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Olympia im Visier des schlauen Fritzchens

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
„Bei den olympischen Sommerspielen 1992 in Barcelona hatte Deutschland noch 33 Goldmedaillen errungen. Vier Jahre später in Atlanta waren es nur noch 20, weitere vier Jahre danach, in Sydney nur noch 13, 2004, in Athen ebenfalls 13, 2008 in Peking immerhin wieder 16. Bei den dreißigsten Jubiläumsspielen in London konnte Deutschland nur noch auf 11 Goldmedaillen zurückgreifen.
In welchem Jahr hätte Deutschland gar keine olympische Goldmedaille mehr in der Tasche, vorausgesetzt der Trend der vergangenen 12 Jahre würde sich fortsetzen?“ fragt der Mathematiklehrer Paul sein elfjähriges Ass argwöhnisch.

Dieses Mal arbeiten Fritzchens Hirnzellen besonders angestrengt – für dieses fast schon außerirdische Mathegenie, das in der Regel die Ergebnisse von Gleichungen und Ungleichungen wie ein Highspeed-Computer ausspucken kann, schon ein wenig gewöhnungsbedürftig.
„Nanu, das kenn' ich doch sonst nicht von dir!“, mahnt der gestrenge Pädagoge seinen Musterknaben mit fester Stimme und geschultem Blick.
Doch Fritz wäre nicht Fritz, wenn er plötzlich, als Ausdruck seines Unmutes, sein Mathematikheft mit voller Wucht gegen die Wand pfeffern würde. Diese Schmach will er sich auf keinen Fall antun.
Doch plötzlich – wie von Geisterhand - bringt ein greller Gedankenblitz Fritzchens Grauzellennetzwerk zum Erleuchten. Bereits einen Tick später legt er los wie die Feuerwehr, während einige seiner Klassenkameraden es ausgerechnet in diesem Moment für nötig halten, die Schmerzverträglichkeit anderer Köpfchen mit Staniolkügelchen zu testen, was Fritzchen, der schon, kurz nachdem er dem Mutterleib entschlüpft, mit allen Wassern gewaschen war, natürlich nicht so schnell aus der Fassung bringen kann.
„Diese Rechnung ist doch eigentlich total einfach. In vier Jahren sind es wieder fünf Goldene weniger, da käme Deutschland nur noch auf sechs Goldmedaillen, in acht Jahren wäre es nur noch eine Goldmedaille und in zwölf Jahren laut Adam Ries sogar minus vier Goldmedaillen!...
„Bist ein Spinner!”, zischt es wütend aus der Kehle des Paukers, während zur gleichen Zeit ein schallendes Gelächter einsetzt, das Paul erst so richtig auf die Palme bringt.
„Nun pass doch mal auf, ich rechne es dir jetzt vor!“, versucht Fritzens Lieblingslehrer angestrengt dieses wild kichernde Kidsgeschwader zu übertönen – leider aber vergebens! Unbeschreibliche Wut hat sich so tief in das Innere seines Kopfes gefressen, dass sein Bauchgefühl nichts anderes zugelassen hat, als mit dem lapidaren Schlagwort „Ruhe!“, wie in alten Zeiten, für Zucht und Ordnung zu sorgen. Die Stimmbänder hat der gestrenge Pädagoge allerdings so zum Schwingen gebracht, dass nicht nur die Wände angefangen haben zu wackeln. Einige von den besonders sensiblen Kindern sacken förmlich in sich zusammen und landen unsanft auf ihren Mathebüchern, die durch die Wucht dieser unscheinbar wirkenden Kindsköpfchen glücklicherweise keinen Schaden genommen haben. Natürlich – wie sollte es auch anders sein – ist es auf einen Schlag still geworden, so still wie bei der Andacht in einem Gotteshaus, sodass der wegen seiner übermäßigen Strenge von vielen gescholtene Pauker, dem der Angstschweiß förmlich auf der Stirn perlt, mit seiner Zahlenpredigt endlich beginnen kann.
„Also hör gut zu! In den vergangenen zwölf Jahren hat sich die Anzahl der Olympischen Goldmedaillen von dreizehn auf elf verringert. In weiteren zwölf Jahren wären es nur noch neun, weitere zwölf Jahre danach nur noch sieben, usw., bis....“
Der Pauker unterbricht abrupt seinen Redefluss – Gelegenheit für den Jungen, der es bereits in diesem Spundusalter von gerade mal elf Jahren echt toll versteht, mit dem Blick eines gestandenen Mathematikprofessors meisterhaft zu kokettieren, was ihm hilft, bei dem Lehrer Eindruck zu schinden – seine im Verborgenen schlummernden Gedanken zu ordnen....
Hat Paul etwa plötzlich den Faden verloren?!
Falls ja, wäre dies natürlich peinlich, peinlich!...
„Ich weiß was Sie meinen! In 72 Jahren, wenn die 48. Olympischen Sommerspiele stattfinden werden, ist Deutschland frei von jeglicher Goldmedaille, wollen Sie mir später noch sagen. Doch dem ist leider nicht so.“
Überquellende Peine haben Pauls Gesicht zum Glühen gebracht.
„Was bin ich nur für Riesenrindvieh von Gottes Gnaden!“, denkt der gestresste Pädagoge mit seinem geschultem Blick, der es möglich macht, seinen Zorn geschickt zu verbergen, im Stillen.
Da hat dieses freche Fritzchen diesem klugen Pädagogen wiedermal den Schneid abgekauft.
Wollen diese fatalen Bloßstellungen, für die Fritz schon zuhauf gesorgt hatte, die Paul schon des Öfteren aus seinen geordneten Bahnen gelenkt haben, denn überhaupt kein Ende mehr nehmen!...

