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4 Seiten

Eine Herbstgeschichte

Kurzgeschichten · Herbst/Halloween · Für Kinder
© doska
„Oh, was ist denn das?“, hörte man eine verschlafene Stimme dicht am Boden.
Die kleine Elfe, welche gerade zum Leben erwacht war, zupfte sich ihr durchsichtiges Kleid zurecht und verharrte verdutzt. Wer hatte denn gerade mit ihr gesprochen? Sie schaute sich um.
Währenddessen betrachtete Albert das aufgeregte Geschöpf vom Boden aus neugierig. Eigentlich war alles an ihr transparent, auch ihr Körper. Man konnte sehr schön durch sie hindurchschauen, so als wäre sie nicht wirklich da. Nur Albert hatte wohl das Glück, dass er solch eine Elfe an diesem herrlichen Nebeltag sehen konnte.
Leider blickte sie sämtliche Richtungen, doch nie zu Boden. Deshalb konnte sie ihn nicht finden. Alle seine Kameraden lagen noch am Boden und schliefen. Eigentlich wachte er auch immer erst dann auf, wenn sich die ersten Sonnenstrahlen durch die kahlen Äste direkt über ihnen hindurchschoben. Aber der Wind hatte ihn geweckt, ein wenig hochgehoben und so war Albert über seine Kameraden hinweggesegelt, direkt vor den winzigen Füßen dieser Elfe gelandet.
Die war gerade einer leeren Kastanienschale entstiegen, in welche sie noch rasch wegen des Windes geklettert war. Nebelgeister mögen nämlich keinen Wind, weil sie dann leicht vertrocknen können.
„Huhu, hier unten bin ich.“ wisperte er schließlich.
„Ach, da bist du!“ Die Elfe fuhr herum, bückte sich, ihr langes Nebelhaar wehte dabei ein wenig und sie strich mit den Fingern sacht über das seltsame Ding, das ihr der Wind gebracht hatte.
„Ich heiße Albert!“, hörte sie es aus dem "Ding" flüstern und das klang mehr wie ein Knistern oder Rascheln. „Du bist eine Elfe.“, sagte die eigenartige Stimme. „Aber erkennst du auch, was ICH bin?“
„Weiß nicht...“, erwiderte die Elfe verlegen. Albert schaute wohl zu ihr hoch. Aber so recht konnte sie seine Augen nicht erkennen. Vielleicht lagen die ja auch im Schatten und waren dem Boden zugewendet.
„Weißt du es denn selber nicht?“ rief die Elfe verärgert. „Na, du bist ja putzig. Trotzdem angenehm, dich kennenzulernen. Mein Name ist übrigens, Herbst!“, hauchte sie. „Aber was du bist, ist wirklich ziemlich schwer zu erraten. Weißt du, ich bin neu hier. Alle anderen Herbstlinge wissen ja schon Bescheid, nur ich nicht!“
„Dann rate!“, kicherte die Stimme übermütig.
„Hm, deine Haut ist irgendwie vertrocknet, aber wunderschön braun, gelb, und rot. Du bist ganz flach – fast wie Papier - und hast überall Zacken.“ Die Elfe setzte sich sehr nachdenklich auf einen der kleinen Pflastersteine, welche die kräftigen Wurzeln des Ahorns hinter ihr aus der Erde gehoben hatten.
„Ich würde sagen, du bist ein Ahornblatt!“, meinte sie endlich. „Oh, jetzt fällt es mir ein, man hat mir ja, bevor ich hierher kam, schon so einiges über euch Blätter erzählt...“ Sie errötete verschämt. „ ...über Blätter von Blumen und Bäumen...selbst die Grashalme werden ja schließlich gelb und trocken, wegen dem Herrn Sommer. Der hat meist ein recht hitziges Temperament! Naja, diesmal hat er uns Nebelgeister ziemlich schnell herbeigerufen.“
„Nebelgeister?“, echote Albert übermütig. „Ich denke du bist der Herbst?“
„Sind wir auch.“, beharrte sie. „Alle zusammen sind wir der Herbst!“
„Sowas Komisches!“, mokierte sich Albert. „Dann könnte ich ja auch sagen, alle zusammen waren wir mal ein Baum!“
„Irgendwie schon!“, wisperte die Elfe, „aber jetzt ohne Stamm bist du nur ein Blatt.“
„Ach nein, wenn du so klug bist, kleine Elfe, äh, Herbst, dann sage mir mal weshalb ich Albert heiße?“
Die Elfe zog ihre Nase kraus. „Vielleicht, weil du sehr gerne herumalberst?“
„Ja, das könnte sein. Ich habe viel mit den anderen Blättern gealbert. Das war vielleicht ein Geraschel...äh...Gekicher! Naja, mir war eben langweilig. Habe nie gerne nur an diesem einen Ast hängen wollen. Immer wollte ich reisen, aber das ging ja nicht, so als festes Mitglied. Da hat man seine Verpflichtungen. Zum Beispiel den Baum vor zu großer Sonneneinstrahlung zu schützen, ständig Feuchtigkeit zu speichern, eben für die Gesamtheit zu sorgen, jeder auf seine Weise. Je, älter ich wurde, je schwerer fiel es mir, sage ich dir. Aber nun kann ich ja endlich den Lebensabend genießen. Wow, ich fühle mich wie völlig losgelöst. Es wird ein neues Blatt nach mir kommen, das meinen Platz einnehmen wird, hat man mir gesagt.“
„Hat dich das getröstet?“ Die Elfe schaute mitleidig drein. „Es ist doch blöd jetzt immer nur am Boden zu liegen oder?“
„Ist es nicht, denn ich werde ja ab und an vom Wind hochgewirbelt. Erst hing ich ja nur an diesem einen Ast. Siehst du ihn rechts dort oben? Aaach, ich bin sehr anhänglich! Aber nun kann ich es mir leisten, auf reisen zu gehen. Ich spüre das, der Wind wird immer stärker. Vielleicht komme ich in Gegenden herum, wo ich noch nie zuvor gewesen bin? Das gibt mir einen ganz anderen Blickwinkel. Früher habe ich die Welt nur von einem einzigen Standpunkt aus betrachtet, nämlich von dem meinigen. Jetzt löse ich mich langsam von allem. Sieh mal, mein Blätterkleid ist schon ein wenig zerfleddert. Wenn ich die bunteste Farbe habe, bin ich am abenteuerlustigsten. Später werde ich immer welker und völlig gefärbt wie die Erde sein. Irgendwann lasse ich mich dann nieder und komme zur Ruhe. Regen und Wind werden dafür sorgen, dass ich zur Erde oder aber auch zu Staub werde.“
„Das ist trotzdem eine traurige Geschichte, denn irgendwie bist du ja dann nicht mehr das, was du jetzt bist.“
„Ich bin ja auch nicht mehr das, was ich einst war!“
Die Elfe nickte. „Da hast du recht. Auch der Nebel verändert sich ständig. Selbst der Herbst ist nicht stets der gleiche. Er ist immer irgendwie anders.“
„Und du wirst bald eine neue Elfe in einem ganz anderen Kleid sein. Ist das nun traurig oder schön?“
„Hm!“, machte die Elfe nachdenklich und stand auf.
„Wäre es denn so köstlich, wenn alles bliebe wie es ist, immerzu und unveränderlich?“, bemerkte das Blatt weiter.
„Nein, das wäre sehr langweilig, tödlich langweilig sogar.“, ächzte die Elfe.
„Sieh mal, da kommt der Wind.“, wisperte das Blatt. „Ich werde jetzt reisen, das Alter genießen. Kommst du mit, kleiner Nebel?“
Erst wollte sich das Wesen wieder vor dem Wind verstecken, aber dann sagte es fest entschlossen: „Ich reise mit dir.“
Die Elfe war sehr aufgeregt, setzte sich auf das Blatt und so segelten sie juchzend durch die Gegend. Sie flogen durch den ganzen Park, über den See mit den Enten, gelangten immer höher und wären beinahe mit einem wunderschönen Drachen zusammen gestoßen, den zwei Kinder gerade hatten steigen lassen.
„Oh, es wird sonnig.“, keuchte der kleine Nebel. „Ich werde plötzlich so müde! Bist du im Frühling wieder da, mein alter Freund?“ Und die langen Nebelhaare flatterten dabei um das Elfengesicht.
„Vielleicht, denn der Wind trägt uns zurück. He, wir fliegen direkt zu meinem alten Ahornbaum. Na, dann werde ich mich wohl während des Winters in Nahrung für diesen Baum verwandeln, durch Wurzeln und Stamm in die Äste gelangen und im Frühling, sagen wir mal, wieder am rechten Ast ganz oben, eine Knospe sein?“
„Okay.“, meinte die Elfe. „Und ich werde solange warten, bis du wieder ein buntes Blatt geworden bist, damit wir noch weitere schöne Reisen zusammen unternehmen können. Ach, sicherheitshalber werde ich gleich im Winter bei dir bleiben, als zarter Reif sozusagen, wenn du nichts dagegen hast?“
„Habe ich nicht. Lass` uns Freunde über das ganze Jahr sein.“ Da schlug der Wind das Blatt – wohl aus Versehen oder gar mit Absicht? - gegen den Baum. Das alte Blatt zerkrümelte sofort und der Nebel löste sich auf und legte sich als winzigkleine Pfütze einfach darüber. Ob die Beiden wohl im nächsten Herbst ihr Versprechen halten werden?
 
