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Das Generationsraumschiff 6/6

Romane/Serien · Spannendes · Experimentelles
Thomas schaute wie hypnotisiert auf sein Telekommunikationsgerät. Es war jetzt schon eine Minute über der Zeit und noch nichts von einer Kollision zu spüren. Dennoch dröhnte immer noch der Kollisionsalarm unaufhörlich weiter.
„Alfred.“
„Ja, Thomas.“
„Sind wir tatsächlich immer noch auf Kollisionskurs?“
„Ja.“
„Die 20 Minuten sind aber schon verstrichen.“
„Noch 20 Minuten bis zur Kollision“, sagte Alfred einfach, als sei es das Selbstverständlichste im Weltall.
Plötzlich war Thomas wieder wie hellwach.
„Weitere 20 Minuten?“
Schweigen.
Wie konnte das sein? War Alfred vielleicht tatsächlich defekt? Konnte es jeden Augenblick doch noch zur Kollision kommen? Oder hatte seine Maßnahme die Kollision wenigstens ein wenig herausgezögert und ihnen so mehr Zeit verschafft?
Egal, was spielte das alles jetzt noch für eine Rolle. 20 Minuten und 20 Minuten sind 40 Minuten. Es könnte also durchaus sein, dass sie doch noch alle gerettet wurden. Zumindest die, die noch am Leben waren. Denn fast exakt so lange hatte auch beim Probealarm die vollständige Evakuierung gedauert gehabt.
Wollte aber er selbst auch noch eine Rettungskapsel erwischen, dann musste er jetzt auf der Stelle los.
Energisch stand er aus seinem Arbeitssessel auf. Gleichzeitig spürte er leichte Vibrationen. Die Gravitation des Planeten war nun deutlich zu spüren. Sie zog anscheinend schon sehr heftig an dem Schiff.
Er rannte aus seinem Arbeitszimmer heraus zum Aufzug hin. Er musste zu den untersten Decks.
Der Aufzug kam herangebraust und Thomas trat ein. Er drückte den Knopf für das A-Deck und der Aufzug brauste nach unten los.
Plötzlich wurde die kleine Kabine heftig erschüttert. Dies sorgte dafür, dass der Aufzug automatisch anhielt, und zwar irgendwo zwischen dem C- und dem B-Deck.
Verdammt. Das war knapp. Fast hätte er das unterste Deck erreicht gehabt.
Wenigstens ließen die heftigsten Erschütterungen wieder nach.
Thomas drückte ein weiteres Mal auf den Knopf für das A-Deck, der Aufzug rührte sich aber kein Stück.
Er schaute auf sein Telekommunikationsgerät. Es zeigte unter 10 Minuten an, also blieben ihm noch 10 Minuten Zeit.
Thomas öffnete die Abdeckung der Schaltfläche des Aufzugs. Er versuchte, die Notabschaltung irgendwie zu überbrücken. Dies konnte seine allerletzte Chance sein. Er kannte sich damit nicht wirklich aus. Er wusste auch gar nicht sicher zu sagen, ob dies überhaupt möglich war.
Hinter der Abdeckung war ein ganzer Bund von Kabeln versteckt, ein regelrechter Kabelsalat. Doch welche waren die Richtigen beiden? Er versuchte sie irgendwie zuzuordnen, aber es schien für ihn unmöglich zu sein. Er konnte noch nicht einmal erkennen, wohin diese verfluchten Kabel überhaupt führten. Verflucht, er wollte hier aber nicht sterben! Er wollte weiter um sein Überleben kämpfen können!
Er kappte einfach irgendwelche zwei Kabel, und schloss diese Beiden kurz. Es zischte, machte laut „Peng!“, ätzender Qualm breitete sich in der kleinen Kabine aus, aber bewegen wollte sich die Kabine deswegen noch lange nicht.
Er kappte noch zwei weitere Kabel und schloss auch diese kurz. Diesmal passierte gar nichts, noch nicht einmal ein Zischgeräusch. Also tat er mit zwei weiteren Kabeln das Gleiche, aber wieder nichts. War vielleicht die ganze Anlage tot, und er so dem Untergang schon längstens geweiht?
Er schaute auf sein Telekommunikationsgerät. Es blieben ihm nur noch lächerliche fünf Minuten Zeit.
Egal, er wollte bis zum letzten Atemzug weiterkämpfen.
Wieder wurde die Kabine heftig durchgeschüttelt. Währen dessen kappte er zwei weitere Kabel, und schloss auch diese kurz. Es zischte wieder, und machte auch wieder laut „Peng!“ und wieder stieg ätzender Qualm in der Kabine auf, sofort beruhigten sich auch die Erschütterungen wieder – und… tatsächlich: die Kabine setzte ihren Weg zum A-Deck fort! Erst konnte es Thomas gar nicht glauben, aber unten angekommen öffnete sich die Tür und es stand ihm plötzlich der Weg zu den Notkapseln frei. Und hier zeigte es sich ihm mal wieder - auch wenn es durchaus sein konnte, dass seine Maßnahmen gar nichts zu der Lösung des Problems beigetragen hatten - dass einfach alles erlaubt war, außer: aufzugeben.
Er schaute wieder auf sein Telekommunikationsgerät. Er hatte noch drei Minuten.
Das würde verdammt knapp werden, dachte er bei sich als er losrannte. Er musste noch eine Treppe hinab. Von Weitem hörte er schon, auch durch den Kollisionsalarm hindurch, den Lärm anderer Bewohner, die anscheinend ebenso hofften, im allerletzten Augenblick noch eine Notkapsel besteigen zu können um so doch noch, zumindest für den Moment, gerettet zu werden.
Als er die Noteinstiege der Kapseln erreicht hatte, war, wie er erwartet hatte, weit und breit keine mehr zu sehen. Er ging so schnell er konnte dem Lärm der Läute nach und schaute gleichzeitig auf sein Telekommunikationsgerät. Noch eine Minute.
Er bog um eine Ecke und sah die Menschen vor sich. Sie standen vor dem Einstieg der allerletzten Rettungskapsel und versuchten verzweifelt, sich reinzuzwängen.
Das Raumschiff fing wieder heftig zu vibrieren an. Thomas fiel schwer auf den Boden, auf seinen rechten Arm, der nun höllisch zu schmerzen begann.
Das Raumschiff vibrierte immer stärker. Er versuchte, irgendwie wieder auf seine Beine zu kommen, aber vergebens.
Neuer Lärm drang durch den Kollisionsalarm hindurch: berstender Stahl. Würde das Schiff noch vor dem Eintritt in die Atmosphäre zerbrechen?
Dies war durchaus möglich.
Endlich kam er doch wieder auf seine Beine und stolperte durch all die Vibrationen hindurch in Richtung Notkapsel. Er war noch etwa zehn Meter davon entfernt.
Noch ein letztes Mal schaute er auf sein Telekommunikationsgerät. Gerade in diesem Augenblick waren die weiteren 20 Minuten verstrichen.
Alles Weitere erlebte er wie in Zeitlupe: er stolperte in Richtung Notkapsel und sah dabei, wie die letzten Menschen einstiegen. Über sich vernahm er den Kollisionsalarm und hinter sich berstenden Stahl und nun auch Explosionsgeräusche. In den Kollisionsalarm mischte sich dann auch Alfreds Stimme hinein. Er informierte den wahrscheinlich letzten Bewohner dieses Generationsraumschiffes, nämlich Thomas, darüber, dass so eben das Lebenserhaltungssystem ausgefallen war.
Noch fünf Meter bis zur Notkapsel.
Thomas stolperte weiter nach vorne, wobei er fast hingefallen wäre, konnte sich aber im allerletzten Moment noch fangen.
Noch drei Meter bis zur Notkapsel.
Thomas musste mit ansehen, wie sich direkt vor ihm die Luke zur Notkapsel schloss. Plötzlich katapultierte ihn eine weitere Explosion hinter ihm nach vorne und ließ ihn heftig gegen die geschlossene Luke der Notkapsel prallen. Er verlor dabei auf der Stelle sein Bewusstsein und fiel vor der Luke zu Boden, wo er regungslos liegen blieb.

