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Memoiren eines Schriftstellers - 15. Kapitel

Romane/Serien · Fantastisches
Kapitel 15

Thelma Wilson bewohnte in der obersten Etage ein kleines Apartment mit separaten Badezimmer und Balkon, direkt neben Shirleys Zimmer. Die geistig behinderte junge Frau im Rollstuhl hatte sich in kürzester Zeit an ihre Nanny gewöhnt, schon sehr bald wurde Misses Wilson für die Carters unentbehrlich. Das Verhältnis zwischen William und seiner Tochter hatte sich seitdem merklich gebessert, selbst wenn sie zu ihm kam, nach Süßigkeiten verlangte und er ihr diese verweigerte, weil Thelma es so angeordnet hatte, akzeptierte Shirley es anstandslos. Thelma stellte einige neue Hausregeln auf, um Shirleys Gesundheit zu schützen. So war es nun William nicht mehr gestatten, dass er in seiner eigenen Villa rauchen durfte, dies auch er bereitwillig akzeptierte.
Da nun William wieder mehr Zeit für sich beanspruchen konnte, aber ihn dafür auch die Langeweile plagte, ging er Freizeitbeschäftigungen nach, die ihn herausforderten und nicht immer ungefährlich waren, anstatt sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und endlich wiedermal einen erfolgreichen Roman zu schreiben. Die vorgeschriebenen Manuskripte in seinem Tresor waren aufgebraucht und längst veröffentlicht worden. Doch sein Schreibverhalten hatte sich geändert; er war lustlos geworden, legte seine Schreibfeder des Öfteren beiseite und setzte seine Arbeit irgendwann erst nach langen Wochen fort, weil er seine Freizeitbeschäftigung bevorzugte. Somit unterbrach er die geheimnisvolle Fähigkeit der Schreibfeder und das Ergebnis war, dass seine letzten vier Romane floppten und nur noch Rang zehn, allerhöchsten den siebten Platz der Bestsellerliste erreichten. Zwar war das immer noch eine hervorragende Leistung, andere Autoren wären schon zufrieden wenn ihre Bücher unter den Top 50 der Bestsellerliste erscheinen würden, aber der erfolgsverwöhnte Adam Hopkins war äußerst enttäuscht und zitierte seinen Starautor sowie Freund in sein Büro. Adam hielt ihm die Zeitung vor die Nase, darin vernichtende Kritiken über seine letzten Werke geschrieben standen.
„Was zum Teufel ist mit dir los?“, fragte Adam verärgert. „Sieh dir nur Stephen King an. Er schreibt, es wird ein Hit und Hollywood reißt sich um die Filmrechte. Genauso wie bei dir damals, anfangs der Siebziger. Verdammt William, du musst dir was einfallen lassen! Knüpfe von mir aus an der Nachtigall Serie an und schreibe ein siebtes Band. Daryl Barnes ist ein guter Schurke, gut, weil er uns sehr viel Geld einbrachte.“
„Und wie soll das funktionieren? Ich habe ihn im sechsten Teil endgültig sterben gelassen. Diese Serie ist beendet, und zwar schon vor fünf Jahren“, verteidigte sich William, während er im Ledersessel lümmelte und eine Zigarre rauchte. Adam stützte seine Arme gegen den Schreibtisch, blickte ihm scharf in die Augen und antwortete bissig: „Ist mir scheißegal, wie! Buddel diese Geldmaschine irgendwie wieder aus seinem Grab! Lass dir gottverdammt nochmal was einfallen! Du bist doch der kreative Kopf von uns beiden! Ich verlange von dir, dass du demnächst wieder die Spitze anführst! Du bist ein fauler, satter Hund geworden, mein Freund, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht. Das dulde ich nicht. Entweder du arbeitest wieder, oder ich schmeiß dich raus! Ich hab dich nicht nach oben gebracht, dass du mich jetzt hängen lässt, wenn du an der Spitze bist!“
Gesagt, getan. William Carter veröffentlichte zwei Monate später die siebte Fortsetzung der Nachtigall Serie, und erntete Hohn. Während Thelma sich fürsorglich um Shirley kümmerte, hatte sich William mit einer Zeitung in seiner Gartenhütte verschanzt. Verbittert musste er lesen wie die Kritiker urteilten, dass Daryl Barnes unlogisch zum Leben erweckt wurde und die Story an den Haaren herbeigezogen wirke. Als Leser würde man sich nicht ernst genommen fühlen, nur noch die hartgesottensten Carter Fans würden eventuell noch begeistert sein. Diese wären aber auch schon bald, wie er selbst, im Rentneralter sein, die man immer noch mit einem Frankenstein, Werwolf und Dracula erschrecken könnte, und würden, nur aus purer Sympathie ihres Jugendhelden wegen, seine Bücher kaufen und zu ihm halten. Beigefügt musste er den zynischen Kommentar lesen: Mister Carter, wachen Sie endlich auf. Wir leben weder noch in den Achtzigern und erst recht nicht mehr in den Siebzigern. Ihr Schreckgespenst Daryl Barnes funktioniert heutzutage nicht mehr. Es werden sogar schon Kaffeetassen mit seiner Fratze aufgedruckt verkauft, daraus Kindergartenkinder ihren Kakao trinken. Und beim Lesen des neuen Nachtigall Romans empfindet man, anstatt eine Gänsehaut zu bekommen, Verständnis, Mitleid und Sympathie für ihren Serienmörder. Spitzen Sie Ihren Bleistift und lassen Sie sich gefälligst etwas Neues einfallen, dann klappt es vielleicht auch wieder mit der Pole Position in der Bestsellerliste.
Während William Carter die niederschlagende Kritik mit einem Glas Cognac herunterschüttete überlegte er, weshalb sein Erfolg plötzlich ausblieb. Was machte er falsch? Verlor die mystische Schreibfeder etwa langsam seine Wirkung? Als er weiterblätterte, stockte er plötzlich, weil er ein kleines Porträt eines Hochzeitpaares erblickte. Gierig las er den Zeitungsbericht.
Seine Penélope hatte sich mit dem zwanzig Jahre jüngeren Footballstar sowie Multimillionär Louis Dickson vermählt. Entsetzt blickte er auf das Hochzeitsfoto. Sie hatte ihren Kopf gegen seine starke Schulter gelegt und fröhlich in die Kamera geschaut. Ihr dunkler Pagenschnitt brachte ihr wunderschönes Gesicht zur Geltung, sie sah in ihrem Hochzeitskleid bezaubernd aus. Sehr auffallend und sofort ins Auge stechend waren ihre üppigen Brüste, welche offensichtlich operativ vergrößert wurden.
Wie konnte sie sich ausgerechnet mit Louis Dickson einlassen, fragte er sich. Es war allgemein bekannt, dass der afroamerikanische Footballstar ein untreuer Frauenheld und gewalttätig war, nun mit Penélope bereits zum vierten Mal vor dem Traualtar getreten war und ihm eine Ehe offenbar nicht mehr bedeutete, als sein Eigentum offiziell nur für sich zu beanspruchen. Zudem musste William sich tatenlos gefallen lassen, wie dieser arrogante Kerl ihn in der Öffentlichkeit verspottete, denn was konnte er schon gegen einen zwanzig Jahre jüngeren Footballspieler ausrichten, der einen Kopf größer und seine Schultern dementsprechend breiter waren? Dickson zu verklagen, davon riet ihm George energisch ab, weil daraufhin sein eigenes, wie auch das Leben des Rechtsanwaltes gefährdet wären. Zurzeit herrschte nämlich eine blutige Rivalität unter berühmten Rappern, wobei zwei verstrittene Plattenfirmen aus Los Angeles und New York sich ständig mit Schusswaffen bekriegten. Louis Dickson war unter anderem mit dem Rapper Tupac Shakur befreundet, der bereits 1994 angeschossen wurde aber diesen Angriff überlebt hatte. Seitdem herrschte ein regelrechter Krieg in der Hip-Hop Szene zwischen der Ost- und Westküste. Und jeder der dazwischen funkte, egal wer es war, wurde einfach ausgeschaltet. Die Ära der italienischen Mafia begann zu bröckeln – deren Glanzzeiten gehörten ab sofort der Vergangenheit an. Die Schwarzen aus den Slums der Metropole schienen nun einige Bundesstaaten von Amerika zu kontrollieren.
William zerfetzte die Zeitung und warf die Schnipsel in die Luft. Dann schmiss er zornig sein Cognacglas gegen eine Palme. Niedergeschlagen senkte er seinen Kopf. Nun hatte er Penélope wohl endgültig verloren.

