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9 Seiten

Das Ritual/ Kapitel 23

Romane/Serien · Erotisches
© rosmarin
23. Kapitel
__________
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Mir war kotzübel. Das Bett schaukelte wie bei dem Kleinen Häwelmann durch das Zimmer. Nirgends konnte ich mich festhalten. Sehen konnte ich auch nichts. Ich war nicht fähig, die Augen zu öffnen. Also versuchte ich, wieder einzuschlafen. Zumal das Bett ja gar kein Bett war, sondern sich auf mysteriöse Weise in ein Piratenschiff verwandelt hatte. Ich bin gekidnappt, schoss es mir durch den Kopf! Gefangen. Verschleppt. Reglos stand ich vor einem Marterfahl. Mit verbundenen Augen. Im Mund einen Knebel. Gefesselt. Vorsichtig versuchte ich, meine Arme und Beine zu bewegen, zerrte an den Stricken. Vergeblich. Keinen Zentimeter bewegte ich mich von der Stelle. Bestimmt würden gleich ein paar wilde Kerle auftauchen und mich vergewaltigen. Oder bei lebendigem Leibe verspeisen. Oder den Möwen zum Fraß hinwerfen. Möglich war ja alles. Auf so einem Piratenschiff.
Angstvoll lauschte ich dem anschwellenden Rauschen der Wellen unter mir. Dem Möwengekreisch über mir. Ich wollte schreien. Doch kein Ton kam über meine Lippen.

Es dauerte einige Zeit, ehe ich realisierte, dass ich im Bett lag. Und zwar in Wills. Klar. Er besaß ja keinen Schlüssel zu meiner Wohnung. Und in meiner Handtasche zu kramen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Bestimmt war ich nicht mehr ansprechbar gewesen, als er mich abgeholt hatte. Das Indisch Gold hatte es in sich. Verdammt! Mir war so übel! Ich musste sofort ins Bad. Mich übergeben.
Mit größter Mühe gelang es mir, aus dem Bett zu steigen. Ich torkelte einige Schritte Richtung Bad und brach zusammen.
„Will!“, rief ich panisch, „Will! Schnell, schnell. Hol einen Eimer! Ich muss kotzen!“
Hilflos lag ich auf dem Boden. Im Hirn tausend spukhafte Höllenbilder, wüste Traumszenen, Vollmondsexgeschichten, Mordblitze, die sich in immer wiederkehrenden Fetzen beängstigend vor mein inneres Auge drängten.
Endlich kam Will mit dem Eimer. Mir schien, als seien Stunden vergangen. Fürsorglich nahm er mich auf seine Arme, brachte mich ins Bett, hielt meinen Kopf. Ich kotzte. Kotzte mir die Seele aus dem Leib. Wie man so schön sagt. Mein Herz raste wie verrückt. Bestimmt war ich dem Tode näher als dem Leben.
„Will, Will“, jammerte ich, „ich sterbe. Ich sterbe den Drogentod.“
Angst presste mein Herz zusammen. Panik raste durch meinen Körper.
„So schnell stirbt sich‘s nicht“, sagte Will ruhig.
„Doch, doch! Ich schon. Hol einen Arzt. Will. Bitte. Oder einen Priester, bitte, Will!“
Doch Will, dieser seelenlose Klotz, blieb stur.
„Dein Puls ist in Ordnung“, sagte er kalt, „fast jedenfalls. Nur etwas erhöht.“
Der spinnt doch. Puls in Ordnung. Nur etwas erhöht. Der rast doch!
Ich wurde immer wütender. Will hatte gut reden. Der hatte ja keine Drogen genommen. Wie konnte er nur so unemotional reagieren? Auf meinen Jammer.
„Ich sterbe“, jammerte ich, „und hör doch endlich auf, immer an das Bett zu stoßen. Das tut doch weh“, fauchte ich.
„Niemand stößt ans Bett.“ Will nahm mich fest in seine Arme. „Und nun schläfst du mal schön deinen Rausch aus“, sagte er wie zu einem kleinen Kind.