Bei einer der folgenden Explosionen fiel das komplette Antriebssystem des Generationsraumschiffes aus. Nun hatte es der Gravitation des Planeten nichts mehr entgegen zu setzen, weshalb es von ihr völlig hilflos angezogen wurde. Die Explosion hatte auch dafür gesorgt, dass das Schiff in zwei Teile zerfallen war. Von da an war auf ihm kein Überleben mehr möglich. Sollte sich zu diesem Zeitpunkt noch irgendjemand an Bord befunden haben so hatte dieses Ereignis unweigerlich seinen Tot bedeutet.
Die letzte Rettungskapsel entfernte sich derweil fast anmutig von seinem Mutterschiff. Die Insassen bestaunten durch kleine Bullaugen ungläubig und natürlich auch fassungslos das Spektakel, das sich ihnen gerade bot. Ihre Heimat fand nun ein gewaltsames Ende. Sie hatten nie etwas anderes gekannt gehabt und es konnte durchaus sein, dass sie auch nie etwas anderes kennen lernen würden. Dies hing einzig und allein davon ab, wie die Planeten in ihrer jetzigen Reichweite beschaffen waren. Zwar hatten sie die Technologie für das so genannte Terraforming auch in den Notkapseln dabei, allerdings war hierfür eigentlich ein sich im Orbit befindliches Generationsraumschiff vorgesehen. Denn Terraforming benötigte sehr viel Zeit, die sie aber ohne ein solches Schiff, auf dem sie derweil leben könnten, nicht hatten.
Das zerbrochene Generationsraumschiff trat nun komplett in die Atmosphäre des unbekannten und offensichtlich komplett leblosen Planeten ein und verwandelte sich auf der Stelle in zwei gewaltige Feuerbälle, die in Richtung der Planetenoberfläche schossen. Für die ehemaligen Bewohner war dies anzusehen erschreckend und faszinierend zugleich.
Die Feuerbälle rasten immer weiter ihrem letzten Ziel entgegen. Dabei schienen sie immer kleiner und kleiner zu werden, bis sie aus der Sichtweite der Überlebenden vollends verschwunden waren.
Jetzt erst wachte auch Thomas wieder aus seiner Bewusstlosigkeit auf. Mit höllischen Schmerzen an jeder einzelnen Stelle seines Körpers. Doch nach dem ihm der an Bord der Notkapsel befindliche Arzt eine Spritze gegeben hatte, verschwanden diese sofort wieder und er schlummerte friedlich ein.

ENDE
 
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Kommentare  

Hallo Dieter,

Du hast Recht: das ist nicht das Ende sondern erst der Anfang. Die nächste Trilogie habe ich schon fertig geschrieben. Sie wird demnächst auf dieser Seite veröffentlicht.


Siebensteins Traum (25.05.2011)

Zu Ende! Finde ich eigentlich nicht. Die Story schreit doch fast nach einer weiteren Fortsetzung. He, jetzt geht`s doch erst richtig los. Was ist nun mit diesem Planeten? Du hast mich sehr neugierig gemacht.

Dieter Halle (25.05.2011)

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