Chapter 14 aus meinen Memoiren: Die Methoden eines Schutzengels

Diese niederschmetternde Neuigkeit hatte mich ganz schön aus der Bahn geworfen. Nicht nur weil ich mein Mädchen scheinbar endgültig verloren hatte, sondern auch weil ich jetzt um sie bangen musste. Ein Typ wie Dickson ändert sich nicht einfach von heute auf morgen, und die Gesellschaft, mit der dieser Drecksack verkehrte, war hochgradig gefährlich. Mit denen war wirklich nicht gut Kirschen essen. Nur ein einziges falsches Wort vor laufender Kamera würde genügen, und diese Bande schießt mir eine Salve mit dem Maschinengewehr in mein Wohnzimmer. Zudem ließ Dickson keine Gelegenheit aus mich öffentlich zu verhöhnen.
Einige dieser Rapper waren absolut skrupellos, handelten mit Waffen und Drogen und diese Arschlöcher waren dumm genug, einen mitten auf der Straße einfach abzuknallen. Denen war es schlichtweg scheißegal, ob sie dann in den Knast wandern würden. Und dass in Kalifornien die Todesstrafe verhängt wurde, kümmerten diese hirnlosen Idioten ebenso wenig.
Diese Rap Musik war zwar noch nie mein Fall gewesen, trotzdem fand ich sie Anfang der Achtziger als eine bemerkenswerte Kunst. Ebenso Breakdance. Besonders hatten mich damals die lustigen sowie ehrlichen Texte von Grandmaster Flash & The Furious Five fasziniert, wie es sich in den Straßen von New York tatsächlich zutrug (als ehemaliger Obdachloser von New York kann ich davon ein Lied singen), aber heutzutage beinhalten die Sprechgesänge der meisten Rapper nur noch abgrundtief beleidigende und gewaltverherrlichende Wörter, sodass blutige Eskalationen vorprogrammiert sind. Erst ein paar Jahre später, nachdem auf Tupac erneut geschossen wurde, er daraufhin starb und dann sogar der New Yorker Rapper Notorious B.I.G ebenfalls an einer Ampel, mitten auf der Straße wie Tupac, im Auto erschossen wurde, sollte dieser sinnlose Bandenkrieg vorerst beendet sein.
Mein einziger Trost jedenfalls war, dass Louis Dickson selbst Drogen verabscheute und es ausschließlich mit Alkohol krachen ließ. Außerdem hatte sich Penélope tatsächlich gebessert und hatte von den Drogen endgültig abgeschworen, seitdem sie den Hauch des Todes zu spüren bekommen hatte. Mittlerweile war sie wirklich absolut clean und sogar eine engagierte Drogenberaterin geworden, die hauptsächlich Jugendliche im Sanatorium betreute.