*

Ich fiel und fiel. Um mich herum undurchdringliche Dunkelheit. Es war, als würde ich in mich selbst hineinfallen. Tief. Immer tiefer. Ganz tief in mein innerstes Ich. Auf dem vermeintlichen Grund angelangt, erfasste mich grenzenlose Panik. Panik vor der Leere, die ich vorfand. Trostlose, unerbittliche, entsetzliche Leere. Und bei dieser Vorstellung, der Vorstellung, ja fast schon Gewissheit, dass im Inneren eines Menschen nur Leere ist, Leere sein könnte, geriet ich völlig außer mir. Ich wollte nur noch eines. Flüchten. Dieser entsetzlichen Leere entfliehen. Und konnte nicht. Ich würde für immer mit dieser grauenvollen Leere leben müssen.
Schweißgebadet erwachte ich für wenige Augenblicke. Schlief wieder ein in Wills Armen.
Plötzlich stand ich auf einer endlos langen Straße. Allein. Keine Menschenseele war zu sehen. Eine verrückte Unruhe überfiel mich. In meinem Kopf spukten Ricardo, Seth, Horus, Otto und Manfred, von denen ich das Andenken gestohlen hatte. Luzifer. Der Vollmond. Lilith. Immer aufdringlicher verfolgten mich die Bilder, intensiver. Mein Kopf drohte, zu platzen.

*

Unglücklich lag ich auf meinem wie für die Liebe geschaffenen blauen Metallbett und dachte an Luzifer, an die Nacht in diesem Bett. Meine entfesselte Fesselnacht. In der ich mich mit dem Teufel vereinigt hatte. Wieder fühlte ich seine langen schwarzen Haare mich warm umhüllen, seine gierigen Teufelskrallen in meinem Fleisch, roch den fast unerträglich erotischen Schwefelatem, erlag des Teufels bestialischer Männlichkeit, dem Albtraum seines Phallus.
Dieses gespenstische Bild wurde überblendet von der blutigen Vollmondnacht mit Manfred. Doch Manfred war nicht Manfred. Er war ein Fremder. Ich spürte fremde Hände über meinen Körper gleiten. Der Mann nahm mich auf seine Arme, trug mich zu einem Bett ohne Kopfkissen. Nur eine dünne Decke lag darauf. Der Mann zog sich nackt aus. Gebannt starrte ich auf seinen erigierten Penis. Ich wollte sein Gesicht sehen. Doch der Mann hatte kein Gesicht. Auch keinen greifbaren Körper. Nur diesen übergroßen, erigierten Penis. Ich wusste, dass der Mann meine Lust sah, mein entfesseltes Verlangen spürte, es ihm unsäglichen Genuss bereitete, dieses frenetisch zu steigern.
„Wir machen es mit Gummi“, keuchte er. „Wir kennen uns noch nicht.“
Der Mann ließ abrupt von mir. Doch ich schmachtete nach ihm. Das heißt, nach diesem übergroßen Ding, das der Mann ohne Kopf und ohne greifbaren Körper wie eine Trophäe vor sich her trug. Er rollte ein Kondom darüber, war sofort wieder bei mir, drang ungestüm in mich ein. Mir schien, als würde ich zerreißen. Ich schrie und schrie.
Öffne es!“, verlangte der Mann. „Ganz weit. Ja. So. Das macht mich an.“
In diesem Augenblick wusste ich, dass ich ihn umbringen würde. Bestialisch morden. Zerstückeln. Und tanzen. Tanzen im Schein des Vollmonds. Im Blut des Ermordeten. In der verhängnisvollen Vollmondnacht. In der ich Thoth begegnet war, mich in die ägyptische Wildkatze verwandelt, zu meiner Sethmusik getanzt hatte.

