wenigen Schritten bei ihrer Tochter und nahm neben ihr auf dem Sofa Platz. „Oh, hallo, Mia! Schön, Dich mal wieder zu sehen!“ Durch die hohe Lehne des Sessels hatte sie mich erst jetzt bemerkt. „So, dann zeig mal her!“ Sie nahm das Büttenpapier in die Hand, strich sanft darüber und hielt es gegen das Licht. „Hmm… ja, das ich eindeutig aus dem Geschäft. Seht ihr, hier ist die Prägung und das Wasserzeichen ist auch identisch!“, erklärte sie uns. „Aber wie kommt ihr an das Papier?“
Tanita nahm ihr den Briefbogen aus der Hand. „Nicht so wichtig. Danke, Mum!“
Nachdem Mrs Wallace das Wohnzimmer wieder verlassen hatte, sah Tanita mich durchdringend an. „Du weißt, wem der Schmuckladen gehört, in dem Mum arbeitet?“
Ich runzelte die Stirn. „Nein, sollte ich?“
Tanita seufzte. „Mia, er gehört Mrs McKenzie!“
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

Oh, das wird ja immer spannender und direkt so ein bisschen unheimlich.Wer ist der geheimnisvolle Briefeschreiber? Schöner federleichter Schreibstil.

Petra (28.10.2010)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Tell you my Story - 13. Kapitel  
Wölfin der Taiga - 8. Kapitel  
Wölfin der Taiga - Kapitel 7  
Sound Of Love - Inhaltsangabe  
Tell You My Story - Inhaltsangabe  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De