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Kommentare  

Herrlich bildhaft hast du die Vergänglichkeiten innerhalb unserer Natur aufleben lassen. Vieles ist im Wandel begriffen, um dem Neuen eine Chance zu geben.
LG. Michael


Michael Brushwood (21.09.2011)

Vielen Dank, ihr zwei, für die lieben Kommentare.
@Holdriander, freut mich, dass sie dich entzückt hat. Das soll diese Story ja auch- nochmal Kind sein und träumen!
@Ingrid, richtig, ich habe mir auch etwas dabei gedacht. Da stecken ziemlich ernste Gedanken dahinter. Schön, dass ich dir Bilder zaubern konnte und vielleicht werde ich auch bald etwas dazu zeichnen.


doska (19.09.2011)

eine wunderschöne geschichte über das vergehen der dinge - ich konnte die beiden förmlich vor mir sehen... ;-)

Ingrid Alias I (18.09.2011)

Auch ich finde die Story ganz entzückend.
lg


holdriander (17.09.2011)

Hallo ihr beiden, ich danke euch.
@Gerald, ja, das sollte es sein und ein wenig verträumte Romantik dazu.
@Else, so allmählich finde ich mich damit ab, dass es wieder Herbst wird. Und freue mich schon auf die bunten Blätter.

Einen ganz lieben Gruß


doska (16.09.2011)

Ist ja wirklich süß, die kleine Elfe und das Blatt. Tolle Idee gut umgesetzt. Da kannn der Herbst kommen.

Else08 (14.09.2011)

Hat mir sehr gefallen. Ein kleines philosophisches Stück , nicht nur für Kinder. Ein wirklich schönes Herbstmärchen.

Gerald W. (14.09.2011)

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