*

Ich tanzte zu der ungewöhnlich geheimnisvollen Musik. Mein Körper schien sich ohne mein Zutun zu bewegen, verschmolz mit dem Rhythmus dieser lieblichen Töne. Immer machtvoller erklang die Musik, mysteriöser, magischer. Meine Hände glitten über meinen Körper. Berührten meine vollen Brüste. Kreisten um die rosigen Warzen. Streichelten meinen Bauch. Verharrten zwischen den Schenkeln. Streiften mein kurzes rotes Hemd herunter, griffen in mein langes braunes Haar. Berührten sanft mein Ohr. Anmutig neigte ich meinen Kopf und tanzte einen imaginären Schleiertanz. Immer schneller drehte ich mich im Kreis. Schneller. Wilder. Sehnsüchtiger. Bald hatte ich alles um mich herum vergessen. Ergab mich willig der Musik. Zärtlich und leidenschaftlich. Mein Körper wand sich schlangengleich im Rhythmus der verzaubernden en Musik. Mir schien, als würde ich zu den im Nebel der Zeit verborgenen Inseln des Glücks tanzen und ein süßes Ziehen erfasste all meine Sinne.

*

Plötzlich erstarrte ich in der Bewegung. Will beugte sich über mich, sah mich mit seinen schönen braunen Augen besorgt an.
„Ich hatte einen schrecklichen Traum“, sagte ich, „ich …“
Ein anderes Bild tauchte auf. Die Spiele mit Otto. Sein Röcheln. Der selige letzte Augenblick. Dazwischen Matthias, den ich vor Lilith schützen musste. Wieder Ricardo, der all diese Männer in sich zu vereinigen und mir als der größte Lump aller Zeiten erschien. Der Lump, der aus der liebenswürdigen Crysella einen Männer hassenden Vamp gemacht hatte, eine Männer tötende LilithHorusSethCrysella, eine Vampirin, eine Verrückte. Eine Verrückte, die einen Ricardo im Mond liebte.

*

Gegen Morgen wachte ich wieder auf. Mein Magen hatte sich etwas beruhigt. Doch der Nachgeschmack dieser schrecklichen Albträume erfüllte mich mit Angst und Schrecken. Vielleicht hatte ich sie ja tatsächlich umgebracht. Otto und Manfred? Und jetzt verfolgten sie mich in meinen Albträumen? Sollte tatsächlich ich die Mörderin sein? Nicht Lilith? Ein Dämon. Wie Seth.
„Räche dich. Du musst Ricardo töten.“
Hirngespinste. Das alles.

Wo war nur Ricardo? Es war ja schon öfter vorgekommen, dass er in geheimer Mission unterwegs war und nicht einmal mit mir, seiner Ehefrau, darüber reden durfte. Ich kannte weder Grund noch Aufenthaltsort. Und mir blieb nichts, als auf sein Wiederauftauchen zu warten. Doch diesmal war es anders. Diesmal hatte er mir den Brief hinterlassen.

Liebste Crysella, meine Goldblume,
wir hatten viele schöne gemeinsame Jahre. Doch jetzt ist die Zeit für mich gekommen, zu gehen. Bitte such nicht nach mir. Das Haus und mein Konto steht Dir zur Verfügung. Vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder.
In Liebe Ricardo.

Was bedeutete das? Vielleicht wollte er mir durch die Blume sagen, dass es diesmal länger dauern würde? Wieso kam ich erst jetzt darauf? In den Nachwehen meines Drogenrausches? Vielleicht hatte ich ja zu vorschnell gehandelt, als ich mich Hals über Kopf entschloss, das Haus zu verlassen und mein Leben total auf den Kopf zu stellen?
Fragen über Fragen.
Alles im Leben hat einen Sinn, dachte ich. Und so wird sich früher oder später alles aufklären.

Mit wackligen Beinen rappelte ich mich aus dem Bett. Mein Körper schien durchsichtig. Zerbrechlich wie feines Glas. Ich presste mein heißes Gesicht an die kühle Fensterscheibe. Die Nacht war dunkel und ohne Sterne. Ich verkroch mich wieder ins Bett.