Zuerst wollte ich nur noch alleine sein und zog mich täglich in meiner Gartenhütte zurück, um meine Sorgen seelenruhig ertränken zu können, aber wenn Shirley es spitzbekam fragte sie mich brabbelnd, wo ich hingehen würde.
„Daddy muss mal ganz für sich alleine sein, mein Schatz. Ganz alleine, niemand darf dann dabei sein, verstehst du? Das ist genauso wie bei dir, wenn du dein Mittagsschläfchen machst. Dann brauchst du auch immer deine Ruhe, dann darf dich niemand stören. Verstehst du das?“
Wenn Shirley überlegte, konnte man ihr dabei zusehen. Dann gingen ihre Augen hin und her und sie bewegte dabei nervös ihre Finger. Schließlich nickte sie, fragte aber sogleich brabbelnd: Daddy, darf ich da mitkommen, da wo du ganz alleine sein willst?
Ich seufzte. Wenn sie mich mit ihrem unschuldigen Blick anschaute, konnte ich ihr sowieso selten etwas verweigern. Also packte ich ihre Sachen zusammen, die sie generell bei sich haben wollte, selbst wenn wir nur in den Garten gingen um ihre Blumentöpfe zu bestaunen. Das waren selbstverständlich ihr Stoffhase mit den langen Schlappohren, eine Tüte mit Brotkrümeln um die Vögel zu füttern, das Mensch-ärgere-Dich-nicht Brettspiel, eine gefüllte Gießkanne und neuerdings hatte sie stets zu jeder Tageszeit eine Taschenlampe dabei. Warum auch immer.
Zuerst hatte ich befürchtet, dass ich mit ihr wiedermal die ganze Zeit Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen müsste, aber dem war nicht so. Während ich gemütlich im Liegestuhl saß und mir eine Flasche Whiskey gönnte, beobachtete ich Shirley dabei, wie sie gemächlich um die Gartenhütte fuhr, die Blumen und sogar die Palmen ringsherum goss und die Vögel mit Brotkrümeln bewarf (so fütterte sie immer die Vögel). Shirley war so friedlich und ich erkannte, dass sie zu meinem alleine sein einfach dazu gehörte.
Nach dieser Erkenntnis war mir wiedermal eine neue Schnapsidee eingefallen, eine Idee wiedermal nicht ohne Risiko, selbstverständlich. Obwohl ich von meinen riskanten Freizeitaktivitäten eigentlich langsam genug haben müsste, weil mir ständig irgendetwas passierte und ich dabei gerade so ungeschoren davon kam.
Rückblickend muss ich zugeben, dass ich mich manchmal töricht verhalten hatte, denn insgeheim wollte ich der Welt nur zeigen, was ich alles zustande bringen konnte, dass ich ein Ausnahmeschriftsteller war. Ich besaß die nötigen Finanzen, um mir die kostspieligsten Hobbys zu leisten, jedoch fehlte mir dafür zugegeben die nötige Leidenschaft. Ich wollte einfach alles nur mal ausprobieren und glaubte, mit den Erfahrenen jederzeit mithalten zu können. Kurz nach den absolvierten Lizenzen für dies und das dachte ich, alles gleich völlig unter Kontrolle zu haben und fing erst nicht klein an, sondern mischte gleich bei den Profis mit. Unfälle waren also vorprogrammiert gewesen, weil ich einfach die gutgemeinten Ratschläge der Leute ignoriert hatte. Aber ich wusste ja, dass mir nie etwas Ernsthaftes passieren würde, weil mein persönlicher Schutzengel auf mich aufpasste.

Ich weiß nicht was ich damals falsch gemacht hatte, aber beim Fallschirmspringen hatte sich der Schirm nur halb geöffnet und war daraufhin trudelnd in die Tiefe gestürzt. Zum Glück war Adam dabei gewesen, der ein erfahrener Fallschirmspringer war. Er war nach mir abgesprungen, hatte die Gefahr erkannt und sein eigenes Leben riskiert, um mich zu retten. Adam hatte seine Reißleine nicht gezogen, obwohl er es im diesen Moment hätte unbedingt tun müssen, war dann im freien Fall wie eine Rakete auf mich zugeflogen, hatte mich grad noch so gepackt, seinen Fallschirm geöffnet, und war mit mir ruppig gelandet, wobei er sich ein Bein und Armgelenk gebrochen hatte. Ich jedoch kam ungeschoren davon.
Beim Gleitschirmfliegen war mir etwas Ähnliches passiert. Diesmal war ich mit George in den Rocky Mountains gewesen, hatte seine Anweisungen mit den Worten: „Ja, ja, weiß ich schon alles“, abgetan und war dann prompt abgestürzt. Glücklicherweise bin ich in eine Baumkrone gerast und hängen geblieben, ohne irgendeine Blessur davon getragen zu haben. Nachdem ich dann letztens auch mit einem Segelflugzeug über ein Heavy Metal Festival in Nevada abgestürzt war, war ich etwas nachdenklich geworden und hatte vom selber fliegen dann schließlich endgültig die Schnauze voll gehabt.

