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Erstaunen

Fantastisches · Kurzgeschichten
Das Kreuz mit den Ohren
Wie ihr befehlt, oh erlauchter Sultan! Oh Großmächtigster aller Großmächtigen! Der ihr die Gloriole des Mondes, der Sterne und der Sonne auf Erden seid!“
Der Sultan hatte dem Narren befohlen, rasch etwas von dem guten Freiöl zu holen, das ihm sein Leibarzt für den „Notfall“ aufgeschrieben hatte. Denn die Ironie des Schicksals wollte es, dass dieser „Notfall“ eingetreten war und auch des Sultans Löffel (Ohren) mächtig zu jucken begannen. So vernahm man, nun auch vom Throne her, das allseits klatschende Ohren-Kratzgeräusch. Also genau das gleiche Geräusch, wie beim Großwesir, das sich nun, um die Anzahl der wachsenden Patienten, stets und ständig verstärkte. Der gesamte Thronsaal war also plötzlich angefüllt mit ekligen Klatschgeräuschen und Bildern, die komischer und absonderlicher nicht hätten sein können…
Shakiras Plan
In diese Szenerie rauschte die Prinzessin, die sich auch kräftig die Ohren rieb. Sie verkündete, in die allgemeine Ratlosigkeit und Kratzorgien hinein, dass sie eine Überraschung habe, die diese Ohren-Farce nun endlich beenden könne:
„Töchterchen, wenn das stimmt, kannst du dir von mir wünschen, was du willst!“, frohlockte der Sultan und schaute seine Tochter erwartungsvoll an.
„Aber erlauchter und großmächtiger Sultan! Als ob ihr meinen Wunsch nicht bereits kennen würdet!“
„Töchterchen du weißt, dass der Sultan nicht erpressbar ist! Weder von seiner Tochter, noch von den Pantoffeln oder sonst einem Schurken!“
„So, in euren Augen bin ich also ein Schurke?“, die Augen der Prinzessin funkelte kampfeslustig:
„Kind, ach, mach es mir doch nicht so schwer! Du bist natürlich kein Schurke, aber versetz dich doch einmal in meine Lage! Mit einem Sultan darf man einfach nicht so sprechen! Normalerweise müsste ich dir sofort den Kopf abschlagen lassen, aber das wäre doch irgendwie aberwitzig, denn wo kämen dann meine Enkelkinder und letztlich mein Thronfolger her?“
Die Prinzessin überhörte diese Worte, lächelte wissend, klatschte einmal in die Hände und rief:
„Die Reisekataloge für den allmächtigen Sultan!“
Im selben Augenblick erschien Aischa, legte einen Stapel Hochglanzbroschüren auf die Stufen des Thrones und verschwand wieder unterwürfig hinter einem Vorhang. Der Sultan glotzte verständnislos auf die Broschüren, doch die Prinzessin ließ ihn nicht zu Wort kommen:
„Erlauchter Sultan! Ich besaß die Kühnheit und recherchierte schon mal in diesen Prospekten Reiseziele für euch, die euch nicht nur einen wohl-verdienten Ruhestand verheißen, sondern auch ewig von eurem „Adrinalinbeschleuniger“ namens Großwesir trennen werden!“
„Wie? Was? Werde ich dann den Großwesir niemals wieder sehen? Das wäre ja schrecklich! Schließlich verbindet uns eine alte Männerfreundschaft, die zwar manchmal etwas hart erscheint, aber zumindest immer sehr herzlich ist!“
Der Großwesir zuckte wie unter einem Stromschlag zusammen, starrte seinen Sultan an und begann heftig mit dem Kopf zu schütteln:
„Nehmt doch mit, wen ihr wollt!“, erklärte Shakira schroff, aber dennoch etwas verunsichert, weil sie die Reaktion des Sultans ganz und gar nicht verstand. Doch sie ließ sich nicht weiter beirren, nahm einige Kataloge zur Hand, blätterte darin und fuhr fort:
„Hier zum Beispiel auf Mallorca, da könnten wir günstig eine Finca mit Pool und Meeresblick für euch mieten oder irgendwo in der Südsee eine ganze Insel kaufen! Also die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. Schaut in den Katalog und euer Wunsch ist mir Befehl!“
Sie lächelte, da sie unbewusst mit Dschinnis Worten sprach, stumm in sich hinein.
„Aber Kind bist du jetzt völlig übergeschnappt? Hat dich dein Studium in der Bibliothek so mitgenommen? Wie soll das denn funktionieren? Was sind denn das für Orte? Von denen hörte ich noch nie und außerdem wären es beispielsweise bis an die Südsee sicher einige Tagesreisen in der Sänfte! Ach Kind, an meine Gesundheit denkst du wohl überhaupt nicht? Und außerdem die Langeweile, die große Langeweile würde mich auf diesen Reisen umbringen!“