*

Im übernatürlich hellen Schein des Vollmonds stand ich wieder auf der einsamen Straße. Geriet wieder in Panik. Begann zu laufen. Schneller. Schneller. Machte völlig außer Atem Halt vor einer Straßenlaterne. Umklammerte sie mit meinen Armen. Spürte das Leben in dem Holz. Holte tief Luft. Im selben Augenblick löste sich mein Körper von meinem Ich. Mein Hirn lag vor meinen Füßen. Die Windungen geschlungen um Ricardos Hals. Meine Augen quollen aus den Höhlen, rollten auf den verschlungenen Windungen meines Gehirns entlang, während sich mein Körper dehnte und dehnte und einer Schlange gleich die endlose Straße entlang schlängelte.
Der Laternenpfahl verwandelte sich in das umgedrehte schwarze Opferkreuz auf dem Friedhof. Der Hohepriester lachte schallend:
„Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn ihnen ist das ewige Leben der Hölle.“
Die Kinder schwammen hilflos in ihren Tränen. Ich wusste: Eines der Kinder war ich!

„Die Wahrheit liegt hinter dem Licht.“ Lilith warf mir eine Kusshand zu.

*

Ich glaubte mich dem Wahnsinn nahe. Wollte schreien. Um Hilfe rufen. Doch ich hatte keinen Körper. Keinen Kopf. War nicht mehr. War tot. Gestorben an den Drogen, die mir Carlos verabreicht hatte. Will hatte mich nicht retten können.
Plötzlich erschien Lilith im Glanz des Mondes. Verführerisch wiegte sie sich in seinem Schein. Das rote Haar hob und senkte sich auf ihrem Rücken im Takt ihrer obszönen Bewegungen. Die durchsichtigen blauen Flügel schienen sie über der Erde schweben zu lassen.

„Ich symbolisiere den Schwarzen Mond“, hauchte sie mit ihrer süßen Stimme. „Ich entspreche dem Prinzip der unerfüllten Wünsche, die nach der Vertreibung aus dem Paradies in uns allen zurückgeblieben sind. Durch die Begegnung mit dem Schmerz will ich euch zur Selbsterkenntnis führen.“

Selbsterkenntnis. Wie sollte ich mich selbst erkennen können, wenn es Tag und Nacht um mich spukte? Auch wenn der Schmerz noch so groß war? Der Schmerz über mein verlorenes Leben. Mein Leben mit Ricardo.
Sehnsüchtig streckte ich die Hände nach Lilith aus. Ich wollte sie festhalten, mit ihr reden. Trost finden in ihrer archaischen Weisheit. Wie sehr brauchte ich sie jetzt. Jetzt. In diesem Augenblick. Dieser verzweifelten Situation.
„Hilf mir“, flehte ich, „hilf mir!“
Doch Lilith verschwand. Und mit ihr der Glanz des Mondes. Die Nacht war wieder schwarz.
Irgendwann war ich wieder in meinen Körper geschlüpft, klammerte mich verzweifelt an den Laternenfahl.
„Ich bin verrückt!“, schrie ich in die Nacht. „Ich bin verrückt! Verrückt!““

Völlig irr rannte ich zu meinem Haus. Schloss die Haustür auf. Stolperte zum Fahrstuhl. Der kam nicht schnell genug. Ich lief die Treppen hinauf, kramte hektisch in meiner Handtasche. Der Schlüsselbund fiel heraus. Ich fand nicht gleich den richtigen Schlüssel. Dann doch. Hastig öffnete ich die Tür. Eilte zu meinem Geliebten. Öffnete Die andere Frau. Druckte die Seiten aus.
Die Blätter wirbelten auf die Dielen. Breiteten sich aus gleich einem Fächer, rollten sich zu einem wirren Knäuel zischender Schlangen. Wanden sich um einen dicken Baumstamm, dessen mächtiges Blätterdach in allen Farben des Frühlings und des Herbstes leuchtete, funkelte, sprühte, während aus dem Feuerwerk der Farben und Formen die verzerrten Köpfe der fünf Ungestalten wuchsen. Dazwischen übermächtig die Gestalt des vermummten Hohen Priesters.

