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3 Seiten

Pommes auf dem höchsten Kirchturm der Welt

Romane/Serien · Sommer/Urlaub/Reise · Erinnerungen
© noone
Ich muss mich bei dir entschuldigen.
Ich wollte dich nur haben, um dich gehabt zu haben.
Ich weiß, es ist bereits zwei Jahre her. Trotzdem haben wir nie mehr darüber gesprochen und jetzt bist du weg.

Es hat einfach alles gepasst damals. Ich war so jung und so energiegeladen, nach so vielen Jahren tatsächlich single, es war Sommer, ich war bereit, die Welt zu entdecken und Abenteuer zu erleben.
Und dann warst da du, der Soldat im Bundeswehrkrankenhaus, der Typ, um den sich alle als Kollegen stritten. Der Typ mit den breiten Schultern und dem genauso breiten Grinsen, der mit den starken, muskulösen Armen. Der Typ, auf den jede und jeder auf der Wache heimlich zu stehen schien. Der Typ, der keine Ahnung hatte, wie sehr die ganzen kleinen FSJler und Praktikanten für ihn schwärmten. Der Typ, der innerlich so sanft wie ein Lamm und so von Grund aus ehrlich und lieb war. Der Typ, der mir an meinem ersten Tag in der Notaufnahme direkt in die Augen sah und sagte "Endlich haben wir mal eine hübsche Praktikantin".

Was hast du erwartet? Du hast geflirtet, was das Zeug hielt! Im Nachhinein denke ich, dass du mich für billig halten musst - für leicht zu haben. Aber hast du mich nicht in diese Rolle gedrängt? Waren deine Anmachen nicht so flach, dass die Art jeder möglicherweise daraus folgenden Beziehung bereits vorher klar war?

Allein die ersten Annäherungsversuche - Du hast einen alten Opi im Rollstuhl benutzt, um meine Nummer zu bekommen! Während andere Patienten mit im Aufzug standen! Und weiß Gott, vielleicht sogar der ein oder andere Oberstabsarzt in Zivil? In dem Moment fand ich es süß - mindestens genau so sehr, wie ich es dreist fand.

"Ja, gern bringt die Kollegin Sie auf Ihre Station. Weißt du, wo die Uro ist? Nein? Ich zeig's dir. Herr Müller, Ich zeige der Kollegin, wo Ihre Station ist, unter einer Bedingung - wenn ich dafür ihre Nummer bekomme. Meinen Sie nicht auch, dass das ein fairer Handel wäre?"

Und während du dich im vollen Aufzug mit Herrn Müller (oder Mayer, wie auch immer er hieß) darüber unterhieltst, warum du und ich unbedingt ein Eis essen gehen sollten (der Gute stimmte dir natürlich begeistert zu), stand ich da, spielte in meinem drei Nummern zu großen Kasak nervös mit den Fingern und überlegte, ob du es sein könntest. Der, auf den ich mich einlasse, der, den ich an mich ranlasse.

Nicht beziehungstechnisch - mein doppelt und ziemlich paradox gebrochenes Herz war noch nicht in Stimmung für etwas auch nur ansatzweise so persönliches wie Liebe.

Aber doch - an mich ranlassen eben. Wenn man beispielsweise, seit man Tanzen gelernt hat, über Jahre hinweg immer nur mit ein und der selben Person geübt hat, und die ist auf einmal weg... Ein bisschen Horizonterweiterung klingt da schon verdammt verlockend. Herausfinden, wie andere "tanzen". Führen sie lieber Rechts- oder Linksdrehungen? Und wie führen sie, sanft, kontrolliert, fordernd? Führen sie überhaupt? Halten sie mich im Arm wie ein zerbrechliches Etwas oder wie einen starken, robusten Partner? Lassen sie mich auch mal führen? Und - nicht unwichtig - wie steht es mit dem Rhythmusgefühl, bleiben sie im Takt?

All diese Fragen geisterten schon seit Längerem durch meinen Kopf und wurden durch deine Aktion im Aufzug nur zu lebendig, was ihre nervige Gewohnheit des Hin- und Herflitzens und das sinnlose Blockieren eigentlich wichtiger Synapsengänge in meinem Hirn betraf.

Die nächsten Tage ließ mir das keine Ruhe und i.wann in der Kaffeepause zückten wir tatsächlich die Handys - nur wurdest du dann in den Schockraum gerufen, und auch ich ließ mir das Zusehen der krankenhausinternen Erstversorgung des armen Mädchens, das (nur mit Jethelm) ihren Sturz vom Roller mit dem Gesicht aufgefangen hatte, nicht entgehen.

Das arme Ding gesellte sich während der nächsten Stunden zu meinen Gedanken über die Telefonnummer, verdrängte sie aber nicht völlig.
Außerdem hatte ich bereits ein paar Tage mit dir zusammengearbeitet, und je mehr ich von dir kennenlernte, desto mehr mochte ich dich.
Du kanntest mindestens so viele Passagen aus Harry Potter auswendig wie ich (Hallo? Du trankst aus einer Gryffindor-Tasse!), warst Patienten gegenüber sehr einfühlsam, sagtest mindestens so viele nachdenkliche wie anzügliche Dinge und konntest, das bewunderte ich am Meisten, träumen. Wenn es zwischendurch nur eine Minute Ruhe gab warst du in der Lage, uns mit Worten an irgendeinen Sandstrand in Spanien zu zaubern.
Leider war klar, dass du die restliche Zeit meines Praktikums entweder Nachtschicht oder frei haben würdest und wir nie wieder eine gemeinsame Schicht verbringen würden. Aber ich wollte nicht einfach wieder aus deinem Leben verschwinden.

Als ich irgendwann Dienstschluss hatte, war mein Plan bereit dazu, in die Tat umgesetzt zu werden. Ich hatte meine Nummer auf ein abgerissenes Stück meines Dienstplans gekritzelt und drückte sie dir, so selbstbewusst und sicher wie möglich wirkend, auf dem Gang einfach in die Hand.

Man, warst du überrascht! Hattest du nicht damit gerechnet, dass ich Ernst mache? Hattest du mich die letzten Tage nicht stetig an diese offene Rechnung erinnert und damit aufgezogen? Nichtsdestotrotz freutest du dich wie ein Schneekönig.

Das ist eines der Dinge, die ich an dir mag. Wenn du dich über etwas freust oder aufgeregt bist, wirkst du wie ein kleiner Junge. Auch in normalen Situationen hätte ich dich ohne mit der Wimper zu zucken auf 22 geschätzt - in den Momenten, wenn du mit mir geflirtet hast, vielleicht auf 23. Tja, schade, dass ich damit so weit daneben lag. Dennoch ist es eigentlich nicht verwunderlich. Du bist nie ernst oder spießig - du bist cool. Deshab mögen dich auch alle - du weißt, wie man glücklich und zufrieden ist und du bist es in deinem Alltag.

Hätte ich gewusst, dass du eine Freundin suchst... Oder, wie alt du tatsächlich bist...

Ich wusste es nicht. Ich checkte mein Handy alle paar Minuten auf eine Nachricht von dir. Ich sah dein grinsendes Gesicht vor mir, wenn ich die Augen schloss. Und ich freute mich darauf, dich auf neutralem Boden zu treffen und dir eventuell dabei näherzukommen.
 
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Kommentare  

Schon die ersten zwei Sätze haben mir sehr gefallen und der ganze Rest erst recht. Gerne gelesen. Bin neugierig auf die Fortsetzung

Marco Polo (08.07.2016)

Fortsetzung folgt...

noone (07.07.2016)

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