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Der Tod kultiger Zootiere

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ein Nachruf auf Opossum Heidi, aber auch auf Eisbär Knut, der bereits seit über einem Jahr nicht mehr unter uns ist.


Gestern ist es traurige Gewissheit geworden. Heidi hat seine kultigen Augen für immer geschlossen. Mit Heidi ist nicht etwa ein Top-Star aus der Show-Branche gemeint, sondern nur ein drolliges kleines Tierchen, genauer gesagt, eine amerikanische Beutelratte.
Mit ihren eigenartig schielenden großen, aber dennoch treuherzig leuchtenden Augen hat Heidi nicht nur die Fachwelt, sondern auch tausende, wenn nicht gar Millionen von Besuchern, in gehöriges Staunen versetzt.

Nun gehören diese sehr eigenwilligen Nager nicht gerade zu jener Gattung von Tieren, die bei unserer egoistischen Spezie wegen ihrer (Un)-Nützlichkeit auf der Beliebtheitsskala ganz oben angesiedelt sind. Auf Heidi, der es vergönnt war, gerade mal dreieinhalb Jahre das Licht unserer Welt - möglicherweise sogar in doppelten Dimensionen „bestaunen” zu dürfen - traf diese Einschätzung allerdings nicht zu.
Das schielende Opossum ist erst vor kurzem in das neu eröffnete Gondwanaland - welches die Welt der Urzeit eindrucksvoll verinnerlicht - eingezogen.
Die zahlreichen Besucher des Leipziger Zoos haben die stolze Bewohnerin dieses touristischen Juwels – gerade wegen ihrer eigenartig gestellten, und doch so süß aufleuchtenden Augen – schon seit langem in ihr Herz geschlossen.
Heidi – was für ein schöner Name, der wie die Faust aufs Auge zu diesem possierlichem Geschöpf passte – hatte Kultstatus erlangt.
Erinnerungen an Eisbär Knut werden wach. Dieses süße, von Menschenhand aufgezogene Kuschelbärchen hatte den Zoologischen Garten Berlin zu einer wahren Pilgerstätte werden lassen.
Als der Liebling der Hauptstädter dem Schmusealter längst entwachsen war, musste auch er die Augen für immer schließen.
Mit tiefster Bestürzung hatten die Berliner von dieser unumstößliche Tatsache Kenntnis genommen
Mit Superlativen sollte man eigentlich etwas sparsam sein. Doch damals konnte man wirklich von Superlativen sprechen, zumal die (inoffiziellen) Trauerfeierlichkeiten zu Ehren Knuts, fast schon denen eines Staatstraueraktes glichen. Tausende Menschen aus der ganzen Bundesrepublik waren extra angereist, um Knut die letzte Ehre zu erweisen. Viele legten Blumengebinde am Rande seiner Wirkungsstätte nieder. Andere fingen spontan an zu weinen. Sie konnten nicht anders, hatten sie ihren Liebling doch so in ihrem Herzen getragen, so wie einen heiß umschwärmten Popstar.

Der Schmerz um Heidi dürfte sich aller Voraussicht nach ein wenig in Grenzen halten, zumal sie, in Bezug auf ihre Popularität, dem männlichen Knut doch ein wenig hinterher hinkte.

Immerhin – Heidi, die gestern aufgrund ihrer Altersschwäche – sie hat sich kaum noch bewegen können – eingeschläfert werden musste, bleibt uns auch weiterhin erhalten. So ist Heidi wenigstens ein langer Leidensweg erspart geblieben. Einen Trost für all ihre Liebhaber gibt es dennoch zu vermelden. Zu Wissenschaftszwecken soll dieses Unikat ausgestopft werden. In den Herzen vieler Menschen wird das schielende Opossum auf jeden Fall weiterleben - wie Eisbär Knut auch.

Es ist das Besondere, das Eigenartige, was sowohl Heidi als auch Knut zu einer Kultfigur hat aufstreben lassen. Bei Heidi waren es diese schräg stehenden schielenden Augen, bei Knut hatte der Aufzug mit der Flasche – Knuts Mutter hatte sich als pure Rabenmutter entpuppt - die Menschen in ihren Bann gezogen. Eine Mischung aus Mitleid und Bewunderung musste es wohl gewesen sein, was dieses Heidi- beziehungsweise Knutfieber entfacht haben könnte.