Der Hohepriester schritt langsam auf mich zu. Er legte seine Hand auf meine Stirn und murmelte: „Geist der bösen Kleinen komm heraus. Verlasse diesen sündigen Leib. Diese abscheuliche Hülle. Lege dein Gelübde ab, dein Diener zu sein.“ Er salbte meinen nackten Körper, wickelte mich in weißes Linnen und hielt mich dann der wartenden Menge entgegen. „Lasset die Kindlein zu mir kommen“, sagte er mit dröhnender Stimme, „denn durch sie ist das Königreich der Hölle.“
Die Menge antwortete im Chor:
„Gepriesen sei Satan. Denn er ist der Herr über alles. Er ist der Herrscher der Finsternis. Verdammt sei Gott. Denn er ist der Herr über nichts.“


„Verschwindet!“, schrie ich von Entsetzen gepackt, „verschwindet endlich! Verschwindet!Ihr Ungeheuer!“
Erschöpft sank ich auf den Boden, schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte verzweifelt.
Nach, wie mir schien, unendlich langer Zeit stand ich auf, wankte zum Fenster, starrte in die Nacht, die jetzt voller Sterne war. Allmählich beruhigten mich die Stille und die Schönheit des Himmels. Ich schloss das Fenster, zog die Vorhänge zu, setzte mich im Schlafzimmer auf den roten Hocker, wartete auf Lilith.
Lange brauchte ich nicht zu warten. Lilith erschien wie auf heimlichen Befehl.
„Da bist du ja. Meine Schöne. Meine Liebe“, flüsterte ich. Zärtlich schmiegte ich mein Gesicht an das Glas. „Meine Göttin der Nacht!“
Der Spiegel zerbrach. Lilith vervielfältigte sich auf groteske Weise im Kaleidoskop tausender Scherben. Ihre langen Locken zerzausten. Die Wangen röteten sich. In der Tiefe ihrer hellen Augen schien das unergründliche Geheimnis tausender Jahre zu schlummern.

War es die unerklärliche Sehnsucht, die ich selbst so schmerzhaft empfand? Erinnerung an nie gelebte Leben. Zu oft gelebte Leben? Sehnsucht nach dem Paradies vielleicht? Dem unwiederbringlich verlorenen.
Vielleicht müssen wir tatsächlich alle Ablehnung und Leid erfahren, dachte ich schaudernd, so wie Lilith und Eva, um uns selbst zu erkennen.

Lilith sah jetzt aus wie ein Mensch. Nichts Göttliches war mehr an ihr. Dämonisches. Sie sah aus, wie ein Mensch, eine Frau, die ständig versucht, ihre wirren Gefühle zurückzudrängen, ihre undurchschaubaren Erregungen. Eine Frau, die zuviel an die Liebe denkt, ehe sie sie lebt. Sich ihr hingibt. Eine Frau, die sich im entscheidenden Augenblick wie eine Schnecke in sich selbst zurückzieht. In ihr Haus. Um ihre Bürde ein Leben lang mit sich herumzutragen. Gefangen in sich selbst.

Erschrocken sprang ich auf. Das war nicht Lilith! Ich war es! Ich! Meine Angst spiegelte sich in dem Meer der tausenden Scherben.
„Ich sterbe. Ich sterbe. Willll!“
Die Frau im Spiegel verschwand.
Der Spiegel verlor sein Licht. Schluckte den Schmerz. Die Sehnsucht. Die Liebe.

*

Schweißnass erwachte ich.
„Ruhig, ruhig“, sagte Will, „ich bin ja da. Du hast nur geträumt.“
Beruhigt schlief ich wieder ein.