„Aber Vater, eins nach dem anderen! Jetzt kommt erst einmal eure Überraschung und über das andere reden wir später!“
Sie ließ ihren Vater nicht mehr zu Wort kommen, klatschte erneut in die Hände und hinter dem Vorhang erschien Aischa mit Aladins Wunderlampe, die sie vorsichtig aber sicher auf einem goldenen Tablett balancierte. Der Sultan glotze, wie einer von Fharis Mauleseln und Sha-kira rief ohne weitere Umschweife: „Hochmächtiger Sultan! Aladins Wunderlampe!“
Erstaunen
Aladins Wunderlampe? Aber Töchterchen, die gibt es doch gar nicht! Ist doch alles nur ein Märchen! Zuerst wollte uns der alte und zerstreute Zausel, dieser Schah von Persien damit übers Ohr hauen! Du glaubst ja gar nicht, wie sehr er sich mit seinen fruchtlosen Versuchen, den Geist für uns zu beschwören, lächerlich machte! Er murmelte Beschwörungen, rollte furchtbar mit den Augen und goss zu guter Letzt auch noch Öl in die Lampe! Aber alles half nichts, denn da war kein Geist, so dass all seine Bemühungen völlig umsonst waren. Und nun kommst du, und willst uns erneut mit diesem faulen Zauber langweilen? Wenngleich!“, die Augen des Sultans begannen zu leuchten. Irgendetwas ging von dieser Lampe aus, was er sich nicht erklären konnte und er bekundete: „Diese Lampe hier ist eine wahre Schönheit, wogegen die andere recht billig und rostig erschien. Lass sehen Töchterchen, du hast unsere Neugier, ob sich der Geist hervor kitzeln lässt!“
Der Sultan legte den Katalog beiseite, den Kopf schief und schaute mit angespannter Miene auf die Lampe, die Shakira vorsichtig mit zwei Fingern zu reiben begann. Plötzlich stieg ein Nebel hervor, der sich bis an die Decke des Thronsaales ausbreitete und sogleich begann, die Konturen des Dschinns zu zeichnen. Die anfängliche Transparenz verdichtete sich immer weiter und ließ einen Körper entstehen, der vom Boden bis an die Decke des Thronsaals reichte. Der Sultan drückte sich angstvoll in die Kissen seines Herrschersitzes und alle Anwesenden starrten mit offenen Mündern auf die Erscheinung, die nun dröhnend zu sprechen begann: „Ich bin der Dschinn dieser Lampe! Oh, meine Gebieterin, euer Wunsch ist mir Befehl! Befehlt, und ich werde euren Befehl erfüllen!“
„Hi Dschinni!“, sprach die Prinzessin mit fester Stimme, „ich will dich meinem Vater, dem Sultan vorstellen und wünsche sofort eine Kostprobe deines Könnens! Und zwar, dass du uns auf der Stelle, von diesen schrecklich juckenden Eselsohren erlöst!“
Der Sultan blickte beseelt auf den Geist und rief:
„Bei Allah, wenn ihm das gelingt dann, dann, dann…!“
„Vater, lasst gut sein, er will keine Belohnung, sondern muss einfach nur tun, was ich ihm gebiete! Dschinni, kannst du das schaffen?“
„Ja, ich schaffe es!“, kam zur Antwort, „aber ich kann es nicht direkt schaffen, sondern nur mit Hilfe eines ganz bestimmten Arztes!“
„Dschinni, kannst du das schaffen?“
Der Geist verbeugte sich mit gekreuzten Armen und rief: „Ja, ich schaffe es!“, löste sich in Luft auf und verschwand.
Mukhtar, du bist am Leben
Kaum war der Geist verschwunden, entstand ein lautes Gemurmel im Thronsaal. Es klang wie das vielstimmige Gebrumm in einem Bienenstaat. Jeder sprach mit jedem: Sultan mit Großwesir, höhergestellte Lakaien mit Sklaven und sogar ein niederer Passamtsfuzzi mit einem leitenden Oberamtsrat aus dem Baugewerbe, der jeden Satz oder zumindest jede Pointe mit einem gequetschten „Bingo“ quittierte. Es geschahen also Dinge, die es normalerweise so nicht gab. Alle wirkten, als sei gerade eine große Last von jedem abgefallen, denn jeder gebärdete sich beängstigend wirklichkeitsfremd, fast so, als sei er plötzlich gut Freund mit dem sonst feindlichen Gegenüber. Der gesamte Palast schien wie in Auflösung begriffen, denn es schauten sogar Köpfe von Küchengehilfen oder anderer Sklaven, die normalerweise striktes Thronsaalverbot hatten, neugierig hinein und keinen schien es zu kümmern. Nur Prinzessin Shakira und Aischa tauschten wortlos belustigte Blicke aus und amüsierten sich über den Sultan und den Großwesir, denen plötzlich alles egal schien, weil sie gemeinsam und höchstinteressiert einen Reiseprospekt wälzten…