Ich selbst habe mir schon die Frage gestellt, weshalb diese scheinbar simplen Tiere so viel Aufsehen erregen. Angesichts dessen, dass es viele Menschen in unserem Land, erst recht aber auf unserem gesamten Planeten gibt, die am finanziellen Tropf hängen, deren Seele voll von Wunden gebrannt ist, wohl eine zu Recht gestellte Frage.
Rein zufällig ist mir der Hit von Schlagerstar Uwe Busse - „Wir sind nur zu Gast auf dieser Welt” in meine Sinne gekrochen.
Alles Lebende ist nur zu Gast auf dieser Welt – egal ob Menschen, Tiere oder Pflanzen.
Nicht nur wir Menschen haben eine Seele, die Tiere natürlich auch, und – man höre und staune – die Pflanzen sogar auch. Alle Lebewesen nutzen dieses einmalige Gastrecht, welches unsere gute alte Erde ihnen gewährt. Und dieses steht jedem Lebewesen ja auch zu – und nicht nur dem Edelparasiten Mensch, der faktisch das größte Raubtier dieser Erde ist.

Und gerade jene Menschen, denen das Wasser sprichwörtlich bis zum Halse steht, sehen in der atemberaubenden Vielfalt unserer Tierwelt eine willkommene Abwechslung, die es möglich macht, ihren Schalter – wenn auch nur für eine verdammt kurze Zeit – umlegen zu können.
So haben Zoologische Gärten und Tierparks ihre volle Berechtigung.

Natürlich waren Heidi und Knut willkommene Galionsfiguren, die der hochwichtigen Publicity dienten. Diese zwei Helden haben reichlich Geld in die (klammen?) Kassen der beiden Zoos gespült.
Neidisch bin ich auf keinen Fall. Derart sinnvolle Einrichtungen, die nicht zuletzt auch unseren Jüngsten zugute kommen, können dieses Geld gut gebrauchen.

Unsere Politiker hingegen hätten jene klingenden Münzen, die die stetigen Erhöhungen der Diäten in ihre „viel zu klammen Kassen” spülen, freilich nicht verdient.


Einige von Euch könnten vielleicht meinen, ich sei frech wie Oscar. Mag sein. An der Wahrheit dürfte es allerdings nicht allzu viel zu rütteln geben. Die meisten dieser sich so volksnah gebenden Damen und Herren teilen nämlich mit Opussum Heidi eine so herrlich reizvolle Gemeinsamkeit.
Sie schielen!
 
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Kommentare  

Hallo Marco,

vielen Dank für deinen netten Kommi.
Deine Meinung kann ich nur teilen.
LG. Michael


Michael Brushwood (13.10.2011)

Amüsant geschrieben. Hat mich sehr erheitert, wie du die tickhafte Begeisterung der Menschen, für ganz besondere Tiere, auf`s Korn nimmst. Da ist der Begriff - Affenliebe - wohl nicht ganz unangebracht.

Marco Polo (13.10.2011)

Hallo Evi,
vielen Dank für den netten Kommentar.
Du hast Recht. Das Verhältnis Mensch - Tier ist wirklich ein sehr rätselhaftes.
Mal ist es positiv, dann aber auch wieder negativ. Ein nur sehr schwer überbrückbarer Zwiespalt.
LG. Michael


Michael Brushwood (06.10.2011)

Was du dir für Gedanken machst? Und sie stimmen. Der Mensch ist rätselhaft in seiner Beziehung zum Tier. Du bringst das wunderbar humorvoll herüber.

Evi Apfel (05.10.2011)

Hallo Ingrid, Doska und Petra,

vielen Dank für die netten Kommentare.
Ingrid: Ich gebe dir recht. Auch die Ablenkung von diesem gegenwärtigen Scheiß spielt eine nicht unwesentliche Rolle.
Doska: Auch dem kann ich nur zustimmen.
Petra: Ich muss mir ehrlicherweise eingestehen, dass ich Satire besonders mag. Die Themen liegen aber auch förmlich auf der Straße. Doch diesmal habe ich bewusst eine Mischung aus Ernstem und Heiterem gewählt, zumal dieses Thema auch Anlass zum Nachdenken gebietet.
LG. Michael


Michael Brushwood (04.10.2011)

ein schönes essay,
ich denk mal, wir klammern uns an so an kuschelige babyeisbären und schielende opossums, weil wir dadurch den ganzen anderen scheiß vergessen können... ;-)


Ingrid Alias I (02.10.2011)

Tja, der Mensch ist schon etwas Verrücktes. Auf der einen Seite isst er Fleisch, auf der anderen macht er ein Riesentheater wenn es um ganz bestimmte Tiere geht. Sehr schöne Kurzgeschichte.

doska (01.10.2011)

Wunderbar geschrieben. Das Satirische liegt dir aber sehr. Habe richtig laut lachen müssen.

Petra (01.10.2011)

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