„Weshalb ist dem nicht so?“ fragt der Lehrer besorgt zurück und mustert nahezu jeden Winkel seines Gesichtes, um in die Gedankenwelt des Jungen noch tiefer als bisher eindringen zu können.
Fritzens Falten auf der Stirn verengen sich und schieben sich leicht nach oben.
„Das ist doch nur eine Milchmädchenrechnung, so einfach wie Sie sich das nicht im Entferntesten vorstellen können!“, purzelt es verwegen aus dem frechen Mund des kleinen Möchtegernpädagogen. Sein Mund kommt dem einer Spitzmaus verdammt nahe. Und da Fritz ohnehin schon eine spitze Zunge hat, passt dieser Spitzmausmund, so wie sein längst zur Gewohnheit gewordener oberlehrerhafter Blick, einen Blick, den er natürlich nicht von seinem Mathematik(Oberlehrer?) geerbt haben kann – viel eher von seinem Vater, der sich stets so gebärdet hatte, als wäre nur er der einzig kluge Kopf in diesem Lande - wie angegossen zu dem Gesicht des Jungen.
Fritzchens Vater ist allerdings nur Richter – am Amtsgericht wohlgemerkt und auch in seiner Freizeit versucht er als Fußballschiedsrichter in der Kreisklasse an den Wochenenden stetig auf's Neue Gerechtigkeit walten zu lassen. Nach Meinung der meisten Kicker allerdings mehr schlecht als recht...

Wir haben doch sowieso keine Knete mehr, um den Sport zu finanzieren, schon wegen der Griechenland- und der Eurokrise. Schauen Sie doch mal, Herr Lehrer! Wir müssen nicht nur die Griechen, sondern auch die Italiener, die Spanier..., ganz Europa müssen wir Deutsche allein durchfüttern, nur um diesen blöden Euro zu retten!“, stellt Fritz abgöttisch lächelnd klar.
In gewohnt altkluger Art fährt er überzeugend fort:
„Da kann es doch keine zweiundsiebzig Jahre mehr dauern, bis Deutschland ohne Goldmedaillen ist!
Es macht den Eindruck, dass Paul den Belehrungen seines Zöglings kaum gewachsen ist.
Zwar hellt sich seine Miene wieder ein wenig auf, sein kleines Lächeln wirkt aber eher ein wenig unnatürlich, ein wenig sporadisch, wenn nicht gar gekünstelt.
„Daran habe ich natürlich keinen einzigen Gedanken verschwendet! Ich bin nämlich davon ausgegangen, dass dieser Aderlass im Rhythmus der vergangenen Jahre seine Fortsetzung findet!”, windet sich Paul aus seiner Erklärungsnot geschickt heraus.
„Geht aber nicht!... Und wenn dann die ganzen Sportvereine dichtmachen müssen, fällt uns schon auch noch was ein!“
Fritz ist nämlich, seiner geringen Größe zum Trotze, ein leidenschaftlicher Fußballer, ein Kicker, dem kaum einer so schnell etwas vormachen kann, besonders dann, wenn es gilt den Schiedsrichter mit bundesligareifen Fallkünsten im Strafraum sichtlich zu verzücken.
„Und was?“, fragt der Lehrer mit gekräuselter Stirn argwöhnisch?
„Wir denken uns ein paar neue Geländespiele aus, und wir spielen mal so ganz nebenbei mit den Bullen Katz- und Maus!
Wie auf Kommando schnellen fast alle Schüler aus ihrer Versenkung. Wieder ertönt schallendes Gelächter, das den im Inneren des Mathepaukers schwelenden Zorn erneut bedrohlich aufwallen lässt.
„Seit ihr denn total verrückt geworden!“
„Was heißt denn hier ihr!” schwadroniert der kleine Fritz, der, was sein überschäumendes Temperament, seine Schlagfertigkeit angeht, alles andere als ein kleiner Pippifax ist.
„Daran ist doch nur diese blöde Angie schuld!“
„Jetzt ist aber Schluss! So etwas sagt man doch nicht! Hast du denn gar kein Benehmen mehr! Wo hast du nur diese frechen Worte aufgeschnappt! Bestimmt doch nicht von deinem Vater! Das ist doch so ein rechtschaffener Mensch, der kann dir doch diese miesen Worte nicht beigebracht haben!”
Diesmal findet Fritz jedoch keine Antwort auf die geräuschvollen Schimpfkanonaden seines verzweifelten Lehrers. Sein Herz hat so stark an Fahrt aufgenommen, dass es droht, wie von einem Elefanten gestresstes Porzellan, auseinander zu springen. Glück für Fritz, dass in diesem Moment die Schulglocke, die zur großen Pause einlädt, seinem wild hüpfendem Herzen zur Hilfe ereilt.
Wie aufgescheuchte Hühner sausen die Schüler von ihren knarrenden Stühlen.
So ist Fritz wieder einmal glimpflich, wenn auch mit einem gehörigen Schrecken, aber ohne das von ihm erwartete Nachspiel, davongekommen.