Ich weiß auch nicht mehr genau, wie das nun wiedermal passieren konnte. Plötzlich hatte das Höhenruder meines Segelfliegers versagt und ich musste auf dem Rockkonzert, inmitten 300.000 Menschen, irgendwo irgendwie notlanden. Das wäre normalerweise eine Katastrophe geworden, aber zum Glück standen dort in der unüberschaubaren Menschenmenge einige riesengroße Festzelte.
Die Heavy Metal Fans sind wirklich ein verrücktes Völkchen, zwar rannten sie alle panisch davon (einige flitzten mit Bierkästen in ihren Händen durch die Menge, weil sie auch ihren Stoff retten wollten), aber sie grölten und lachten dabei, als ich mit Hundertachtzig Sachen im bedenklichen Neigungswinkel trudelnd vom Himmel gesegelt kam. Eines der Festzelte war meine Rettung gewesen, denn der Aufprall wurde abgefedert, wobei eine Tragfläche abgerissen wurde und meinen unkontrollierten Abflug stark abbremste. Dann rauschte ich mit dem halben Segelflugzeug weiter über abertausende Headbanger, bis über die Freilichtbühne hinaus, riss dabei mit dem Heckflügel noch ein paar Scheinwerfer ab und krachte kopfüber in einen Wohnwagen, darin Ozzy Osbourne grade seinen Rausch ausschlief. Der Wohnwagen war völlig auseinander gerissen worden, Ozzy Osbourne wurde rausgeschleudert und saß letztendlich völlig erschrocken einige Meter weiter mit seinem Allerwertesten im Gras – seine runde blau getönte Brille lag ihm schief auf der Nase.
„Sag mal, bist du total bescheuert oder was?!“, hatte er mich angebrüllt.
Aber der Hardrocker war ein prima Kerl, nicht im Geringsten nachtragend und sah von einer Klage ab. Immerhin hatte ich seinen Wohnwagen zerstört und dabei fahrlässig sein Leben in Gefahr gebracht. Mein Segelflugzeug war ebenfalls, bis auf das Cockpit, völlig demoliert gewesen. Ozzy Osbournes blaugetönte Brille hatte auf seiner Nasenspitze gelegen, hatte mich unbeeindruckt angeschaut und gemeint: „Fuck, du bist es ja bloß, Carter. Okay, was soll`s. So ein Scheiß kann jedem Mal passieren. Kauf mir halt einen neuen Wohnwagen, dann sind wir quitt.“
Es hatte an ein Wunder gegrenzt, dass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen war. Ich frage mich heute noch, wie die Verglasung des Cockpits diesen Aufprall unversehrt überstehen konnte, und wie dieses Festzelt einen derartigen Flugzeugabsturz abfedern konnte.
Ozzy und ich tranken also gemeinsam Bier, ließen uns von den Journalisten brav interviewen und ablichten und bekundeten, dass wir Fans voneinander wären, obwohl das gar nicht der Wahrheit entsprach. Denn, weder hörte ich die Musik von Black Sabbath, noch vertrieb sich Ozzy seine Freizeit mit Lesen meiner Romane. Aber dieses Missgeschick war das Highlight des Festivals gewesen, sodass wir beide wiedermal in Amerikas Schlagzeilen auftauchten und wir dadurch Sympathie gewannen. So war dieser spektakuläre Abflug, dank meines Schutzengels, ein kleiner Segen für mich und für den selbsternannten Prince of Darkness geworden, diese Publicity wir mittlerweile beide bitter nötig hatten.

Ja, ja, ich hatte schon einige extreme Sportarten versucht, und jedes Mal kam ich ungeschoren davon. Sogar mit meiner seit über zehn Jahre On und Off Beziehung Sun Liu-Wang unternahm ich regelmäßig extreme Abenteuerausflüge, weil sie diesbezüglich ebenso ehrgeizig und nicht mehr ganz bei Trost war, wie ich. Sun war eine wahre Sportskanone, sie beherrschte einige Kampfsportarten perfekt und als ich ihr den größenwahnsinnigen Vorschlag unterbreitete, den Gipfel des Mount Everest mit ihr gemeinsam zu erklimmen, war meine Lotusblume, anstatt mich für völlig verrückt zu erklären, sofort begeistert gewesen. Wir hatten zwar beide keinerlei Erfahrungen im Bergsteigen, setzten uns aber trotzdem dieses gigantische Ziel vor Augen.
Jetzt, heute, im Nachhinein, ist mir klar geworden, dass auch sie sich ständig überschätzte und wir deshalb auch so gut zusammen gepasst hatten.
Sun war ein wirkliches Organisationstalent und hatte unseren Trip nach Himalaya, zum höchsten Berg der Welt, völlig alleine auf die Beine gestellt. Eben alles was dazu gehörte, von der Ausrüstung bis hin zu unserem Sherpa Team (die Sherpas sind einheimische Bergführer). Da nun Sun eine bekannte und erfolgreiche chinesische Schauspielerin war, sie also ebenfalls gut betucht war und wir uns die Kosten teilten (darauf legte sie immer großen Wert, selbst wenn wir Essen gingen verlangte sie, dass auch sie einmal bezahlte), waren die 150.000 Dollar, die wir für unseren Urlaubsausflug bezahlen mussten, für uns beide Pipifax.
Unser Ausflug ins Himalaya Gebirge war der härteste Trip, den ich bisher unternommen hatte. Wir waren vier Monate unterwegs gewesen, mussten bei Eiseskälte im Zelt schlafen und kämpften stätig gegen Sauerstoffmangel, beziehungsweise gegen die Höhenkrankheit.
Mir konnte ja nichts passieren, denn ich war schließlich gegen alle Krankheiten, dank meines persönlichen Schutzengels sowie der Schreibfeder, gewappnet. Aber Sun nicht. Sie hatte während unserer Expedition sehr gelitten, vor allem hatte ihr die Kälte sehr zugesetzt. Im letzten Camp, also in der letzten Station vor dem Gipfel, war sie sogar nahe dran gewesen, unsere Expedition abzubrechen. Aber mir war es gelungen, sie wieder zu motivieren. Wir motivierten uns eigentlich gegenseitig, denn meistens hatte Sun einen Gletscher vor mir erklungen, saß dann am Abgrund, ließ ihre Beine baumeln und feuerte mich alten Mann an, dass auch ich dies bewältigen könnte. Die Sherpas waren wirklich bemerkenswerte Leute, denn wenn uns die Sauerstoffflaschen ausgingen, händigten sie uns einfach lächelnd und demütig verbeugend ihre Rationen aus. Diese Burschen waren ihr Geld jedenfalls wert gewesen, denn sie waren vorab vorausgegangen und hatten genügend Sauerstoffflaschen an markanten Punkten hinterlegt. An Atemluft hatte es uns also nie gemangelt.
Sun war zwar eine wunderhübsche zarte Lotusblume, und mit ihren ein Meter siebzig war sie für eine Asiatin ziemlich groß, die stets freundlich war und immer lächelte und man ihr so einiges nicht zutraute, aber sie hatte den schwarzen Gürtel in Karate und Judo, beherrschte Aikido und war zäh wie Unkraut. Selbst als wir die 7.900 Meter überschritten hatten und wir über die ersten vereisten Leichen steigen mussten, verlor sie nicht den Mut und trotz dass sie erschöpft war, machte sie weiter. Ihr Ehrgeiz hatte mich schließlich angesteckt und vorangetrieben, denn auch ich war ebenfalls am Ende meiner Kräfte angelangt gewesen.
Wir hatten den Gipfel des 8.848 Meter hohen Mount Everest dann schließlich völlig erschöpft bezwungen und traditionell, wie es etliche andere Bergsteiger vor uns taten, steckten wir ein buntes Tuch, mit unseren Namen darauf gestickt, direkt über die schneebedeckte Bergspitze. Wir hatten Sauerstoffmasken und Schutzbrillen an und ließen uns von einem Sherpa fotografieren, wie ich meine Hübsche auf dem Dach der Welt im Arm hielt, und sie triumphierend ihre Fäuste in die Höhe ragte. Das war ein sehr gelungenes Foto; im Hintergrund war weiter unten ein Meer von schneebedeckten Bergen zusehen und der strahlendblaue Himmel war direkt um uns herum. Wir waren mittendrinn im Horizont, über uns war nur noch das Weltall zum Greifen nahe. Diese Fotografie hatte ich im Poster Format vergrößern lassen und hing in meinem Wohnzimmer.
Der Abstieg war dann noch heftiger gewesen, weil wir ohnehin schon erschöpft genug waren und uns zudem eilen mussten, noch vor Dunkelheit das erste Camp zu erreichen, denn das Wetter ist im Himalaya Gebirge unberechenbar, heimtückisch und hätte unseren Tod fordern können.