Als ich gegen Mittag erwachte, hatte Will schon das Frühstück in der Küche bereitet.
„Ich hatte einen schrecklichen Traum“, sagte ich und streckte mich. „Ach was, viele Träume. Alle durcheinander.“
„Du hattest einen schrecklichen Drogenrausch“, sagte Will und goss den Kaffee in die Tassen. „Ich habe Eier gebraten.“
„Ich habe keinen Hunger.“
„Du musst aber essen. Du siehst völlig entkräftet aus.“
„Ja. Papa.“
„Was hast du nur für schreckliche Träume.“ Will streichelte zärtlich meine Wangen. „Du beschäftigst dich zuviel mit deinem Buch.“

War es ein Traum?
Realität?
Fiktion?

„Der Traum ist die Freiheit der Fantasie“, philosophierte ich nachdenklich, „und die Fantasie die Erholung der Sinne.“
„Und ein Drogenrausch gefährlich.“ Will stand auf. „Versprich mir", forderte er, "dass das das erste und letzte Mal gewesen ist.“
„Versprochen.“ Ich schaute tief in Wills Augen und sagte: „Ich will mit dir schlafen.“
Will war fassungslos. Nie und nimmer hätte er mit diesem Angebot gerechnet. Aber so, wie ich ihn ansah, musste ihm klar sein, dass ich es nicht rhetorisch meinte.
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte er irritiert.
„Willst du nicht?“
„Doch, schon, aber wir hatten doch ausgemacht ...“
„Ich habe es mir anders überlegt.“ Ich schmiegte mich wieder fest in Wills Arm. „Ich habe große Lust. Es war doch immer toll mit uns.“
„Sieh einer an“, sagte Will sehr ernst. „Du hast mich verlassen. Wegen Ricardo. Und das hat sehr weh getan. Ich brauchte lange, um darüber hinwegzukommen.“ Er tippte mit einem Finger auf meine Nasenspitze. „Vielleicht würdest du mich ja wieder verlassen, wenn dein Ricardo wieder auftauchen würde?“
„Niemals!“, empörte ich mich. „Ich möchte ein Kind.“
„Aber Crysella. Wir sind geschieden.“
„Gabi ist auch schwanger. Und sie ist auch nicht verheiratet mit ihrem Sklaven.“
„Aber ich liebe dich.“ Ricardo küsste mich auf den Mund. Und dieser Kuss war so intensiv. So vertraut. So heimatlich sehnsuchtsvoll, dass bei uns alle Alarmglocken läuteten. „Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben“, sagte Will leise.
„Was liegt also näher, als uns wieder zu nehmen“, hauchte ich in Wills Mund und legte meine Hand auf seine Hose.
„So geht das nicht Crysella“, sträubte sich Will. „Wenn wir jetzt miteinander schlafen, darf es kein Zurück mehr geben.“
„Ich will es wirklich“, drängte ich. „Mann, Will, stell dich doch nicht so an.“

Will stellte sich nicht so an. Er nahm mich auf seine Arme. Trug mich ins Bett. Die Liebe mit ihm war leise. Inniglich. Voller Gefühl. Es war eine Liebe, die den Tod in sich trug. Viele Tode. Viele kleine glückliche Tode.
Der neue Morgen ließ nichts mehr ahnen von der vergangenen sternenklaren Liebesnacht. Es regnete und stürmte, und der Tag wollte sich lange nicht von der Nacht trennen. Und ich mich nicht aus Wills Armen. Doch es musste sein. Ich musste die Kleidung wechseln und zur Arbeit.

***

Fortsetzung folgt
 
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Kommentare  

hallo else, danke für deine kommentare. ja, wohin soll das führen? mal sehen. auf alle fälle wird es noch spannend. für preis der lust habe ich übrigens ein neues cover. ist in kapitel 1 zu bewundern.
gruß von


rosmarin (15.03.2013)

Oh, das alles war ja wirklich dämonisch. Dauernd der Wechsel zwischen Wahrheit und Traum - die arme Crysella. Wohin soll das nur führen.

Else08 (11.03.2013)

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