Ein paar Monate danach hat sich aus Fritzens Sicht vieles, wenn auch längst noch nicht alles, zum Guten gewendet. Bei einer regionalen Mathematik-Olympiade ist es ihm gelungen - mit beängstigend-großem Vorsprung - die Goldmedaille einzuheimsen.

Das IOC sollte sich endlich mal seiner Verantwortung bewusst sein und sich darüber Gedanken machen, ob es wenigsten in nicht allzu ferner Zukunft möglich wäre, die wissenschaftlich belegte denksportliche Disziplin Mathematik in das künftige Programm Olympischer Spiele aufzunehmen. Dank Fritzens Eifer hätte Deutschland dann wenigstens wieder diese eine goldene Plakette sicher.
Höchst unwahrscheinlich wäre jedoch, dass diese schweißgebadeten Protagonisten auf ihren harten Stühlen die Public Viewing-Veranstalter auf den Plan rufen könnten.
Obwohl – nötig hätten es unsere Mathematikmuffel, von denen es leider nicht nur einige wenige gibt, schon. Diese sind aber in der Regel keine Fußballmuffel. Aber selbst die stolzen Anhänger des runden Leders benötigen einige mathematische Grundkenntnisse, gilt es doch, die erforderliche Punktzahl, die für das Erringen des gewünschten Titels nötig ist - auf wissenschaftlicher Grundlage basierend - im Voraus zu berechnen.
Und siehe da! In dieser Hinsicht klappt es bei Vielen doch noch, mit der Mathematik – mit so mancher Ehe hingegen nicht unbedingt!
 
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Kommentare  

Hallo Jochen,
vielen Dank für den netten Kommentar! Schön, dass auch dir meine kleine Schmunzelgeschichte gefallen hat.
LG. Michael


Michael Brushwood (07.09.2012)

Mit Verstand und Witz geschrieben. Mir gefällt dein Humor.

Jochen (06.09.2012)

Hallo Else,
es freut mich sehr, dass dir meine kleine Geschichte so gefallen hat.
LG. Michael


Michael Brushwood (04.09.2012)

Eine süße kleine Schmunzelgeschichte. Prima gemacht.

Else08 (31.08.2012)

Hallo Doska und Jingizu,
vielen Dank für die interessanten Kommentare!
Doska: Es freut mich sehr, dass dir diese eher etwas ungewöhnliche Geschichte gefallen hat.
Jingizu: Auch deine Einschätzungen kann ich mit dir teilen. Wir müssen daran interessiert sein, dass diese Länder schnell wieder auf die Beine kommen. Ansonsten können wir die bei uns hergestellten Waren nicht mehr in diesen Ländern absetzen. Allerdings bin ich der Meinung, dass es viele Menschen in unserem Lande gibt, die die Inhalte dieser Propaganda glauben und dadurch auch diese Negativstimmung erzeugt wird. Viele von den einfachen Menschen in diesen Ländern geht es grottenschlecht - diese können weitere Sparmaßnahmen auf keinen Fall mehr verkraften - ansonsten würde das ev. einen Flächenbrand in gleich mehreren Ländern zur Folge haben.
Klarstellen möchte ich noch, dass das, was Fritz in dieser Geschichte nachgeplappert hat, nicht meine eigene Meinung ist. Es ist aber eine Meinung, die zumindest einen größeren Teil der Deutschen verinnerlicht hat. Gefährliche Propaganda hat schon immer die Meinung eines Volkes übergebührend beeinflusst. So war es, so ist es und so dürfte es auch immer bleiben - leider!
LG. Michael


Michael Brushwood (27.08.2012)

Eine gute Idee witzig und unterhaltsam umgesetzt. Dein kleines schlaues Fritzchen hat mir sehr gefallen.

doska (25.08.2012)

Ach lieber Fritz hör doch besser auf deine Lehrer anstatt nur BILD Propagangda nachzuplappern, dann wirds vielleicht auch irgendwann mal was mit dem selberdenken.

Wir geben den armen Ländern nicht umsonst unser Geld, denn erstens wollen wir es mit Zinsen zurück und zweitens sollen sie von genau dem Geld bei uns einkaufen und drittens können sich die BILD Leser im eigenen Land noch moralisch darüber empören, dass wir ja fremde Wirtschaften ankurbeln, so als ob Deutschland kein Exportland sonder völlig autark wäre - eine Win-Win-Win-Situation sozusagen.
Oh und wenn die Pro Kopf Verschuldung einen Einfluss auf den Medallienspiegel hätte... dann läge die USA noch weit, weit hinter Griechenland.


Jingizu (25.08.2012)

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