Und nun stand meine neuste Herausforderung bevor. Dies war ein lang gehegter Traum. Ich beabsichtigte bei einem Autorennen teilzunehmen, denn schnelle Autos waren meine Leidenschaft. Adam und George waren ebenfalls Motorsportfanatiker, wir sahen uns regelmäßig live die Jugendmeisterschaften im NASCAR an, weil Kevin Hopkins, Adams leiblicher Sohn, ein angehender Rennfahrer war. Ich stöberte also täglich die Tageszeitungen durch (die New York Times las ich immer noch generell) und war auf der Suche nach einem Rennwagen. Eines Tages entdeckte ich eine Annonce von einem bekannten amerikanischen Rennfahrer, der seine nagelneu Viper GTS-R verkaufen wollte, weil er bei seinem letzten NASCAR Rennen in Minneapolis verunglückte und beide Beine verloren hatte. Mit der Viper wollte er ursprünglich am 24 Stunden Rennen in Le Mans, in Frankreich, starten. Ohne groß darüber nachzudenken kontaktierte ich ihn, um mir diese Höllenmaschine erstmal anzusehen.

Shirleys zweiundzwanzigsten Geburtstag feierten wir natürlich wie immer im Disney World Resort in Florida. Diesmal waren außer Thelma und ich sogar Judith, ihr Verlobter und ihr kürzlich Neugeborenes dabei, sowie die Großeltern George und Missey. Ich war äußerst übervorsichtig geworden und hatte mich richtig verrückt gemacht, denn ich war mit Shirley mindestens einmal pro Woche und sogar in Disneyland bei einem Arzt erschienen. Der Doc hatte mich schließlich endgültig beruhigen und überzeugen können, denn Shirley war kerngesund und es sprach absolut nichts dagegen, dass ihr ein langes Leben bevorstünde.
Ich fragte mich selbstverständlich, wie dies möglich war und erinnerte mich, dass mir persönlich niemals ein Unglück geschehen würde. Das meine Tochter geistig und körperlich behindert zur Welt kam, hatte ich damals verkraftet. Diese Last war mir zumutbar. Nur wenn Shirley tatsächlich früh gestorben wäre, daran wäre ich zerbrochen und hätte niemals wieder ans Schreiben gedacht. Sicherlich wussten sie es … Diese Engel. Deswegen war auch ihr Leben so lange geschützt, so lange mindestens, wie ich selbst am Leben war.
Ihr Geisteszustand war zwar unverändert geblieben, aber trotzdem bemerkte ich wie sie erwachsener wurde. Ihr Interesse an Pflanzen hatte sich intensiviert, woraufhin ich ein Gewächshaus im Garten abseits des Swimming Pools errichten ließ. Dazu engagierte ich einen Gärtner, der überdies alle weiteren Hausmeistertätigkeiten meines Anwesens übernahm. Außerdem äußerte Shirley nun öfters den Wunsch, in die Stadt zu fahren um einzukaufen, wobei sie sich mit anderen behinderten Leuten traf. Selbst ihr Fernsehprogramm hatte sich etwas geändert. Sie schaute sich nun häufiger MTV an, weil sie ein großer Michael Jackson Fan geworden war und seine Musik praktisch ansehen konnte. Ihn fand sie ganz toll. Nun hing in ihrem Zimmer, neben den Dumbo, Peter Pan und Mickey Maus Bildern, überdies ein übergroßes Poster von Michael Jackson an der Wand.
Dies verdankten wir Mary, der vierzigjährigen Frau mit dem Down-Syndrom. Sie war wirklich eine ganz liebe, herzensgute Person, die jederzeit bei uns willkommen war. Mary besuchte Shirley mehrmals in der Woche regelmäßig und weil sie Michael Jackson sogar schon persönlich getroffen hatte (davon existierte ein Foto, somit war sie für Shirley die absolute Königin), war sie ihre allerbeste Freundin geworden. Von ihr lernte sie sehr viel, dies weder Thelma und erst recht nicht ich ihr vermitteln vermochten. Obwohl Mary ebenfalls als schwerbehindert eingestuft war, war sie eine Bereicherung für Shirley gewesen.