Plötzlich öffneten sich die Flügel des großen Haupttors, wie von Geisterhand, alle Gespräche verstummten, ein farbiges Knäuel wirbelte wie ein großer Kreisel quer durch das Palastvolk und kam direkt vor dem Thron zum Stehen. Die Drehungen verlangsamten sich und nun erkannten die Zuschauer in dem annehmlichen Kreisel, ein menschliches Wesen, das sich mit geschlossenen Augen immer langsamer drehte, zu schwanken begann und schließlich auf dem farbigen, ornamentreichen Teppich wie tot zusammensackte. Ein Ruf des Schreckens eilte durch die Menge und setzte sich bis in den äußersten Winkel des Saales fort. Shakira wich alle Farbe aus dem Gesicht, ihre Augen weiteten sich und ihrem Mund entfloh ein lauter Schrei: „Mukhtar, das ist doch mein Mukhtar!“ Sie eilte die Stufen hinab, beugte sich zu dem leblosen Körper und schrie:
„Aber Dschinni, was hast du getan? Das ist doch kein Arzt, das ist doch mein lange verschollener, mein totgeglaubter Mukhtar! Was ist nur mit ihm? Ist er etwa nun wirklich tot?“
Sie beugte sich noch weiter zu ihm herab und küsste ihn ganz sanft und zögerlich. Da schlug Mukhtar die Augen auf und flüsterte mit tonloser Stimme:
„Was ist geschehen? Wo bin ich?“ jetzt erblickte er das Angesicht seiner Geliebten und hauchte:
„Shakira? Shakira, bist du das, meine Geliebte?“
Dann schloss er für einen Augenblick die Augen und spürte wie in ihm eine heiße Woge der Leidenschaft aufstieg, die ihm gleichermaßen neue Kräfte verlieh. Er richtete sich gemeinsam mit Hilfe seiner Geliebten auf und schaute ihr verständnislos in die Augen: „Kannst du mir sagen, was das zu bedeuten hat?“
„Oh, ja“, die Prinzessin hatte sich gefangen und schaute ihn mit einem strahlenden Lachen an, „ich besitze seit kurzem einen Flaschengeist! Den habe ich beauftragt, einen Arzt herbeizuschaffen, der uns die Eselsohren beseitigen kann! Bist du etwa neuerdings Arzt?“
 
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Kommentare  

Da schließe ich mich Gerald an. wie werden sie es schaffen, den dickköpfigen Sultan zu überzeugen? Und wird auch alles mit der Rückverwandlung klappen?

Else08 (15.05.2012)

Nun ist Mukhtar endlich wieder bei seiner großen Liebe gelandet. Die schrecklichen Ohren will wohl jeder loswerden. Aber der Sultan ist noch nicht willig sein hohes Amt der Tochter zu überlassen. Bin gespannt wie Shakira gemeinsam mit Mukhtar es schaffen wollen den Sultan zu überzeugen.

Gerald W. (27.04.2012)

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