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Vater Tag

Nachdenkliches · Kurzgeschichten · Experimentelles
Sylvester 1965.
Eine vollgequalmte Wohnung in einem Mehrfamilienhaus kurz nach Mitternacht.
Die Erwachsenen und älteren Kinder sind draußen im Schnee, und schießen Leuchtraketen in den Himmel eines sich verändernden Zeitenzyklus.
Ich bleibe zurück.
Sehr verärgert grummele ich vor mich hin:" Mensch, ich bin doch bald 12 Jahre alt. Und muss die ganze Farbenpracht da oben nur aus dem Fenster beobachten."


" Mal sehen."


Mein Blick schweift durch die Zimmer. Nahezu auf jedem Tisch befinden sich bunte Flaschen, mit den verschiedensten farbigen Inhalten.
Dort hinten zum Beispiel steht eine runde,längliche Flasche, ähnlich einer Giraffe , mit bläulichem Saft (?).
Auf dem Fernsehtisch liegt eine Bauchige, voll mit roten Köstlichkeiten ( denke ich ).
Als ich einen Schluck probiere, verklebt sich mein Gaumen. Schmeckt irgendwie nach Toilettenreiniger.
Mit ein bisschen Wasser verdünnt läßt sich die Brühe ganz gut runterkippen.
Das blaue Etwas aus der Giraffenflasche brennt ganz schön stark im Rachen. Hier hilft auch Sprudelwasser.
Was es doch alles für interessante Getränke gibt.
Vom Boden hole ich die nächste. Sieht aus wie eine in die Länge gezogene Orange. Innen drin leuchtet es Giftgrün.
Die vielen Bierflaschen sind mir natürlich bekannt. Mein Vater leert sie ja jeden Tag mehrmals. Ich rühre keine der kleinen Bierfässer an.
Aber all die farbigen Sprudelflaschen, wie ich glaube, trinke ich bis auf den letzten Tropfen leer.
Der Rachen brennt wie bei einem Grillfeuer. Doch Sprudel vermindert die zunehmenden Schmerzen.

Auf einmal stolpere ich über herumliegende Kronkorken, und in meinem Kopf drehen sich 400 Raupen.
Wie ein Berserker rase ich durch die Wohnung und falle hundertmal in die Badewanne.
Jederzeit Herr meiner Sinne ( denke ich ), trinke ich nun alles, was ich noch finden kann.
Um später in einen traumlosen Schlaf zu fallen.
Selbst die Schwärze der Nacht ist überfüllt mit einem lächelnden Regenbogen.


BLENDE


" Was machen denn all die Krankenschwestern hier, mit ihren grellen Kitteln ? Bin ich etwa in einem Krankenhaus ?
Warum bin ich denn in einem... ?

Die Sorgenfalten meines Vaters knistern auf meinem Gesicht. Überall neben den weißen Stellen seiner Pupillen rieseln deutlich sichtbare rote Äderchen...ein Zeichen von übermäßigen Alkoholgenuss...

Verschwommen kriechen die Erinnerungen wieder in mein
Gehirn. Verwelktes Fleisch auf grauem Establishment Boden. Fühle geradezu die Tränen der Mutter.
Immer noch lässt mich Butter in meinen Gedanken erzittern, und wieder und wieder zerren die alten Zeiten faule Nerven aus meinem Körper.

Sehe die Skelette meiner Eltern auf dem Marmortisch von Luzifers Engeln. Rauschende Wüstenstürme schütteln vergiftete Fäden über die ganze Szene. Galaxien voller Jugendhoffnungen ertrinken in einer einzigen Coca Cola Flasche.
Lachender Haarschopf in den blutigen Händen aller Mütter dieses Planeten.
Diese Albträume meiner frühesten Jugend werden von Gnomen mit scheußlichen Fratzen gezeichnet, die ihr Theater jeden Abend aus dem Schlafzimmerschrank heraus aufführen.

EINE BLENDE


Die Schwierigkeiten meiner Eltern rührten von der Sorglosigkeit her, wie mein Vater mit dem Alkohol spielte...oder der Alkohol mit meinem Vater...
Irgendwann kommt die Zeit, wo du nicht mehr die Kontrolle hast, sondern ein " König " dem du Untertan bist.
Nachdem es am Ende des Monats Geld gegeben hatte ( damals gab es das Gehalt noch in bar ), ging mein Vater nicht sofort nach Hause. Vom Arbeitsplatz bis zu unserem Haus gab es so ungefähr 7 oder 8 Kneipen.
Als er diese Bars alle besucht hatte, und ihm die " Fledderer" sein restliches Geld abgenommen hatten, lag er dann " sternhagelvoll " in einem Gebüsch, oder an eine Bank gelehnt.

...und der Alkohol fließt durch die Kehle meines Vaters...


Sein Dasein. Jahrzehntelang im Zeichen von " Fisch, Steinbock, Krebs und Feuerwasser ", den Sternzeichen seiner Frau und der Kinder.
Bewegte sich durch dieses Leben, wie ein " Indianer und Jäger", der vor einer verzweigten Kreuzung steht.
Dort schlängelt sich ein dorniger, mit scharfen Steinen übersääter Weg voller brennender Wälder. Und am Ende dieses Weges zeigt sich ein wilder Fluss mit kreischenden Wasser Vampyren die immer wieder besiegt werden wollen.

Dann ist da noch der grüne, moosbewachsene Pfad, der in geraden Linien zu einer alten, ruhigen Kloake führt, wo du es dir auf Fähren bequem machen kannst.