Angefangen hatte diese enge Freundschaft mit der Telefon Community für Behinderte, davon ich in der Zeitung gelesen und Shirley sogleich angemeldet hatte. Bei diesem Telefondienst wurden behinderte Menschen in eine Leitung geschaltet, somit konnten sie sich alle miteinander unterhalten. Selbstverständlich würden die Gespräche, wenn sich etliche behinderte Menschen gleichzeitig unterhalten, im völligen Chaos enden und somit könnte diese Telefon Community niemals funktionieren. Es gab also eine Administratorin, die die Telefongespräche überblicken und regeln musste. Und diese recht schwierige Aufgabe übernahm Mary, die im Behindertenheim wohnte und mittlerweile Shirleys beste Freundin war.
Ich hatte anfangs vom Telefonapparat im Schlafzimmer aus immer mitgehört und war sehr überrascht gewesen, wie rücksichtsvoll die Behinderten miteinander umgingen. Selbst wenn ein unbekannter neuer Teilnehmer in die Telefonleitung zugeschaltet wurde, wurde dieser herzlichst in der Community aufgenommen. Selbst von Missmut oder gar Neid war niemals etwas zu spüren.
Shirley war rasch der everybody`s Darling in der Telefon Community geworden, die jeder von ihnen als Freundin gewinnen wollte, weil Mary es preisgegeben hatte, dass sie die Tochter eines berühmten Schriftstellers war. Zwar konnte von den Behinderten kaum jemand lesen, wenn überhaupt dann nur Kinderbüchern mit übergroßen Buchstaben, aber sie war der absolute Star gewesen. Shirley war es ohnehin seit ihrer Kindheit gewohnt, dass sie stets im Mittelpunkt stand und dass sich alles nur um sie drehte, aber ihre Freunde empfanden deswegen keinerlei Neid. Im Gegenteil. Sie waren alle äußerst stolz, weil sie mit der Tochter des weltberühmten Schriftstellers William Carter befreundet waren. So glich sich das alles aus, so glaubte jeder von ihnen ebenfalls etwas Besonderes zu sein.
Über Shirleys Armgelenk waren mittlerweile zwölf Freundschaftsbändchen gestülpt, die ihr sehr viel bedeuteten. Sie wusste genau, welches Bändchen sie von wem geschenkt bekommen hatte, und auch sie hatte Freundschaftsbändchen mit ihrem Namen drauf gestickt verschenkt.
Shirley bekam ab ihren einundzwanzigsten Geburtstag von mir jeden Monat fünfzig Dollar Taschengeld, darüber sie eigenständig verfügen durfte, obwohl sie den Wert des Geldes gar nicht abschätzen konnte. Dann fuhr Thelma mit ihr in die Stadt, meinen Pick-up durfte sie jederzeit nutzen. Aber jeden Samstag fuhr ausschließlich ich mit ihr nach L.A., um einzukaufen. Zuerst mussten wir in einen Blumenladen gehen; die Verkäuferinnen kannten uns schon und wussten, dass Shirley zuallererst alle Blumen gießen wollte.
„Gießen machen“, sagte sie immer zur Begrüßung, dann schob eine junge Verkäuferin sie mit einer Gießkanne umher, dies schon mal über eine halbe Stunde in Anspruch nahm. Sicher, ich hätte für Shirley den kompletten Blumenladen leerkaufen können, aber sie war nur an den Samenkörnern interessiert. Shirley wollte unbedingt ihre Blumen selbst aufziehen; wenn die Samen keimten und der erste grüne Halm spross, dann freute sie sich ungemein. Nur selten verliebte sie sich beim Gießen auf der Stelle in eine Pflanze, die sie dann unbedingt mit nach Hause nehmen wollte.

Nachdem sie die Blumen ausgiebig gegossen hatte, legte ihr die Verkäuferin drei verschiedene Samenpäckchen auf den Tisch, davon sie sich aber immer nur für eines, allerhöchsten zwei entschied. Mehr Päckchen durfte man ihr nicht vorlegen, denn Entscheidungen zu fällen, war für sie eine wahre Herausforderung geworden und fiel ihr ausgesprochen schwer. Sie fing manchmal an zu zittern, wenn sie sich entscheiden musste und im schlimmsten Fall – je älter sie wurde, desto häufiger geschah es – bekam sie sogar epileptische Anfälle, diese mich jedes Mal äußerst beängstigten. Jeder erdenkliche Stress, genauso wie es mir Thelma damals prophezeit hatte, war für Shirley unerträglich geworden und konnte ihr gesundheitlich schaden.
Da ich dieses neue Problem nun erkannt hatte, musste ich also neuerdings noch mehr Zeit und Geduld einplanen, wenn ich mit meiner Tochter shoppen ging. Im Blumenladen verbrachten wir also generell einige Stunden, diese ich mit den netten Fräuleins schäkernd verbrachte und wir dabei Champagner auf meine Kosten vertilgten. Und nachdem sich Shirley irgendwann für ein oder zwei Samentütchen für zwanzig Cent entscheiden hatte, steckte ich den netten Damen einen Hunderter in die Kaffeedose.
Dass ich großzügig mit dem Geld umging, war jedem bekannt und war deswegen in jedem Geschäft ein gern gesehener Kunde. Ich selbst verabscheute die Geizhälse aber hinter meinem Rücken wurde dennoch oftmals getuschelt, dass ich ein großkotziger Verschwender wäre und mir Schätzung nur erkaufen würde, weil ich regelmäßig für Behinderten- und Obdachlosenheime großzügig spendete. Tja, wie man es als Vermögender auch macht, es ist niemals ausreichend und man wird immer von Neider verurteilt. Aber wie dem auch sei …
Mit Shirley samstags einkaufen zu gehen, war eigentlich immer dasselbe Schema. Zuerst der Blumenladen, danach zu McDonald`s (Thelma hatte es genehmigt, dass sie einmal in der Woche Fastfood essen darf), weil sie unbedingt eine Happy Meal Tüte haben wollte, danach wollte sie sich ein T-Shirt oder eine Hose kaufen und zu guter Letzt gingen wir in einen One-Dollar-Ramschladen, denn Kitsch begeisterte sie und diese Krämerläden waren für sie wie ein Paradies. Dort wurde sie immer fündig.
Shirley haute stets ihr komplettes Taschengeld auf den Kopf, meistens um Geschenke für ihre Freunde, oder Thelma oder gar für ihre Mutter zu kaufen. Manchmal kaufte sie einen Gegenstand sogar doppelt, weil dieser ihr selber gefiel und sie es ebenfalls haben wollte. Aber eines durfte bei ihren Einkäufen niemals fehlen: eine Packung Batterien für ihre Taschenlampe. Shirley verlangte, dass ihre Taschenlampe jede Woche mit neuen Batterien versorgt wird, obwohl die alten immer noch genügend Kapazität hatten. Aber ihr dies zu erklären, war einfach vergebens. Ihre geliebte Taschenlampe benötigt immer neue Batterien … Basta!

Eines Samstages kaufte Shirley wiedermal wahllos ein, ohne auf den Preis zu achten. Es gab nur eine einzige Sache, die für sie dabei wichtig war und zwar: wenn sie bezahlte war es selbstverständlich, dass sie Rückgeld erhalten würde. Doch manchmal überstiegen die Errungenschaften ihr Budge, sodass ich mein Portmonee zücken oder wenn es doch etwas mehr war, mit meiner Kreditkarte letztlich aushelfen musste. Es langte dann, wenn ich ihr ein paar Cents in die Hand drückte, denn Rückgeld zu bekommen war ihr äußerst wichtig.
Sie hatte also wiedermal mächtig eingekauft, sodass ihr Taschengeld wiedermal nicht ausreichte. Aber diesmal wollte ich erfahren, wie Shirley es meistert, als sie die Ware mit einem fünfzig Dollar Schein bezahlen wollte und der Verkäufer ihr aber zu verstehen gab, dass der Betrag zu wenig sei. Fünf Dollar fünfzig fehlten, aber Shirley verlangte beharrlich Rückgeld, weil sie ja schließlich immer welches bekam. Der Verkäufer lächelte mich hilflos an, in der Hoffnung, dass ich diese Angelegenheit lösen würde. Aber Pustekuchen. Ich lächelte zurück und zuckte nur mit der Schulter.
„Geben Sie sich Mühe und erklären Sie es ihr. Sie ist schließlich eine Kundin wie jede andere … Stimmt’s?“
Eigentlich tat mir der Verkäufer ja leid. Er war noch ein junger Bursche, äußerst geduldig und sehr nett. Außerdem behandelte er Shirley wie eine ganz normale Frau, auch wenn sie geistig behindert im Rollstuhl saß.
„Es tut mir leid, Miss Carter, aber Ihr Geld reicht nicht aus. Sie schulden mir für die gesamte Ware noch fünf Dollar fünfzig. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, legen Sie einfach die Schneekugel für sechs Dollar weg, dann langt es und obendrein erhalten Sie fünfzig Cents zurück.“
Shirleys Augen gingen wieder hin und her, wobei sie nervös ihre Finger bewegte. Dann schüttelte sie aber mit dem Kopf, denn sie wollte alles kaufen was sie eingepackt hatte, und verlangte Kleingeld zurück. Sie drohte ihm brabbelnd: Wenn ich kein Rückgeld kriege, dann kaufe ich auch nicht!

Letztendlich gingen wir aus dem Geschäft ohne Einkaufstüten raus. Shirley war sehr verärgert und schimpfte: „Laden nicht gut! Laden dumm!“
Plötzlich begegnete uns die kleine dickliche Mary, die vierzigjährige Frau mit dem Down-Syndrom und als sie Shirley erblickte, stürzte sie sich freudig auf sie und beide Frauen umarmten sich dermaßen herzlich, dass ich befürchtete, beide würden sich gegenseitig erdrücken.
Shirley erzählte ihr selbstverständlich völlig aufgelöst, was sie in dem Ramschladen erlebt hatte, dass sie eingekauft aber man ihr kein Rückgeld erstattet hatte. Daraufhin blickte die kleine Frau sie empört an, feuerte ihre Handtasche wütend auf den Boden, verschränkte ihre Arme und sagte: „Shirley, wie bitte? Das ist ja wohl die Höhe! Shirley, die haben dir echt nix mehr rausgegeben? Shirley, ich schwör dir, wenn du da nix mehr einkaufen gehst, dann geh ich da auch nie wieder in meinen Leben rein! Shirley, weißt du was? Das erzählen wir den anderen und die gehen dann auch nicht mehr in den Laden rein. So, das haben die jetzt davon“, bekundete Mary mit einem nachdrücklichen Nicken. Shirley sah sie unschuldig an, nickte ebenfalls und fügte brabbelnd hinzu: Ja Mary, das geschieht denen jetzt voll recht!
Mary war nach dieser Nachricht ziemlich aufgebracht, aber sogleich grinste sie über ihre Pausbacken, tätschelte Shirleys Gesicht und schmatzte ihr auf die Stirn. Mary konnte sie ausgezeichnet verstehen, obwohl Shirley wiedermal äußerst aufgeregt und somit sehr unverständlich war. Es dauerte eine Weile, bis Mary mich wahrnahm und auch mich übermäßig begrüßte. Ich mochte sie sehr, weil sie eine ausgesprochene liebevolle Person und immer bestrebt war, es jedem recht zu machen. Das Behindertenheim war seit ihrer Kindheit ihr Zuhause und die Telefon Community war ihre Lebensaufgabe, zudem fühlte sie sich dazu verpflichtet, die Freundschaften unter den Behinderten aufrecht zu erhalten.
„Du weißt ja, Mary. Wenn du uns besuchen willst, ruf mich einfach an und ich hole dich sofort ab. Thelma freut sich ebenfalls über deinen Besuch und sie hat immer einen Teller von ihrer köstlichen Hausküche für dich übrig“, sagte ich.
„Aber Mister Carter, das brauchst du doch gar nicht machen“, antwortete Mary und hielt mir ihren Behindertenausweis, welchen sie um ihren Nacken hängen hatte, vor die Nase. „Damit kann ich überall umsonst mit dem Bus fahren. Weißt du, Mister Carter, dann kannst du dein Benzin sparen. Das kostet nämlich sehr, sehr viel Geld. Ich weiß das, Mister Carter. Ich weiß das!“, erklärte sie mir ernst.