Mein Vater bewegte sich mal auf dem wilden, dann auf dem ruhigen Wasser.

Im Herbst seines Lebens, als er von einen Tag auf den anderen dem " König Alkohol " abgeschworen hatte, warnte er mich vor jenen " giftigen Substanzen ". Wir
redeten bis spät in die Nächte.
Mein Vater akzeptierte auch meine Reisen.
Doch natürlich musste ich meine eigenen Erfahrungen machen.

...und der Alkohol fließt durch mein Leben...

Vater schüttelt Mutter zurück in die Wiege. Beide zerfleischen sich.
Meine Geschwister arbeiten auf der alten, ruhigen Kloake. Die, mit den Fähren und den angenehmen Bequemlichkeiten des modernen Lebens.

Mit angstvollem Geschrei versuche ich immer wieder, durch die wilden, kreichenden Flüsse gegen den Strom zu schwimmen. Silberne Fische geben mir manchmal einen sanften Ruck. Doch die Hetzjagt geht weiter.


...und der Alkohol fließt durch mein Leben...

Die zerissene Sorge meines Vaters zieht mich oft genug aus den verräterischen Fluten gieriger Halsabschneider. Und er besorgte mir auch eine Arbeit als Koch des Lebenswassers, auf dem Schiff der wandernden Zuversicht.
Und doch
...der Alkohol fließt durch mein Leben...

Die liebliche, faltige Hilfe meiner Eltern werde ich niemals ablehnen. Auch wenn es jetzt nur noch ein symbolischer Akt ist. Die spirituellen Gefühle geben mir Kraft, um mit Mutter und Vater gemeinsam meditieren zu können.
So wie er mir das damals in Kopenhagen gelehrt hat.
Nur mit ihnen schreite ich voran durch Knoten und Risse in Zeit, Raum und Geist.

Damit ich irgendwann einmal, auf einem friedlichen Bauernhof, zusammen mit meiner Frau und den beiden Kindern, das Fell von selbstgezüchteten Engeln pflegen kann.

...und Freude und Tränen fließen durch mein Leben...
 
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Kommentare  

Hallo Petra, NATÜRLICH bedanke ich mich auch bei dir für den tollen Kommentar. Mit den Suchtmitteln ist das so ne Sache, gibt ja auch schöne Getränke , wie einen Wein oder super
Käse ( haha ). Die Umstände sind immer verschieden warum Menschen sich in solcherlei Mitteln verlieren...DANKE noch mal und beste Grüße!!!


Jürgen Hellweg (05.06.2011)

DANKE dir Sehr Jochen, ja ich arbeite an mir, und an den Worten und natürlich an der Technik, um die Worte in die richtigen Bahnen zu lenken...Beste Grüße!

Jürgen Hellweg (05.06.2011)

Traurige mitreißende Geschichte. Du spielst mit den Worten und drückst damit sehr viel aus. Diese Story macht auch viel Mut.

Jochen (04.06.2011)

Das passt aber für morgen. Sehr ernster Text mit vielen Metaphern. Geht einem an die Nieren. Man versteht dich und man versteht auch deine Eltern. Schade, dass es überhaupt Suchtmittel gibt. Ergreifend geschrieben.

Petra (01.06.2011)

ich finde es auch bewunderswert, dass der schwache vater, opfer des alkohols, den dreh noch mal gekriegt und späte stärke gezeigt hat, das passiert selten, oder? mit täter meinte ich: das kind ist möglicherweise, vielleicht aber nur indirekt durch den vater zum trinken verleitet worden, entweder ist es abgeguckt, oder es liegt in den genen. oder beides. keine ahnung. aber schön, dass sie den kampf nun gemeinsam kämpfen, denn kämpfen muss man. immer...
lieben gruß


Ingrid Alias I (31.05.2011)

Ja Pia, herzlichen Dank ! So , oder so ähnlich möchte ich auch diese Geschichte
verstanden wissen. Väter UND Söhne, wie auch Töchter MÜSSEN einfach, unabhängig voneinander, ihre eigenen Erfahrungen machen.
Eltern sind doch, wie ich im Moment so willkürlich an meiner 16 jährigen Tochter erlebe, ab einem gewissen Alter einfach zum Zuschauen verdammt.
In diesem Sinne, liebe Pia, vielen Dank nochmal für deine Interpretation. Und beste Grüße...


Jürgen Hellweg (31.05.2011)

Das ist das großartige an deinen Geschichten, Jürgen. Jeder findet für sich etwas vollkommen anderes in ihnen. Ich empfinde Vater Tag wie eine Liebeserklärung an einen Vater, der gut aber hilflos war, und mit angesehen hat, dass er dich vor den gleichen Fehlern nicht bewahren konnte.

Liebe Grüße Dubliner Tinte


Pia Dublin (31.05.2011)

Liebe Ingrid. Wie darf ich diesen Kommentar verstehen?
Habe hier einen Teil meines Lebens verarbeitet. Und sind wir nicht alle Opfer und Täter zugleich? Und haben wir nicht alle furchteinflößende Träume dann und wann?
Erst mal vielen Dank für die Meinung!
Beste Grüße...


Jürgen Hellweg (31.05.2011)

der vater, opfer und täter zugleich, das kind, unwissend und schnell verführt. die geschichte mit ihren furchteinflößenden bildern, die hoffnung, dass es noch wird... mannomann!

Ingrid Alias I (31.05.2011)

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