Von ihrem Schwerbehindertenausweis war Shirley sehr beeindruckt gewesen. Mary konnte also mit diesem Ausweis innerhalb von Los Angeles mit dem Bus überall hinfahren, wohin immer sie auch wollte, und das obendrein umsonst. Und wollte sie ins Schwimmbad, in den Zoo oder ins Kino, brauchte sie nur die Hälfte zu bezahlen.
Schmunzelnd erklärte ich meiner Tochter, dass auch sie einen Schwerbehindertenausweis besitzen würde. Dieser lag im Auto auf der Ablage vor der Frontscheibe, damit wir überall, insofern wir keine Feuerwehrzufahrt blockieren würden, selbst im Halteverbot kostenlos parken könnten ohne dabei zu befürchten, abgeschleppt zu werden. Das war äußerst praktisch, denn finde mal mitten in L.A. auf die Schnelle einen Parkplatz.
Jedoch ihr dies zu unterbreiten, war ein großer Fehler gewesen. Das hätte ich meiner Tochter besser verschweigen sollen, denn, Shirley verlangte daraufhin sofort ihren Behindertenausweis von mir ausgehändigt zu bekommen. Sie wollte den Ausweis ab sofort, genauso wie es Mary handhabte, um ihren Nacken tragen. Shirley verlangte von mir, dass wir auf der Stelle zum Auto gehen sollten, um ihren Behindertenausweis zu holen.
„Aber Schatz, Daddy braucht doch deinen Ausweis unbedingt, damit wir überall parken dürfen und nicht abgeschleppt werden“, versuchte ich ihr geduldig zu erklären.
Doch vergebens. Shirley beharrte auf ihren Behindertenausweis und bevor sie mir wiedermal eine mächtige Szene mitten in der Stadt machte, gab ich zerknirscht nach, schob sie einige Stadtviertel zum Auto zurück und überreichte ihr genervt den blöden Ausweis, den sie dann ganz stolz um ihren Nacken trug. Wie hätte ich schon dagegen argumentieren sollen? Half ja doch nix. Dieser war eindeutig ihr Eigentum, schließlich war ihr Passbild darauf abgebildet. Shirley sah mich wiedermal unschuldig an, riss mir den Ausweis ruppig aus der Hand, stülpte das Bändchen um ihren Nacken und quasselte vorwurfsvoll: Das ist meiner, der gehört ganz alleine mir. Das bin ich auf dem Bild, nicht du. Hol dir doch deinen eigenen Behindertenausweis! „Daddy dumm“, fügte sie deutlich sprechend mit einem verärgerten Blick hinzu.
Selbst Zuhause trug sie ihren Behindertenausweis um ihren Nacken, den sie dann immer wieder betrachtete und jedem stolz präsentierte, der uns besuchte. Nachdem Adam sie mit den Worten: „Gib mir Fünf mein Mädchen“, begrüßte und sie ihre Hände abgeschlagen hatten, erklärte Shirley ihm aufgeregt, dass sie mit ihrem Ausweis sogar völlig umsonst mit dem Bus fahren dürfte. Und was hatte dieser linke Hund getan? Genau, er hatte den Erstaunten gemimt, sie gelobt und gemeint, dass sie auf ihren Ausweis sehr gut aufpassen müsste, weil dieser etwas ganz besonderes wäre und nicht jeder Mensch bekommen würde. Nur besondere Menschen würden solch einen wertvollen Ausweis erhalten, hatte er gemeint. Dann hatte Adam mich angegrinst und mir zugezwinkert.
Normalerweise hätte es nur ein paar Tage gedauert, bis Shirley das Interesse an ihrem Behindertenausweis verloren hätte, aber weil Adam gesagt hatte, sie solle darauf sehr gut aufpassen, wurde dieser Plastikschein noch interessanter für sie. Somit konnte ich Shirley den Behindertenausweis erst nach zwei Wochen heimlich stibitzen und wieder in mein Auto verstauen, wo der hingehörte. Ja, so war Adam. Ein kleiner fieser Mistkerl.

William Carter war äußerst frustriert, weil seine Lieblings Footballmannschaft New York Giants den Super Bowl von 1995 wiedermal nicht gewonnen hatte, sondern diesmal die San Francisco 49ers. Er hasste dieses American-Football-Team neuerdings abgrundtief – obwohl es ein kalifornisches Footballteam war –, insbesondre, weil der Quarterback Louis Dickson triumphierend vor die Kamera trat. Alleine nur wegen diesem Mann gönnte er dem kompletten Team nicht diesen überragenden Sieg, welcher in Amerika vergleichsweise wie die Fußballweltmeisterschaft in Europa gefeiert wurde. Louis Dickson hielt vor der Fernsehkamera seinen Helm unter dem Arm, war völlig außer Puste und bekundete stolz, dass er der glücklichste Mann auf der Welt sei. Zum einen, weil er gemeinsam mit seinem 49ers Team den Super Bowl gewonnen hatte und zum anderem, weil er sich kürzlich mit seiner Traumfrau vermählt hatte. Penélope wäre eine wundervolle Ehefrau, die ihn den rechten Weg gewiesen und gezeigt hätte, was wirkliche Liebe sei. Lächelnd sagte er in die Kamera, dass sie jeden Tag versuchen würden, Kinder zu zeugen. Gesunde Kinder, betonte er.
„Gott behüte Amerika, Gott schütze meinen Freund … William Carter“, schmunzelte Dickson in die Fernsehkamera.
„Lassen Sie sich nicht provozieren, Mister Carter“, sagte Thelma während sich beide dieses Sportereignis vor dem Fernseher anschauten. „Sport ist Mister Dicksons Ära, dort ist er der König und Sie müssen seine Schikanen hinnehmen. Falls Sie sich rächen wollen, können Sie dies nur schriftlich machen. Schreiben Sie doch einen guten Roman, indem ein gewisser Footballspieler als ein Feigling dargestellt wird. Irgendwann bekommt jeder im Leben das, was er verdient“, lächelte sie.
William saß im Ledersessel und blickte sie zornig an.
„Nein, da habe ich eine bessere Idee. Sport ist also seine Welt – ist das so? Dann begebe ich mich einfach in seine Welt und stoße diesen König vom Thron. Motorsport ist ebenfalls ein Sport und dann werde ich`s diesem Drecksack schon zeigen!“
 
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